Protocol of the Session on March 5, 2004

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Ro- the, SPD)

zumal in dieser konkreten Frage - aber darauf wird Herr Köck möglicherweise nachher auch noch einmal eingehen - beide Optionen, die vertreten werden, nicht zukunftsfähig sind und im Endeffekt nichts anderes bedeuten, als die eine Interessenklientel gegen die andere zu stellen. Wir haben hierzu einen vermittelnden Vorschlag.

Was macht man also in einer solch komplizierten Situation als Koalition? - Man gründet einen Arbeitskreis. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Die Information darüber hat uns nun am meisten geschockt, weil wir wirklich der Meinung gewesen sind,

(Zuruf von Frau Dr. Paschke, PDS)

dass dieser Arbeitskreis längst existiert und dass sich der Innenminister bei seiner Ankündigung, noch vor der Sommerpause ein Leitbild zur Kreisreform vorlegen zu können, bereits sozusagen mit den Ergebnissen dieser Arbeitsgruppe präsentieren wird. Wir hören: Die Arbeitsgruppe wird gegründet. Also: Die Züge fahren in diesem

Land, sie fahren zum Teil auf denselben Gleisen, sie fahren zum Teil aufeinander zu und das Stellwerk ist nicht besetzt.

Die Verantwortung des Parlaments in dieser Situation ist es, eine Steuerungsfunktion des Landes zu garantieren, wenn die Landesregierung dafür nicht die Verantwortung übernimmt. Wenn die Koalition aus nachvollziehbaren Gründen diese Verantwortung auch nicht wahrnehmen kann, dann ist es eben die Verantwortung der Opposition, eine neue Struktur, ein neues Leitbild zu skizzieren.

Ich will an dieser Stelle auch ganz deutlich sagen: So viel Sympathie wir auch für die Ideen des Änderungsantrags der SPD haben, bei dem ersten Punkt haben wir eine Differenz. Während die SPD vom Innenminister die Vorlage eines Leitbildes verlangt, wollen wir ausdrücklich dieses Leitbild aus den Reihen des Parlaments entwickeln. Seien wir mal alle ehrlich: So schlecht waren die Erfahrungen mit dem Prozess in der letzten Legislaturperiode nicht. Herr Püchel, Sie als damaliger Innenminister mögen das vielleicht ein bisschen sehen.

(Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD)

Aber ich sage es einmal so: Herr Böhmer hat gestern eine Rede gehalten. Während dieser Rede habe ich Sie beobachtet, Herr Püchel. Sie haben gelitten.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der PDS - Herr Dr. Püchel, SPD: Ich habe gelächelt!)

Herr Püchel, ich habe mit Ihnen gelitten. Spätestens die Aussage seitens Herrn Böhmer, dass hier schließlich zehn Jahre lang nichts passiert sei, musste natürlich sowohl Ihren als auch unseren Blutdruck in die Höhe treiben; denn - das müssen wir jetzt auch mal sagen - wenn die Strukturreform wirklich durchgeführt worden wäre, wären wir im Sommer dieses Jahres fertig gewesen.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Nun einige kurze Aussagen zu unserem Leitbild. Was wollen wir?

(Herr Schröder, CDU: Eine gute Frage!)

Position der PDS ist ganz eindeutig: Wir wollen die Kreise so gestalten, dass wir in diesem Land einen zweistufigen Verwaltungsaufbau realisieren können. Was bedeutet zweistufiger Verwaltungsaufbau? - Zweistufiger Verwaltungsaufbau bedeutet, dass alle staatlichen Aufgaben, die in diesem Land nicht konzentriert, sondern in der Fläche realisiert werden sollen, von den Bündelungsbehörden Landkreise übernommen werden sollen.

Das ist die Vision, die wir mit diesem Leitbild, dass wir vorgelegt haben, realisieren wollen. Wir wissen, dass für die Verwirklichung dieser Vision die fünf Planungsregionen, wenn auch in veränderten Grenzen, die Basis sein müssen. Das ist die Ausgangsthese der PDS.

Nun sage ich: Wir haben insgesamt zwei Jahre in der PDS darüber diskutiert, ob man deshalb die Planungsregionen mit den Landkreisgrenzen identisch werden lässt, der so genannte ganz große Wurf. Wir haben uns im Jahr 2001 und wir haben uns auch im Jahr 2004 entschieden: Dies kann man noch nicht realisieren. Dafür gibt es aus unserer Sicht zwei wesentliche Gründe.

