Protocol of the Session on December 12, 2003

Beratung

Endlich Klarheit über Zukunft der kommunalen Strukturen schaffen

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/1210

Der Einbringer des Antrages ist der Abgeordnete Herr Gallert. Bitte sehr, Herr Gallert.

Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Mit dem letzten Tagesordnungspunkt haben wir ein Anliegen, das auch einen sachlichen Zusammenhang zu der eben diskutierten Frage aufweist, das aber vor allen Dingen deswegen von uns auf die Tagesordnung gesetzt worden ist, weil wir im kommunalen Bereich im Land Sachsen-Anhalt ein riesiges Informationsdefizit zu verzeichnen haben, ein Informationsdefizit, das zurzeit so groß ist, dass die kommunale Arbeit - zumindest was mittelfristige und langfristige Projekte anbelangt - in Gefahr zu geraten scheint.

Was ist das eigentliche Problem? - Das Problem ist, dass unsere Kommunen im Land Sachsen-Anhalt bei den Strukturvorhaben dieser Landesregierung und der Regierungskoalition im Landtag keine Perspektive mehr sehen, die ihnen eindeutige Zielstellungen und eindeutige Parameter für die Entwicklung der kommunalen Struktur vorgibt. Diese Erkenntnis, die ich eben artikuliert habe, leitet sich vor allen Dingen aus den letzten anderthalb Jahren ab bzw. aus den Aussagen, die aus der Regierungskoalition und aus der Regierung zu diesem Thema in den letzten anderthalb Jahren gemacht worden sind.

Schauen wir noch einmal zurück auf Frühjahr/Sommer des Jahres 2002. Wie stand damals die Landesregierung zu diesem Thema? - Als Erstes wurden die drei Vorschaltgesetze aufgehoben, die eine Reform der Kommunalstruktur, und zwar in den Jahren ab 2004, abschließend regeln sollten. Die Begründungen dafür waren folgende:

Zum einen sei die Kommunalreform zurzeit nicht das Wichtigste in diesem Land. Man müsse sich auf andere Dinge konzentrieren und habe ganz offensichtlich dafür nicht die Energie und die Kraft.

Zum Zweiten war eines der zentralen inhaltlichen Argumente, eine quantitative Fixierung von kommunalen Strukturen gehe an der Sache vorbei, Einwohnerzahlen ermöglichten keine Aussagen über die Verwaltungsstärke kommunaler Strukturen in diesem Land und sie dürften und sollten deswegen nicht als Kriterium für kommunale Strukturen herangezogen werden. Außerdem sei die Verwaltungsstärke unserer Kommunen so einzuschätzen, dass wir in dieser Hinsicht kaum Handlungsbedarf hätten. Sollte tatsächlich hier und da ein Engpass auftreten, könne man diesen mit Zweckverbänden lösen.

Zur Stadt-Umland-Problematik sagte man damals allerdings noch, sollte sich dieses Problem in den nächsten Monaten nicht von allein zumindest auf dem richtigen Weg der Lösung befinden, wolle man in zwei Jahren als Gesetzgeber an dieser Stelle eingreifen.

Mit diesen Aussagen hat man relativ wenige überrascht, wenn auch den einen oder anderen vor den Kopf gestoßen. Dies waren ja im Wesentlichen die Wahlkampfaussagen vor allen Dingen der CDU, die diesen Prozess ausdrücklich stoppen wollte. Deswegen war dies nicht sonderlich überraschend. Aber es machte natürlich die Arbeit von zwei Jahren zur Verwaltungsstruktur in den Kommunen schlichtweg zunichte.

Danach gab es eine zweite Phase, in der man ein Reihe von Argumenten aus der ersten Phase auf einmal nicht mehr gelten lassen wollte. Die zentrale sozusagen Neuorientierung war, dass man auf einmal selbst die quantitative Definition von Verwaltungsstärke auf der Ebene der gemeindlichen Selbstverwaltung einführte.

Während man also noch ein halbes oder dreiviertel Jahr vorher davon gesprochen hat, dass die Einwohnerzahl hinsichtlich der Verwaltungsstärke überhaupt keine Aussage erlaube, war man nun zu der Erkenntnis gekommen, dass zumindest auf der gemeindlichen Ebene, sprich der dortigen Verwaltung, also der Verwaltungsgemeinschaften oder Einheitsgemeinden, sehr wohl die Einwohnerzahl ausschlaggebend sei und dass man es mit einem Missverhältnis zwischen dem Umfang der Verwaltungsstrukturen auf gemeindlicher Ebene einerseits und den Kosten und der Effizienz andererseits zu tun habe, die daraus resultierten. Dies sei eindeutig dadurch begründet, dass man zu viele kleinteilige Verwaltungen habe.

Dies ist jetzt auf einmal doch als Problem erkannt worden, und es gab die entsprechenden Gesetze, die nun dazu führen sollen, dass bis zur Kommunalwahl im Jahr 2004 dieser Missstand, den man kurz vorher nicht akzeptiert bzw. geleugnet hat, aufgehoben wird.

Wir kamen dann in den letzten Wochen und Monaten mit rasanter Geschwindigkeit in eine dritte Phase, in der man das Argument aus der zweiten Phase, man wolle ja die kommunalen Gebietsstrukturen nicht verändern, nun auf einmal aufhebt und sagt: Jawohl, wir brauchen die Änderung kommunaler Gebietsstrukturen. Man ist auf einmal dabei, die Einheitsgemeinde als ideales Beispiel für die gemeindliche Selbstverwaltung zu erkennen, und man ist auf einmal der Meinung, dass die Zwecksverbandskonstruktion zwischen Landkreisen vielleicht doch nicht das Ideale wäre; vielmehr müsse man nunmehr über eine Kreisgebietsreform nachdenken und die müsse man nun auf das Jahr 2009 legen.

