Protocol of the Session on July 19, 2002

Darum fordern wir die Landesregierung als ersten Schritt auf, einen Vorstoß zu unternehmen, um mindestens die Zwangsdifferenzierung in abschlussbezogene Kurse aufzuheben und es den Schulen zu überlassen, wie sie es denn regeln wollen.

Zu dem dritten Punkt. Lehrerinnen und Lehrer machen in Sachsen-Anhalt eine gute Arbeit. Dennoch bleibt ihnen der Erfolg ihrer Anstrengungen nicht selten versagt. Die Ursachen dafür liegen in vielen, nicht nur von der Schule zu vertretenden Gründen. Lehrerinnen und Lehrer brauchen dringend stärkere Unterstützung auf vielfältige Weise. Fort- und Weiterbildung gehört dazu.

Die Gespräche der letzten Jahre mit Lehrerinnen und Lehrern zeigen, dass sie an einer anspruchsvollen, qualitativ hoch stehenden Fortbildung interessiert sind, aber nicht immer die Unterstützung erhalten, die sie benöti

gen. Ein Schwerpunkt dieser Fort- und Weiterbildung muss künftig im pädagogischen, sozialpädagogischen, methodischen und didaktischen Bereich liegen.

Viele Dinge, die an der Schule heute von ihnen erwartet werden und die notwendig sind, um die neuen schwierigen Herausforderungen ohne massive Frustration zu bewältigen, kamen in ihrer eigenen Ausbildung nämlich nicht vor. Das gilt insbesondere für die in der DDR ausgebildeten Pädagoginnen und Pädagogen, aber partiell auch für die nach neuem Recht ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer. Dass schulpraktische Ausbildung in der ersten Phase der Lehrerausbildung heute kaum verankert ist, ist nur ein Makel der Lehrerausbildung in Deutschland, allerdings ein grundsätzlicher.

In der Pisa-Zusammenfassung wird darauf hingewiesen, dass die Sicherung von Mindeststandards in Deutschland - auch ich zitiere jetzt einmal - kein Problem der Selektivität, sondern eines der Förderung und des professionellen Umgangs mit Leistungsheterogenität im Unterricht ist. Mein Kollege hat das schon in der Aktuellen Debatte erwähnt.

Leistungsheterogene Gruppen gibt es aber, wie die Kompetenzkurven der einzelnen Schulformen beweisen, in allen Schulen und in allen Schulformen. Wir haben die Verantwortung dafür, dass Lehrerinnen und Lehrern die Aneignung jenes Handwerkszeuges ermöglicht wird, mit dem sie erfolgreich unterrichten können. Darum brauchen wir eine auf diese Befähigung gerichtete Fort- und Weiterbildung. Beginnen muss man dabei übrigens bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der staatlichen Schulämter. Wie sollen diese die von uns angestrebte Beratungsfunktion überhaupt wahrnehmen, wenn sie selbst nicht in der Lage sind, mit solchen Methoden umzugehen?

Der Erfahrungsaustausch zwischen den Schulen gehört für uns ebenso dazu.

Kollegien, die sich neue pädagogische Instrumentarien erarbeitet haben, brauchen übrigens wesentlich mehr als unsere Duldung. Ich weiß, dass sich eine Gruppe von Schulen inzwischen schon andere Beraterinnen und Berater gesucht hat, weil sie hier im Land nicht mehr die nötige Unterstützung erfahren.

Wir haben in unserem Land mehr Potenzial, als bisher genutzt wurde. Eine Orientierung auf Schilf-Veranstaltungen reicht uns deshalb nicht aus. Wir müssen mit dem, was die Schulen erarbeitet haben, produktiv auch für andere Schulen umgehen.

Natürlich muss die Fort- und Weiterbildung darauf angelegt sein, die bestehenden Defizite in der Unterrichtsversorgung auszugleichen. Darüber haben wir schon häufiger gesprochen. Deshalb gehe ich jetzt nicht ausführlicher darauf ein.

