Protocol of the Session on January 23, 2004

Verehrte Kollegin Budde, wenn wir das einzige Instrument, das wir jetzt noch nutzen können, nämlich den Bundesrat, nicht mehr nutzen, haben wir nichts mehr in der Hand. Das bedeutet, wir bleiben wie ein Kaninchen vor der Schlange sitzen, schauen auf die Schlange und warten, wann sie zuckt. Wir haben null Möglichkeiten, unsere berechtigten Interessen für die Arbeitsplätze in unserem Land durchzusetzen. Im Bundesrat die Mitwirkungsrechte der Länder durchzusetzen ist die einzige Chance, noch ein geordnetes Verfahren zu erreichen.

Wir haben in den letzten Monaten sehr viele Gespräche mit Unternehmen, mit Branchenverbänden geführt. Deutschland ist nicht nur das Land, das am meisten betroffen ist, weil nach der jetzigen Definition 50 % aller betroffenen Unternehmen in der gesamten EU in Deutschland sind, sondern auch Sachsen-Anhalt ist von allen neuen Bundesländern am meisten betroffen. Wir haben die Grundstoffindustrie, wir haben die Kalkindustrie und die Zementindustrie. Es gibt kein zweites Bundesland, in dem es zwei Zementwerke gibt. Es wird Auswirkungen auf jeden einzelnen Verbraucher haben.

Die Zementwerke sagen uns: Ein Sack Zement wird sich um 40 % verteuern, wenn das Trittin’sche Verfahren, das bereits Ende März nach Brüssel weitergeleitet werden soll, umgesetzt wird. Zwangsläufig hat das zur Folge - wir müssen mal an Bernburg und Karsdorf denken -,

(Minister Herr Dr. Rehberger: Ja, richtig!)

dass sich die Frage stellen wird, wie lange diese Werke im Wettbewerb bestehen können. Wenn wir nicht über die Mitwirkungsrechte der Länder erreichen, dass das Verfahren, das Trittin plant, gestoppt wird, bedeutet das: Millionen von Investitionen sind in den Sand gesetzt.

(Minister Herr Dr. Rehberger: Richtig!)

Wir müssen jetzt erreichen, dass denjenigen in den alten Bundesländern, die eine verkürzte Diskussion führen, weil vielleicht auch der Sachverstand fehlt, vor Augen geführt wird, dass nicht nur aus dem gesamten Steuertopf, aus den Aufwendungen der Wirtschaft der alten Bundesländer Investitionen im Osten gefördert wurden, sondern dass diese Förderung auch noch für die Katz war. Das ist auch umweltpolitisch wirklich der Hohn, weil die Investition in moderne Industrie, die umweltfreundlicher ist, völlig umsonst war und weil dann die Produkte und Dienstleistungen dieser Industrie von Unternehmen in Ländern erbracht werden, die viel weiter weg sind von dem Ziel des Klimaschutzes.

Was haben wir gekonnt, wenn wir alle unsere Instrumente aus parteipolitischen Gründen aus der Hand legen, weil wir uns nicht trauen, gegenüber der Bundesregierung einmal zu sagen, was wir wollen? Wie ist uns da geholfen? Womit ist dem Klimaschutz gedient? - Deswegen auch mein Appell an die PDS.

(Frau Budde, SPD: Sie haben bisher keine Ant- wort gegeben!)

Herr Dr. Köck, Sie appellieren für den Klimaschutz, und Sie, Herr Dr. Thiel, appellieren für Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt. Das können Sie nur, wenn Sie für unsere Interessen eintreten. Das können wir nur erreichen, wenn wir gegenüber der Bundesregierung klarmachen, dass ein gerechtes Verfahren gefordert ist und notfalls der Zeitplan zu überdenken ist. Mehr können wir dazu eigentlich gar nicht sagen. Es müsste eigentlich reichen, damit wir gemeinsam in diesem Haus bei einem solch wichtigen Thema, das von grundsätzlicher Bedeutung für die Zukunft der Wirtschaft in Deutschland ist, zusammenstehen.

Deswegen meine Aufforderung an alle Fraktionen, dem Antrag der Koalition zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Frau Bud- de, SPD: Können Sie mir auch noch eine Antwort geben, Herr Gürth?)

Kollege Gürth, wenn ich mich recht entsinne, war da noch eine zweite Frage.

(Frau Budde, SPD: Die erste ist vor allem nicht beantwortet worden! - Minister Herr Dr. Daehre: Ausführlich!)

Die Zuteilung? - Frau Kollegin Budde, auch dazu. Für die Verteilung der Zertifikate gibt es ein ziemlich kompliziertes Verfahren und für die Verteilung der nationalen Reserve gibt es mehrere Anmeldungen. Das ist kein Thema. Man kann es auf die Anlage bezogen machen.

