Das von den Fraktionen der CDU, der FDP und weiten Teilen der SPD getragene Kinderförderungsgesetz hat sich in der Praxis bewährt. Wir werden morgen noch die Gelegenheit haben, auf kleinere Anpassungsbedarfe, die nach einer Evaluation der Umsetzung von uns festgestellt worden sind, einzugehen. Heute möchte ich Ihnen darstellen, warum aus der Sicht der Landesregierung eine Annahme des von meinem Vorredner dargestellten Gesetzentwurfs des Volksbegehrens nicht erfolgen sollte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die schriftliche Stellungnahme der Landesregierung macht deutlich, dass wir in Sachsen-Anhalt gegenwärtig über ein zukunftsfähiges Kinderbetreuungssystem verfügen und gerade diese Zukunftsfähigkeit durch die Annahme des Gesetzentwurfs des Volksbegehrens zum Nachteil der nachwachsenden Generation, unserer Kinder, gefährdet wäre. Ich möchte diese Stellungnahme nicht wörtlich wiedergeben - Sie können in der Landtagsdrucksache 4/1681 nachlesen -, sondern möchte nur auf einige besondere Aspekte eingehen.
Das Kinderförderungsgesetz ist Bestandteil der Familienpolitik des Landes. Der Auftrag, aber auch die Pflichten der Familie sind fest verankert im Grundgesetz und in unserer Landesverfassung. Mit dem Kinderförderungsgesetz wird dieser Erziehungsauftrag der Eltern ergänzt, aber nicht vom Staat übernommen. Diesem grundgesetzlichen Auftrag sieht sich die Landesregierung verpflichtet; denn unsere Kinder brauchen persönliche und liebevolle Zuwendung sowie Begleitung auf ihrem Lebensweg. Eltern leisten in der Erziehung ihrer Kinder einen unersetzlichen Beitrag für das Gemeinwohl und für die Zukunft unserer Gesellschaft.
Sie gestalten mit ihren Kindern den Lebensalltag als Vorbild, aber auch als Autorität. Durch die Erziehung in der Familie wird die entscheidende Grundlage für die Entwicklung zu einer eigenständigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gelegt. Nicht nur die Eltern haben das Recht auf Erziehung ihrer Kinder, auch die Kinder haben das Recht auf Erziehung durch ihre Eltern.
Unter diesem Aspekt hat das Landeskinderförderungsgesetz die Bedeutung der Kindertageseinrichtungen als Bildungseinrichtungen hervorgehoben. Der Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Tageseinrichtung wird im Kinderförderungsgesetz ausdrücklich mit dem Bil
dungsauftrag verbunden. Hierdurch hat das Land deutlich gemacht, dass es bei der Kinderförderung zwar auch, aber nicht nur um eine Dienstleistung für Familien geht, sondern vor allem um eine kindgerechte Förderung durch Bildung, Erziehung und Betreuung.
Mit diesem Verbund von Rechtsanspruch und Bildungsauftrag weist das Landesrecht im Kinderförderungsgesetz die Besonderheit auf, dass es den Bildungsauftrag stärker konkretisiert, als dies zum Beispiel im achten Sozialgesetzbuch der Fall ist. Auf diese Weise bekennt sich das Land zu seiner inhaltlichen Verantwortung für die öffentliche Erziehung und Bildung der Kinder im Vorschulalter. Die Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen ist als Ergänzung dazu zu verstehen.
Sie wird getragen von dem Ziel der pädagogischen Förderung des Kindes in einer Gruppe mit anderen Kindern, damit es sich zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit entwickeln kann. Eltern und Kindertageseinrichtungen haben so gemeinsam die Verantwortung dafür, Bildung und Betreuung im partnerschaftlichen Zusammenwirken zu realisieren.
Frühe Bildung wird dabei als wichtiger Grundstein des lebenslangen Lernens verstanden. Das Kinderförderungsgesetz normiert einen Rechtsanspruch auf Bildung und Betreuung von mindestens fünf Stunden täglich oder 25 Wochenstunden, der in der Praxis auch entsprechend umgesetzt wird.
Für die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit bietet das Kinderförderungsgesetz die beste Unterstützung. Es garantiert einen weiter gehenden Betreuungsanspruch, sofern ein Bedarf besteht, aus Gründen der Erwerbstätigkeit, der Aus-, Fort- und Weiterbildung oder der Teilnahme der Eltern an einer Maßnahme der Arbeitsförderung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Basisdaten für die Kinderbetreuung in Sachsen-Anhalt belegen, dass das Land mit seinem Kinderförderungsgesetz weit über die bundesgesetzlich normierten Forderungen hinausgeht. Mit diesem Gesetz werden schon heute die Kriterien erfüllt, die die Bundesregierung mit dem Kinderbetreuungsausbaugesetz als zukunftsweisend anstrebt. So garantiert Sachsen-Anhalt als einziges Bundesland einen Rechtsanspruch von der Geburt bis zum 14. Lebensjahr bzw. bis zur Versetzung in die siebente Klasse.
