Protocol of the Session on June 21, 2002

Meine Damen und Herren! Ich will noch etwas deutlicher werden. Wir werden das Gesetz ablehnen, aber es wird trotzdem in die Ausschüsse überwiesen werden. Die beratenden Ausschüsse haben nach der Überweisung gerade einmal zwei Wochen Zeit, um sich mit den geplanten Änderungen auseinander zu setzen, zumal die konzeptionellen Änderungen bzw. Fragen der Schülerbeförderung und das, was es an Nachregelungen zu besprechen gäbe, per Verordnung geregelt werden sollen.

(Frau Feußner, CDU: Es gibt keine Nachregelung für die Schülerbeförderung! Sie verstehen das nicht!)

- Davon wissen wir noch nichts. Wann erfährt man das?

(Zuruf von der CDU: Zuhören! - Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren! Ein seriöses und sachgerechtes Anhörungs- und Gesetzgebungsverfahren ist in diesem Zeitraum eben nicht möglich.

(Zustimmung bei der SPD)

Zwischen der geplanten Verabschiedung des Gesetzentwurfes am 18. oder 19. Juli und dem Beginn des neuen Schuljahres liegen ganze acht Tage. Wohlgemerkt, es sind Ferien. Es könnte zudem das Kuriosum eintreten, dass zum Schuljahresbeginn Gesetz und Verordnung noch gar nicht veröffentlicht sind.

(Frau Feußner, CDU: Dafür werden wir schon sorgen!)

Beide sind jedoch erst nach der Veröffentlichung wirksam.

(Frau Feußner, CDU: Richtig!)

Lehrer, Schüler und Eltern haben somit zum neuen Schuljahr keine Vorstellungen über das pädagogische Konzept,

(Herr Schomburg, CDU: Dann lesen Sie den Gesetzentwurf, bevor Sie darüber reden! Darin steht: im August in Kraft! - Herr Gürth, CDU: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?)

geschweige denn über die personellen Rahmenbedingungen sowie über andere nachfolgende Regelungen. Das ist eigentlich unglaublich.

(Herr Schomburg, CDU: Das ist unglaublich, was Sie sagen!)

Meine Damen und Herren! Warum soll unter Missachtung demokratischer Prinzipien ein Gesetz durch den Landtag gejagt werden? Warum, meine Damen und Herren, haben die Betroffenen an den Grundschulen nicht die Möglichkeit, sich angemessen öffentlich in die Diskussion einzubringen? - Ich setze bei meiner Frage voraus - Herr Olbertz, Sie mögen mir das verzeihen -, dass Sie inzwischen wissen, wie die Ferienzeiten in Sachsen-Anhalt sind.

Bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung an der Otto-von-Guericke-Universität am 22. Mai 2002 sagte der Kultusminister: Wir brauchen eine grundlegende Reform der Grundschule. Das ist richtig und das unterstreiche ich nachdrücklich. Ich fand es auch sehr gut, dass er das zusätzlich zu dem gesagt hat, was mit diesem Gesetzentwurf zusammenhängt.

Trotzdem muss ich die Frage an die regierungstragenden Fraktionen stellen - denn sie bringen das Gesetz ein -: Bedeutet das für die regierungstragenden Fraktionen, ein in vielen Grundschulen bereits erfolgreich praktiziertes pädagogisches Konzept zugunsten des Vorgängermodells rückgängig zu machen, statt einen Wechsel von Lern- und Entspannungsphasen wieder herkömmlichen Unterricht - von mir aus auch mit Projekten und anderem angereichert -, eingerahmt von Hortangeboten, anzubieten?

Meine Damen und Herren! Wenn man über grundlegende Reformen an der Grundschule redet, dann muss man es auf mehreren Ebenen tun. Reformen brauchen wir gerade nach der Pisa-Studie ganz sicher im Stundenangebot der Grundschule. Wir brauchen vor allen Dingen aber auch ein Aufbrechen der herkömmlichen Unterrichtsmethodik. Dazu zählen wir das an den Grundschulen mit festen Öffnungszeiten praktizierte integrative

Unterrichtsmodell, das Sie, meine Damen und Herren, gerade wieder abschaffen wollen.

(Beifall bei der SPD - Frau Feußner, CDU: Das behaupten Sie! Das stimmt einfach nicht!)

Meine Damen und Herren! Die einbringenden Fraktionen und die Landesregierung verkaufen ihren Gesetzentwurf in der Öffentlichkeit jedoch fälschlicherweise als bloße Änderung der verpflichtenden in verlässliche Öffnungszeiten, sonst bliebe alles beim Alten.

Herr Minister und Frau Feußner, das glauben Sie doch nicht wirklich. Sie wurden gestern mit den Worten zitiert, dass es sich nur um eine technische Änderung handelt, die kurzfristig bewältigt werden kann.

(Frau Feußner, CDU: Natürlich!)

Diese Ignoranz ist verblüffend, die ist abenteuerlich.

Eines muss ich Ihnen sagen: Für Kurzfristigkeit sorgen Sie in der Tat selbst. Bei einer grundlegenden Änderung des konzeptionellen Ansatzes lapidar von einer technischen Veränderung zu reden, das grenzt an Zynismus.

