Protocol of the Session on April 14, 2005

Eine Verbesserung der geschilderten Lage blieb aber damals aus.

Werte Anwesende! Da ich die Haushaltslage des Landes kenne und weiß, welche finanziellen Aufwendungen aus diesem Anliegen erwachsen, vor allem im Bereich der personellen Absicherung, versucht die Landesregierung trotz dieser Zwänge diesen Weg zu gehen. Dies zeigt die eben schon von mir genannte Prioritätensetzung unserer Landesregierung.

Lassen Sie mich zum Schluss - ich denke, treffender kann man es gar nicht sagen - aus einem Buch von Peter Hahne mit dem Titel „Schluss mit lustig“ zitieren:

„Der Weg in die Zukunft funktioniert nicht auf einem Weg, dessen Untergrund durch banale Beliebigkeitswerte brüchig und sumpfig geworden ist.“

Der Politologe Werner Weidenfeld spricht von tektonischen Verschiebungen, die sich in tiefen Dimensionen von Einstellungen, Werten, Mentalitäten und in den Konstellationen von Macht und Kultur niederschlagen. Der boden- und grundlose Pluralismus führt zur fundamentalen Verunsicherung unserer Gesellschaft.

Die entscheidende Aufgabe der Moderne sieht Weidenfeld in dem Appell: Bewahrt die kulturellen Grundlagen! - Zu Deutsch: Vergesst eure Herkunft nicht! Ein Volk ohne inneren Halt wandert seinen Weg durch Nacht und Traum. Die Frage nach unserer Herkunft, nach unseren Wurzeln, nach unserer Identität - all das sind Schlüsselfragen für die Zukunft. Wer sich damit heute beschäftigt, ist nicht reaktionär, sondern progressiv. Es geht um Überlebensfragen unserer Gesellschaft und nicht um eine Idealisierung und Restaurierung der Vergangenheit. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Feußner. - Für die PDS-Fraktion erteile ich nun der Abgeordneten Frau Dr. Hein das

Wort. - Pardon, Frau Dr. Hein. Ich habe versäumt, den Herrn Minister aufzurufen. Herr Minister, Sie haben zunächst für die Landesregierung das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Bedeutung wertbezogenen und wertbildenden Unterrichts wurde in diesem Haus schon oft debattiert, zuletzt im Juli des vergangenen Jahres. Damals wurde von allen Seiten, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten, die Bedeutung des Unterrichts in dieser Fächergruppe hervorgehoben. In unserer pluralen und zunehmend globalisierten Gesellschaft sind Koordinaten der Orientierung und Verinnerlichung von Grundwerten unseres Zusammenlebens unerlässlich geworden, die für uns wesentlich in der christlichen Verwurzelung unserer Kultur bestehen.

Es lässt sich allenthalben beobachten, dass neben die Lust, die Vielfalt der Optionen, mit denen Kinder heute aufwachsen, und neben die Lust, sehr vieles zu dürfen, die Last getreten ist, nicht zu wissen, was man tun soll. Das zeigt uns, dass Freiheit und Pluralität nur dann Chancen eröffnen, wenn die Kinder beizeiten zu unterscheiden lernen, was gut und was richtig ist, warum das so ist und dass sie sich mit Fragen des eigenen Woher und Wohin auseinander setzen.

Die heutige Debatte allerdings gilt, wenn ich das richtig verstehe, weniger der Wiederholung dieses grundlegenden Einvernehmens in unserem Hohen Hause als vielmehr den konkreten Schritten, mit denen die Unterrichtsversorgung in diesen Fächern verbessert werden soll. Die heutige Debatte führen wir also insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Umsetzung eines so hohen und wichtigen und im Übrigen auch in unserer Verfassung verankerten Anspruchs.

Lassen Sie mich zunächst festhalten, wie sich die Unterrichtsversorgung inzwischen entwickelt hat. Die damals angeführten Zahlen stammten aus dem Jahr 2002/2003. Verglichen damit hat sich der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit einem Unterricht in einem dieser wertbildenden Fächer an den Grundschulen von rund 67 % auf 81 % erhöht, an den Sekundarschulen von 40 % auf 48 % und an den Gymnasien von 65 % auf fast 74 %. Verbesserungen gibt es auch, wenn auch leider nicht in dem gewünschten Umfang, an den Sonderschulen mit einer Steigerung von rund 20 % auf rund 23 %. Insgesamt hat sich der Anteil von 51 % auf 63 % verbessert.

