Was ist daraus zu schlussfolgern? - Das Herangehen der Landesregierung greift aus unserer Sicht zu kurz. Stattdessen muss gefragt werden: Welche Voraussetzungen sind zu schaffen, damit das Land ohne neue Kreditaufnahme bei gleichzeitiger Schuldentilgung aus eigener Kraft existieren kann?
Eine Zukunft hat das Land auf jeden Fall. Aber welche? Bietet sie Lebens- und Arbeitsperspektiven? Was muss
unternommen werden, um die Abwanderung, insbesondere von jungen, mehrheitlich gut ausgebildeten Menschen langsam zu stoppen? Wir sagen: In der Zukunft junger Menschen in diesem Land entscheiden sich auch die Chancen aller anderen Generationen.
Wohlgemerkt: Wir huldigen damit nicht einem Jugendwahn und wir ergeben uns schon gar nicht der Spaßgesellschaft. Vielmehr soll sich aus diesem Ansatz ein neuer Generationenvertrag entwickeln.
Nun scheinen sich der Landesregierung - immerhin schon nach zwei Jahren - ähnliche Fragen aufgedrängt zu haben. Sie hat unlängst ein Arbeitspapier mit dem Titel „Nachhaltige Bevölkerungspolitik in Sachsen-Anhalt“ beraten. Ein Handlungskonzept soll entstehen, das der ungünstigen demografischen Entwicklung begegnen soll.
Man könnte nun annehmen, dass der Ministerpräsident der von ihm vor Monaten angestoßenen Zukunftsdebatte endlich Substanz geben will. Man könnte auch meinen, das sei jetzt Chefsache. Merkwürdig ist nur, dass die Federführung nicht bei der Staatskanzlei liegt, sondern beim Bau- und Verkehrsministerium. Darauf kommt man nicht gleich - obwohl, mit Verkehr hat es natürlich schon etwas zu tun.
Aber zurück zum ernsten Kern der Sache. Ich fürchte, dass diese Zuordnung auch ungewollt Auskunft über das Herangehen gibt. Es ist zu befürchten, dass ein struktureller Denkansatz nicht aus dem Sackgassendenken der letzten Jahrzehnte heraus führt. Dabei ist augenscheinlich, dass all diese Maßnahmen die Krise eigentlich nur vertieft haben. Deshalb muss die Politik endlich Gestaltungsbereitschaft zeigen und Widerstand leisten. Alternativen - Sie haben es selbst gesagt - sind gefragt.
Sie fordern innovative Ansätze und nennen zum Beispiel auch den innovativen und alternativen Landesentwicklungsplan der PDS in Sachsen. Merkwürdig ist nur, dass sich Ihre Parteifreunde dort aber ganz tapfer in Ignoranz üben. Daher sollte sich Ihre Kritik gleichermaßen auch auf Ihre Parteifreunde beziehen. Sie werden mir darin sicher zustimmen.
Der Widerstand der Landesregierung gegen die Bundesregierung erschöpft sich in Forderungen, die so genannten Reformen nicht so halbherzig durchzuziehen - wenn schon reformieren, dann richtig.
Ein Beleg ist der jüngste Merkel-Katalog zum Umbau des Steuer- und Arbeitsmarktsystems. Belege sind auch die Forderungen zur Verlängerung von Arbeitszeiten und nicht zuletzt Ihre Vorstellungen von den Modellregionen in Ostdeutschland. Sie greifen aber eigentlich auf nichts anderes als auf alte Medikationen zurück und erhöhen lediglich die Dosen, obwohl der Patient schon lange Vergiftungssymptome aufweist.
Was ist zu erwarten? - Die Verunsicherung wird weiter wachsen. „Rette sich, wer kann!“, wird die Devise sein. Die Abwanderung wird sich verstärken. Wer hier bleibt, der wird noch weniger ausgeben. Wer irgendwie kann, der wird jeden freien Euro sparen und eben nicht ausgeben. Damit haben die Betriebe im Osten noch weniger Überlebenschancen, weil sie diese Kaufzurückhaltung als erste zu spüren bekommen. Sie werden ihrerseits
noch weniger investieren und erst recht kaum neu einstellen. Uns hier in Sachsen-Anhalt und die ostdeutschen Länder wird diese große Umverteilungsveranstaltung teuer zu stehen kommen.