(Zustimmung bei der SPD - Frau Feußner, CDU: Also, Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden, Frau Mittendorf! Das ist eine Frechheit, was Sie uns hier unterstellen!)

Ich gebe Ihnen gern darin Recht, dass die eingeführte Grundschule mit festen Öffnungszeiten mit ihren abwechselnden Lern-, Entspannungs- und Übungsphasen recht gut angenommen wird.

(Herr Gürth, CDU: Zwang!)

Aber das war uns schon vor Ihrer Feststellung bewusst. Dass sich mit Ihrem Gesetzentwurf nichts ändern wird, das ist falsch. Aufgrund der Freiwilligkeit bestimmter Abschnitte ist dieses Konzept eben nicht mehr in der bekannten Form umsetzbar; die methodische Konzeption ist nicht durchsetzbar.

(Herr Schomburg, CDU: Das unterstellen Sie!)

Oder - die Frage muss man schon stellen dürfen - geht es Ihnen bei diesem Gesetz nur darum, politische Handlungsstärke zu demonstrieren unter dem Motto „Versprochen ist versprochen“?

(Frau Feußner, CDU: Wir machen aber nicht „ver- sprochen - gebrochen“! Das machen wir nicht!)

Aber dann, meine Damen und Herren, tun Sie das zulasten unserer Schülerinnen und Schüler.

Die Gewährleistung freiwilliger Eingangs- und Ausgangsphasen setzt nämlich voraus, dass der Pflichtunterricht zusammengezogen wird. Das muss so sein. Nach einer kurzen Eingangsphase würde somit nach den Vorstellungen der Regierungsfraktionen unumgänglich der gesamte Unterrichtsblock folgen müssen und daran würden sich die hortähnlichen freiwilligen Ausgangsphasen anschließen. Da frage ich: Was ist daran neu?

Also, aus unserer Sicht ist der vorliegende Gesetzentwurf unter konzeptionellem und pädagogischem Blickwinkel ein Rückschritt, unabhängig von dem, was Herr Minister Olbertz gesagt hat, nämlich dass die Ausgangs- und Eingangsphasen, wenn sie in einer hervorragenden Qualität angeboten werden, durchaus sehr nützlich sein

können. Aber sie entsprechen nicht dem grundlegenden Konzept, das wir heute eigentlich brauchen.

(Zuruf von Herrn Schomburg, CDU)

Sie, meine Damen und Herren, wandeln, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, ein gerade im Rahmen der Pisa-Debatte von vielen Experten eingefordertes integratives pädagogisches Konzept wieder in ein simples additives System um.

(Zustimmung von Frau Kachel, SPD, und bei der PDS - Frau Bull, PDS: Ja! Genau!)

Der Vorsitzende des Ganztagsschulverbandes - das kommt also nicht von mir - sagte vor kurzem sinngemäß: Es reicht nicht aus, nur längere Betreuungszeiten anzubieten; entscheidend ist ein verändertes pädagogisches Konzept.

(Herr Schomburg, CDU: Ja! Dem kann man zu- stimmen! - Frau Feußner, CDU: Das ist absolut richtig!)

Ich muss jetzt noch einmal aus der Koalitionsvereinbarung bzw. Herrn Olbertz zitieren. Sie sprechen davon, dass es notwendig sei, den Schulen größere Gestaltungsspielräume einzuräumen. Bei der Umsetzung dieses Zieles haben Sie uns auf Ihrer Seite, das versichere ich Ihnen. Dies ist auch für uns ein wesentliches Ziel der inneren Schulreform.

(Zustimmung von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

Aber trägt dieses Gesetz dazu bei, den Grundschulen größere Gestaltungsspielräume zu geben? - Nein, ganz im Gegenteil. Bisher entschied innerhalb der Grundschule mit festen Öffnungszeiten die Gesamtkonferenz einer Schule über das spezifische pädagogische Konzept, über die Abläufe. Beachtet werden konnten eigene Profilausprägungen sowie inhaltliche Schwerpunkte.

Mit Ihrem Gesetzentwurf legen Sie den Grundschulen ein starres Korsett an, in dem sie sich kaum bewegen können. Was, meine Damen und Herren, können die Schulen denn unter diesen Rahmenbedingungen noch konzeptionell selbst entscheiden?

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Natürlich können sie im Rahmen der Pflichtunterrichtsphase eine ganze Menge machen. Über die anderen Dinge muss man dann aber schon einmal reden, und zwar über diesen Verbindungsteil.

Meine Damen und Herren! Es gibt aber noch andere schwerwiegende Fragen, die nicht ausreichend angesprochen bzw. nur gestreift worden sind.

Erstens die Frage des Schülertransports. Der Gesetzentwurf spricht von freiwilligen Betreuungsangeboten vor und nach dem Unterricht. Wenn Sie es ernst meinen, müsste sowohl für die Schülerinnen und Schüler, die eine Eingangs- und Ausgangsphase besuchen, als auch für die Schüler, die nur am Unterricht teilnehmen, ein Schülertransport abgesichert werden.

(Herr Schomburg, CDU: Muss nicht!)

Denn wie soll die groß angekündigte Freiwilligkeit funktionieren, wenn das nicht so ist, wenn einige gleich nach dem Unterricht nach Hause wollen und keine Beförderungsmöglichkeit zur Verfügung steht?