Protocol of the Session on January 22, 2004

Erstaunt und verwundert, Herr Kley, dürfen wir uns dennoch zeigen, waren doch die Situation und die Zuständigkeiten vor dem Jahr 2002 genau dieselben. Aber damals haben Frau Liebrecht - sie ist jetzt leider nicht da - und auch Sie, Herr Kley, zusammen mit Ihren Parteien vor der Wahl gerade in diesem Bereich einzig und allein die damalige SPD-Landesregierung für verantwortlich erklärt. Ich freue mich außerordentlich, dass Sie jetzt auf den Boden der Tatsachen zurückgefunden haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich begrüße es auch, dass Sie die Ergebnisse des runden Tisches für die ambulante medizinische Versorgung in Sachsen-Anhalt aus den Jahren 2000 bis 2002 aufgegriffen haben und umsetzen.

Darüber hinaus ist meiner Ansicht nach ernsthaft zu hinterfragen, ob die Planungsgrößen in Bezug auf den Grad der Versorgung mit Ärztinnen und Ärzten im ambulanten Bereich für einzelne Facharztgruppen noch zeitgemäß sind. Nach der Antwort auf Frage 2.24 im Kapitel „Gesundheitspolitik“ kommen in Bezug auf diesen Punkt erhebliche Zweifel auf. Hierzu sollte die Landesregierung das Gespräch mit der Kassenärztlichen Vereinigung suchen.

Fünftens. Beteiligung der Interessenvertretungen von Bürgerinnen und Bürgern. Seit Herbst 1994 leisten die Mitglieder des runden Tisches für Menschen mit Behinderung vor allem auch in dessen Arbeitsgruppen eine erfolgreiche Arbeit mit dem Ziel, die Selbstbestimmung und die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Gleiches gilt auch für den Behindertenbeirat des Landes. Rechtsstellung und Aufgabenkatalog sind im Behindertengleichstellungsgesetz des Landes verankert.

Wenn die Landesregierung in der Antwort auf Frage 7 zur Sozialpolitik selbstkritisch feststellt, dass noch bestehende Beteiligungsdefizite beseitigt und mangelnde Informationsflüsse abgebaut werden müssen, damit die Gremien ihrer Beratungsfunktion gegenüber der Landesregierung überhaupt nachkommen können, dann erwarten wir, dass dies schnellstmöglich passiert.

Meine Damen und Herren! Angesichts der älter werdenden Bevölkerung und der großen Zahl von Menschen im vorgezogenen Ruhestand kommt der Arbeit der Landesseniorenvertretung und auch der Landesarbeitsgemeinschaft „Aktiv im Vorruhestand“ eine wachsende Bedeutung zu.

Der Umstand, dass die Landesregierung die Mitarbeit der Landesseniorenvertretung im Landespflegeausschuss und im Geriatriebeirat würdigt und deren Weiterführung ankündigt, steht bei Letzterem leider im krassen Gegensatz zu der Tatsache, dass die Landesregierung die Tätigkeit des Geriatriebeirates eingestellt hat - siehe Antwort zu Frage Nr. 2.20 zur Gesundheitspolitik. Offensichtlich weiß im Sozialministerium die rechte Hand nicht, was die linke bereits veranlasst hat. Ich halte die Abschaffung des Geriatriebeirates übrigens für eine grobe Fehlentscheidung und eine Missachtung des Aufgabenfeldes.

(Zustimmung bei der SPD)

Eine ähnliche Einschätzung trifft auch auf die finanzielle Stutzung der Projektarbeit der Landesarbeitsgemeinschaft „Aktiv im Vorruhestand“ zu.

Die SPD-Fraktion dankt an dieser Stelle allen Beteiligten in diesen Gremien und Arbeitsgemeinschaften für ihr umfangreiches bürgerschaftliches Engagement.

(Zustimmung bei der SPD)

Sechstens. Sozialpolitisches Gesamtkonzept. Nach den Ausführungen der Landesregierung zu den Fragen 2 bis 6 im Kapitel „Sozialpolitik“ drängt sich der Verdacht auf, dass der Ministerpräsident bei seiner Einjahresbilanz im vergangenen Jahr das sozialpolitische Gesamtkonzept als Versuchsballon gestartet hat. Bis jetzt ist es offensichtlich bei einer Luftnummer geblieben.

(Zustimmung bei der SPD, von Frau Bull, PDS, und von Herrn Gallert, PDS)

Zweifellos, Herr Kley, wäre es wünschenswert, wenn die Landesregierung über ein abgestimmtes politisches Konzept verfügte. Dann ließen sich vielleicht solche Peinlichkeiten wie die konträren Haltungen des Sozialministers und des Finanzministers sowie die Überrumplung der Koalitionsfraktionen durch Minister Kley mit dem Vorschlag der Gebührenfreiheit in Kindergärten in der vergangenen Woche vermeiden.

