Protocol of the Session on July 19, 2002

- Wenn das Aufgabe der Kommune ist, dann ist es etwas anderes.

(Frau Theil, PDS: Das ist nichts anderes!)

Wir sind, wie gesagt, der Meinung, dass die Kommunen als Träger der Jugendhilfe und der Schulen einen wesentlich größeren Beitrag leisten sollten und könnten.

Verehrte Anwesende! Wir befinden und derzeit in einem Prozess, in dem alle Möglichkeiten der Beibehaltung bzw. der Neuauflage dieses Programms geprüft werden. Mit Sicherheit werden sich - das haben der Minister und ich bereits gesagt - einige Parameter verändern. Im Rahmen der Konsolidierung der Landesfinanzen werden wir unsere Vorstellungen zur künftigen Realisierung von Schulsozialarbeit in Form eines Gesamtkonzeptes vorstellen. Es macht wenig Sinn, Programme aus den zukünftigen Haushaltsberatungen herauszunehmen und vorab darüber zu diskutieren. Unter der Voraussetzung, dass der Zeitrahmen aus dem Antrag gestrichen wird, wären wir bereit, dem Antrag zuzustimmen.

Zu Punkt 1 des Antrages möchte ich den Vorschlag unterbreiten, die Worte „vor Beginn der Beratung zum Haushaltsplan“ durch die Worte „während der Beratungen zum Haushaltsplan“ zu ersetzen. Punkt 2 des Antrages müsste entsprechend angepasst werden. Mit einer Anhörung im Ausschuss könnten wir durchaus leben.

Wir beantragen ebenfalls - das hat meine FDP-Kollegin bereits gesagt -, den Ausschuss für Bildung und Wissenschaft mit der Federführung zu betrauen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Wol- pert, FDP)

Danke, Frau Feußner. - Als letzter Redner hat noch einmal der Einbringer des Antrages, Herr Gebhardt, das Wort. Bitte, Herr Gebhardt.

Wir werden auf einen weiteren Debattenbeitrag verzichten. Ich will nur erklären, dass wir uns den soeben von der CDU-Fraktion vorgetragenen Änderungswünschen, das während der Haushaltsberatung zu machen, anschließen. Wir bitten aber darum, dass wir über den Antrag direkt abstimmen und keine Ausschussüberweisung vorsehen.

(Frau Feußner, CDU: Ja!)

Herr Gebhardt, dem würde auch ich zustimmen; denn für eine Überweisung in die Ausschüsse, die erst verhandeln sollen, ob sie unterrichtet werden wollen - und dies während der Haushaltsberatung -, wird die Zeit zu kurz.

Könnten sich die FDP- und die CDU-Fraktion dem anschließen, dass unter Punkt 1 in der Passage „vor Beginn der Beratungen zum Haushaltsplan 2003“ die Worte „vor Beginn“ durch das Wort „während“ ersetzt werden und unter Punkt 2 der Termin analog geändert wird? - Dann müssen wir über diese Änderung zu dem Antrag nicht abstimmen.

(Herr Gebhardt, PDS: Nein!)

- Gut. - Dann stimmen wir direkt über den mit diesen Änderungen versehenen Antrag der PDS-Fraktion ab. Wer diesem seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Gegenstimmen? - Dem Antrag wurde bei einer Gegenstimme mit überwältigender Mehrheit zugestimmt. Damit ist der Tagesordnungspunkt 5 abgeschlossen.

Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 6:

Erste Beratung

Schritte im Ergebnis der Pisa-Studien

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/51 neu

Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 4/99

Alternativantrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/94

Zunächst erteile ich als Einbringerin der Abgeordneten Frau Dr. Hein das Wort. Bitte, Frau Dr. Hein.

(Herr Tullner, CDU: Aber jetzt bitte zügig, Frau Dr. Hein!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Aktuellen Debatte vorhin ist viel über die Zusammenhänge zwischen Gesellschafts- und Bildungspolitik und die Ergebnisse der Studien des Programme for International Student Assessment gesprochen worden.

Ganz sicher ist eine Bildungsdebatte, die sich nicht nur in der Genugtuung des gegenseitigen Schlagabtausches gefällt, in Deutschland nicht nur unter Bildungspolitikern dringend notwendig. Ganz sicher ist es erforderlich, dass der Schock, der von Pisa aus durch die deutsche Gesellschaft geht, Erklärung erfährt und auf die Ursachen und Zusammenhänge zurückgeführt wird. Wer Pisa brauchte, um die Augen geöffnet zu bekommen, hat die Zeichen der letzten zehn bis 20 Jahre verschlafen, ganz gleich, welchem Menschen- und Gesellschaftsbild er oder sie anhängt.

