Meine Damen und Herren! Begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne eine Seniorengruppe des Kreisverbandes der Arbeiterwohlfahrt Merseburg.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne nunmehr die Debatte zu den Haushaltsgesetzen. Wie ich eingangs bereits erwähnte, wurde im Ältestenrat eine Debattendauer von 255 Minuten vereinbart. Dem entspricht die Redezeitstruktur G in der Redezeittabelle. Demzufolge wurde folgende Reihenfolge mit folgenden Redezeiten vereinbart: PDS 39 Minuten, CDU 75 Minuten, SPD 39 Minuten und FDP 27 Minuten. Auf die Landesregierung entfallen 75 Minuten.
Zunächst erteile ich für die PDS-Fraktion dem Abgeordneten Herrn Gallert das Wort. Bitte sehr, Herr Gallert.
Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Der diesjährige Haushaltsplan für die Haushaltsjahre 2005 und 2006 - übrigens nicht nur der erste Doppelhaushalt dieser Landesregierung, sondern auch ihr letzter, zumindest in dieser Legislaturperiode - schließt zum einen die Bilanz der Landesregierung, legt aber zumindest auch die wichtigsten Eckdaten der Planung bis zum Ende der Legislaturperiode vor. Um dieses Zahlenwerk also zu bewerten, gehört es einfach dazu, das gesellschaftliche Umfeld, in dem dieser Landeshaushalt existieren soll, zu beleuchten, die gesellschaftlichen Prozesse im Land Sachsen-Anhalt zu analysieren.
Der vorgelegte Landeshaushalt ist Ausdruck eines neoliberalen Staatsverständnisses und er dokumentiert gleichzeitig dessen Scheitern in unserem Land.
Dies ist wiederum für uns nicht so neu. Neu ist aber, dass zu dieser Erkenntnis ganz offensichtlich immer mehr Menschen in diesem Land kommen. Zwei Dinge sollen das kurz belegen: zum einen das erfolgreiche Volksbegehren zur Kinderbetreuung, zum anderen die seit einigen Wochen stattfindenden Proteste gegen die Arbeitsmarktreform. Diese Infragestellung des Sozialabbaus, diese Infragestellung der gesellschaftlichen Grundrichtung ist tatsächlich neu, die kannten wir bisher so nicht. Aber das hat seine Ursachen.
Der Sozialabbau hat im Land Sachsen-Anhalt inzwischen die Mitte der Gesellschaft erreicht. Es sind nicht nur die Sozialhilfeempfänger, die davon betroffen sind. Es sind diejenigen, die vor kurzem ihre Arbeit verloren haben und nicht damit rechnen können, in Kürze wieder eine Arbeit zu bekommen; es sind diejenigen, die mit einem Arbeitslosen in einem Haushalt leben; es sind diejenigen, die jetzt noch eine existenzsichernde Beschäftigung haben, die aber Angst haben, dass diese existenzsichernde Beschäftigung durch Niedriglohnjobs verdrängt wird; es sind die Unternehmer, die möglicherweise den Konkurs ihres Unternehmens vor den eigenen Augen haben, weil der Verlust der Kaufkraft am Binnenmarkt diese Entwicklung wahrscheinlich macht.
Es sind auch diejenigen, denen es vermeintlich noch gut geht, zum Beispiel die Angestellten und Beamten dieses Landes, die, wenn sich die Landesregierung mit ihrer Planung durchsetzen würde, im zweiten Jahr hinterein
Nun ist die Verschlechterung der Lebenssituation für die unteren und mittleren Einkommensgruppen nicht etwas wahnsinnig Neues für diese Form des Staatsumbaus, für den neoliberalen Grundtrend in unserer Gesellschaft.
Neu ist aber, dass die beiden zentralen Zielstellungen dieses politischen Mainstreams ganz offensichtlich so nicht zu erreichen sind, die Zielstellungen von Haushaltskonsolidierung und Wirtschaftswachstum. Das belegt dieser Landeshaushalt deutlich.
Diese gesellschaftliche Situation führte in den letzten Monaten dazu, dass sowohl die Landesregierung als auch insbesondere der Ministerpräsident einige Unsicherheiten unter Beweis gestellt haben.
Nun ist es nicht Ihre Art, Herr Böhmer, wie Ihr designierter Landesvorsitzender im Beisein der eigenen Bundesvorsitzenden darüber zu argumentieren, dass die HartzGesetzgebung zumindest im Land Sachsen-Anhalt vollkommen kontraproduktiv ist. Ein starkes Stück, aber vielleicht - wir kennen ihn, der eine oder andere zumindest, aus den letzten Jahren - nicht völlig überraschend bei ihm.
Aber, Herr Böhmer, auch Sie haben in den letzten Wochen und Monaten durchaus auf gesellschaftliche Verwerfungen aufmerksam gemacht, haben durchaus Ihre Skepsis zu dieser gesellschaftlichen Entwicklung zum Ausdruck gebracht. Sie haben zum Beispiel die Ablehnung des Hartz IV-Gesetzes, des Optionsmodells, im Juli des Jahres 2004 mit Argumenten begründet, die eigentlich eine Ablehnung dieses Gesetzes im Dezember 2003 hätten zur Folge gehabt haben müssen.
Noch interessanter erschien es uns, als Sie in der ersten Augusthälfte eine Idee des SPD-Landesvorsitzenden Herrn Gabriel aus Niedersachsen aufgenommen und gesagt haben, Sie könnten sich sehr wohl vorstellen, die Absenkung des Spitzensteuersatzes in der letzten Stufe ausfallen zu lassen, ganz einfach deswegen, weil man schließlich niemandem erklären könne, dass aufgrund der Haushaltssituation im Bereich der Arbeitslosenhilfe Einschnitte passieren müssten, aber der Spitzensteuersatz trotzdem um drei Prozentpunkte abgesenkt werden könne.
