Protocol of the Session on May 26, 2005

(Beifall bei der PDS)

Als besonders problematisch erachten wir es, dass sowohl bei den arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren als auch bei den Langzeitarbeitslosen eine beharrliche Verschlechterung der Lage zu verzeichnen ist. Gerade bei den Jugendlichen versagen die Instrumente von Hartz IV - die ab Januar greifen sollten - offenkundig vollständig. Das betrifft immerhin mehr als 32 000 junge Menschen in Sachsen-Anhalt.

Auch die Fakten hinsichtlich des Lehrstellenmarktes sprechen bei einem genaueren Hinsehen eine andere Sprache: Nach Angaben des Ministeriums konnten nur 241 Bewerber nicht vermittelt werden. Woher kommen dann die mehr als 9 000 so genannten Altnachfrager, nämlich die, die 2004 keine Ausbildungsstelle bekommen haben?

(Beifall bei der PDS)

Die viel gepriesenen Ein-Euro-Jobs gehören genauso zu dieser Augenwischerei, die betrieben wird; denn diese schaffen keine Voraussetzungen für reguläre Arbeitsplätze, sondern sie bedrohen diese. Alles Predigen über die zu erwartenden Segnungen von Hartz IV und Co. bleibt leeres Gerede, solange nicht wirklich neue Arbeitsplätze entstehen. Deren Mangel, und nicht angebliche Statistikeffekte, ist doch das eigentliche Problem.

Die Unternehmensdichte, welche wichtig für Beschäftigung und Innovation ist, fällt, gemessen an der Zahl der Umsatzsteuerpflichtigen in den vergangenen Jahren, nach wie vor im ostdeutschen Ländervergleich am geringsten aus. In den letzten beiden Jahren hat sich zwar eine positive Entwicklung des Gewerbeanmeldungsgeschehens vollzogen, aber Sachsen-Anhalt steht hinsichtlich der Höhe dieses positiven Nettosaldos bei den Gewerbeanmeldungen nicht an vorderer Stelle, sondern nur auf Rang vier der ostdeutschen Flächenländer.

Herr Minister, Sie sprachen von den Fortschritten in den Wachstumsbranchen. Im Ergebnis einer Untersuchung des IWH zu den regionalen Branchenschwerpunkten in Ostdeutschland zeigt sich, dass Sachsen-Anhalts Ausstattung mit solchen regionalen Branchenschwerpunkten von Sachsen ganz erheblich übertroffen wird, das weit mehr als das Doppelte der für Sachsen-Anhalt ermittelten Zahlen aufweist.

(Zuruf von Herrn Dr. Schrader, FDP)

Dabei fehlt es den regionalen Branchenschwerpunkten in Sachsen-Anhalt - verglichen auch mit Thüringen - überwiegend an Netzwerkstrukturen und an innovativen Kompetenzen.

Auf der Basis dieses Befundes muss vermutet werden, dass die Position der meisten sachsen-anhaltischen regionalen Branchenschwerpunkte im interregionalen Wettbewerb noch vergleichsweise schwach ist. Das gilt insbesondere für die fehlenden innovativen Kompetenzen; das haben Sie, Herr Minister, mit Ihren Ausführungen bestätigt.

Da ist es doch langsam an der Zeit, über Ursachen und Wirkungen einer nicht stattfindenden Innovations- und Technologiepolitik der Landesregierung nachzudenken. Sie haben doch die gute Kooperation mit dem Kultusministerium zur Erarbeitung eines Konzeptes einer innovationsbezogenen Förderung, die es mit Taten umzusetzen gilt, beschrieben. Dieses Konzept ist aber offenbar so geheim, dass es der Öffentlichkeit nicht vorgelegt werden kann.

(Beifall bei der PDS)

Es wäre doch gut zu wissen, warum einerseits über die Einführung innovativer Technologien, Cluster und Netzwerke, die Verbindung zwischen FuE in der Wirtschaft und angewandter Grundlagenforschung geredet wird, die Landesregierung andererseits aber eine Schwerpunktsetzung ihrer Politik hin zu Bildung und Wissenschaft als Zukunftsperspektiven für die Landesentwicklung inklusive der dafür erforderlichen finanziellen Mittel vermissen lässt.

(Beifall bei der PDS)

Wenn im Jahr 2004 25,6 Millionen € für FuE im Wirtschaftsministerium ausgegeben wurden, müssen wir uns vielleicht angesichts einer Verdreifachung der Mittel im Wirtschaftsministerium nicht verstecken; da haben Sie wohl Recht, Herr Minister. Aber die Größenordnung im Vergleich zu den Erfordernissen ist kritisch zu hinterfragen.

(Herr Gürth, CDU: Zehnmal mehr als zu Ihrer Regierungszeit! - Herr Dr. Schrader, FDP: Un- glaublich!)

- Es sind viele Sachen unglaublich, auch das, was sich von Herrn Rehberger gehört habe.

(Heiterkeit bei der PDS)

Gerade deshalb, weil die Einführung und Entwicklung innovativer Technologien auch mit Risiken verbunden ist, gehört eine angemessene Begleitforschung dazu.

