Protocol of the Session on June 21, 2002

(Beifall im ganzen Hause)

Als nächstem Redner erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Thiel von der PDS-Fraktion das Wort. Bitte sehr, Herr Dr. Thiel.

Nun liegt der Gesetzentwurf vor, auf den die Unternehmer und Investoren im Land Sachsen-Anhalt seit dem 21. April warten und von dem eine Signalwirkung ausgehen soll. Aber vorerst bleibt festzustellen, dass ein Großteil der Unternehmen in Sachsen-Anhalt davon nicht viel haben wird, denn deren wirtschaftliche Lage

bleibt von diesem Gesetzentwurf im Allgemeinen unberührt.

Das sage ich Ihnen nicht nur als Kollege, sondern auch als Unternehmer, der sich ständig dem öffentlichen Wettbewerb stellen muss. Es ist doch sehr augenscheinlich, dass der vorliegende Gesetzentwurf eine mehr als höfliche Verneigung vor der Landesvereinigung der Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände Sachsen-Anhalt e. V. für die im Wahlkampf erbrachte Unterstützung ist.

(Zustimmung bei der PDS und bei der SPD - Herr Scharf, CDU: Das ist doch Quatsch! - Herr Gürth, CDU: Unsinn!)

Für eine ausgewogene Wirtschaftspolitik reicht es eben nicht aus, die Interessen einzelner Gruppen zu berücksichtigen - damit wäre das Entstehen neuer Schieflagen programmiert -; vielmehr sind die Interessen aller am Wirtschaftskreislauf Beteiligten zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob sie Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, Investor oder Konsument sind.

(Zustimmung bei der PDS)

Das Ziel des eingebrachten Gesetzentwurfes sollte doch eigentlich darin bestehen, Verordnungen zu entbürokratisieren und Investitionen zu erleichtern. Dieser Absicht wird sich die PDS generell nicht verschließen. Jedoch macht der Entwurf eine Reihe von Problemen deutlich, über die man doch einmal sprechen muss. Was ist im Einzelnen anzumerken?

Zum Artikel 1 - Änderung der Bauordnung. Im Artikel 1 ist zu lesen, dass durch den Verzicht auf die Prüfung verschiedener Maßnahmen eine Beschleunigung des Baugenehmigungsverfahrens eintritt und dadurch eine Gebührenminderung erzielt wird. Bei näherer Betrachtung haben wir es aber mit einer Kostenverlagerung zu tun. Durch den Prüfverzicht wird diese Prüfung zwar aus dem Genehmigungsverfahren verschoben, aber nach der Fertigstellung des Baus ist auf jeden Fall eine Prüfung vorzunehmen. Wenn all die Maßnahmen, die im Genehmigungsverfahren nicht überprüft worden sind, Fehler aufweisen und eventuell zurückgeführt werden müssen, dann kann das für den Bauherrn sehr teuer werden.

(Herr Kühn, SPD: Aber das schafft Arbeit! Das meinen die vielleicht!)

- Möglicherweise.

Zum Artikel 2 - Änderung des Denkmalschutzgesetzes. Die PDS-Fraktion wird die beabsichtigten Veränderungen des Denkmalschutzgesetzes ablehnen. SachsenAnhalt als denkmalreiches Kulturland hat laut Expertenmeinung eines der modernsten Denkmalschutzgesetze,

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

das dem Auftrag zum Schutz der Denkmale in umfassender Weise gerecht wird. Die im Gesetzentwurf genannten Änderungsabsichten bergen durchaus die Gefahr einer dauerhaften Schädigung unserer Denkmallandschaft.

(Herr Kühn, SPD: Richtig!)

Sinnvolle Regelungen zur Beschleunigung bestimmter Verfahren können durchaus auf untergesetzlicher Ebene angeschoben werden, ohne die strengen Bestimmungen aufweichen zu müssen.

Was sehen die Einbringer anders? - Wir sehen vor allem, dass man im Hinblick auf die Erhaltung von Denkmälern die wirtschaftliche Zumutbarkeit vor die eigentliche Denkmalerhaltungspflicht setzt. Das bedeutet nach unserer Ansicht eine grundsätzliche Gefährdung der Substanz.