Erstens. Wie muss und kann ich den Argumentationen der Landkreise selber entgegentreten, die da sagen: Warum wollt ihr uns permanent maßstabsförmig ver

größern, wenn ihr uns doch die Aufgaben der staatlichen Ebene nicht herunter gebt, sondern so, wie es die Landesregierung jetzt bei der Sozialhilfe gemacht hat, sogar noch nach oben zieht?

(Zustimmung bei der PDS)

An der Stelle ist die Argumentation natürlich brüchig. An der Stelle kann ich den Landkreisen auch nicht sagen, das Regionalkreismodell sei das wirklich tragfähige, weil die sich berechtigt die Frage stellen: Ja, warum denn eigentlich? Wir wären zwar fähig, diese Aufgaben zu übernehmen, aber wir kriegen sie doch nicht.

Anders sähe es aus, wenn diese Aufgabe wirklich erledigt würde. Das bedeutet aber ganz deutlich - das sage ich hier auch nochmals -, dass bestimmte Aufgaben, die zum Beispiel jetzt zum Landesverwaltungsamt kommen, die jetzt in Landesbetrieben realisiert werden sollen, kommunalisiert werden müssten.

Es gibt ein zweites schwieriges Thema dabei. Landkreise sollen nach Auffassung der PDS keine kleinen Regierungspräsidien werden. Sie sollen nach wie vor den Charakter der kommunalen Körperschaft haben. Was ist aber Ausdruck oder Kern der kommunalen Körperschaft? Es ist der eigene Wirkungskreis und es ist das kommunale Ehrenamt.

Sowohl bei dem eigenen Wirkungskreis als auch bei dem kommunalen Ehrenamt brauchen wir eine vollständige Reformierung der bisherigen Rahmenbedingungen, brauchen wir einen neuen Ansatz, der es ermöglicht, auch in solch großen Körperschaften das kommunale Ehrenamt zu realisieren und den eigenen Wirkungskreis auszugestalten. Auch diese Rahmenbedingung ist heute noch nicht erfüllt, und wer heute den Regionalkreis, was aus raumordnerischer Sicht das Beste wäre, fordert, muss diese beiden Rahmenbedingungen erst erfüllen.

Weil sie in diesem Land eben nicht erfüllt sind, schlagen wir hierfür tatsächlich einen Zwischenschritt vor, und zwar einen Zwischenschritt, der die kommunalen Akteure innerhalb einer Region von der Zahl her so stark begrenzt, dass die Landkreise und verbliebenen kreisfreien Städte - bei uns wäre es nur noch eine - in der Lage sind, sich in dieser Zahl zu koordinieren, um somit auch als kommunaler Verbund die Entwicklung der Region in die eigene Hand zu nehmen.

Das ist unsere Vision. Wir sagen deswegen ausdrücklich: keine oder vielleicht noch keine Identität zwischen Kreisgrenze und Planungsregion. Wir sagen aber auch: Dort, wo dies möglich und wo es eine Akzeptanz bei den Akteuren und der Bevölkerung für dieses Modell gibt, dort soll sie auch installiert werden, dort darf sich das Land nicht als Verhinderer realisieren.

Unser Lösungsansatz insgesamt: Wir brauchen zuerst eine Funktionalreform, die das haarige Problem der Stadt-Umland-Beziehung, der Beziehung zwischen den Oberzentren auf der einen Seite und den Flächenlandkreisen auf der anderen Seite regelt. Wir brauchen noch vor der Sommerpause ein Funktionalreformgesetz, damit die Landkreise vermittelt bekommen, wofür dies alles passieren soll. Wir brauchen dann aber - das haben Sie sicherlich in unserem Material gesehen - erst die Gebietsreform, um dann bis zum Jahr 2009 die Funktionalreform abschließen zu können.

Wir haben an der Stelle - das will ich hier auch ganz deutlich sagen - bei der Zeitschiene eine Idee aufgenommen, die die SPD artikuliert hat, und zwar ab dem 1. Ja

nuar 2007 die Kreise voll zu fusionieren, dort keine neuen Kommunalwahlen stattfinden zu lassen, sie sich bis zum Jahr 2009 einarbeiten zu lassen und dann praktisch mit den Wahlen in den neuen Landkreisen auch das Maximum an staatlichen Aufgaben in der Fläche auf die Landkreise zu übertragen. Das ist unsere Sicht.

