Protocol of the Session on July 18, 2002

Das Ziel der Koalitionsfraktionen ist es, mit diesem Gesetz - so Herr Kollege Gürth in der ersten Lesung - „durch konkretes Regierungshandeln Bürokratie abzubauen“. Diese Forderung können wir absolut unterstützen. Aber wir werden keine Unterstützung geben, wenn unter Bürokratieabbau der Abbau von Gesetzlichkeit verstanden wird.

In den vergangenen Wochen wurde nämlich mit einem großen Tempo das Gesetz durch die Ausschüsse gebracht, ein Tempo, das manchem den Atem verschlug, und zwar mit der Begründung, es sei ein Thema, das schon in der Vergangenheit ausführlich diskutiert worden sei. Wir kennen ja Ihre Meinung. Allerdings haben sich jetzt die Mehrheitsverhältnisse umgekehrt. Das heißt, was früher nicht akzeptiert wurde, ist jetzt die neue Wahrheit.

Es ist aber nicht zu übersehen, dass eine ungeteilte Zustimmung, die man uns nahe zu bringen versucht, - dies ist uns auch in der Anhörung durch die Betroffenenverbände mitgeteilt worden - nicht festzustellen ist. Es stimmt nachdenklich, dass nur ein Teil bestimmte Aufgaben befürwortet. Es stimmt nachdenklich, dass Fachverbände, die unmittelbar von den Gesetzesänderungen betroffen werden, ihre Bedenken äußern, Nachfolge

regelungen fordern und vor übereilten Änderungen warnen.

Ich sehe die Gefahr, dass die genannten Gesetze nicht tatsächlich entbürokratisiert werden, sondern dass nur für einen Teil der Betroffenen Hürden fallen werden, aber dass ein anderer Teil vor neue Probleme, höhere Kosten, Mehraufwand und Benachteiligung gestellt wird.

Wem nützt also dieses Gesetz? - Die Koalition will mit diesem Gesetz vor allem dem Mittelstand, insbesondere der Bauwirtschaft, helfen. Die wirtschaftliche Misere der Bauwirtschaft wird dadurch jedoch nicht beseitigt oder in eine Aufwärtsentwicklung umgewandelt; denn die Probleme, die von der Koalition dem Wirken des Vergabegesetzes in Sachsen-Anhalt zugeschoben werden, sind nicht alle durch das Vergabegesetz bedingt, sondern von der Konjunktur insgesamt abhängig.

Der ruinöse Wettbewerb im Bauwesen wird durch das Gesetz nicht eingedämmt, im Gegenteil. Die Erfahrungen anderer Länder, zum Beispiel in Bayern und im Saarland, die seit zwei Jahren mit einem solchen Gesetz arbeiten, ihre Unternehmen schützen und faire Wettbewerbsbedingungen schaffen, werden völlig negiert.

Es sei mir folgendes Zitat gestattet:

„Geringe Löhne waren in den zurückliegenden Jahren oftmals ein Argument für Entscheidungen zugunsten ostdeutscher Standorte. In einem immer mehr zusammenwachsenden deutschen und europäischen Markt kann und wird dies nicht so bleiben. Im Übrigen gilt: Löhne sind Einkommen für die Beschäftigten und damit Grundlage für die persönliche Lebensplanung und Lebensgestaltung. Zugleich sind sie Kostenfaktor für die Betriebe und signalisieren den Unternehmen, zu welchen Bedingungen die notwendigen Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt gewonnen werden können.“

Dieses Zitat, meine Damen und Herren, stammt aus der elften der zwölf wirtschaftspolitischen Thesen der CDUFraktion im diesjährigen Wahlkampf mit dem Thema „Entlohnung - fair und marktgerecht gestalten“.