Ihre eigene Geheimniskrämerei bezüglich der Fragen zum Erprobungsanbau von Gen-Mais lässt die Kritik an Frau Künast doch in einem etwas anderen Licht erscheinen.

(Beifall bei der PDS)

Zum Fazit Ihrer bisherigen Politik. An der Tatsache, dass der Aufholprozess in Sachsen-Anhalt, wie in den anderen ostdeutschen Ländern, ins Stocken geraten ist, haben auch Sie nichts ändern können. Vergleichen wir uns mit den westdeutschen Bundesländern, so liegen wir hinsichtlich der Wachstumsraten der wirtschaftlichen Entwicklung nach wie vor hinter denen Westdeutschlands zurück oder bewegen uns bestenfalls im Schrittmaß. Aber - das ist das entscheidende Problem - die Schere der wirtschaftlichen Entwicklung schließt sich nicht. Fünf oder sechs Kennziffern, die das Gegenteil auf buntem Papier beschreiben, ändern daran auch nichts.

Herr Minister, Sie können die wirtschaftliche Lage beschreiben, wie Sie wollen, gemessen an den gesellschaftlichen Herausforderungen, in Sachsen-Anhalt endlich eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung einzuleiten, sind die Ansprüche Ihrer Politik eher bescheiden.

Um welche Dimension und Aufgaben es geht, belegen folgende Fakten im Vergleich zu den aktuellen Entwicklungen in den alten Ländern:

Die sachsen-anhaltische Wirtschaftsleistung pro Kopf erreicht etwa zwei Drittel des dortigen Niveaus. Die gesamtwirtschaftliche Produktivität in Sachsen-Anhalt liegt bei rund drei Vierteln, die Arbeitslosenquote ist in unserem Land um über zehn Prozentpunkte höher. In Sachsen-Anhalt wird pro Einwohner rund ein Fünftel weniger in Anlagen und Ausrüstungen investiert. Die Unternehmensgründungsintensität ist - trotz positiver Tendenzen - immer noch niedriger. Die FuE-Dichte, das heißt die FuE-Beschäftigten pro 1 000 Einwohner, erreicht in

Sachsen-Anhalt nur etwas mehr als ein Drittel des westdeutschen Niveaus.

Wir müssen konstatieren: Die bestehende Produktions- und Produktivitätslücke im Land Sachsen-Anhalt wird kaum geschlossen. Im Grunde stagniert das Wachstum in den letzten Jahren. Wachstumsraten von 3 bis 5 % wären erforderlich, um hierbei voranzukommen.

In dieser Situation ist es durchaus gerechtfertigt, seine wirtschaftspolitischen Konzepte auf den Prüfstand zu stellen, die Widersprüche in dieser Gesellschaft klar zu benennen und auch vom Kapitalismus zu sprechen. Das wird von einer Linkspartei sicherlich auch erwartet. Aber es reicht nicht aus, nur über Heuschrecken zu sprechen. Denn die von Herrn Müntefering als solche identifizierten Fonds sind keine besondere Schlechtigkeit des Kapitals, sondern eine Fortentwicklung kapitalistischer Ökonomie.

Es ist an der Zeit, darüber zu diskutieren, welche Kriterien in der Gesellschaft für ökonomisches Handeln maßgeblich sein sollen. Sind Renditeerwartungen von 20 bis 25 % im Jahr die Kriterien für sinnvolles ökonomisches Handeln? Oder muss eine Form von Wirtschaften realisiert werden, bei der für eine kleine Gruppe die Gewinnmaximierungsstrategie eingeschränkt wird?

Ihr FDP-Kollege Professor Theo Schiller hat dazu geschrieben - ich zitiere -:

„Die zunehmende Machtkonzentration in der Wirtschaft, das international ausgelegte System privatwirtschaftlicher Planungs- und Verfügungsbürokratien dürfte an Machtentfaltung und Abhängigkeitsintensität bereits alles weit überflügelt haben, was sich klassischer Liberalismus einst unter dem zu bekämpfenden Staatsabsolutismus vorstellen konnte.“

Das sind Themen, die wir hier im Landtag zur Diskussion stellen sollten, um nicht wie bei unserer Forderung nach mehr Transparenz in der Förderpolitik den Popanz der Staatswirtschaft oder des Staatssozialismus übergestülpt zu bekommen.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Was sollte unserer Meinung nach im Mittelpunkt der zukünftigen Wirtschaftspolitik im Land Sachsen-Anhalt stehen, auch wenn vieles davon mit bundespolitischen Konsequenzen verbunden ist? Diese Frage beantwortet sich nach unserer Auffassung vorrangig aus dem Charakter der selbsttragenden wirtschaftlichen Entwicklung hin zu einer wissensbasierten Produktion in einer wissensbasierten Gesellschaft. Die Träger sind die Menschen, die durch ihre eigenen Innovationen überhaupt erst in der Lage sind, innovative Kreisläufe zu initiieren und zu realisieren. Deshalb sind folgende Schwerpunkte wichtig:

Erstens. Mittelfristig besteht die zentrale Anforderung staatlicher Wirtschaftsförderung darin, sich auf den Menschen als Träger dieser Entwicklung und weniger auf Sachinvestitionen zu konzentrieren. Die typische Variante der Unternehmenssubvention als klassische Ansiedlungspolitik sollte definitiv der Vergangenheit angehören.

