Protocol of the Session on July 8, 2004

Ich möchte einige weitere wesentliche Inhalte des Gesetzentwurfs nennen. Ausdrücklich gestärkt werden soll das pädagogische Profil der Sonderschulen. Die Sonderschulen werden, einer KMK-Empfehlung folgend, künftig als Förderschulen arbeiten und zum Teil auch Förderzentren bilden, die auch Regelschulen einbeziehen.

Die Schuleingangsphase, deren Einführung bisher von der Gesamtkonferenz beschlossen wurde, hat sich aus der Sicht der Landesregierung bewährt und wird nun landesweit an allen Grundschulen eingerichtet. Zurückstellungen schulpflichtiger Kinder soll es dann nur noch in ganz besonderen Ausnahmefällen geben. Dies bedeutet zugleich eine hohe Verantwortung der beteiligten Grundschulen, die wir ihnen allerdings auch zutrauen, und bei der künftig auszugestaltenden Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtungen und Schulen.

Von besonderer Bedeutung für die Schulen in freier Trägerschaft sind die Änderungen in § 14, mit denen die Regelungen für die Schulaufsicht präzisiert werden, und in § 16a, in dem die Bestimmungen für Lehrkräfte und Schulleitungen der freien Schulen zusammengefasst und auch Verwaltungsvereinfachungen vorgenommen

werden. Hierbei geht es unter anderem um Gleichwertigkeitsregelungen anstelle strikter formaler Vorgaben hinsichtlich der Lehrpläne bzw. der Unterrichtsorganisation oder auch der Beschäftigung von Lehrerinnen und Lehrern bzw. bei der Feststellung von deren Qualifikation.

Um die Beratungen in der Gesamtkonferenz der Schulen künftig effizienter zu gestalten, soll die Zahl der stimmberechtigten Mitglieder gemäß § 29 auf insgesamt 33 begrenzt werden.

Das Recht der Gesamtkonferenz, die Schulleiterin oder den Schulleiter zu wählen, wird durch das Recht auf Anhörung mit dem Ziel der Einigung ersetzt. Die bisherige Regelung stieß nicht nur auf verfassungsrechtliche Bedenken. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass in der Vergangenheit oder auch in der überschaubaren Zukunft kaum neue Schulleiter bestellt werden konnten bzw. können, geht das derzeitige Wahlrecht in der Gesamtkonferenz an der Wirklichkeit vorbei. Hierbei sind vielmehr sachliche bzw. funktionale Entscheidungen vonnöten, die angesichts der in der Praxis sehr eingeschränkten Handlungsalternativen kaum aus freien Auswahlverfahren heraus zu treffen sind. Um so wichtiger ist dann allerdings das Einigungsprinzip.

Von besonderer Bedeutung ist überdies die Änderung in § 41, nach der ab dem 1. August 2006 - wohlgemerkt im Jahr 2006 erst - die Schulträger die Möglichkeit haben sollen, auf die Festlegung von Schuleinzugsbereichen für die Grund- und Sekundarschulen zu verzichten. Dies ermöglicht es den Schulträgern, nach den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort auf die Festlegung solcher Schulbezirke zu verzichten, um den Eltern die Wahl der Schule zu überlassen. Es handelt sich übrigens hierbei um eine Kannbestimmung - bewusst auch erst ab August 2006 -, von der die Schulträger Gebrauch machen können, sobald sie die Voraussetzungen dafür unmittelbar vor Ort als erfüllt ansehen.

Wie in anderen Bundesländern auch haben die Schulen zukünftig das Recht und die Pflicht, auch die Eltern volljähriger Schüler über wesentliche Vorgänge zu informieren. Zu denken ist hierbei zum Beispiel an kritische Tendenzen der Leistungs- und Verhaltensentwicklung, aber auch an verhängte Ordnungsmaßnahmen, Nichtversetzungen oder gefährdete Abschlüsse. Der Schüler oder die Schülerin kann Widerspruch dagegen erheben, wenn er oder sie volljährig ist. In diesem Fall sind aber die Erziehungsberechtigten über den Widerspruch in Kenntnis zu setzen.

Auch das Problem der Schulverweigerung wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf angesprochen. Natürlich sind zunächst alle erzieherischen und pädagogischen Mittel auszuschöpfen, um die Schulpflicht durchzusetzen. Als äußerstes Mittel muss es aber auch möglich sein, dass Schulverweigerer gegen ihren Willen zur Schule gebracht werden.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Die entsprechende gesetzliche Grundlage hierfür wird in § 44a geschaffen.