(Herr Kühn, SPD: Es ist gar nicht definiert, was „wirtschaftlich“ ist!)

Dass Entscheidungen über Denkmale grundsätzlich nicht mehr im Einvernehmen zwischen der unteren Denkmalschutzbehörde und dem zuständigen Denkmalfachamt,

(Zuruf von Herrn Schomburg, CDU)

sondern nur noch im Benehmen, also per Mitteilung, getroffen werden, halten wir ebenfalls für inakzeptabel.

Im Land Sachsen-Anhalt gibt es gegenwärtig 50 000 Denkmale. 35 000 davon sind vom Landesamt für Denkmalpflege erfasst. In der Begründung zum vorliegenden Gesetzentwurf heißt es aber, dass zwölf Jahre nach der Wiedervereinigung offensichtlich alle wesentlichen Denkmale erfasst sind. Das heißt, es gibt noch ca. 15 000 Objekte, die Sie als unwesentliche Kulturgüter bezeichnen. Dagegen verwahren wir uns.

(Zustimmung bei der PDS, von Frau Budde, SPD, und von Herrn Kühn, SPD)

Uns allen sollte klar sein: Wenn wir dieses Gesetz öffnen, dann wären zumindest das Bodenschutzgesetz und das Naturschutzgesetz ebenfalls anzupassen. Auf die Ausführungen, die dann kommen werden, sind wir schon sehr gespannt.

Zum Artikel 3 - Aufhebung des Vergabegesetzes. Vor dem Hintergrund, dass der Ministerpräsident Herr Böhmer noch vor kurzem einer tatsächlichen Entbürokratisierung dieses Gesetzes das Wort redete und in der Koalitionsvereinbarung geschrieben steht, dass Gesetze einer Wirtschaftlichkeitsverträglichkeitsüberprüfung unterzogen werden sollen - interessanterweise nicht einer Wirtschaftlichkeitsüberprüfung -, ist es aus unserer Sicht unseriös, ein Gesetz abzuschaffen, ohne für eine entsprechende Nachfolgeregelung zu sorgen.

Wir haben nämlich nicht nur mit Verbänden und Vereinigungen, sondern auch mit betroffenen Unternehmen gesprochen und ein durchaus differenziertes Bild zur Situation ausmachen können. Gerade angesichts der Krise der Bauwirtschaft und der berechtigten Klagen der Bauunternehmer über einen rapiden Preisverfall kommt den öffentlichen Auftraggebern eine besondere Verantwortung bei der Vergabe von Aufträgen zu.

Ein Jahr praktischer Anwendung in Sachsen-Anhalt hat gezeigt, dass eine Reihe von Regelungen dieses Gesetzes durchaus zu überprüfen sind. Manche der Durchführungsbestimmungen sind tatsächlich zu spät gekommen, wie der Erlass vom April 2002.

Wenn auch in der Begründung auf eine finanzielle Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte durch das Vergabegesetz hingewiesen wird, so ist man uns doch den Nachweis dafür schuldig geblieben. Es ist dagegen empirisch belegt, dass Auftragsvergaben an nicht auskömmlich kalkulierende Bieter wegen mangelhafter Qualität, notwendiger Nachträge, mangelnder Termintreue und ausbleibender Gewährleistung in einer Gesamtkostenschau tatsächlich teurer werden, als ursprünglich bei der Zuschlagserteilung erwartet. Dann ist in der Tat

eine erhöhte Belastung der öffentlichen Haushalte festzustellen.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Gerade die Nachweisführung über eine exakte Kalkulation, die eigentlich jeder Unternehmer beherrschen sollte und muss, ist einer der zentralen Punkte des gegenwärtigen Vergabesystems. Die von Ihnen vorgesehene Streichung erhöht damit das Risiko für die öffentliche Hand.

(Frau Fischer, Merseburg, CDU: Aber auch in der VOB, Herr Dr. Thiel!)