Bei der Betreuungsquote der Kinder unter drei Jahren steht Sachsen-Anhalt bundesweit an erster Stelle. Sachsen-Anhalt hat eine Versorgungsquote von 56,6 % für Kinder im Krippenalter und 100 % für Kinder im Kindergartenalter. Auch im europäischen Vergleich liegt Sachsen-Anhalt damit an der Spitze.
Nach den bisher vorliegenden statistischen Daten besuchen in Sachsen-Anhalt ca. 25 800 Kinder eine Krippe, wovon 42 % der Kinder bis zu fünf Stunden dort verweilen. Kindergärten werden von ca. 54 100 Jungen und Mädchen besucht. Davon bleiben rund 40 % der Kinder bis zu fünf Stunden täglich bzw. bis zu 25 Wochenstunden.
Die halbtägige Inanspruchnahme erfolgt dabei aber nicht allein aufgrund der veränderten Gesetzeslage. Bereits vor dem In-Kraft-Treten des Kinderförderungsgesetzes haben 15 % der Krippenkinder und 10 % der Kindergar
tenkinder auf Wunsch der Eltern nur halbtags die Kindertageseinrichtungen besucht, obwohl die Kinder einen gesetzlichen normierten Ganztagsanspruch von zehn Stunden hatten.
Die Fakten zeigen, dass wir uns der Verantwortung für die Zukunft unserer Kinder gestellt haben. Dabei ist es auch immer notwendig, nachhaltige, dauerhafte Lösungen zu finden und den Blick nach vorn zu richten.
Wir brauchen auch eine Stärkung der kommunalen Verantwortung. Deshalb haben wir im Sinne des Subsidiaritätsprinzips mit dem Kinderförderungsgesetz der kommunalen Ebene mehr Entscheidungsspielraum gegeben.
Wenn ich mir an dieser Stelle die essentiellen Forderungen des Volksbegehrens anschaue, dann sind dies in erster Linie Personalforderungen, und zwar eine Ganztagsbetreuung für alle, die Erhöhung der Bemessungsgrundlage des Personalschlüssels auf zehn Stunden, die Veränderung des Personalschlüssels sowie die gesetzliche Verankerung einer Freistellung für Leitungsaufgaben. Eine Umsetzung derartiger Forderungen ist aus pädagogischer Sicht nicht erforderlich und nicht bezahlbar.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bleibe dabei: Die Kindertagesbetreuung geschieht vor Ort. Deshalb gehört hierhin auch die Verantwortung, sich dieser Aufgabe flexibel und zukunftsweisend zu stellen. Als Land sollen und dürfen wir dabei nur Eckwerte vorgeben. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips haben wir deshalb mit dem Kinderförderungsgesetz der kommunalen Ebene mehr Entscheidungsspielraum gegeben.
Wir wollen und dürfen nicht jede Einzelheit bis ins Detail regeln. Mit dem Kinderförderungsgesetz haben wir Rahmenbedingungen gesetzt, die von den Verantwortlichen in der Praxis auszugestalten sind. Es bietet die notwendige Gesetzesklarheit anstatt einer bürokratischen Regelungswut. Eine Annahme des Gesetzentwurfs des Volksbegehrens mit verstärkten gesetzlichen Regelungen würde auch den begonnenen gemeinsamen Prozess von Land und Kommunen, durch eine Deregulierung mehr Entscheidungen auf die örtliche Ebene zu verlagern, in seiner Entwicklung zurückwerfen.
Ich will einige Beispiele nennen: Für die Deregulierung ist die Veränderung des Leistungsverpflichteten wesentlich. Gegenwärtig ist für alle Fragen rund um die Kinderbetreuung die Wohnortgemeinde der Ansprechpartner. Diese Zuständigkeit soll nach dem Willen der Antragsteller wieder auf die Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte verlagert werden; meines Erachtens kein wirkliches Beispiel für Bürgernähe.
Die fehlende Verankerung der Tagespflege im Gesetzentwurf des Volksbegehrens zeigt meines Erachtens deutlich, dass damit tatsächlich bei der Kinderbetreuung nur das Rad zurückgedreht werden soll und eine Aufgeschlossenheit für moderne Angebotsformen, die eine flexible und individuelle Kinderbetreuung wohnortnah absichern können, nicht besteht.
Gleiches gilt für den Wegfall der Einsatzmöglichkeiten von Sozialassistentinnen. Im Krippenbereich sieht das Kinderförderungsgesetz die Möglichkeit ihres Einsatzes vor. Immer wieder höre ich auch die Forderung nach
einer gestuften Qualifikation oder nach beruflichen Teilabschlüssen. Die Vertreter des Volksbegehrens blicken nur zurück, obwohl die Einsatzmöglichkeit von Sozialassistenten einerseits nur Chancen eröffnet und andererseits niemanden zwingt, diese zu nutzen.
