Protocol of the Session on September 16, 2004

Wiederbeginn: 14.35 Uhr.

Meine Damen und Herren! Wir setzen unsere Beratungen fort, obwohl sich das Interesse an dieser ersten Lesung in Grenzen hält. Ich darf Sie daran erinnern, dass die Fraktionen noch unterschiedlich viel Redezeit zur Verfügung haben: die PDS-Fraktion zwölf Minuten, die CDU-Fraktion 32 Minuten, die SPD-Fraktion zwölf und die FDP-Fraktion sieben Minuten. Bis jetzt sind nur Redner der PDS- und der SPD-Fraktion angemeldet worden.

Wir setzen die Debatte fort. Ich bitte Frau Dr. Weiher, für die PDS-Fraktion das Wort zu nehmen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Offensichtlich hält sich das Interesse der Koalitionsfraktionen an ihrem eigenen Doppelhaushalt doch sehr in Grenzen.

(Beifall bei der PDS)

Ich will aber nicht verabsäumen, an dieser Stelle zu zwei weiteren Komplexen zu sprechen, erstens zur Seriosität der Aufstellung eines Doppelhaushaltes unter der derzeitigen Einnahmesituation, speziell der Steuereinnahmen - auch wenn meine Vorrednerinnen und Vorredner schon einiges dazu gesagt haben -, und zweitens zur Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit in Bezug auf das Landespersonal. Mehr Zeit wird mir am Ende nicht bleiben, obwohl ich gern noch einige Bemerkungen zum Landesbetrieb Limsa gemacht hätte. Ich spare mir das für die Beratungen auf.

Notwendig wäre darüber hinaus die Betrachtung der kommunalen Zuweisungen im Zusammenhang mit der Diskussion um ein neues FAG. Dieses liegt uns heute nicht vor. Nur die Schülerbeförderung ist im Haushaltsbegleitgesetz neu geregelt worden. Offensichtlich soll der Entwurf erst im Oktober oder November eingebracht werden. Er wird den Kommunen Änderungen bringen,

die im heute vorliegenden Haushaltsplanentwurf nicht sichtbar sind, insbesondere hinsichtlich der Binnenverteilung und einen so genannten Notfonds für die Kommunen. Da uns aber nichts vorliegt, will ich mich nicht in Spekulationen verlieren. Ich finde die Verfahrensweise aber äußerst kritikwürdig.

Doch zurück zu den Einnahmeerwartungen des Doppelhaushaltes. Die November-Steuerschätzung steht bevor und wird uns wahrscheinlich erneut bewusst machen, wie kurzlebig Haushaltszahlen sind, die durch die seit einigen Jahren anhaltende Prognose eines steigenden Wirtschaftswachstums und der Vorhersage entsprechender Einnahmen entstehen. Der tatsächliche Trend der letzten Jahre entsprach nicht dieser Prognose.

Auch die gestrige Meldung von gestiegenen Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen im ersten Halbjahr ändert die Bestandsaufnahme nicht, zumal jeweils Haushaltskürzungen in Höhe von ca.120 Millionen €, im Übrigen nicht nur wegen fehlender Hochwassermittel, anstehen und die Sozialausgaben der Kommunen seit Jahren steigen. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und ein Wirtschaftswachstum, das die Quellen für die öffentliche Hand kräftig sprudeln lässt, ist nicht in Sicht.

Ich will den realen Trend der letzten Jahre aufzeigen. Im Haushaltsplan 2003 mussten wir fast 520 Millionen € Steuermindereinnahmen gegenüber dem Entwurf verkraften. Insgesamt sind das etwa 11 % der ursprünglichen Annahme. Geringere finanzielle Mittel beim Länderfinanzausgleich und der Fehlbetrag bei den Bundesergänzungszuweisungen verschlechterten die Situation weiter.

Das trifft auch für den aktuellen Haushalt zu. Wie ist dort der jetzige Stand? - Nach der Steuerschätzung im Mai 2003 wurde der Haushaltsplanentwurf 2004 mit einer deutlich geringeren Erwartungshaltung aufgestellt. Nach der Novemberschätzung und nach dem Nachtragshaushalt standen am Ende insgesamt 126 Millionen € weniger zur Verfügung. Den aktuellen Stand können Sie übrigens aus der Durchführung des Haushaltsplanes ersehen. Bis zum Juli 2004 fehlen erneut Steuereinnahmen in Höhe von 50 Millionen €. Hält der Trend an, haben wir am Jahresende 80 Millionen € zu verkraften, was ein außerordentlich hohes Risiko für den Vollzug bedeutet.

Ausgehend davon, komme ich zur Seriosität dieses Haushaltsplanentwurfes. Die Steuereinnahmen werden zunächst um 100 Millionen € niedriger als im Jahr 2004 angesetzt. Bereits im Jahr 2006 sollen sie aber wieder um 180 Millionen € steigen - und das in dem Wissen, dass schon Abweichungen von 40 bis 50 Millionen € einnahmen- oder ausgabenseitig den gesamten Haushalt bezüglich der Einhaltung der Verschuldungsgrenze verfassungswidrig machen.

