Protocol of the Session on July 19, 2002

Meine Damen und Herren! Zwischen einem Gymnasium in Bayern und einem in Sachsen-Anhalt liegt bei der Lesekompetenz ein Leistungsgefälle, das ca. eineinhalb Schuljahren entspricht. Das müssen Sie sich einmal vorstellen. Was ist denn das für eine Qualität, die wir in unseren Schuleinrichtungen vorhalten?

Das wird sich mit dieser Regierungskoalition aus CDU und FDP ändern. Wir stehen für bessere Bildungschancen in diesem Land.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Ach! bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der Opposition! Bildung ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts; Sie weisen zu Recht immer darauf hin. Aber fast jeder zehnte Jugendliche in Deutschland verlässt die Schule ohne Abschluss. 86 600 Schülerinnen und Schüler schafften im Jahr 2000 keinen Abschluss. Das sind 9,2 % aller Schulabgänger. In Sachsen-Anhalt waren es sogar 12,3 %. Etwa 40 % der jungen Menschen unter 25 Jahren in Sachsen-Anhalt verfügen über keine abgeschlossene Berufsausbildung.

Mehr Gleichmacherei führt eben nicht zu mehr Chancengerechtigkeit im Bildungssystem, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Laut den Arbeitsmarktdaten lag die Arbeitslosenquote der jungen Menschen unter 25 Jahren im Arbeitsamtsbezirk Magdeburg im Juni 2002 bei 17,2 %. Das ist immerhin ein Anteil von 12,6 % an allen Arbeitslosen.

Ich sage ganz deutlich: Wir kommen mit diesen bildungspolitischen Rezepten der Vergangenheit, auch der 68er-Generation in der alten Bundesrepublik, einfach auch international nicht mehr weiter. Wir müssen Umdenken, wir müssen neu Denken.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank - Zuruf von Frau Bull, PDS)

Wir brauchen eine auf Wettbewerb, auf Chancengerechtigkeit und auf Leistungsorientierung setzende Bildungspolitik. Darauf setzen wir als Liberale.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Wie? Machen Sie es kon- kret!)

Frau Sitte, unsere Kinder sind eben auch nicht dümmer als die in Finnland, Australien, Bayern oder Sachsen. Nehmen Sie das doch endlich zur Kenntnis! Sie haben nur hier in den Schulen die schlechteren Chancen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank - Lachen und Unruhe bei der SPD und bei der PDS)

Bei den Lerninhalten können deutsche Schüler - das sagt die Pisa-Studie auch aus - durchaus mithalten. Sie können nur weniger damit anfangen. Sie haben eine weniger gute Fächer übergreifende Kompetenz. Sie können ihr Wissen schlechter anwenden.

Dies wird sich ändern. Ich sagte schon, mit der neuen Landesregierung von CDU und FDP und auch mit dem neuen Kultusminister Professor Olbertz ist nicht nur eine bessere Haushalts- und Wirtschaftspolitik für dieses Land angesagt, sondern auch eine bessere Bildungspolitik.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Wir werden die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen. Dazu liegen Ihnen heute schon Gesetzesinitiativen und Anträge vor.

Ich möchte namens der FDP-Fraktion außerdem noch Folgendes erklären:

Erstens. Bildung muss in diesem Bundesland Priorität haben und sie wird es mit uns haben.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Schön!)

Wir wollen ein leistungsorientiertes Schulsystem; ich sagte es schon. Wir haben in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben, dass die sinkenden Schülerzahlen zukünftig als Chance für eine allgemeine Qualitätsverbesserung an den Schulen verstanden und genutzt werden müssen.

Zweitens. Wir müssen mit der Bildung frühzeitig beginnen. Auch dazu liegt heute ein Antrag vor. Wir fordern eine frühkindliche Förderung mit einem klaren Bildungskonzept.

(Frau Theil, PDS: Das ist nicht so!)

Kindergärten als spielerische Elementarschulen nutzen, frühzeitiges Heranführen an Leistungsorientierung, beispielsweise auch durch das Wiedereinführen der Kopfnoten, der so genannten Sekundärtugenden, und das Sich-Messen im Wettbewerb sind wichtige Kriterien.

Drittens. Alle Schulformen haben die Aufgabe, sich auf die Ausbildung von traditionellen Kulturtechniken, Naturwissenschaften und sozialen Kompetenzen zu konzentrieren. Ich darf darauf hinweisen, dass nach der jüngsten Umfrage des Allensbacher Instituts 80 % der befragten Erwachsenen sagten, dass unsere Schulen heute nicht mehr ausreichend Allgemeinbildung vermitteln würden.