Abschließend will ich noch einmal betonen, dass wir diesen Antrag mit den anderen heute eingebrachten Anträgen im Zusammenhang und nicht als davon losgelöst und auch nicht als ein komplettes Konzept sehen. Uns geht es vielmehr zunächst einmal nur um Schritte, wie dies auch die Überschrift besagt.

Wir sollten im Ausschuss intensiv und ergebnisorientiert über die einzelnen Probleme beraten. Weitere werden hinzukommen. In diesem Sinne bin ich für eine Überweisung auch der Anträge der Fraktionen von CDU und FDP sowie der SPD-Fraktion in den Ausschuss. Allerdings reicht es nicht, dass wir mal darüber gesprochen

haben. Vielmehr müssen sich die Dinge verändern. Sonst müssten wir alle unser Lehrgeld zurückzahlen. Ich fürchte, Frau Pieper könnte schon einmal anfangen zu sparen.

(Beifall bei der PDS)

Danke, Frau Dr. Hein.

(Frau Feußner, CDU: Ich hatte noch eine Frage!)

- Frau Feußner, Entschuldigung! - Frau Dr. Hein, Sie wollten eine Frage beantworten.

Das hatte ich ganz vergessen.

Frau Dr. Hein, ich habe zwei Fragen an Sie. Sie haben die äußere Fachleistungsdifferenzierung in der neuen Sekundarschule angesprochen, was auch Inhalt der Nr. 2 Ihres Antrages ist. Sie möchten die äußere Fachleistungsdifferenzierung wegbekommen, indem Sie die KMK bemühen wollen, diese Anforderungen zu streichen.

In diesem Zusammenhang frage ich Sie Folgendes. Sie haben die neue Sekundarschule bei uns installiert, wohl wissend, dass die äußere Fachleistungsdifferenzierung hier im Land zwingend war. Dabei haben Sie bewusst in Kauf genommen, dass an der neuen Sekundarschule aufgrund der Angebote von A- und B-Kursen ein Durcheinander entsteht. Andere Länder haben die gleichen Maßstäbe der äußeren Fachleistungsdifferenzierung, sind damit aber ganz anders umgegangen. Im Übrigen haben nicht alle die Hauptschulbildungsgänge. Trotzdem haben sie ganz andere Erfolge als wir.

Die erste Frage. Wie schätzen Sie diese Situation ein? Warum haben Sie, dies wissend, die neue Sekundarschule eingeführt und nicht vorher versucht, diesbezüglich unter Herrn Harms in der Kultusministerkonferenz tätig zu werden?

Die zweite Frage. Sie sprachen von dem Hauptschulbildungsgang, der Ihres Erachtens in der Pisa-Studie wenig erfolgreich dargestellt sei. Ich darf einmal aus einer Zeitung Aussagen von Herrn Baumert zitieren. Ich möchte gern, dass Sie Ihre Meinung dazu äußern.

In Bayern besuchen zwar mehr Schüler aus unteren Schichten die Haupt- oder Realschule, aber ihre dort erworbenen Kompetenzen liegen über dem Niveau, das man in anderen Ländern erwarten kann. Mir persönlich sind eine gut geführte Hauptschule und ein Hauptschulabschluss lieber als eine schlecht geführte neue Sekundarschule bzw. kein Schulabschluss. Ich möchte wissen, wie Sie dies sehen.

Auf die Gefahr hin, dass das nun doch etwas mehr wird: Die äußere Fachleistungsdifferenzierung wird aufgrund der Vereinbarung über die Bildungsgänge der Sekundarstufe I erforderlich. Ich will Sie an Folgendes erinnern, Frau Feußner: In der ersten Legislaturperiode gab es ein ähnliches Konstrukt, aber glücklicherweise diese Vereinbarung noch nicht. Auch Sie haben - wir haben uns

neulich noch einmal richtig kundig gemacht - damals in den kombinierten Klassen in ähnlicher Weise mit einer solchen äußeren Fachleistungsdifferenzierung gearbeitet.

(Frau Feußner, CDU: Aber nach einem ganz an- deren Prinzip!)

- Damals gab es die Verpflichtung der KMK noch nicht. Sie ist meines Wissens im Jahr 1993 in Kraft gesetzt worden.