Zu den bitteren Erfahrungen der letzten zehn Jahre gehört für mich, dass Bildungsreformen in der Bundesrepublik Deutschland keine Konjunktur haben. Wie schon nach der TIMSS-Aufregung sind die Erklärungsmuster schnell zur Hand und werden ebenso schnell wieder abgelegt.

So ist es doch schlimm, dass man in Finnland vor genau 30 Jahren nach ebenfalls langen und heftigen Debatten herausfand, dass das parallele - so nennt man es in Finnland - Schulsystem nicht mehr zeitgemäß sei, und ein Gesamtschulsystem entwickelte, in Deutschland aber die Einsicht, dass wir uns im Übergang zu einer Wissensgesellschaft befinden, keineswegs zu der Erkenntnis führt, dass dies auch neue Anforderungen an das Lehren und Lernen, an das Was und Wie von Schule stellt und man sich stattdessen in Debatten, auch heftigen, ergeht und in der Bildungspraxis alles beim Alten bleibt.

Interessant, wenngleich fast entmutigend ist, dass in der heutigen Debatte nach jahrelanger Verteufelung nun auch in Deutschland das Schulsystem der DDR wieder entdeckt wird, aber komischerweise daraus genau jene Aspekte zum Studienobjekt und Vorbild erhoben zu werden drohen, die die Finnen aus gutem Grund liegen gelassen, also nicht übernommen haben.

So ist es in Finnland üblich, dass bei landesweit einheitlichen Bildungsstandards nach unterschiedlichen Lehrbüchern und an unterschiedlichen Stoffen gelernt wird, je nachdem, wie die Schulen das entscheiden. Das ist offensichtlich kein Problem. Das wäre in der DDR undenkbar gewesen.

Wie dem auch sei, Pisa eröffnet für Deutschland eine Chance, dem Thema Bildung und Schulentwicklung für einen Zeitraum von einigen Jahren einen größeren gesellschaftlichen Impuls zu verleihen, als dies in den letzten Jahren noch unter dem Diktat von Sparkursen möglich war. Diesen Zeitraum für materielle Veränderungen und inhaltliche Reformen nicht zu nutzen wäre sträflich.

Hauptsächlich dies ist der Grund, heute diesen und künftig weitere Anträge zu stellen, die die Entwicklung der Bildungslandschaft und der Bildungswirklichkeit in Sachsen-Anhalt im Auge haben und geeignet sind, bundesweit notwendige Reformen zu eröffnen und zu befördern. Das muss ganz praktisch geschehen.

Sicherlich hätten wir unser Forum „Schulbildung“, über das man im Übrigen im Internet nachlesen kann, in An

striche kleiden und als Aufgabenstellung an die Landesregierung einreichen können. Ich fürchte nur, das wäre wenig hilfreich gewesen.

Darum haben wir uns auf einzelne Schritte verständigt. Die unter anderem am heutigen Tage behandelten bzw. zu behandelnden Anträge zur Grundschulbildung, zur Schulsozialarbeit - den hatten wir eben - und zur Bildung von Kindern bis zum Schuleintritt sind ebenfalls in diesem Zusammenhang zu sehen. Ganz praktisch ist daneben das Folgende zu leisten möglich und, ich glaube, auch notwendig:

Erstens. Die Diskussion über einheitliche Bildungsstandards ist nicht nur eine Aufgabe von Expertengremien. Zwar freut es mich zu hören, dass SachsenAnhalt dort maßgeblich und kompetent vertreten sein wird, aber ich glaube, es ist notwendig, dass alle, die sich mit Bildung befassen, daran teilhaben.

Zudem wollen wir wissen, welches bildungspolitische Grundkonzept die Landesregierung dabei verfolgt.

Vom Bildungsausschuss, in dem wir darüber reden sollten, sollte ebenso wie von der Landesregierung der Impuls zu Lehrerinnen und Lehrern, Gewerkschaften und Verbänden, auch denen aus der Wirtschaft, gehen, sich prägend in diesen Prozess einzubringen.

(Frau Feußner, CDU: Das haben Sie in der Ver- gangenheit nie gemacht!)

Wenn ich an die Ergebnisse der NRW-Kommission vor Jahren denke, weiß ich, dass ganz wesentliche Impulse für die Entwicklung eines neuen Bildungsverständnisses von der Wirtschaft ausgehen können. Die Reaktion der Wirtschaft auf unser Sekundarschulkonzept bestätigt uns Ähnliches.