Ich weiß sehr genau, dass das definitiv nicht genug ist und dass weiterhin prioritär Anstrengungen erforderlich sind, einen positiven Trend auch wirklich zu konsolidieren. Es besteht deshalb überhaupt kein Anlass, die Hände in den Schoß zu legen oder gar abzuwarten, ob sich die Lage von allein irgendwie entspannt und verbessert.

Um den Stellenwert des Religions- und des Ethikunterrichts weiter zu erhöhen, wurde von der Landesregierung ein Gutachten zur rechtlichen Situation in SachsenAnhalt in Auftrag gegeben, unter anderem um das Verhältnis der beiden Unterrichtsfächer genauer zu bestimmen und gegebenenfalls zu korrigieren. Auf der Basis dieses Gutachtens sind neue Grundlagen für den Religions- und für den Ethikunterricht erarbeitet worden. Sie finden sie im Schulverwaltungsblatt vom 21. März 2005, sodass ich aus Zeitgründen nur ganz wenige Punkte aufrufen darf.

Erstens. Religions- und Ethikunterricht haben in Sachsen-Anhalt Verfassungsrang. Frau Feußner hat ebenfalls darauf hingewiesen. Für Sonderregelungen wie in Bremen, Brandenburg oder Berlin besteht überhaupt kein Anlass und auch kein Raum.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens. Religions- und Ethikunterricht sind gleichberechtigt und stehen zueinander in einem Verhältnis der Wahlpflicht. Die Verpflichtung zum Besuch eines dieser Fächer hängt - das ist entscheidend - künftig nicht mehr davon ab, ob die anderen Fächer auch eingerichtet wurden und angeboten werden. Das steht also der bisher geübten Praxis entgegen, wonach eines dieser Fächer erst dann besucht werden muss, wenn alle angeboten werden.

Allerdings besteht natürlich drittens die Religionsfreiheit, das Recht also, Religion auszuüben, und das Recht, sich zu keiner religiösen Überzeugung bekennen zu müssen. Über die Teilnahme am Religionsunterricht entscheiden daher die Erziehungsberechtigten und ab dem 14. Lebensjahr die Schülerinnen und Schüler selbst. Wer nicht am Religionsunterricht teilnimmt, ist zum Ethikunterricht verpflichtet.

Das folgt auch dem Grundsatz, dass gar kein Werte bildender Unterricht immer noch schlechter ist als ein eingeschränktes Auswahlspektrum, aber zumindest die Begegnung mit entsprechenden Diskussionen, Debatten und auch Denkangeboten.

Der Staat hat die Pflicht, für die Erteilung des Religions- und Ethikunterrichts zu sorgen. Das Land muss sich deshalb um eine ausreichende Zahl von Lehrkräften bemühen und sie so einsetzen, dass eine möglichst flächendeckende Versorgung gewährleistet wird. Aus diesem Grunde schließen wir auch Gestellungsverträge mit den kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ab. Ich bin für die Kooperationsbereitschaft der beiden großen Kirchen bei der Lösung dieses schwierigen Problems außerordentlich dankbar und habe großen Respekt vor dem Spielraum, den die Kirchen hier selbst einführen, damit wir die Situation beim Werte bildenden Unterricht verbessern können.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Kehl, FDP)

Ganz entscheidend ist Folgendes: Die Pflicht zur Teilnahme am Ethikunterricht gilt auch dann, wenn Religionsunterricht nicht angeboten werden kann. Zugleich gilt aber dort unsere Aufforderung, schnellstmöglich - wir haben jetzt größere Spielräume, mit dem vorhandenen Lehrkräftepotenzial entsprechend umzugehen - dieses Angebot zu ergänzen. Auch die Kombination zweier Fächer ist künftig möglich, wenn es nicht gelingt, für beide konfessionsgebundenen Unterrichtsfächer das Angebot zeitgleich vorzuhalten.

Sicher hat es dieser Punkt etwas in sich. Es kann der Eindruck entstehen, dass der Ethikunterricht in eine gewisse Dominanzposition gerät. Richtig ist nämlich, dass ein allein angebotener Ethikunterricht künftig keine Abmeldemöglichkeit mehr kennt, wie das bei einem allein angebotenen Religionsunterricht wegen der Religionsfreiheit der Fall wäre.