Siebentens. Die demografische Entwicklung. Die Landesregierung hat sich mit ihren Antworten auf die Fragen zur Struktur der Bearbeitung von Folgen der abschätzbaren demografischen Entwicklung und der fachlichen Konsequenzen aus Überlegungen zu den Folgen dieser Entwicklung eine große Blöße gegeben. Offensichtlich gibt es eine interministerielle Arbeitsgruppe, die sich mit Fragen der Bevölkerungsentwicklung in Sachsen-Anhalt befasst und die sich mit den Ergebnissen der regionalisierten Bevölkerungsprognose auseinander setzt. Für die Felder der Gesundheits- und der Sozialpolitik werden aber, so scheint es, im Fachministerium selbst und durch den interministeriellen Arbeitskreis „Raumordnung, Landesentwicklung, Finanzen“ keine Schlussfolgerungen gezogen.

Die Landesregierung knüpft damit weder an diesbezügliche Überlegungen in der vorhergehenden Legislaturperiode an, noch ist sie in der Lage, eigene Vorstellungen zum Beispiel zu folgenden Fragen zu unterbreiten:

In welcher Weise lassen sich die Chancen einer älter werdenden Gesellschaft in unserem Bundesland produktiv nutzen?

Welche familien-, sozial-, bildungs- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen können den Abwanderungssaldo junger Menschen, insbesondere junger Frauen, im positiven Sinne beeinflussen und dazu beitragen, dass junge Paare sich wieder für mehr Kinder entscheiden?

Welche Impulse für Sachsen-Anhalt lassen sich aus einer geregelten Zuwanderung ableiten?

Wenn Sie in der Landesregierung und speziell im Sozialministerium so sorglos, wie Ihrer Antwort zu entnehmen ist, mit dieser Problematik umgehen, dann verspielen Sie eine gehörige Portion Zukunftsgestaltung für unser Land. Das verteufeln wir.

(Zustimmung bei der SPD)

Zum Schluss möchte ich auf ein Kapitel besonderer Art eingehen, nämlich die Aussagen der Landesregierung zur Umsetzung des Koalitionsvertrages. Der Koalitionsvertrag ist nicht irgendein Stück Papier. Der Koalitionsvertrag ist die zwischen den Parteien CDU und FDP

ausgehandelte Grundlage für die Regierungsarbeit in dieser Legislaturperiode. Seine Umsetzung ist ein Gradmesser für das Verhältnis von vollmundigen Versprechungen und realem politischen Handeln.

Die Antwort der Landesregierung deckt dreierlei Verhaltensweisen auf. Zum Ersten denkt die Landesregierung gar nicht daran, einigen Ankündigungen auch Maßnahmen folgen zu lassen, zum Beispiel in Bezug auf die Themen Eigenverantwortung der Bürger und Entwicklung von Selbsthilfeorganisationen.

Zum Zweiten gibt sie in vielen Fällen keine oder schwammige Antworten, weil sie entweder erkannt hat, dass sie gar nicht zuständig ist - wie in vielen Bereichen der medizinischen Versorgung -, oder aber, weil sie die Maßnahmen der SPD-Landesregierung fortsetzt, was an sich in Ordnung ist - das will ich gar nicht beklagen -, aber es passt einfach nicht zu ihren Worten. Darin besteht die Diskrepanz.

(Zustimmung bei der SPD)

Zum Dritten hat sie sich immerhin bei einer Ankündigung für die Umsetzung eingesetzt, nämlich bei der Angleichung der finanziellen Mittel für die ambulante medizinische Versorgung in Sachsen-Anhalt an den Bundesdurchschnitt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Landesregierung und den Koalitionsfraktionen, das ist insgesamt eine ganz magere Bilanz.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Aber, meine Damen und Herren von CDU und FDP, wir werden natürlich auch in den kommenden zwei Jahren aufmerksam verfolgen, wie ernst Sie Ihre eigenen politischen Ziele nehmen und wie Sie mit Ihren eigenen Versprechungen umgehen. Ich denke, das erwarten Sie auch von uns als Opposition. - Danke.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Dr. Kuppe. - Ich habe nun die Freude, Schülerinnen und Schüler des Winckelmann-Gymnasiums Stendal auf der Tribüne begrüßen zu dürfen.

(Beifall im ganzen Hause)

Jetzt erteile ich Herrn Minister Kley das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion zur Gesundheits- und Sozialpolitik in Sachsen-Anhalt gibt die Entwicklung der vergangenen Jahre bzw. des vergangenen Jahrzehnts wieder. Sie zeigt den derzeitigen Sachstand, aber auch die von der neuen Landesregierung gesetzten Akzente und verfolgten Ziele auf.

Es ist erkennbar, dass sich der Umbau und die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens erfreulich entwickelt haben. So sind zum Beispiel fast alle Krankenhäuser und die Universitätskliniken mit erheblichen Investitionsmitteln des Landes saniert und modernisiert worden bzw. es ist zumindest damit begonnen worden. Das hohe Fördermittelaufkommen wird zwar noch eine geraume Zeit zur Verfügung stehen müssen, da die Baumaßnahmen über einen längeren Zeitraum laufen, aber ein Ende der Förderung ist absehbar.

