Es ist doch ebenso unrühmlich, dass Kinder zeitweise von den Angeboten der Kindertagesstätten ausgeschlossen werden. Selbst wenn Sie, was wir im Übrigen begrüßen, diese Lebensphase bereits als Bildungsphase begreifen, dann findet Bildung dort eben nicht nur zwischen 9 Uhr und 12 Uhr statt, sondern zieht sich über den ganzen Tag hin. Es handelt sich ja schließlich um ein Bildungskonzept.
Abgesehen davon, dass Kinder nun wirklich nichts für die Arbeitslosigkeit der Eltern dafür können, ist es für viele Kinder eine schwer zu verarbeitende Erfahrung, dass sie nach einem halben Tag bei Erwerbslosigkeit eines Elternteils die Kindertagesstätte verlassen müssen. Natürlich können und sollten sich diese Eltern auch um ihre Kinder kümmern, was im Übrigen für die anderen Eltern genauso gilt.
Natürlich sind ein liebevolles Zuhause und eine gute Familie immens wichtig. Da die Kindertagesstätte nicht das Elternhaus und umgekehrt das Elternhaus nicht die
Kindertagesstätte ersetzen kann, sind beide zusammen ein richtig starkes Paar zur Entwicklung der kindlichen Potenziale.
Wenn Eltern ihre Kinder früher holen wollen, so soll das möglich sein, aber nicht erzwungen werden. Wie gesagt: Im Mittelpunkt der Entscheidung sollten die Interessen der Kinder stehen. Ich sehe da keinen Widerspruch zu Interessen und Hoffnungen von Eltern.
Meine Damen und Herren! Dass sich die Generationen immer weniger zu verstehen scheinen, immer weniger voneinander wissen, wird gern einmal propagiert, vor allem dann, wenn gerade wieder etwas Schreckliches passiert ist. Dass es aber durchaus auch Wege aus dieser Ohnmacht geben kann, wird bei politischen Entscheidungen oftmals ausgeblendet, wie eben auch hier im Lande. Wie sonst wäre es zu erklären, dass Kinder- und Jugendarbeit, Kinder- und Jugendhilfe, Schulsozialarbeit durch Entscheidungen auf Landesebene in ihrer Existenz bedroht sind oder eingestellt werden mussten? Dieser Teil fehlt in der Regierungsbilanz völlig.
Soziale Auflösungserscheinungen der Gesellschaft, Generationenkonflikte haben immer eine längere Vorgeschichte. Wenn Kindern und Jugendlichen ein offizielles Bild über sie selbst vermittelt wird, das sie zum Problemfall für die Gesellschaft als Gemeinschaft macht, dann werden sie diese Gesellschaft auch nicht als Gemeinschaft wahrnehmen.
Junge Leute reagieren darauf natürlich völlig normal. Sie nehmen ihr Umfeld nicht als Gemeinwesen wahr, und sie konzentrieren sich dann natürlich vor allem auf ihren eigenen Lebensabschnitt, auf ihre eigene Lebensperspektive. Der Ministerpräsident hat im Falle fehlender Perspektiven im Land jungen Leuten die Botschaft gesandt, sich dann eben anderswo ihre Chancen zu sichern. Im Unterton - das finde ich fatal - schwingt die Botschaft mit, dass wir dann ohne sie auskommen werden.
Ich sage: Wir können es nicht, wir schaffen es nicht oder die nachwachsenden Generationen. Deshalb muss die Botschaft sein, dass sie in unserer politischen Rangliste einen Platz ganz oben einnehmen. Wenn aber permanent in diesen Bereichen gekürzt wird, dann sind nicht nur die Zahlen selbst das Problem, sondern auch das damit verbundene Signal.
Ein Eindampfen von Bildungsausgaben setzt sich fort. Studium, Lehre und Forschung drohen Substanzverluste in Qualität und Quantität. Im Hinblick auf die morgige Debatte über die Novelle zum Hochschulgesetz will ich nicht auf sehr viel Einzelnes eingehen. Eine Frage jedoch muss ich schon erörtern. Die Frage ist: Wird Ihre Wissenschaftspolitik dem Land mehr und neue qualitative Wachstumspotenziale erschließen? Werden junge Leute und Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler einerseits an unseren Hochschulen einen Entwicklungsraum finden, der ihren eigenen Maßstäben an Bildung jenseits vom Rechtfertigungsdruck ökonomischer und beruflicher Verwertbarkeit Chancen eröffnet?