Wenn man sich ernsthaft die derzeitige wirtschaftliche Situation des Landes und die zu erwartenden Entwicklungen anschaut, frage ich mich, woraus Sie diese optimistische Prognose zumindest für 2006 ableiten. Die Prognosen gehen vorsichtig von 1,5 % Wachstum für die nächsten Jahre aus, wobei die Betonung auf „vorsichtig“ liegt. Die Steuerrechtsänderungen, die in den Jahren 2004 bis 2007 in Kraft treten, werden eher Steuermindereinnahmen produzieren.

Frau Dr. Weiher, möchten Sie eine Frage von Herrn Scharf beantworten?

Am Ende, bitte.

(Herr Scharf, CDU: Eine kurze Zwischenfrage!)

- Am Ende?

(Herr Scharf, CDU: Gleich!)

- Gleich? Wenn mir das nicht von meiner Redezeit abgezogen wird.

Dann fragen Sie bitte.

Frau Dr. Weiher, eine kurze Zwischenfrage. Ich habe dem Vortrag Ihres Fraktionsvorsitzenden entnommen, dass die verfassungsmäßige Grenze der Verschuldung für ihn eine vollkommen unwichtige Haushaltskennziffer ist.

(Herr Gallert, PDS: Das ist nicht richtig!)

Bei Ihnen scheint das etwas anders zu sein?

Das ist nicht richtig. Ich wüsste auch nicht, dass es in unserer Fraktion irgendwo eine Rolle spielt, dass das nicht wichtig ist. Richtig ist tatsächlich

(Herr Scharf, CDU: Wichtig, wichtig!)

und wichtig ist tatsächlich, dass die Frage des Investitionsbegriffs in Bezug auf die Verfassungsgrenze bei uns eine andere Rolle spielt als bei Ihnen. Das ist richtig.

(Beifall bei der PDS)

Ich komme zu den Steuerrechtsänderungen zurück, die in den nächsten Jahren in Kraft treten werden. Diese werden eher Steuermindereinnahmen produzieren. Sehen Sie sich die einzelnen Steuerarten an: Das Lohn- und Einkommensteueraufkommen wird sich aufgrund der Absenkung des Spitzensteuersatzes und von Hartz IV weiter nach unten entwickeln. Die Umsatzsteuer wird einbrechen. Allein für Sachsen-Anhalt wurde bereits ein Kaufkraftverlust von 200 Millionen € durch Hartz IV prognostiziert. Einbrüche bei der Tabak- und der Mineralölsteuer machen sich bereits bemerkbar.

Als i-Tüpfelchen könnte man noch das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit nennen, das 5 Milliarden € Einnahmen bringen sollte. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind bundesweit ganze 224 Millionen € tatsächlich hereingekommen. - Alles in allem keine günstige Prognose, die mit diesen Entwicklungen verbunden ist.

Unsere Forderungen nach einer wirksamen Einnahmepolitik für die öffentliche Hand werden von Ihnen vehement zurückgewiesen, zuletzt von Frau Dr. Hüskens in ihrer Pressemitteilung vor einigen Tagen. Wohin aber die derzeitige Einnahmepolitik führt, die CDU und FDP gerne noch forcieren würden, erleben wir seit 2001 in den öffentlichen Haushalten und deren Wirksamkeit spüren wir alle am Abbau des Sozialstaates und an massiven Finanzverschiebungen von unten nach oben.

Und nun, Herr Scharf, wollen Sie uns in Ihr Boot holen, das Sie in den Abgrund rudern; das ist schon ein starkes Stück.

(Zustimmung bei der PDS - Herr Tullner, CDU: Wieso nach oben verschoben?)

Stark ist auch, Herr Tullner und Kollegen der SPD, dass die SPD laut dem heutigen „Handelsblatt“ nun ein Steuerkonzept entwickeln will. Ich dachte eigentlich, das Regierungshandeln auf Bundesebene folgt einem Konzept.

(Beifall bei der PDS)

Nein, einen Doppelhaushalt unter diesen Voraussetzungen aufzustellen halten wir für ausgesprochen unseriös. Wir werden das in den Jahren 2004, 2005 und 2006 nach den drei nächsten Steuerschätzungen zu spüren bekommen, insbesondere die Kommunen.

(Herr Tullner, CDU: In Berlin machen sie es!)

- Herr Tullner, wir können uns gern in den Beratungen unterhalten.

Zum Komplex Personal. Ich will auf die im Stellen- und Personalabbaukonzept des Jahres 2002 formulierte Zielstellung eingehen, als Stellenbestand den Durchschnitt der alten Bundesländer in Höhe von 21,6 Landesbediensteten auf 1 000 Einwohner zu erreichen. Unabhängig davon, dass diese Zielstellung überhaupt nicht beachtet, dass unterschiedliche Bundesländer unterschiedliche Strukturen, eine unterschiedliche Geschichte, unterschiedliche Aufgabenbereiche und damit einen unterschiedlichen Umfang an Personal haben könnten, ordnen Sie dieser Gleichmacherei alles unter - offensichtlich nicht aufgrund eines verantwortbaren Aufgaben- und Personalabbaus, sondern eher in der Angst, mehr Personal könnte uns in der Ost-West-Debatte vorgehalten werden.