Im Bereich der Krankenhausfinanzierung wurden die Finanzmittel im Rahmen der so genannten Pauschalförderung im Jahr 2003 erstmals seit längerem erheblich erhöht.

(Zuruf von Frau Bull, PDS)

Bei dieser Art der Förderung geht es hauptsächlich darum, den Betrieb der Krankenhäuser durch die Wiederbeschaffung abgenutzter Einrichtungsgegenstände zu gewährleisten. Mit der erhöhten Förderung ist es dem Land gelungen, sich dem Bundesdurchschnitt einen großen Schritt zu nähern und dadurch den letzten Platz im Ländervergleich zu verlassen.

Im Bereich der Krankenhausplanung ist eine Umorientierung weg von der reinen Bettenplanung hin zu einer leistungsorientierten Planung in die Wege geleitet worden. Diese Neugestaltung der Krankenhausplanung erfordert eine Neufassung des Landeskrankenhausgesetzes.

(Zuruf von Frau Bull, PDS)

Der Entwurf des Gesetzes ist fertig gestellt. Die Anhörungsphase läuft noch bis zum Ende des Monats. Dann kann der Entwurf endgültig vom Kabinett verabschiedet und in den Landtag eingebracht werden. Im künftigen Gesetz soll die Krankenhausplanung auf die folgenden drei Säulen gestützt werden: Rahmenvorgabe für Versorgungs- und Qualitätsziele, Leistungs- und Qualitätsvereinbarung sowie Krankenhausplan.

Die ursprüngliche Bedeutung der psychiatrischen Fachkrankenhäuser hat durch die Anfang der 90er-Jahre vorgenommene Entflechtung in Heim- und Akutbereich eine grundlegende Veränderung erfahren. Die sich entwickelnden Fachabteilungen in den Allgemeinkrankenhäusern haben dazu beigetragen, dass die Kapazitäten der ehemals großen Fachkrankenhäuser durch eine gezielte Krankenhausplanung auf eine optimale Größe reduziert wurden.

Sowohl in der Erwachsenenpsychiatrie als auch im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie wurden die vorhandenen Versorgungsdefizite im Süden des Landes ausgeglichen, sodass die akutstationäre kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung nunmehr ebenfalls flächendeckend erfolgt. Auch die Angebote im tagesklinischen Bereich der Erwachsenen- sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie haben sich positiv entwickelt. Dadurch kann der Mangel an niedergelassenen Ärzten teilweise kompensiert werden.

Bei der Verfolgung der Gesundheitsziele wird eine Neuausrichtung vorgenommen. Im Vordergrund stehen hierbei die Prävention und die Gesundheitsförderung. Gesundheitsförderung bezieht sich dabei auf die Erhaltung und die Stärkung der Gesundheitsressourcen. Prävention bedeutet, auf die Reduzierung und Vermeidung von Gesundheitsrisiken hinzuwirken.

Die bisherigen krankheitsbezogenen Gesundheitsziele, zum Beispiel die Säuglingssterblichkeit, die vorzeitige Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die vorzeitige Sterblichkeit an Krebserkrankungen jeweils auf den Bundesdurchschnitt zu senken, werden in die Prävention und in die Gesundheitsförderung einbezogen.

Im Rahmen der Arbeit an dem Gesundheitsziel „Reduzierung des Verbrauchs und der Auswirkungen legaler Suchtmittel“ wird Öffentlichkeitsarbeit zur Aufklärung der Bevölkerung geleistet. Erwähnenswert ist auch die Fortbildungsreihe für in der Jugendarbeit Tätige zum Thema

„Sekundärprävention - Umgang mit konsumierenden Jugendlichen“.

Die aktuellste Maßnahme ist die sich im Mitzeichnungsverfahren bei den Kassen befindliche Rahmenempfehlung zur Raucherentwöhnung zur direkten Umsetzung von Maßnahmen zur Entwöhnung. Das Land SachsenAnhalt, die Landesstelle gegen die Suchtgefahren sowie die Primär- und die Ersatzkassen beteiligen sich daran mit den ihnen gegebenen Möglichkeiten.

Sorge bereitet mir und vielen anderen die abnehmende Zahl der Ärzte, die einen baldigen Ärztemangel befürchten lässt. Zwar werden viele Mediziner im Land Sachsen-Anhalt ausgebildet - dies belegen die Einschreibungszahlen an den Universitäten -, aber zu viele Studierende brechen das Studium vorzeitig ab oder wechseln wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten in andere Länder. Deshalb müssen wir uns immer wieder für eine Anpassung der Gehälter einsetzen. Mit dem GKVModernisierungsgesetz ist ein erster Schritt in diese Richtung gelungen.