Dem Eindruck dieser Dominanz kann letzten Endes nur begegnet werden, wenn die Fälle, in denen nur Ethikunterricht angeboten wird, so rasch und umfassend wie

möglich verringert werden. Dazu soll auch der Erlass zur Einrichtung des Ethikunterrichts, evangelischen Religionsunterrichts und katholischen Religionsunterrichts vom 30. März 2005 dienen, den wir den Schulleitern der allgemein bildenden Schulen mit der Bitte um Umsetzung übersandt haben.

Darin ist für das kommende Schuljahr vorgesehen: Die Schüler und Eltern sind über alle drei Fächer zu informieren. Der Bedarf an Religionsunterricht wird nach dem Wunsch der Schüler und Eltern erfragt. Das birgt zwar das Risiko in sich, dass diesem Bedarf unter Umständen nicht gleich in jedem Fall sofort entsprochen werden kann, ist aber wichtig für eine ordentlich Bedarfsfeststellung.

Der Unterrichtseinsatz der Lehrkräfte in diesen Fächern ist grundsätzlich auf etwa 14 Wochenstunden zu orientieren, wobei Abweichungen nach unten nicht, nach oben aber durchaus möglich sein sollen, je nach der konkreten Anforderungskonstellation; denn es passiert nicht selten, dass gerade Lehrerinnen und Lehrer für Religionsunterricht ein zweites Fach unterrichten, das ein Mangelfach ist. Dabei muss man standortbezogen zu Entscheidungen kommen, die aber insbesondere der Priorität folgen müssen, dass der Religionsunterricht und das darin verankerte Potenzial auch wirklich in vollem Umfang abgerufen wird.

Abordnungen an Schulen, die nicht oder nicht ausreichend über eigene Lehrkräfte in dem betreffenden Fach verfügen, sollen konsequent - natürlich in einem vertretbaren Rahmen - erfolgen. Die Orientierungsgröße ist ein Umfang von zunächst vier Wochenstunden.

Der letzte Punkt: Die grundsätzliche Zweistündigkeit der Fächer gemäß Stundentafel bleibt bestehen. Auch hierbei wollen wir aber im Ermessen der jeweiligen Schulträger bzw. der Schulverwaltung einen Spielraum auftun, insbesondere dann, wenn in den Jahrgängen 7 bis 10 der Sekundarschule oder in den Jahrgängen 7 bis 9 am Gymnasium vorübergehend einstündig unterrichtet werden muss, um eine möglichst breite Anzahl von Schülerinnen und Schülern zu erreichen. Aber nur diese Rechtfertigung ist geeignet, vorübergehend von der Zweistündigkeit abzuweichen.

Sie sehen an allen diesen Punkten, dass es uns nicht nur um die möglichst beste Ausschöpfung des vorhandenen Lehrkräftepotenzials geht - also um einfach mehr Unterricht und darum, möglichst viele Schüler zu erreichen -, sondern dass wir auch in der Perspektive und zügig die Situation der Mangelfächer evangelische Religion, katholische Religion und Ethik insgesamt verbessern wollen. Nicht ohne Grund ist das auch der Schwerpunkt der Ausschreibungen im Rahmen des Einstellungskorridors von 150 Stellen, die wir für das nächste Schuljahr ungeachtet des enormen Lehrerüberschusses besetzen dürfen.

Wir verhandeln mit den Kirchen auch weiter über eine Erhöhung der Gestellungsverträge. Vielleicht glückt es uns sogar, sie auf das doppelte Maß zu erhöhen, um in der Übergangszeit, in der wir den Unterricht mit Verve stärken wollen, zu einem Ergebnis zu kommen. Im Übrigen läuft zeitgleich gerade eine große Besprechung zwischen den Kirchen, dem Kultusministerium und dem Landesverwaltungsamt über die Umsetzung genau dieser neuen Schritte.

Wir haben insgesamt bei allen diesen Schritten mit den Kirchen vertrauensvoll und gut zusammengearbeitet, wie

übrigens schon die ganze Zeit lang. Genau das ist es, was unsere Diskussion über den Werte bildenden Unterricht so wohltuend und von der Stoßrichtung der Debatte her von dem unterscheidet, was gegenwärtig in Berlin läuft. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. - Werte Frau Dr. Hein, jetzt haben Sie das Wort.

Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalition hat eine Debatte über den wertebezogenen Unterricht beantragt. Ich habe mich gefragt, welche Botschaft sie uns vermitteln will. Will sie uns und der interessierten Öffentlichkeit signalisieren, dass künftig in Sachsen-Anhalt ein flächendeckendes Angebot gemäß der Verfassung und dem Schulgesetz vorgehalten werden kann?