Die Frage ist: Wie versuchen Sie, den einstigen Stellenbestand von 68 000 Stellen auf höchstens 55 000 Bedienstete abzusenken? Die normalen Instrumente wie Abfindungen, Altersteilzeit und natürliche Fluktuation reichen für ein so ehrgeiziges Ziel offensichtlich nicht aus. Sie haben also ein neues Instrument erfunden, die allseits bekannte Titelgruppe 96, und nutzen zusätzlich das Instrument der Globalbudgets und der Landesbetriebe. Allerdings gebrauchen Sie mittlerweile beide Instrumente in einer Art und Weise, dass neben dem normalen Personalbestand ein Schattenpersonal existiert. Denn die durch die zwei Instrumente verschleierten Stellen umfassen fast ein Drittel der Gesamtzahl der Stellen im Land - ein Drittel!

Im Vorbericht ist der Stellenbestand im Jahr 2004 mit gut 55 000 Stellen ausgewiesen, die in den nächsten Jahren auf 52 000 bzw. 50 000 abgebaut werden sollen. Das ist schon beeindruckend, da mit diesen Zahlen tatsächlich Ihre Zielstellung erreicht werden wird. Ausgewiesen ist auch die Titelgruppe 96. Der Umfang beträgt aktuell knapp 5 900 Stellen, also 10 % des normalen Bestandes, und wird in den nächsten zwei Jahren in etwa konstant bleiben.

Nun habe ich mir einige Zahlen genauer angeschaut. So sollen im Einzelplan 07 - Bildung und Schulen - laut Vorbericht 1 134 Stellen in der Titelgruppe 96 real im Jahr 2005 abgebaut werden. Ich habe mir die Mühe gemacht

und die konkret untersetzen Stellen nur für die Schulen nachgezählt und komme auf 1 312. Es bleibt eine Differenz in Höhe von 170 Stellen, die über den Vorbericht hinaus als Wegfall deklariert sind. Das ist erklärungsbedürftig, wobei ich nicht inhaltlich den Abbau von 1 300 Stellen beim Lehrerpersonal hinterfragen will. Das erscheint mir aber angesichts der neuen schlechten Ergebnisse bei der letzten OECD-Studie zum Thema Bildung zumindest überdenkenswert.

Auffallend ist auch, dass Sie zunehmend Stellen in die Titelgruppe 96 hineinnehmen, deren konkrete Untersetzung bis in die nächste und übernächste Legislaturperiode hineinreicht. Beim Lehrerpersonal ist eine Vielzahl von Stellen mit einem Wegfall im Jahr 2009 oder 2010 zu finden. Die Krönung ist bei Kapitel 13 50 bei den Vollzugsbeamten nachzulesen: eine Stelle, die im Jahr 2012 entfällt. Ich kann das nur so interpretieren, dass Sie für das Erreichen Ihrer Zielstellung die Ausweisung von Stellen benötigen, auch wenn diese erst in sechs, sieben oder acht Jahren durch Rente oder Altersteilzeit wegfallen.

Als eigentlicher Knackpunkt in der Diskussion über Stellen und Stellenabbau erweist sich aber in meinen Augen immer mehr die Auslagerung von Personal bzw. die Budgetierung über Globalhaushalte, da beides mit weit mehr Personal verbunden ist, als in der Titelgruppe 96 vorhanden ist. Zum Zeitpunkt der Regierungsübernahme im Jahr 2002 war bereits ein Stellenbestand von knapp 8 300 Stellen in Landesbetrieben ausgewiesen. Dann warf Herr Minister Paqué im November 2002 der alten Landesregierung vor, ihren Stellenabbau nur geschafft zu haben, weil 900 Stellen in Landesbetriebe gingen - so weit korrekt.

Mit Stand 2004 sind nunmehr 9 500 Stellen in Landesbetriebe ausgelagert; durch Gründung weiterer Betriebe kommen im nächsten Jahr 2 400 Stellen hinzu. Daneben nehmen sich die 900 Stellen wie ein Klacks aus.

(Beifall bei der PDS)

Wenn ich die Globalhaushalte der Universitäten und Fachhochschulen mitzähle, kommen weitere 5 000 Stellen hinzu, allein knapp 1 700 Stellen neu im Jahr 2005.

Damit sind über 16 000 Stellen im Grunde genommen dem normalen Stellenbestand und - was für die Landesregierung wohl entscheidender ist - der Hauptgruppe 4 entzogen, obwohl sie natürlich weiter zum Land gehören. Zähle ich ausgelagerte, budgetierte und Titelgruppe-96-Stellen zusammen, erhalte ich für 2006 eine Zahl von etwa 23 000 Schattenstellen - bei einem geplanten Stellenbestand von 50 000 Stellen!

(Beifall bei der PDS)

Herr Minister, das sind 31 % des gesamten Personals. 2004 waren es 27 % und 2002 nur 11 %. Rechnen Sie es nach, Herr Scharf. Das können wir gern nachher machen.