Ich bin folgender Auffassung: Wenn Sie das Vergabegesetz, dessen Kernpunkt unter anderem die Nachweisführung bezüglich tarifgerechter und damit fairer Entlohnung beinhaltet, abschaffen, dann haben Sie nach 88 Tagen im Amt gezeigt, was solche Thesen nach der Wahl wert sind.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Wem nützt also dieses Investitionserleichterungsgesetz? - So richtig niemandem, und wir werden Mühe haben, den Schaden zu begrenzen.

(Herr Gürth, CDU: Den arbeitslosen und den Arbeit suchenden Bauarbeitern!)

- Das werden wir sehen, Herr Gürth.

Insgesamt ergibt sich nämlich ein sehr differenziertes Bild, was möglicherweise eine kritische Haltung zu den Gesetzesänderungen erfordert. Deshalb noch einmal einige klare Standpunkte zu einzelnen Artikeln:

Die Änderung der Bauordnung nach Artikel 1 verschiebt die Verantwortung auf den Bauherren bzw. den befassten Planer, Architekten oder Bauträger. Zu Recht wurde in der Anhörung auf den fehlenden Bezug zur Muster

bauordnung verwiesen. Eine Beschleunigung von Investitionen wird mit diesem Gesetzentwurf nicht gesehen.

(Herr Kühn, SPD: Richtig!)

Zum Artikel 2 - Denkmalschutzgesetz. Die Vorschläge und Hinweise der betreffenden Verbände zu den Änderungen des Denkmalschutzgesetzes sind nach unserer Auffassung nur unzureichend berücksichtigt worden. Lediglich die Notwendigkeit der Verzeichnisführung auf nachrichtlicher Basis fand Beachtung in der Ausschussempfehlung. Das hat auch Herr Gürth hier bestätigt.

(Herr Gürth, CDU: Das ist ein Essential gewe- sen!)

Während der Anhörung zum Gesetzentwurf wurde von Fachleuten geäußert, dass die geplanten Änderungen zu einem enormen kulturellen Schaden führen können.

(Herr Kühn, SPD: Richtig!)

Unter anderem wurde auch bezweifelt, dass die Änderungen tatsächlich zu einem Abbau von Bürokratie führen werden. Vielmehr wurde die Sorge geäußert, dass einzelne Änderungen sogar einen höheren Verwaltungsaufwand erfordern als bisher.

Die PDS schließt sich deshalb der Kritik der Verbände an, dass eine solche Gesetzesänderung nicht im Hauruckverfahren beschlossen werden sollte. Aus diesem Grund hat unsere Fraktion in den zuständigen Ausschüssen die Verschiebung beantragt bzw. beantragt, die Änderung zum Denkmalschutzgesetz auszusetzen und zu einem späteren Zeitpunkt gesondert zu debattieren. Dieser Antrag wurde von der Mehrheit im Ausschuss abgelehnt.

Zu Artikel 3, der rigorosen Streichung des Vergabegesetzes mit seinen zwei über die VOB hinausgehenden Regelungen zur tarifgerechten Entlohnung und zum Nachweis der Sozialkassenbeiträge. Wir sind der Auffassung: Mit der Abschaffung wird es nicht mehr öffentliche Aufträge für die Bauwirtschaft geben; denn die Regelungen und Durchführungsbestimmungen des Vergabegesetzes haben Bauaufträge nicht an SachsenAnhalt vorbei gelenkt, wie hier manchmal darzustellen versucht wird.

Probleme hat es mit der Auslegung und der Handhabung gegeben, was zu zeitlichen Verzögerungen geführt hatte. Dies zu verbessern ist auch Anliegen der PDS-Fraktion. Deshalb sollten die Verordnungen, die für das Vergabegesetz gelten, in folgenden Richtungen verbessert bzw. ergänzt werden:

Das betrifft erstens die Gewährleistung auskömmlicher Baupreise.

Das betrifft zweitens den Nachweis der fachlichen und kalkulatorischen Sachkunde. Der Nachweis sollte über den Eintrag des Bieters in die Handwerkerrolle, auch über die Innungs- und Verbandszugehörigkeit erfolgen.