(Frau Feußner, CDU, lacht)

Vielleicht kann man über diesen breiten Dialog verhindern, dass die angestrebten Bildungsstandards nur ein faktenwissenzentriertes Curriculum werden, das dann in einheitlichen Testverfahren abgefragt wird, statt der auch von der Wirtschaft geforderten Orientierung auf Kompetenzentwicklung. Über die Bildungsstandards selbst, über die Form und die Organisierung dieses gesellschaftlichen Dialogs sollten wir im Ausschuss reden.

Der zweite Punkt wird sicherlich strittiger sein, wie aus dem Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP zu erfahren ist. Die Kritiken an der neuen Sekundarschule ergaben sich vor allem aus der leidigen Fachleistungsdifferenzierung in A- und B-Kurse. Diese ist aber derzeit für die Schulen der Sekundarstufe I vorgeschrieben, wenn sie sich nicht in unterschiedliche Bildungsgänge gliedern können oder wollen.

Mit diesen A- oder B-Kursen haben wir mehrere Schwierigkeiten. Eine erste: Sie zerstören den sozialen Zusammenhalt der Lerngruppen, was an den Sekundarschulen offensichtlich ein größeres Problem darstellt, weil soziale Beziehungen zwischen Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen und Schülern ständig gestört werden.

Frau Dr. Hein, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Feußner zu beantworten?

Am Ende meiner Rede bitte. - Diese Diskontinuität führt mindestens bei uns - damit meine ich: in unseren Schulen - zu schwer händelbaren Problemen.

Zum Zweiten: Gleichzeitig ist es aber mit dem zu erwartenden Absinken der Schülerzahlen auf die Hälfte des bisherigen Wertes und der damit verbundenen Ausdünnung der Schullandschaft geradezu erforderlich, solche integrativen oder wenigstens verbundenen Bildungsgänge anzubieten. Auch die Koalition schließt das in ihrer Vereinbarung nicht aus. Das ist vernünftig, will man ein möglichst engmaschiges Schulnetz auch im Sekundarbereich erhalten.

Die äußere Fachleistungsdifferenzierung erweist sich dabei als ein Hemmnis, muss aber, weil anerkennungsgebunden, beibehalten werden. Schon das würde ausreichen, den Vorstoß bei der KMK zu versuchen, wenigstens die Abschlussrelevanz der äußeren Fachleistungsdifferenzierung aufzuheben. Im Zusammenhang mit den zu erarbeitenden Bildungsstandards wird sie künftig übrigens ebenso überflüssig wie die 265-Wochenstunden-Regel.

Für uns gibt es noch einen dritten Grund für einen solchen Vorstoß. Der liegt in der Konstruktion des Hauptschulbildungsganges selbst. Nach Ihrer bildungspolitischen Vorstellung soll der Hauptschulbildungsgang als Schulform für eine begabungsgerechte Förderung von Kindern eines bestimmten, vergleichsweise niedrigen Leistungsspektrums dienen.

Das Problem, das wir mit dieser Schulform haben, ist, dass im Hauptschulbildungsgang auf den Hauptschulabschluss hin unterrichtet wird. Das Erreichen eines höheren Bildungsabschlusses ist zwar rechtlich möglich, wird aber in Ihrem Denken nicht vorgesehen und ist praktisch höchst selten.

Nach der Pisa-Erhebung ist aber nachzulesen, dass ca. 12 % der geprüften Hauptschülerinnen eine Lesekompetenzstufe von knapp mehr als 451 Punkten erreichten. Das war so viel, wie auch ebenso viele Gymnasiasten erreichten. Erstere werden aber mit dem Ziel eines Hauptschulabschlusses unterrichtet, Letztere - mit der gleichen Kompetenzstufe - mit dem Ziel der Studierfähigkeit. Die Überschneidungen zwischen Hauptschule und Realschule sind ungleich größer.

Wenn es noch eines Beleges bedurft hätte, dass abschlussbezogene Bildungsgänge am Leben und an den Fähigkeiten der Kinder vorbeigehen und mehr hemmen als nützen, dann wäre er hiermit erbracht.

Darum fordern wir die Landesregierung als ersten Schritt auf, einen Vorstoß zu unternehmen, um mindestens die Zwangsdifferenzierung in abschlussbezogene Kurse aufzuheben und es den Schulen zu überlassen, wie sie es denn regeln wollen.