(Frau Feußner, CDU: Aber wir haben dann prinzi- piell immer nur einen Kurs!)

Ich möchte Ihnen nun noch einmal sagen, warum ich gegen die äußere Fachleistungsdifferenzierung bin. Der soziale Zusammenhalt ist nämlich nur die eine Seite der Medaille. Bei der anderen Seite - ich habe versucht, dies deutlich zu machen - geht es darum, dass man mit dieser äußeren Fachleistungsdifferenzierung - das hat mich auch bei dem Modell gestört, das die SPD-Regierung eingeführt hat; sie hat nicht in allem auf uns gehört; Sie wissen, wie spät die Abschlussverordnung gekommen ist und dass wir das moniert haben - auf einen bestimmten Abschluss hinarbeitet.

Das, was mit der neuen Sekundarschule eigentlich beabsichtigt war, nämlich die Möglichkeit zu eröffnen, sozusagen einen höheren Abschluss zu erreichen, war immer an eine bestimmte Zahl der Kurse gebunden und ist so nicht umgesetzt worden. Das ist der Grundfehler, der den Hauptschulbildungsgang prägt. Das müssen wir abschaffen. Jetzt besteht vielleicht auch die Chance dazu. Vor Pisa gab es überhaupt keine Bewegung in diesem Bereich.

(Frau Feußner, CDU: Aber unter der Vorausset- zung hätten Sie dem Gesetzentwurf nicht zustim- men dürfen!)

Jetzt hätten wir vielleicht eine Chance mit den einheitlichen Bildungsstandards. Man kann nämlich auch über Bildungsstandards festschreiben, welcher Abschluss jeweils über ein bestimmtes Bildungsniveau erreicht wird. Dafür braucht man die äußere Fachleistungsdifferenzierung nicht. Deshalb finde ich, dass wir nun die Chance nutzen sollten. Jetzt besteht die Gelegenheit; vorher waren die Türen weitgehend verschlossen.

(Frau Feußner, CDU: Sie hätten mit dieser Argu- mentation dem Gesetzentwurf der SPD damals nicht zustimmen dürfen!)

- Ich gebe zu: Ich habe mir erhofft, dass es besser geht, weil nämlich in anderen Ländern solche Schwierigkeiten offensichtlich nicht existieren. In Deutschland gibt es sie aber sehr wohl. Das habe ich nun erkannt. Man kann ja lernen. Ich bin Lehrerin und bin lernfähig. Das halte ich für eine Grundvoraussetzung auch für Lehrerinnen und Lehrer.

(Zustimmung bei der PDS)

Zum Zweiten, zur Hauptschule in Bayern. Ich habe in Bayern einmal eine Hauptschule besucht. Ich habe vorhin gesagt, ich bin Kunsterzieherin. Ich war maßlos beeindruckt. Uns ist ein wunderhübsches, sauber hergerichtetes Schulhaus im Speckgürtel von München vorgestellt worden. Dort wird mit einem verknüpften Werk- und Kunsterziehungsunterricht mit Metalltreibarbeiten gearbeitet. Mir sind die Augen übergegangen. So etwas habe ich selbst noch nicht gemacht. Das war toll.

Die Lehrer entschuldigten sich bei uns, dass es eine Ecke gab, in der diejenigen, die nicht mehr mitkamen, ein bisschen herumlümmeln konnten. Auch das hat mich nicht weiter gestört. Das fand ich nicht so schlimm. Wenn man Kinder hat, die unterschiedlich lernen, dann muss man auf die unterschiedlichen Lernsituationen unterschiedlich eingehen. Das halte ich für besser, als sie in die LB-Schule abzuschieben. Das ist in Ordnung.

Aber als ich dann fragte, weil an den Schulhof eine Realschule grenzte, wie viele Hauptschülerinnen denn nach dem Abschluss der Hauptschule in die Realschule wechselten, um entweder den erweiterten Hauptschulabschluss oder den dort gültigen Realschulabschluss zu machen, bekam ich ein sehr verwundertes Gesicht zu sehen. Von dieser Möglichkeit hat man in Bayern noch nichts gehört, und das möchte ich nicht.