(Zuruf von Frau Fischer, Merseburg, CDU)

Drittens wäre hierzu eine bundeseinheitliche Regelung für alle öffentlichen Auftragsvergaben des Bundes, der Länder und der Kommunen sowie von öffentlichen Beteiligungsgesellschaften für alle Aufträge wünschenswert. Dafür sollte sich die neue Landesregierung einsetzen.

Herr Abgeordneter, wären Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Herrn Gürth zu beantworten?

Sehr gern, aber nach meinen Ausführungen.

Danke.

Viertens geht es darum, zur Verminderung des Verwaltungsaufwandes eine entsprechende Bagatellgrenze einzuführen.

Fünftens - das halten wir für sehr wesentlich - muss bis zur Herstellung der EU-Osterweiterung eine bundesweite und bewährte Regelung nicht nur in der Gesetzgebung, sondern auch in der täglichen Vergabepraxis etabliert sein, um eine neue Welle von unlauteren Angeboten und von Dumpingpreisen zu verhindern.

(Zustimmung von Herrn Radschunat, PDS, und von Herrn Grünert, PDS)

Unsere Position zur Vergabe nach auskömmlichen Preisen als Voraussetzung für die Zahlung von Tariflöhnen muss ich nicht wiederholen.

Die VOB und die VOL haben sich nicht als Ordnungen erwiesen, die allein zu einem fairen Wettbewerb führen. Gesetzlichkeit zu gewährleisten heißt nicht unbedingt, sich für Bürokratie auszusprechen. Deshalb plädieren wir so entschieden für die Beibehaltung von gesetzlichen Regelungen, wenn es darum geht, durch öffentliche Mittel Unternehmen zu fördern. Das hat nichts mit dem Aushebeln von Wirtschaftskreisläufen zu tun, sondern ergibt sich aus der Sorgfaltspflicht im Umgang mit öffentlichen Geldern.

In Sachsen-Anhalt weht ein neuer Wind. Investoren haben hier Vorfahrt; wir werden zum Musterland für Unternehmen. - Das sind Schlagworte aus aktuellen Presseerklärungen seitens der CDU und der FDP.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sind wir weit von diesen Visionen entfernt. Wir hätten gern andere Prioritäten aus Ihren Wahlversprechungen begleitet, beispielsweise die gerechtere Istbesteuerung für Umsatzvolumina bis 2,5 Millionen €

(Herr Kurze, CDU: Das kommt doch noch!)

oder die Verbesserung der Eigenkapitalhilfe für Handwerk und Mittelstand. Das hätte vielen Unternehmen in Sachsen-Anhalt tatsächlich geholfen.

(Zustimmung bei der PDS - Unruhe bei der CDU)

Das vorliegende Gesetz, sehr geehrter Herr Minister Rehberger, dem Sie gern eine Signalwirkung zubilligen möchten, wird sich nach der Auffassung der PDS-Fraktion als eine Leuchtrakete erweisen, die am rauen Wirtschaftshimmel relativ schnell verblassen wird.

(Herr Dr. Sobetzko, CDU, lacht)

Die PDS-Fraktion kann deshalb der Beschlussempfehlung der mitberatenden Ausschüsse nicht die Zustimmung geben. Wir lehnen den Gesetzentwurf insgesamt ab. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Frau Bud- de, SPD, und von Herrn Dr. Höppner, SPD)

Danke, Herr Dr. Thiel. - Herr Gürth, Sie haben jetzt die Möglichkeit, Ihre Frage zu stellen.

Herr Kollege Dr. Thiel, ich kann Sie zunächst beruhigen: Das von Ihnen angesprochene Problem in Bezug auf die Istbesteuerung und die Eigenkapitalausstattung wird unmittelbar nach der Sommerpause angegangen. Das ist bereits eingetütet.

Das freut mich zu hören.