(Beifall bei der PDS)

Mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln kann im Mittelpunkt der Förderpolitik nur das Kriterium stehen: Wie innovativ, wie nachhaltig ist der Prozess, den wir im

Land Sachsen-Anhalt mit Fördermitteln aktiv begleiten wollen?

Investitionen in Höhe von 7,2 Milliarden € in drei Jahren mit 18 000 Arbeitsplätzen sind ohne Zweifel ein beachtenswertes Ergebnis. Aber wir können in Zukunft im Verdrängungswettbewerb keine Arbeitsplätze kaufen, sondern nur noch Wirtschaftskreisläufe initiieren, die dem erforderlichen innovativen Charakter gerecht werden. Dabei bedeutet „innovativ“ nicht nur „hochtechnologisch“, sondern wir sehen Innovation auch als sozialen Anspruch, also als einen sehr weit gefassten Begriff.

Verfügbare Mittel müssen auf die Beschleunigung und die Stärkung des Strukturwandels in der Wirtschaft gerichtet werden. Dazu gehört nach unserer Auffassung die Einbeziehung regenerativer Energien.

(Beifall bei der PDS)

Wir sollten endlich mit diesen disqualifizierenden Bemerkungen aufhören. Herr Minister, wenn Sie nach Thalheim zu Q-Cells fahren, um das Band zu zerschneiden, dann sind Sie sozusagen der Fürsprecher für die regenerativen Energien, und hier nehmen Sie eine ganz andere Position ein. Damit soll künftig Schluss sein.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Man muss schon differenzieren!)

Die Wirtschafsförderung beginnt in der frühkindlichen Bildung und dauert in der schulischen, der beruflichen, der berufsbegleitenden und der Hochschulbildung an. Diesen grundsätzlichen Ansatz sollten wir in unsere Überlegungen immer einbeziehen. Jeder Euro, der in diesem Bereich investiert wird, vermehrt sich um ein Vielfaches in der wirtschaftlichen Tätigkeit.

(Beifall bei der PDS)

Wir erachten es weiterhin als notwendig, den Anteil produktiver und wertschöpfender Wirtschaftsbereiche und Branchen kontinuierlich zu erhöhen. Der bisherige Verlauf der Investitionstätigkeit mit einer starken Sachkapitalförderung - bis dato auch objektiv notwendig - und einer teilweisen Vernachlässigung des Humankapitals hat dazu beigetragen, dass eine strukturelle Schieflage in der Wirtschaft entstanden ist. Im Sog des Baugeschehens und des Ausbaus des Dienstleistungsgewerbes erfolgte eine überdimensionierte Sachkapitalförderung, die zu Überkapazitäten in mehreren Wirtschaftsbereichen, wie in der Bauwirtschaft, beim Wohnungsbau, im Handel oder bei Banken, Kredit- und Versicherungsanstalten, geführt hat.

Zweitens. Wir wenden uns deshalb gegen eine ausschließliche Konzentration dieser Prozesse und der Förderung auf regionale Schwerpunkte und so genannte Cluster. Darin stimmen wir überein, Herr Minister. Eine hinlängliche zweckgebundene Förderung der kommunalen Entwicklung ist für das Land Sachsen-Anhalt von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Unser Ansatz ist aber darauf gerichtet, nicht nur einzelne innovative Aktivitäten, Branchen, Cluster oder kleine Netzwerke zu stärken, sondern vor allem die regionalen Rahmenbedingungen in ihrer Gesamtheit neu zu gestalten. Das ist durchaus ein anderer Ansatz als der der Landesregierung, nur industrielle Investitionen in Arneburg bis Zeitz, in Wittenberg oder in Genthin zu unterstützen.

Drittens. Es geht vor allem darum, die Ausbildungs- und Forschungskapazitäten der in Sachsen-Anhalt vorhan

denen Hochschulen als Potenzial zu nutzen, welches noch wirksamer zur Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung beiträgt. Hierin stimmen wir mit der Landesregierung überein. Der Weg für die Einbringung von Forschungsleistungen aus Sachsen-Anhalt in die regionale Wirtschaft oder für die Ausgründungen junger Wissenschaftler muss erleichtert und effizienter gefördert werden. Umso kritischer sehen wir aber, wie die Hochschulen politisch bedrängt werden. Das geht von Haushaltsfragen bis hin zu Fragen der Autonomie und der Entscheidung über Studiengebühren.

Viertens. Wir unterstützen die Bemühungen der Landesregierung zur Schließung der Unternehmenslücke und zur Schaffung eines günstigen Klimas für Existenzgründungen. Auch darin sind wir uns einig. Aber gerade Existenzgründungen - auch in Form der Ich-AG - überleben vorrangig im Binnenmarkt mit Aufträgen aus der Region.