Diese kurze Zusammenfassung möchte ich beschließen mit einem Änderungsvorschlag, meine Damen und Herren, von dem ich weiß, dass er quer durch die bildungspolitischen Lager sowohl auf dezidierte Zustimmung als auch auf strikte Ablehnung stoßen wird. Er betrifft die Aufnahme in das Gymnasium. Es ist ja bekannt, dass rund 33 % der Grundschüler eine Schullaufbahnempfeh

lung für das Gymnasium erhalten. Tatsächlich wechseln aber nach dem vierten Schuljahr weit über 40 % der Schülerinnen und Schüler auf das Gymnasium oder in den Gymnasialzweig der kooperativen Gesamtschulen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Landesregierung will sich nicht an Diskussionen darüber beteiligen, für wie viel Prozent der Schüler das Gymnasium nun die geeignete Schulform ist und für wie viel nicht.

(Zustimmung bei der CDU)

Es geht auch nicht etwa darum, die Sekundarschulen sozusagen krampfhaft mit Schülern zu beschicken.

Eines kann aber niemandem gleichgültig bleiben, nämlich die zum Teil dramatischen Brüche im Lebenslauf eines Schülers bzw. einer Schülerin, der oder die im Gymnasium überfordert wird und dann zur Sekundarschule wechseln muss. Solche Irritationen der Selbstgewissheit und der Lernmotivation müssen wir den Schülerinnen und Schülern ersparen; es sei denn, wir wären bereit, die Ansprüche des Gymnasiums sukzessive herabzusetzen. Das wiederum können wir uns schon aus Gründen des Anspruchsniveaus der allgemeinen Hochschulreife - das ist und bleibt das Ziel dieses Bildungsgangs - unter gar keinen Umständen leisten.

Es gibt also in der Tat hin und wieder Fälle, bei denen Elternwille und Kindeswohl nicht auf den ersten Blick in Übereinstimmung zu bringen sind. Man kann dann immer noch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. In jedem Fall muss aber eine wohlüberlegte Entscheidung herbeigeführt werden. Es wäre unfair, jedem, der darüber nachdenkt, gleich unredliche oder undemokratische Motive in Bezug auf die Bildungsbeteiligung zu unterstellen.

Wichtiger als all das ist es ohnehin, die Sekundarschule so attraktiv zu machen, dass sie ihrem Anspruch, gegenüber dem Gymnasium ein gleichwertiger Bildungsgang anderen Profils zu sein, tatsächlich gerecht werden kann. Dass wir dabei in der Bringschuld sind, darf ich wohl ohne Weiteres einräumen.

Der Regierungsentwurf sieht nun vor, dass Schülerinnen und Schüler, die nach dem Elternwillen auf ein öffentliches Gymnasium gehen sollen, ohne über eine entsprechende Schullaufbahnempfehlung zu verfügen, nur in das Gymnasium wechseln können, wenn Sie vorher erfolgreich eine Leistungsfeststellung absolviert haben. Nach meinem Vorschlag sollte diese an dem aufnehmenden Gymnasium stattfinden. Es steht für mich außer Frage, dass eine solche Feststellung nicht einfach eine Prüfung des vorhandenen Wissensstandes sein kann, sondern wie die Schullaufbahnempfehlung selbst auch die perspektivischen Potenziale eines Kindes in Betracht ziehen muss.

(Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

Für dieses Verfahren müssen wir also in der Tat noch genaue methodische und konzeptionelle Anleitungen ausarbeiten. Es ist eine hohe Verantwortung, die dem aufnehmenden Gymnasium auferlegt wird, an diesen Entscheidungen maßgeblich mitzuwirken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat zu dem vorliegenden Gesetzentwurf eine Anhörung durchgeführt. Dabei hat es nicht überrascht, dass die Vielfalt der vorgesehenen Regelungen in den Anhörungsbeiträgen auch zu jeweils unterschiedlichen Kritiken und unterschiedlichen Anregungen geführt hat.

Was die weitere Beratung des Gesetzentwurfes betrifft, erinnere ich daran, dass dem Ausschuss für Bildung und Wissenschaft auch ein Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Änderung des Schulgesetzes vorliegt. Beide Gesetzentwürfe haben nach meiner Ansicht in durchaus nennenswertem Umfang gemeinsame Themen. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn die Beratungen im Ausschuss dazu führten, dass zumindest einige der Schulgesetzänderungen einvernehmlich beschlossen würden. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister, für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Wir treten jetzt in eine Debatte mit einer Redezeit von fünf Minuten je Fraktion ein. Als Erste erhält für die SPD-Fraktion die Abgeordnete Frau Mittendorf das Wort. Bitte sehr, Frau Mittendorf.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich der Ältestenrat für die heutige Gesetzesberatung wohl aus Bedenken vor einem erneuten bildungspolitischen Schlagabtausch heraus nur auf eine Fünfminutendebatte verständigt hat. Das ist für dieses schwierige Thema und diesen umfangreichen Gesetzentwurf doch etwas wenig Zeit.

(Herr Scharf, CDU: Man kann auch in drei Minu- ten viel sagen! - Herr Gürth, CDU: Wer, wenn nicht die Bildungspolitiker, sollten in der Lage sein, wichtige Dinge kurz und knapp darzustel- len!)