Die Armut der Arbeitslosen und der Sozialhilfeempfänger wächst. Mehr arbeitende Arme wird es ebenso geben. Das alles steigert weder die Produktivität noch gibt es neue Impulse für die Entwicklung von Wachstumspotenzialen.
Meine Damen und Herren! Natürlich - jeder, der sich darum bemüht, weiß es - haben es Alternativen heutzutage schwer, weil der Begriff „Reform“ in seiner positiven Besetzung total verheizt wurde. „Veränderung“ ist schon fast synonym mit dem Wort „Verschlechterung“.
Wir würden aber unserem Verständnis von Opposition nicht gerecht, wenn wir nicht zugleich versuchten, Alternativen aufzuzeigen. Dass Alternativen gerade ungern öffentlich kommuniziert werden, sagt noch lange nichts über ihre Notwendigkeit und ihre Machbarkeit aus.
Deutschland galt bis in die 80er-Jahre als vorbildlich in der Schul- und Ausbildungspolitik, in den Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie in Forschung und Entwicklung. Im Gegensatz zu anderen Ländern wurde aber nicht weiter in diese Potenziale, in Produktivität, vor allem in jenen Teil, der aus dem technologischen Fortschritt herrührt, investiert.
Schaut man sich Ostdeutschland, insbesondere Sachsen-Anhalt, an, dann stellt man fest, die ersten zehn Jahre waren von einer anderen Tendenz gekennzeichnet. Es wurde gerade in Produktivität investiert. Die Wirtschaft und die Wissenschaften wurden durch enorme öffentliche Mittel gefördert. Die Produktivität erhöhte sich gewaltig - erst recht im Vergleich zur Ausgangsbasis in der DDR - und es begann ein Aufholprozess. Der Preis dafür war allerdings auch ein gewaltiger. Es kam nämlich zu einer anhaltend hohen Arbeitslosigkeit, weil eine wachsende Produktivität eben deutlich weniger Arbeitsplätze schafft, als vorher abgebaut wurden.
Die Folge davon bleibt, dass alte Bundesländer heute im punktuellen Vergleich in vielerlei Hinsicht immer noch attraktiver, aber eben auch produktiver sind. So bleiben die Hauptmotive der Abwandernden: bessere Ausbildungs-, Beschäftigungs- und damit auch Lebensperspektiven an anderen Orten. Weil das so ist, müssen wir unter dem Gesichtspunkt knapper Kassen Prioritäten genau an diesen Stellen setzen. Sachsen-Anhalt wird mit diesem Ansatz - Sie haben es selbst eingefordert - einen eigenständigen Entwicklungsweg verfolgen müssen, sonst wird sich keine eigenständige tragfähige Entwicklungsbasis gestalten lassen.
Wenn schon festzustellen ist, dass uns beispielsweise Ihre beiden Investitionserleichterungsgesetze keine Investorenschlangen beschert haben, dann sollte sich die Politik der Landesregierung wenigstens darauf konzentrieren, dass die vorhandenen Unternehmen und Unternehmer bleiben, dass schrittweiser Ausbau unterstützt wird, dass die Investitionsförderung und vor allem eine konsequente Innovationsförderung an den Anfang gestellt werden.
Auf der Mitteldeutschen Zukunftskonferenz, die kürzlich in Halle stattgefunden hat, haben sich viele Beiträge mit diesem Zusammenhang beschäftigt. Zahlreiche innovative Unternehmen sind insbesondere um Hochschulstandorte herum entstanden. Die sich aktuell andeutende Krise derartiger Unternehmen in Europa gefährdet
aber eben Wirtschaften wie die Sachsen-Anhalts viel stärker. Daher gehören innovative Unternehmen neben bestehenden mittelständischen Unternehmen tatsächlich in den Fokus der Wirtschaftsförderpolitik des Landes. Insofern werten wir Ihre Ausführungen auch als Ausdruck eines Umdenkens und begrüßen das.
Die Grundlagen für wissensbasierte Produktion werden natürlich viel früher gelegt. Die Bildung selbst wird zur entscheidenden Ressource für die Zukunft des Landes und für soziale Perspektiven seiner Menschen. Diese Erkenntnis muss sich endlich konkret umsetzen. Dabei geht es wahrlich nicht nur um die Diskussion von Budgetfragen. Vor allem müssen Inhalte den neuen Herausforderungen angepasst werden.