Auch die im Gesetzentwurf des Volksbegehrens vorgesehene Rückkehr zu den alten starren baulichen Richtlinien, die einer angemessenen und schnellen Reaktion auf kurzfristige Bedarfe entgegenstehen, macht deutlich, dass eine Bevormundung von Trägern und Gemeinden erfolgen soll, indem man ihnen unterstellt, nicht zu wissen, was für unsere Kinder gut und wichtig ist.
Dies alles führt zu einem enormen Flexibilitätsverlust. Zusammen mit dem Vorschlag zur Änderung des Finanzierungsverfahrens wird es mit Sicherheit einen weiter aufgeblähten Verwaltungsaufwand geben. Wir wollen aber eine schlankere Verwaltung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend noch auf die finanziellen Auswirkungen für das Land verweisen. Aus dem Gesetzentwurf des Volksbegehrens ergibt sich eine Mehrbelastung für das Land in Höhe von 41 Millionen € und für die Landkreise bzw. für die kreisfreien Städte als die örtlichen Träger der Jugendhilfe eine Mehrbelastung von mehr als 22 Millionen €. Wer die Zukunft unserer Kinder verbauen will, der baut neue Schuldenberge für sie auf.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus all diesen Gründen kann ich nur eindringlich an Sie appellieren: Lehnen Sie diese Gesetzesvorlage ab.
Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Debatte eintreten, begrüßen wir auf der Tribüne Damen und Herren der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie Salzwedel.
Des Weiteren, meine Damen und Herren, möchte ich darauf hinweisen, dass die Vertrauensleute des Volksbegehrens nicht die Möglichkeit haben, einen Antrag auf Überweisung zu stellen. Ich bitte darum, dass sich eine Fraktion dieses Anliegens annimmt.
Damit treten wir in die Debatte ein. Als erstem Redner erteile ich für die CDU-Fraktion dem Abgeordneten Herrn Kurze das Wort. Bitte sehr, Herr Kurze.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin Vater eines einjährigen Sohnes und habe als Grundschullehrer und Erzieher bereits in einer Kindertagesstätte gearbeitet.
Frau Kollegin Gabriele Brakebusch hat 16 Jahre lang in einer Kindertagesstätte gearbeitet. Ihre Kinder wurden nicht ausschließlich zu Hause betreut, gebildet und erzogen, sondern zum Teil in einer Einrichtung. Das möchte ich zu Beginn der Debatte vorweg stellen.
Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Förderung, Betreuung und Bildung von Kindern in Kinder
tageseinrichtungen, den das Volksbegehren „Für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt“ heute eingebracht hat, beraten wir erstmals in der Geschichte des Landtages von Sachsen-Anhalt über einen Gesetzentwurf, der nicht von einer der im Landtag vertretenen Fraktionen bzw. von der Landesregierung eingebracht worden ist.
Erstmals in der Geschichte unseres Landes ist ein Volksbegehren erfolgreich gewesen. Bei allen unterschiedlichen Meinungen in dieser Sache gilt es, diese Leistung der Initiatoren des Volksbegehrens zu würdigen und das Bekunden der Unterzeichner, die eine erneute Beratung über das Thema im Landesparlament fordern, zu akzeptieren. Genau deshalb sollten wir bei der Realität und bei der Sachlichkeit bleiben und nicht, wie anfangs begonnen, Halbwahrheiten in den Raum stellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Emotionalität der Debatte: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Das hat unser Fraktionsvorsitzender schon gesagt. Auch ich hatte diesen Gedanken. Wir haben schon viele Debatten im Landtag erlebt, die ähnlich emotional angelegt waren. Ich finde es auch schon ein bisschen seltsam, wenn dann der eine oder andere sich hinstellt und meint, er muss der Moralapostel in diesem Hause sein.
Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Förderung, Betreuung und Bildung von Kindern in Kindertageseinrichtungen soll im Wesentlichen der Rechtszustand wiederhergestellt werden, der vor dem Verabschieden des Kinderförderungsgesetzes am 5. März 2003 bestanden hat. Dass die Initiatoren des Volksbegehrens quasi dem früheren KiBeG wieder zur Geltung verhelfen wollen, überrascht schon ein wenig. Schließlich hatten sie in der vergangenen Wahlperiode in fast ähnlicher Besetzung auch ein Volksbegehren, jedoch genau gegen dieses Gesetz, durchgeführt.
Damals blieb Ihnen allerdings der Erfolg versagt, den sie jetzt mit ihrer Initiative erzielt haben. Dies dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass die Initiatoren aus den Erfahrungen der damaligen Geschichte des Volksbegehrens gelernt haben. Einen Hauptgrund für diesen Erfolg sehen wir allerdings auch darin, dass das Volksbegehren diesmal insbesondere logistisch massiv durch die PDS und durch die DGB-Gewerkschaften unterstützt und gefördert wurde und wird.
Ich will in keiner Weise in Abrede stellen, dass das völlig legitim ist, wenn sich die Initiatoren des Volksbegehrens mit den DGB-Gewerkschaften und der PDS verbünden. Es muss aber erlaubt sein, auf diese enge politische Verbindung hinzuweisen.