Vollkommen richtig, Herr Böhmer. Zwar haben Sie auch dieses Gesetz im Bundesrat mit beschlossen, aber es ist ja durchaus ein Zeichen von Größe in der Politik, wenn man zugibt, hier haben wir einen Fehler gemacht, hier müssen wir uns korrigieren.
Das eigentliche Problem, Herr Böhmer, war aber das, was danach kam. In dem Augenblick, in dem die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu beiden Themen eine Dimension erreicht hat, die wirkliche Korrekturen in beiden Fällen möglich erschienen ließ, machten Sie einen
Rückzieher. In dem Augenblick reihten Sie sich wieder parteidiszipliniert ein - Frau Merkel hat offensichtlich einen Anruf getätigt -, und alle Dinge, die vorher gegolten haben, haben bei Ihnen jetzt keine Wirkung mehr. Dazu muss ich schon sagen: Diese doppelt eingesprungene Sitzpirouette war schon beeindruckend, Herr Böhmer.
Ich will mich mit Ihrer Begründung dafür, dass Sie nun doch meinen, den Spitzensteuersatz senken zu müssen, nicht auseinander setzen. Sie ist fadenscheinig. Das soll hier aber keine Rolle spielen.
Wichtiger und komplizierter erscheint mir Ihre Begründung dafür, warum man auf die aktuellen Hartz-Proteste nicht eingehen soll. Sie haben gesagt: Wir dürfen uns sozusagen von dem Druck der Straße, von dem, was die Leute dort artikulieren, nicht beeindrucken lassen. Das halte ich für kreuzgefährlich, Herr Böhmer. Sie vermitteln nämlich bei diesen Menschen den Eindruck, dass es eine politische Klasse gibt, die vollkommen autark, unbeeindruckt von dem, was die Menschen in diesem Land wollen, was sie zum Ausdruck bringen, handeln - eine politische Klasse, die ihre eigene Entscheidungsgrundlage findet, die ihre eigenen Entscheidungsgesetze aufschreibt und sie unabhängig von den Menschen realisiert.
Ich sage ganz deutlich, Herr Böhmer: Das halte ich für eine kreuzgefährliche Entwicklung. Diese Entwicklung scheint mir viel mehr eine Gefahr für das politische System in der Bundesrepublik zu sein als all das, was bei den Hartz-IV-Demonstrationen bisher von den Leuten gefordert wurde.
Ich bitte Sie alle, unterschätzen Sie das Legitimationsdefizit der politischen Klasse, das in diesen Hartz-IVDemonstrationen zum Ausdruck gekommen ist, nicht.
Hans-Jochen Tschiche, der ehemalige Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in diesem Landtag, hat einmal davon gesprochen, dass die Zivilisation nur eine sehr dünne Haut über unsere Gesellschaft ist. - Ich glaube, gerade in diesen Zeiten der Zuspitzung sozialer Auseinandersetzungen wird dieser Satz immer wahrer.
Wenn am nächsten Sonntag rechtsradikale Kräfte in Sachsen und in Brandenburg möglicherweise deutliche Wahlerfolge erringen, dann darf das auf keinen Fall der Ignoranz in diesem Haus und auch nicht der Ignoranz der Landesregierung anheim fallen. Viele von uns waren sehr geschockt davon, wie Sie diese Dinge einsortiert haben, Herr Böhmer.
Ich sage ganz deutlich: Das schulterzuckende In-KaufNehmen der Stärkung dieser Kräfte darf nicht Konsens werden.
Wenn man eine gesellschaftliche Entwicklung so charakterisiert, dass solche Kräfte möglicherweise notwendigerweise gestärkt werden, dann muss man die gesellschaftliche Entwicklung infrage stellen und darf das nicht schulterzuckend hinnehmen.
Herr Präsident, das will ich gern tun, aber ich sage Ihnen auch ganz deutlich, ich denke, das getan zu haben. Die Bewertung eines solchen Doppelhaushaltes hat vielleicht hier und da etwas mehr mit Qualitäten als mit Quantitäten zu tun.
Schauen wir uns das Zahlenwerk des Landeshaushaltes näher an, so fällt natürlich die Schuldenbilanz dieses Landeshaushaltes ins Auge. Knapp 900 Millionen € Neuverschuldung im Jahr 2005, knapp 800 Millionen € Neuverschuldung im Jahr 2006 - das entspricht etwa der Haushaltssituation des Jahres 2001.
Ursprünglich ist die Koalition angetreten, zum Ende dieser Legislaturperiode die Nettoneuverschuldung auf null herunterzufahren.
Nun haben wir natürlich das Problem, dass Herr Paqué heute wieder das getan hat, was er inzwischen seit Jahren tut: Die Einnahmesituation ist schuld. - Ich sage einmal: Dieses Argument verliert auch in diesem Haus so langsam seinen Unterhaltungswert, einfach deswegen, weil es so oft wiederholt worden ist.
Es ist aber auch falsch, Herr Paqué, weil die Einnahmesituation in diesem Land genau aus den Gründen in der Situation ist, die Sie beklagen, weil in der Bundesrepublik die politischen Prämissen, für die auch Sie als Finanzminister stehen, natürlich genau zu diesem Ergebnis geführt haben. Sie müssten, wenn Sie diese Kritik wirklich erst meinten, einmal Änderungsvorschläge bringen, wie man die Einnahmesituation tatsächlich verbessern kann.
Aber sind wir doch einmal ehrlich: Das, was in der Bundesregierung in der Steuerpolitik gemacht wird, das ist doch ein Parteiprogramm der FDP, das da umgesetzt werden soll.