Um aber einen solchen Fahrplan einzuhalten, muss jetzt damit angefangen werden, die Konzepte auf den Tisch zu legen. Bis zur Sommerpause brauchen wir ein Leitbild, bis zur Sommerpause brauchen wir ein StadtUmland-Gesetz, bis zur Sommerpause brauchen wir ein Funktionalreformgesetz. Ansonsten überholt uns die Entwicklung in diesem Land, wir werden unsere Verantwortung nicht wahrnehmen können, wir werden Konflikte in diesem Land zwischen den Oberzentren und den Flächenkreisen nicht kontrollieren können, nicht produktiv gestalten können. Das aber ist unsere Aufgabe. Wenn die Landesregierung es nicht schafft, dann muss das Parlament hierbei federführend werden, und das ist unser Antrag. - Danke.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Bul- lerjahn, SPD)

Vielen Dank, Herr Gallert. - Zunächst erteile ich Herrn Minister Jeziorsky das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich auf die Anträge eingehe, gestatten Sie mir vielleicht eine Vorbemerkung. Herr Gallert hat ein Stück weit auf die Mediendiskussion im Raum Halle abgehoben; Herr Rothe hat es gestern schon gemacht. Die Medienberichterstattung - oder besser gesagt: markige Schlagzeilen - sollte den Eindruck vermitteln, dass es einen riesigen Widerspruch in den Ansichten über das, was im kommunalen Bereich im Raum Halle gemacht werden soll oder möglich ist, zwischen dem Ministerpräsidenten und mir gibt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie sind gestern, glaube ich, ganz neugierig zum parlamentarischen Abend der kommunalen Spitzenverbände gegangen, um auch an diesem Abend, bei dieser Veranstaltung einen möglichen Dissens aufgezeigt zu bekommen. Wenn Sie sich an die Ausführungen, die der Ministerpräsident zu diesem Thema gestern gemacht hat, erinnern, dann dürfte auch Ihnen klar sein, dass diese Diskussion eine Phantomdiskussion ist.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Rauls, FDP)

Für mich sollten Sie oder wir alle wenigstens dieses Thema in der Kiste „Phantomdiskussion“ lassen.

Nun aber zu den Anträgen. Die Fraktionen der PDS und der SPD fordern Sie - die Abgeordneten des Landtages von Sachsen-Anhalt - auf, Ihre parlamentarische Verantwortung in Bezug auf die Kreisgebietsreform und die Stadt-Umland-Problematik wahrzunehmen.

Schaut man sich die beiden Anträge der PDS und der SPD näher an, so kommt man zu dem gewohnten Ergebnis: Die Oppositionsparteien kommen wieder einmal aus ihren alten Gleisen nicht heraus.

Die Stadt-Umland-Problematik wird seit Jahren diskutiert. Hier soll alter Wein in neuen Schläuchen verkauft

werden. Das Stichwort „Stadt-Umland-Problematik“ ist doch längst nicht mehr neu. Es war sogar ein Lieblingsthema der Vorgängerregierung.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Ziehen Sie es aus dem Hut, wenn das Thema zu diskutieren war?)

Stellen wir es noch einmal schlicht fest: Die Vorgängerregierung und die sie tragenden Fraktionen der letzten Legislaturperiode haben dieses Problem vor sich hergetragen, ohne die wirklich brennenden Fragen der Verwaltungsmodernisierung auch nur im Ansatz zu lösen.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Dr. Püchel, SPD: Wo denn?)

Die Vorgängerregierung hat es nicht geschafft, im Bereich der Verwaltungsmodernisierung Fakten zu setzen und die notwendigen zukunftsfähigen Verwaltungsstrukturen im Land zu schaffen.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Das ist eine Frechheit!)

Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie an die Verantwortung des Parlaments hinsichtlich der Verwaltungsmodernisierung appellieren, sind Sie reichlich zwei Jahre zu spät aufgewacht.

(Zustimmung bei der CDU - Lachen bei der SPD und bei der PDS)

Die neue Landesregierung hat sich des Themas Verwaltungsreform angenommen, und zwar systematisch, konsequent und zupackend.

(Frau Budde, SPD: So wie alles andere auch, ja? - Frau Dr. Sitte, PDS: Jetzt machen Sie sich lä- cherlich!)

Das spüren auch die Bürger vor Ort, meine Damen und Herren. Häufig wird mir, wenn ich Gespräche mit Kommunalpolitikern aller Couleur führe, bestätigt, dass man nunmehr das erste Mal nach 1994 auch vor Ort die Gewissheit verspürt, dass nicht nur lamentiert, sondern auch gehandelt wird.