(Zustimmung bei der PDS - Frau Feußner, CDU: Aber der Hauptschulabschluss in Bayern ent- spricht unserem Realschulabschluss! Das haben Sie noch nicht erkannt!)

Danke, Frau Dr. Hein. - Sie können dann draußen die Debatte fortsetzen. - Wir treten in eine Fünfminutendebatte ein. Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Schomburg das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ergebnisse der Pisa-Studie will ich an dieser Stelle nicht noch einmal in allen Einzelheiten rekapitulieren. Dies war Inhalt der Aktuellen Debatte, die heute Vormittag stattgefunden hat.

Die Erkenntnisse der Pisa-Studie sind auch für Deutschland nicht neu. Einige Kollegen haben bereits darauf hingewiesen, dass es in Deutschland bereits Studien gab, die auf Fehlleistungen deutscher Schüler in einzelnen Bereichen hingewiesen haben.

Welche Konsequenzen sollten wir nun in Sachsen-Anhalt aus der Pisa-Studie ziehen? Auf welchen Feldern sollten wir nach Abhilfe suchen? - Auch diesbezüglich gibt uns die Pisa-Studie Hinweise.

Untersucht wurden auch Querverbindungen zwischen den Lernergebnissen und dem Schulumfeld. Bei dieser Untersuchung trat zutage, dass es hohe Korrelationen zwischen dem Lernerfolg und dem sozialen Hintergrund gibt, Lernerfolg und Schule bzw. Unterricht eine hohe Korrelation aufweisen, dass die Lehrermoral und die Arbeitshaltung sowohl von Lehrern als auch von Schülern wichtig ist und dass auch das Schüler-Lehrer-Verhältnis eine hohe Affinität zum Lernerfolg der Schüler hat. Geringe Präferenzen gibt es zwischen dem Lernerfolg und der Schulautonomie, dem Schulklima, der Ressourcenausstattung und der Stundenausstattung in den Fächern.

Daraus - ich kann dies aufgrund der Zeit nur in Ansätzen vortragen - ergeben sich für die CDU-Fraktion folgende Felder, auf denen wir ansetzen sollten:

Zunächst ist die vorschulische Bildung anzusprechen. Es hat sich als fataler Irrtum erwiesen, dass die Kindertagesstätten in Sachsen-Anhalt von ehemals dem Bildungsministerium zugeordneten Einrichtungen zu Betreuungs- und Erziehungseinrichtungen herabgestuft worden sind. Selbstverständlich haben vorschulische Ein

richtungen wie Kindertagesstätten auch Bildungsaufgaben zu übernehmen.

Derzeit ist erkennbar, dass etwa ein Fünftel aller Schüler Sprachstörungen haben, die bis zum Beginn der Grundschule nicht behoben worden sind. Deshalb wird insbesondere der Sprach- und Sprechförderung Aufmerksamkeit gewidmet werden müssen, und wir brauchen wieder eine bessere Aus- und Fortbildung der Erzieher mit einem höheren pädagogischen Anteil an der Ausbildung.

Das zweite Schwerpunktfeld ist die Grundschule. Diese muss wieder als Lernschule verstanden werden. Die Zeit muss effizient zur Festigung der Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen genutzt werden. Ein erheblicher Teil der Unterrichtszeit nicht nur in der Grundschule wird bisher für unterrichtsferne und unterrichtsfremde Aktivitäten genutzt. Da gibt es Morgenkreise, Gesprächskreise, Projekttage und Projektwochen, oder es werden statt Unterricht Schullandheimaufenthalte, Exkursionen gemacht, Theater und Ausstellungen besucht oder man geht Eislaufen, führt die sportlich bewegte Schule durch usw.

Das ist alles im Lehrplan vorgesehen und verfolgt respektable Zwecke, wie die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls, die Erziehung zur Demokratie, Lebensweltbezug, Sinneserfahrung, Auflockerung des Unterrichts, sportlicher Ausgleich. Deshalb lernen die Schüler nichts, weder für das Leben noch für die Schule.