Können sie andererseits die Perspektive eigenständiger wirtschaftlicher, beschäftigungspolitischer, sozialer und
ökologischer Entwicklung dieses Landes nachhaltig mitprägen? Wissensbasierte Produktion und innovative Technologien und Produkte bedürfen motivierter und engagierter Fachkräfte, aber eben auch mit einem kritischen Blick fürs Ganze. Sie werden zugleich eine wichtige Brücke für die Weiterentwicklung der mittelständischen Basis schlagen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickeln sich aktuell zu einem neuen Unternehmertyp.
In der Hochschulpolitik des Landes stehen Strukturentscheidungen auf der Tagesordnung, die auch jene Angebote ausdünnen, die insbesondere von Studentinnen, teils mit Kind, belegt wurden. Konkrete Beispiele sind die Verlagerung der Heilpädagogik und der Lehramtsausbildung, bei denen der Anteil weiblicher Studierender deutlich höher ist. Diese werden vielfach den verlagerten Studiengängen im Lande nicht folgen, sondern das Land verlassen bzw. gar nicht erst kommen.
Wenn wir aber wissen, dass überdurchschnittlich viele junge qualifizierte Frauen - das ist statistisch erwiesen - dieses Land heute schon verlassen, dann müssen wir solche Entwicklungen erst recht revidieren.
Herr Ministerpräsident! Meine Damen und Herren! Familienpolitik ist jetzt Ihr ganz, ganz großes Zauberwort. Da droht die Ersetzung von Gleichstellung durch Familienbeauftragte. Ein politischer Ansatz gerät in Widerspruch zur Umsetzung der grundgesetzlichen Pflicht, auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken, nicht nur bezogen auf Familien.
Das Aufgabenspektrum wird eingegrenzt, und der Gender-Mainstreaming-Ansatz droht sich zu verlieren. Trotz Ihrer Politik wird es glückliche Familien in SachsenAnhalt geben, die sich mit Problemen herumschlagen müssen, für die Familienbeauftragte oder eben das geplante Familienleistungsgesetz dann keine Angebote und Hilfen geben können. - Ich habe das gestern noch einmal für mich Revue passieren lassen: Es riecht alles nicht nach 20. Jahrhundert, sondern es riecht verdächtig nach 19. Jahrhundert.
Die Frauen von heute erwarten zu Recht, dass sie sich nicht als familienpolitisches Problem in offizieller Politik wiederfinden. Da möchte man schon zynisch vermuten: Wenn Frauen - um an dieser Stelle Herrn Biedenkopf zu zitieren - nicht eine so ausgeprägte Erwerbsneigung hätten, dann wäre es aus Ihrer Sicht, also aus der Sicht der CDU, um Demokratie und Familie weit besser bestellt.
Manche Ideen der Landesregierung gehören für mich schon aufs Kleinkarierte. Dieser fehlende Blick nach vorn, das fehlende Verständnis für langfristige Wirkungen zeigen sich dann eben auch dramatisch im Bereich der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Ammendorf hat für mich, ob Sie es wollen oder nicht, Symbolcharakter. Hochinnovative Technik, eine hochqualifizierte Stammbelegschaft rechnen Sie zu den Spänen, die Globalisierung und Marktwirtschaft halt gelegentlich fallen lassen. Wieder einmal hat es uns getroffen. Was Bombardier im fernen Kanada beschloss, wird sein.
Natürlich, Herr Ministerpräsident, brauchen wir global verbindliche soziale Absprachen. Da habe ich überhaupt
keine Differenz zu Ihnen. Deshalb gebe ich Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich völlig Recht. Aber wer fängt eigentlich wann damit an?