Der Minister hat eben erklärt, dass dies noch nicht der Fall ist. Das ist - darin sind wir uns ganz sicher einig - 15 Jahre nach der Einführung dieser Fächergruppe ein unhaltbarer Zustand und eigentlich allein schon eine Katastrophe. Das sieht offensichtlich auch die Landesregierung so, weshalb sie uns vor wenigen Wochen mit einer für mich unerwarteten Überlegung überraschte. Ich will darauf noch zurückkommen.

Ich habe dennoch einen Moment lang überlegt, warum gerade jetzt diese Debatte beantragt wird. Es gibt einen Antrag im Ausschuss, wir haben auch schon darüber geredet. Also wieso?

(Herr Scharf, CDU: Weil wir die öffentliche Dis- kussion brauchen! Wir müssen die Leute mitneh- men! - Frau Feußner, CDU: Ich habe das doch begründet!)

Die öffentliche Diskussion läuft ja auch, aber die Aktuelle Debatte ist natürlich justament zu einem Zeitpunkt beantragt worden, da sich der SPD-Landesparteitag am vergangenen Wochenende wie auch die PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus zur Änderung des Angebots von Werte bildendem Unterricht an Berliner Schulen entschlossen hat.

(Herr Gürth, CDU: Wenn das mal nicht aktuell ist! - Herr Tullner, CDU: Wehret den Anfängen!)

- Nun bleiben Sie doch einmal ganz ruhig. Ich habe Ihnen, Frau Feußner, auch zugehört und sehr wohl festgestellt, dass Sie auf beides eingegangen sind. Deshalb tue ich das jetzt auch. - Ich bin dem Minister außerordentlich dankbar, dass er dem Anspruch gefolgt ist - bis auf den letzten Satz in seiner Rede -, dass wir doch zunächst vor unserer eigenen Tür zu kehren haben.

(Zustimmung bei der PDS)

Lassen Sie mich aus diesem Grund einen kurzen und holzschnittartigen Blick in die Geschichte der sachsenanhaltischen Debatte werfen. Seit vier Legislaturperioden wird die jeweilige Landesregierung, egal wer sie gerade stellt, mit Dutzenden Kleiner Anfragen und einschlägiger Anträge attackiert. Ich habe 43 gezählt.

Diese Anträge und Kleinen Anfragen attackieren immer den schlechten Grad der Unterrichtsversorgung in dieser Fächergruppe. Unterstellungen und Versicherungen von

allen Seiten - je nachdem, in welcher Rolle man sich gerade befand - lösten einander ab. Es gab auch einige hilflose Versuche, diesen Zustand zu ändern.

So schlug die CDU im Jahr 1998 schon einmal vor - Sie haben heute auch darüber geredet -, den § 19 Abs. 5 des Schulgesetzes zu streichen, der die Einrichtung des Pflichtunterrichts an das Vorhandensein der erforderlichen Unterrichtsangebote und der erforderlichen Lehrkräfte bindet. Das Ziel war es damals, den Unterricht auch dann einzurichten, wenn die Fächergruppe nicht komplett angeboten werden kann. Die verpflichtende Teilnahme am Ethikunterricht stand damals allerdings nicht zur Debatte.

Noch etwas früher, im Jahr 1996, beargwöhnte die CDU den Projektunterricht Ethik-Religion als einen Versuch, den gehassten LER-Unterricht in Sachsen-Anhalt vorbereiten zu wollen. Alle Beteuerungen der SPD, dies nicht zu wollen, halfen nichts.

Irgendwann gab es sogar einmal - das ist aber ganz zeitig gewesen - eine abenteuerliche Vorstellung, Ethikunterricht könne von nicht dafür qualifizierten Lehrkräften unterrichtet werden. Dazwischen immer wieder Beteuerungen, wie wichtig Werte bildender Unterricht sei.

Nun hat die Landesregierung vor wenigen Wochen ein Gutachten präsentiert, das die verpflichtende Teilnahme am Ethikunterricht als verfassungskonform beschreibt, wenn der konfessionsgebundene Unterricht, der Religionsunterricht, nicht angeboten werden kann. Die Kirchen signalisieren zu meiner Verwunderung mehr oder weniger offene Zustimmung oder aber leise Skepsis und bieten verstärkt Hilfe an zur Gestellung von Lehrkräften. Die katholische Kirche verweist auf die Praxis des Schulen übergreifenden Unterrichts, wenn an einer Schule keine Lerngruppen zustande kommen, was natürlich nur an Mehrfachstandorten geht.