Es ist bereits angesprochen worden, dass wir in diesem Gremium bereits über viele schulpolitische Reformen gesprochen haben und selten im Konsens auseinander gegangen sind.

Ich möchte deshalb gleich zu einem Kernpunkt unserer Kritik kommen. Im Zentrum unserer Kritik an dem vorliegenden Gesetzentwurf steht jene Regelung, die in § 34 formuliert ist, die von der Landesregierung nachträglich aufgenommen wurde und gar nicht Gegenstand der Anhörung über den Gesetzentwurf war, nämlich die Beschneidung des bisher freien Zugangs zum Gymnasium.

Meine Damen und Herren! Diese Regelung lehnen wir entschieden ab; denn hiermit einfolgt ein Eingriff in das Recht der Eltern auf die freie Wahl des Bildungsganges und damit eine Einschränkung des Zugangs zu höherer Bildung.

Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen: Schon die bisherige Regelung zur Trennung der Bildungswege nach Klasse 4 halten wir für falsch, da sie die Bildungsbiografien zu einem zu frühen Zeitpunkt vorbestimmt. Das geht gegen jeden internationalen Trend.

Außerdem ist zu bemerken, dass im Rahmen einer aktuellen Untersuchung des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund in einer repräsentativen Befragung zur Bildung in Deutschland festgestellt wird, dass sich mindestens 44 % der deutschen Eltern längeres gemeinsames Lernen wünschen; für die neuen Länder gilt das für bis zu 63 % der Eltern.

Wir alle wissen, dass die Übergangsquoten von Schülern der Sekundarschule an das Gymnasium nach einer

einmal getroffenen Schullaufbahnentscheidung äußerst niedrig sind. Bis jetzt haben die Schullaufbahnempfehlungen nur einen empfehlenden Charakter. Letztlich haben die Eltern das Entscheidungsrecht. Das ist auch gut so.

Damit soll es aber, wenn man dem Willen der CDUFDP-Landesregierung folgt, vorbei sein. Die Schullaufbahnempfehlung soll einen verbindlichen Stellenwert erhalten und die Grundschullehrkräfte sollen bei Neun- bis Zehnjährigen über deren angebliche Tauglichkeit für einen gymnasialen Bildungsweg entscheiden. Das ist eine ungeheure Verantwortung; denn eine Laufbahnentscheidung gegen das Gymnasium kann dann nur noch durch eine positive Leistungsfeststellung aufgehoben werden. Das Prozedere einer solchen Leistungsfeststellung ist gegenwärtig nicht bekannt. Der Herr Minister hat dies selbst angesprochen.

Über die Prognosesicherheit von Schullaufbahnempfehlungen kann nur spekuliert werden.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Über 90 %!)

Einschlägige Untersuchungen gehen von einer beträchtlichen Fehlerquote aus.

Wir müssten aber alles tun, um den Anteil von Abiturienten und Studierenden zu erhöhen, um mittel- und langfristig den Bedarf an akademisch ausgebildeten Arbeitskräften abzudecken.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren! An dieser Stelle muss man sich Folgendes vergegenwärtigen: Vor gerade einmal zwei Jahren wurde durch die gleiche Landesregierung die Grundschule mit festen Öffnungszeiten in eine Grundschule mit verlässlichen Öffnungszeiten umgewandelt. Frau Feußner von der CDU begründete diese Gesetzesänderung damals wie folgt - ich zitiere aus dem Protokoll -:

„Wenn wir heute das Gesetz zur Grundschule mit verlässlichen Öffnungszeiten beschließen, dann werden wir nicht nur ein Wahlversprechen einlösen, sondern wir tragen dazu bei, dass das Elternrecht wieder gestärkt wird.“

(Frau Feußner, CDU: Jawohl! - Herr Gürth, CDU: Da hat Sie Recht!)

Kultusminister Olbertz unterstrich:

„Mit diesem Gesetzentwurf geht es um die Wiedereinsetzung des Elternwillens, was ganz entschieden mehr als eine Marginalie ist.“

Sehr richtig, Herr Olbertz.

(Zustimmung bei der SPD)

Noch im September 2003 lehnte der Ausschuss für Bildung und Wissenschaft parteiübergreifend eine Resolution des Kreistages von Bernburg zur Beschränkung des Zugangs mit der Begründung ab, dass der Elternwille uneingeschränkt zu respektieren sei. Dies war nicht nur die Meinung aller Ausschussmitglieder, nein, auch der Kultusminister schloss sich dieser Meinung an und riet sogar von einem Verfahren ab, in den Elternwillen durch Leistungsüberprüfung bzw. Eignungstest einzugreifen.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Ja! Zu dem Zeit- punkt!)

Solch eine gemeinsame Positionierung aller Bildungspolitiker des Landes ist nichts Alltägliches und sollte