Im Übrigen würde ich zu gern wissen, ob Sie diese schlechte Nachricht bereits nach Ihrem Kanadabesuch im Gepäck hatten und nur nicht der Überbringer sein wollten.
- Ich habe das alles im Konjunktiv formuliert. Ich kann mir ja mal die Frage erlauben. - Bereits damals haben Ministerpräsident und Wirtschaftsminister nämlich nicht eine einzige Sekunde den Eindruck erweckt, als wolle man noch kämpfen.
- Darüber kann man noch reden, was wirklich unverschämt ist. - Wenn es gestern in Berlin einen Aufschub gab, dann ist das einzig und allein der Belegschaft, dem Betriebsrat und der IG Metall zu verdanken.
Mit der Schließung des letzten größeren Produktionsbetriebes in Halle verließe wieder ein ganz schlimmes Signal dieses Land. Weil die Beschäftigten, ihre Familien, die Zulieferer und viele andere mehr um die Zukunft in Halle, um ihre Zukunft im Land kämpfen, haben wir jetzt alle Differenzen zu begraben und nur noch eine einzige Aufgabe: nichts, aber auch gar nichts unversucht zu lassen, um innerhalb einer konzertierten Aktion bis Juni eine Rettung für den modernsten Betrieb Europas im Schienenfahrzeugbau auf die Beine zu stellen. Damit sollten Sie auf der morgigen Ministerpräsidentenkonferenz anfangen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle Helge Klassohn - nicht Marx; ich habe mir das überlegt, ich habe Helge Klassohn genommen -, Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Sachsen-Anhalt, zitieren. Er schrieb unlängst „von der Bewahrung des Menschlichen in der globalen Konkurrenzgesellschaft“. Auch für Bombardier gilt das Grundgesetz: Eigentum verpflichtet, sagt es. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Darin steht nichts von Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit zulasten von Millionen Arbeitslosen im Land.
Im Gegensatz dazu liegen Sie auf einem ganz anderen Politikfeld, auf dem Sie wirklich alle Möglichkeiten hätten, im Rückstand. Das ist die Funktional-, Verwaltungs- und kommunale Strukturreform. Sie wissen, dass die Vorarbeiten dazu weit gediehen waren. Sie könnten modern, kreativ und innovativ ohne Ende sein. Sie haben all diese Ansätze, die es gegeben hat, hier vom Tisch geschoben und ignoriert.
Heute holen Sie gelegentlich dies oder jenes, was sich als durchaus richtig erwiesen hat und was der Realität entspricht, hervor und reden darüber. Auch heute haben
wir von Ihnen dazu kein geschlossenes Konzept vorgelegt bekommen bzw. die Ausführungen von Herrn Scharf und des Ministerpräsidenten haben gezeigt, dass es durchaus noch einige Dinge gibt, die zu klären sind, und wenn es nur der Zeitplan ist.
Dass damit das Ressort endgültig zum Schwachpunkt wird, ist für die PDS eine landes- und personalpolitisch unverantwortliche Entwicklung. Die Rochaden von Staatssekretären schwächen im Grunde genommen die verantwortlichen Ressorts noch mehr. Dass an dieser Stelle eben auch das Ministerium für Bau und Verkehr mit ins Spiel kommt, ist ebenfalls bezeichnend.
(Herr Dr. Püchel, SPD: Ich dachte, Kompetenz! - Minister Herr Dr. Daehre: Landesplanung und Raumordnung!)
- Ich weiß, das war ursprünglich beim Umweltministerium. Sie haben es jetzt bekommen. Wir haben damit auch viel Beton bekommen.
Die PDS-Fraktion ist dennoch nach wie vor zur konstruktiven Begleitung bereit. Wir haben in der letzten Landtagssitzung unser Reformkonzept vorgestellt, und wir sind auch weiterhin bereit, an den Diskussionen teilzunehmen.
Abschließend will ich eines sagen: Mit Regierungserklärungen, Ankündigungen und Behauptungen ist kein Staat zu machen. Sie sind den Nachweis politischer Gestaltungs- und Handlungsziele noch immer schuldig geblieben. Sie sind ein strategisches Leitbild für Sachsen-Anhalt noch immer schuldig geblieben.