- Richtig. Aber die VOB geht eben an bestimmten Stellen nicht so weit, wie wir es in der Vergabepraxis eigentlich wünschen.

So wissenschaftlich korrekt die bereits angeführte ISWStudie zur Bewertung der Effektivität des Vergabegesetzes auch sein mag, es ist zu berücksichtigen, dass sie zu einem Zeitpunkt angefertigt und ausgewertet wurde, als das Gesetz noch in den Kinderschuhen steckte und erst einmal mit seinen Kinderkrankheiten fertig werden musste. Wir hätten gern die Chance gehabt, das Kind noch ein wenig zu schaukeln, bevor Sie es mit dem Bade ausschütten wollen.

(Beifall bei der PDS - Zuruf von Herrn Laaß, CDU)

Die PDS vertritt deshalb folgende Positionen: Eine gesetzliche Vergaberegelung zur Gewährleistung auskömmlicher Baupreise ist notwendig. Das bestehende Vergabegesetz sollte nicht ersatzlos gestrichen werden. Eine Nachfolgeregelung muss ohne zeitliche Lücke unmittelbar an die bisherigen Regelungen anzuschließen sein.

(Beifall bei der PDS)

Des Weiteren ist es unbedingt notwenig, eine weitergehende Arbeitshilfe für Vergabestellen zu erlassen, nach der die Auskömmlichkeit der Baupreiskalkulation leicht zu ermitteln ist.

Wir sind der Auffassung, dass das Vergabegesetz eine der entscheidenden Möglichkeiten ist, mit denen nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern in der Bundesrepublik insgesamt der Erhalt der tariflichen, der sozialen und der Sicherheitsstandards sowie die Bindungswirkung der Flächentarifverträge durch politisches Handeln unterstützt wird.

Es sei mir erlaubt, hierzu einen aktuellen Standpunkt der Gewerkschaften in unserem Land zu zitieren:

„Eine positive Wirtschaftsentwicklung und Investitionen sind nur dann zu erwarten, wenn Wettbewerb nicht frühkapitalistisch, sondern durch Qualität mit tarifgerechter Entlohnung ausgetragen wird.“

Dem stimmen wir voll zu.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Frau Budde, SPD, und von Herrn Metke, SPD)

Selbst die sächsische Regierung, meine Damen und Herren von der Koalition, die Sie immer hoch loben, hat kürzlich ein entsprechendes Gesetz zur Vergabe öffentlicher Aufträge beschlossen, das zum 1. September 2002 in Kraft treten soll. Die geplante Aufhebung unseres Gesetzes wird außer zur Freude der Sachsen sicherlich auch zur Freude der Kollegen aus Bayern beitragen. Deren Vergabegesetz verhindert zumindest,

dass Unternehmen aus Sachsen-Anhalt dort erfolgreich agieren können.

Man muss allerdings sagen, dass die Vergabe von Bauleistungen durch andere Bundesländer einen Anteil von ca. 1 % an dem Umsatzvolumen unserer einheimischen Bauunternehmen ausmacht. - So viel zum Vorteilsfaktor Ost im Hinblick auf Löhne und Tarife.

Es ist zwar durchaus denkbar, dass künftig die Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand wirksam gefördert wird, wenn nach der Osterweiterung der EU die Bauunternehmen aus Polen und Tschechien zu sehr günstigen Konditionen hier Aufträge ausführen werden; aber die Steuern werden sie in ihrem eigenen Heimatland entrichten. Unseren einheimischen Unternehmen werden sie einen sehr unfairen Wettbewerb liefern, wenn wir dem hier nicht rechtzeitig begegnen.

(Zustimmung bei der PDS)

Zu Artikel 4 - Zuständigkeiten im Immissionsschutz-, Gewerbe- und Arbeitsschutzrecht. Hierin wird mit der magischen Zahl von 10 000 Einwohnern agiert, obwohl im Entwurf zu dem so genannten Gesetz zur Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung solchen Zahlenspielen im Zusammenhang mit der Funktional- und Kommunalreform eine deutliche Absage erteilt werden soll.

(Zustimmung von Herrn Grünert, PDS)