Wir als neue Bundesländer - eigentlich alle Bundesländer - wären gut bedient, wenn wir als eine Art wirtschaftspolitisches Instrument die Möglichkeit bekämen, Zertifikate zuzuteilen. Wenn wir einen Teil dessen, was erwirtschaftet wurde, sozusagen regionalisieren - das wäre ein Ansatz, der durchaus denkbar wäre -, würde das bedeuten - das ist nur ein Verfahren, es gibt mehrere -, dass wir ohne dem Steuerzahler wieder in die Tasche greifen zu müssen, ohne Subventionen zu verteilen, die den Bürgern, den Unternehmen vorher über Steuern abgenommen werden müssen, Wirtschaftsförderung betreiben könnten.

Gesetzt den Fall - egal wer regiert -, wir bekämen in Deutschland ein Wirtschaftswachstum von über 3 %, wie das in Deutschland einmal normal war, dann brauchen wir die Zuteilung von Zertifikaten und dann müsste eigentlich in den Regionen, in denen die Anlagen stehen, die am modernsten sind und die am meisten Early Actions erbracht haben, auch die Chance bestehen, solche Zertifikate zuzuteilen. Über das Verfahren kann man im Detail diskutieren. Frau Ministerin Wernicke würde Ihnen das Ganze im Detail auflisten können.

(Ministerin Frau Wernicke lacht)

Das wird die meisten hier im Hause wahrscheinlich gar nicht interessieren. Das muss auch nicht jeden im Detail interessieren. Man muss nur wissen, dass dieses Thema mit der komplizierten Überschrift Emissionsrechtehandel, das so abstrakt klingt, eines der bedeutendsten Wirtschaftsthemen für die Zukunft der Arbeitsplätze in Deutschland ist. Deswegen noch einmal mein Appell: Lassen Sie uns zusammenstehen und den Antrag der Koalitionsfraktionen gemeinsam beschließen.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank - Zuruf von Herrn Reck, SPD)

Vielen Dank, Herr Gürth. - Nun erteile ich Frau Ministerin Wernicke das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie Sie aus früheren Befassungen mit dem Thema, auch im Landtag, wissen, habe ich als Umweltministerin das marktwirtschaftliche Instrument des Emissionsrechtehandels nicht nur als ein zielgenaues Klimaschutzinstrument begrüßt; vielmehr habe ich deutlich gemacht, dass der Emissionsrechtehandel, soweit er sachgerecht ausgestaltet wird, geeignet ist, die von der Bundesrepublik im europäischen Rahmen eingegangenen Verpflichtungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen mit dem volkswirtschaftlich geringsten Kostenaufwand zu erfüllen - Letzteres insbesondere mit Blick auf unsere modernen Betriebe mit nur geringen Potenzialen für künftige Minderungen.

Das Thema ist nicht ganz so einfach, Frau Budde. Ich stelle fest, dass die SPD-Fraktion keinen umwelt- oder klimaschutzpolitischen Verantwortlichen hat. Ich glaube, es gelingt Ihrer Fraktion schlecht, Klimaschutzinstrumente und marktwirtschaftliche Vorteile sowie marktwirtschaftliche Instrumente auf einen Nenner zu bringen.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Herr Gürth hat bereits darauf hingewiesen, dass in Sachsen-Anhalt wie in den anderen ostdeutschen Ländern der Großteil der deutschen Emissionsminderungserfolge erbracht wird. Herr Ruden hat dazu einige Zahlen genannt. Ich will diese nicht wiederholen.

Angesichts der Tatsache, dass die mittlerweile in Kraft getretene EU-Emissionsrechtehandelsrichtlinie ausdrücklich die Möglichkeit zur Anerkennung früherer Minderungsleistungen eröffnet, könnten unsere Unternehmen in eine Verkäuferposition hinsichtlich der Emissionsrechte gebracht werden.

Dies haben wir in der Umweltallianz gemeinsam mit der Wirtschaft als Forderung konkretisiert. Die bestehenden Unternehmen müssen die von ihnen erbrachten Minderungen in angemessenem Umfang über den nationalen Zuteilungsplan in Form von Zertifikaten zugeteilt bekommen. Der Anteil der Vorleistungen, die keinem Unternehmen mehr zugeordnet werden können, muss den ostdeutschen Ländern zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung aus der nationalen Zertifikatereserve zur Verfügung gestellt werden.

Wie Sie wissen, haben wir diesen Ansatz auch in einem Schreiben an den Bundeskanzler thematisiert. Es ist

schon gesagt worden, dass die Antwort darauf lange hat auf sich warten lassen.

Frau Budde, es ist nun einmal so: Die Menge der Berechtigungen entscheidet später darüber, welche wirtschaftlichen Produktionen in welchem Umfang in einem Bereich tatsächlich noch realisiert werden können. Gerade deshalb ist es notwendig, dass dieses Treibhausgas-Emissionsrechtehandelsgesetz gemeinsam mit dem nationalen Allokationsplan zum einen im Bundesrat beraten wird und zum anderen auch im Bundestag zustimmungspflichtig ist.