Viertens. Wir wollen die Pflichtförderstufe abschaffen. Wir setzen auf eine individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen. Ich sagte schon: weniger Gleichmacherei. Wir wollen, dass Leistungsschwache gefördert werden, aber auch, dass Begabte frühzeitig erkannt und gefordert werden. Fordern und fördern bilden für uns eine Einheit.

Fünftens. Wer länger lernt, der lernt nicht besser. Im Vordergrund muss die Befähigung stehen, das Lernen zu lernen. Darum brauchen wir Leistungsstandards in der vorschulischen Bildung und Erziehung und flexiblere Einschulungsangebote.

Das 13. Schuljahr wird mit einem Gesetzesvorhaben der Landesregierung im Herbst wieder abgeschafft werden. Wir werden hierbei schneller sein als die anderen Bundesländer, damit junge Menschen in Sachsen-Anhalt wieder nach zwölf Jahren ein gutes Abitur ablegen können.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank - Herr Dr. Püchel, SPD: Vorsicht!)

Last, but not least sagt die jüngste Umfrage des Leipziger Markforschungsinstituts aus, dass sich 93 % der Ostdeutschen für eine bundeseinheitliche Vergleichbarkeit von Standards im Schulsystem aussprechen. Das wollen wir auch. Wir wollen einen nationalen Bildungsbericht. Wir brauchen in Deutschland dringend ein nationales und internationales Benchmarking für Schulen. Wir brauchen Vergleichbarkeit und mehr Transparenz hinsichtlich der Qualitätsstandards in deutschen Schulen.

Ich sage Ihnen außerdem: Wir brauchen nicht diesen Wasserkopf der Kultusministerkonferenz mit dem Einstimmigkeitsprinzip. Wir stehen jedenfalls dafür, dass die KMK zugunsten von mehr Eigenverantwortung von Schulen entmachtet wird, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der FDP - Zuruf von Frau Bull, PDS)

Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluss.

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich beende sofort meine Rede.

Es ist schon absurd, meine Damen und Herren: Die Bildungsminister in Bologna haben sich längst auf ein Zusammenwachsen des europäischen Bildungsraumes verständigt und in Deutschland meditieren 16 Landesminister immer noch über unterschiedliche Lehrpläne, Schulformen, Unterrichtsmaterialien und die Ausbildung von Lehrern. Das muss sich ändern, oder um mit Rita Piri, einer leitenden Beamtin im finnischen Bildungsministerium, zu sprechen: Ausbildung hat einen hohen Stellenwert in Finnland, höher vielleicht als Besitz. - Das wünsche ich mir für Deutschland.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Danke, Frau Pieper. - Meine Damen und Herren! Eigentlich sind bei Aktuellen Debatten Fragen nicht üblich. Ich habe Sie bei Frau Feußner nicht zugelassen. Ich bitte um Verständnis, dass ich mich daran halte.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Doch! Zwei Fragen stehen als Möglichkeit offen!)

- Der Präsident kann sie laut Geschäftsordnung zulassen, er muss es aber nicht. Da ich bei Frau Feußner so entschieden habe, bitte ich um Verständnis dafür, dass ich dabei bleibe. - Danke.

Für die PDS-Fraktion erteile ich als nächstem Redner Herrn Abgeordneten Höhn das Wort. Bitte, Herr Höhn.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Feußner, ich bin ja immer für einen Konsens und für einen Kompromiss zu haben. Aber spätestens nach der Rede von Frau Pieper würde ich sagen: Das wird nicht klappen, Frau Feußner.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD - Frau Feußner, CDU: Das liegt aber an Ihnen!)

Frau Kollegin Mittendorf hat zwar bereits darauf hingewiesen, aber da Frau Pieper das wahrscheinlich nicht gehört oder nicht verstanden hat, möchte ich es noch einmal wiederholen:

(Zuruf von der PDS: Letzteres!)

Sie müssen sich schon damit auseinander setzen, dass die Politik von CDU und FDP zwischen 1990 und 1994 zum Abschneiden der Schülerinnen und Schüler bei Pisa beigetragen hat.

(Zuruf von Herrn Kehl, FDP)

Denn die Schülerinnen und Schüler, die im Jahr 2000 getestet wurden, haben genau das Schulsystem durchlaufen, das Sie allen Ernstes in Pisa bestätigt sehen.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Frau Pieper, FDP)

Meine Damen und Herren! Niemand in der Bundesrepublik kann mit den Ergebnissen der deutschen Schüler zufrieden sein, auch Bayern und Baden-Württemberg nicht. Es ist meines Erachtens daher eine erschrecken

de Debatte, ob es ein Anzeichen für erfolgreiche Politik ist, dass man knapp über dem Durchschnitt anstatt knapp darunter liegt.

(Frau Feußner, CDU: Das ist schon ein Unter- schied!)