Die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen in SachsenAnhalt - wir kamen heute schon darauf zu sprechen - durchläuft Sekundarschulen. Wenn diese Lernergebnisse in der Kritik stehen - das ist aktuell besonders der Fall -, dann muss eben darauf reagiert werden. Die Umsetzung des Sekundarschulprogramms der PDS-Fraktion würde zumindest jeder und jedem die Möglichkeit eröffnen, nach zehn Schuljahren einen soliden Schulabschluss zu erwerben, der weitere Bildungswege offenlässt.
Dagegen wird nunmehr über einen möglichen Schulabschluss bereits weitgehend nach der vierten Klasse entschieden. Die Vollzeitschulpflicht wurde auf neun Jahre verkürzt.
Anstatt bewährten pädagogischen Konzepten aus Pisastarken Ländern Raum zu schaffen, also das Verstehen endlich produktiv mit dem Wissen zu verknüpfen, den Lehrenden mehr Ruhe und Zeit für die Kinder und Jugendlichen zu geben, soll nun eine Flut von Tests und Klassenarbeiten sowie eine bürokratische Kontrolle der Lehrerschaft bessere Leistungen erzwingen.
- Um Gottes willen, ich möchte Sie doch nicht stürzen. Das kommt erst später. Jetzt möchte ich ausreden.
Die Weiterentwicklung bzw. Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern muss gefördert werden. Zudem bedarf es einer flexibleren Schulentwicklungsplanung, um den unnötigen Verlust von Schulen zu vermeiden. Durch die Ausdünnung der Schullandschaft - das muss man sich auch einmal vor Augen halten - kommt Schule für viele im unmittelbaren Lebensumfeld einfach nicht mehr vor.
Das prägt natürlich die Einstellungen gegenüber und auch die gesellschaftliche Wertschätzung von Schulen.
Neben inhaltlich anderen Ansätzen eröffnen sinkende Schülerinnen- und Schülerzahlen auch Spielräume, die wir nicht einfach in Haushaltslöchern versacken lassen sollten. Eine zukunftsfähige Planung darf nicht einfach am Tiefpunkt von Schülerinnen- und Schülerzahlen ansetzen. Vielmehr dürfen, wenn im Jahr 2006 die extrem schwachen Jahrgänge die Schülerkurve bestimmen, keine weiteren Schulen geschlossen werden.
Das Konzept und der Gesetzentwurf der Initiative „Schule vor Ort“ trüge dem durchaus Rechnung. Die Landesregierung hat es allerdings nicht getan.
Letztlich werden keinerlei nachhaltig wirkende Maßnahmen ergriffen, um heute schon kontinuierlich für Lehrer- und Lehrerinnennachwuchs für die nächsten Jahrzehnte zu sorgen.
Meine Damen und Herren! Umfragen unter Jugendlichen belegen, dass ihre eigenen Ausbildungsperspektiven einen vorderen Platz im Denken einnehmen. - Ich erhoffe das auch von Ihnen.
Für viele Lehrstellensuchende und Lehrstellenbietende zeichnet sich allerdings ein dramatisches Bild ab. Weder die Voraussetzungen noch der Verlauf oder die Ergebnisse der Ausbildung befriedigen.
Selbst wenn sinkende Geburtenzahlen manch einem Anlass zur Hoffnung sind und ihn dazu bringen, die Stellen- und die Bewerberzahlen in Annäherung zueinander zu sehen, muss gesagt werden: Es bleibt unsere Aufgabe, die Qualität der Ausbildung zu verbessern.
Ansätze dafür, jungen Menschen hier dann wiederum Beschäftigung zu sichern, haben Sie durchaus entwickelt. Es gibt regionale Ansätze, die sich bewährt haben. Ich frage an dieser Stelle: Verdammt noch einmal, wieso werden sie nicht weiterentwickelt und wieso können sie nicht in dieser Konsequenz und Breite im Land zur Anwendung kommen?
Sie kritisieren die Bundesregierung heftig wegen der Pläne zur Ausbildungsplatzabgabe. Sie selbst tragen zur langfristigen Änderung der Situation jedoch kaum etwas bei.
Sachsen-Anhalt - selbstverständlich möchte ich zu diesem Kapitel auch etwas sagen - rühmt sich immer noch damit, eine im bundesweiten Vergleich hervorragende Kinderbetreuung zu haben. Aber ich sage Ihnen: Es ist doch kein Ruhmesblatt, wenn man jetzt damit argumentiert, sich auf bundesdeutschem Durchschnitt einzumotten.