Auch ich habe die Protokolle über die Debatte im Bundestag gut gelesen. Die einzigen Fraktionen, die dies, also auch die gemeinsame Behandlung zunächst im Bundesrat, fordern, waren die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Kos- mehl, FDP)

Wenn sich weder Parlamentarier im Bundestag noch die Länder bei der Ausgestaltung des nationalen Allokationsplans einbringen können, wo bleibt dann die Einflussmöglichkeit des Landes? Dann ist Ihr Antrag tatsächlich Augenwischerei; denn - so sagte Herr Ruden bereits - das Instrument der Einflussnahme des Landes ist uns völlig verwehrt.

Ich habe schon den Eindruck, dass Sie sich mit Ihrem Antrag im Rahmen der Parteidisziplin bewegen; denn die SPD im Bundestag in Person des Herrn Kelber hat formuliert - ich zitiere -:

„Der Emissionshandel darf nicht zur Bevorzugung der Anlagen heutiger Marktteilnehmer gegenüber den Anlagen zukünftiger Marktteilnehmer führen. Manche Wirtschaftsverbände vertraten seltsame Vorstellungen, die aus meiner Sicht mit Marktwirtschaft nicht mehr viel zu tun hatten.“

Das ist ein Zitat von Herrn Kelber von der SPD-Fraktion im Bundestag. Ich stelle einmal infrage, dass Herr Mühlhaus das aufmerksam gelesen hat.

(Frau Budde, SPD: Herr Mühlhaus sowohl als auch!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mittlerweile klargemacht, dass sie die zum größten Teil im Osten erschaffene Zertifikatereserve für eigene verteilungspolitische Ziele, wie die Absicherung der erheblichen Mehremissionen aus dem Atomausstieg, verwenden will. Interessen der neuen Bundesländer spielen bei der Denkweise des Herrn Trittin überhaupt keine Rolle.

(Zustimmung bei der CDU, von Herrn Kosmehl, FDP, und von der Regierungsbank)

Bis heute hat die Bundesregierung noch keine Eckpunkte für diesen nationalen Zuteilungsplan, der immerhin bis zum 31. März 2004 bei der EU-Kommission eingereicht werden muss, vorgelegt.

Herr Köck, Zeitverzug muss sich diese Landesregierung nicht vorwerfen lassen. Zunächst ist die Bundesregierung in der Pflicht, diese zeitlichen Vorgaben der EU zu erfüllen. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass die Bundesregierung, sprich der grüne Umweltminister, zeitliche Vorgaben der EU nicht einhält. Ich brauche nur an das Dosenpfand zu erinnern.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt keine Aufteilung der deutschen Minderungsziele auf die Makrosektoren Industrie, Haushalt und Verkehr. Es gibt keine weiteren Untersetzungen, sodass bei den Unternehmen keine Klarheit über die künftigen Belastungen besteht.

Durch die Diskussionspapiere der Bundesregierung, die die Länder im Übrigen nicht erhalten haben, werden meine Befürchtungen massiv bestärkt. So beabsichtigt die Bundesregierung, die anerkennungswürdigen Vorleistungen über ihre Definition zu beschränken. Vorleistungen sollen nur anerkannt werden, wenn sie aus klimaschutzpolitischen Gründen erfolgten.

Allerdings wurde jede Investition nach 1990 in der Industrie in diesem Land vordergründig als Neuinvestition, um Arbeitsplätze zu schaffen, in Gang gesetzt und nicht vordergründig unter dem Aspekt, klimaschutzpolitische Ziele zu erreichen. Das war lediglich ein positiver Nebeneffekt. Aber wenn ich dies als Ausschlusskriterium formulieren will, dann bringe ich mich umweltpolitisch tatsächlich in Riesenwidersprüche.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Die Bundesregierung will die Vorleistungen von einer Anerkennung ausschließen, wenn sie durch öffentliche Mittel gefördert wurden. Jedes Industrieunternehmen in unserem Land, welches intensiviert hat, wurde durch öffentliche Mittel gefördert. Daran sehen Sie: Die Denkweise der Bundesregierung ist einfach nicht nachzuvollziehen.

(Zuruf von Frau Budde, SPD)

Ich fordere in diesem Zusammenhang von der SPD in diesem Land, dass sie unser Anliegen unterstützt, dass sie die Bundesregierung auffordert, diese Argumente zu akzeptieren, und dass sie von mir aus auch mit ihren Kollegen im Bundestag redet, die dieses Instrument scheinbar auch noch nicht richtig verinnerlicht haben.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Kos- mehl, FDP)

Die Sonderzuteilung für Vorleistungen soll im Übrigen auf ein Volumen von 30 Millionen t CO2 begrenzt werden. Die Hälfte davon würde allein schon für die Vorleistungen in Sachsen-Anhalt benötigt werden.