Das widerspricht zum großen Teil den Aussagen, die noch zu Beginn der Legislaturperiode in diesem Kontext gemacht wurden; aber die Entwicklung ist zumindest anzuerkennen.

Nun haben wir folgendes Problem: Die Kreisgebietsreform wird verkündet, allerdings weder in ihrer Struktur noch in ihrer Zielstellung, sondern es wird das Datum verkündet. Das ist erst einmal ein interessanter Vorgang.

Vor kurzem saßen der Kollege Stahlknecht und ich bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in einem Seminar. Die abschließende Bemerkung eines Kollegen aus dem kommunalen Bereich nach der Diskussionsrunde - Herr Rothe war auch dabei - lautete: Wissen Sie, das Problem, das ich mit Ihrer Regierung habe, ist, dass es keine klaren Zielstellungen gibt. - Herr Stahlknecht fühlte sich bemüßigt zu sagen: Es ist doch alles klar. Ich weiß überhaupt nicht, welches Problem Sie haben. Kreisgebietsreform 2009. - Herr Stahlknecht, wir sehen einige Tage später: Nichts ist klar - Kreisgebietsreform 2008.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Frage ist doch: Was ist denn vielleicht in einem halben Jahr oder in einem Jahr klar?

(Herr Gürth, CDU: Das werden wir sehen!)

Wird dann die Kreisgebietsreform für 2007 angekündigt? - Sehen Sie, Herr Gürth, das ist typisch: Werden wir sehen, mal gucken, mal schauen. Aber genau mit einer solchen Einstellung können Sie an den kommunalen Strukturen nicht arbeiten. Damit machen Sie deren Arbeit kaputt.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Schauen wir mal, was uns morgen einfällt. Vielleicht ist der Koalitionspartner vergnatzt, dann gehen wir auf das Jahr 2007.

Das ist doch keine Art und Weise des Umgangs mit diesem Thema. So lasch kann man an dieses Thema nicht herangehen. Deswegen ist das Problem bei der kommunalen Strukturreform, dass man diese langfristig vernünftig angehen muss und eben nicht mit einer solchen Einstellung herangehen kann, so eminent wichtig, dass wir eine Regierungserklärung zu diesem Thema verlangen. Hier muss klargestellt werden, was los ist.

Was ist nun der aktuelle Stand? - Der aktuelle Stand ist, dass der Finanzminister - eben nicht der Innenminister - nach einer Koalitionsrunde an die Öffentlichkeit geht und sagt: Wir haben es mit einer Kreisgebietsreform - das ist jetzt definitiv festgezogen - 2008 zu tun. Im Jahr 2006 werden wir das Gesetz auf den Weg bringen. Im Jahr 2008 soll die Kreisgebietsreform stattfinden.

Nun kann man sich über den sozusagen schlagenden Erfolg des Koalitionspartners FDP ehrlich freuen, dass diese Kreisgebietsreform nicht mehr im Jahr 2009, sondern im Jahr 2008 stattfinden soll. - Natürlich, dies stellt sozusagen die Verkürzung der Verzögerung in diesem Prozess von fünf auf vier Jahre dar - Klasse! Da kann ich mich auch als Reformmotor bezeichnen, wenn ich den Schaden auf 80 % begrenze.

Trotz alledem fragen wir einmal nach der Sinnhaftigkeit dieser Operation. Warum denn nun auf einmal 2008 mit all den entsprechenden Konsequenzen für die Wahltermine in unserem Land? Da redet man davon, dass man die Kommunalwahl trotzdem im Jahr 2009 belassen wolle; aber alle Kreisräte werden spätestens im Jahr 2008 neu gewählt. Ja, was ist denn dann die Aussage, man wolle den Kommunalwahltermin im Jahr 2009 belassen, eigentlich noch wert?

Das geht bis dahin, dass wir natürlich ein völliges Auseinanderfallen von Kommunalwahlen in diesem Zeitraum haben werden; denn wir haben praktisch innerhalb eines Jahres zwei Kommunalwahlen: Da werden im Jahr 2008 die Kreistage gewählt und im Jahr 2009 die gemeindlichen Strukturen, und tausend Wahlen wahrscheinlich noch dazwischen.

Das ist eine Situation, zu der ich sage: Na, den Erfolg haben Sie sich aber bitter erkauft, den Erfolg, diesen Prozess um ein Jahr vorzuziehen. Dieser hat natürlich sehr, sehr viele Verluste in diesem Land zur Folge.

Das, was wir brauchen, sind klare Aussagen auch zu den Zielen und zum Inhalt dieser Kreisgebietsreform. Da lese ich in der „Volksstimme“ ein interessantes Interview mit Herrn Lukowitz; gut dass Sie jetzt auch wieder an unserer Diskussion teilnehmen können. Meine erste Überlegung war: Himmelherrgott, Mensch, hätte er doch wenigstens die Vorschaltgesetze einmal durchgelesen, die er aufgehoben hat. Denn die Dinge, die er als Struktur für die neue Kreisgebietsreform vorschlägt, sind haargenau die Dinge, die in diesen Vorschaltgesetzen standen.

Herr Lukowitz kommt auf die Idee, zehn Kreise in diesem Land haben zu wollen. Herr Lukowitz, in dem Vorschaltgesetz stand drin: fünf Regionen und in jeder Region sollen zwei Landkreise gebildet werden. Auch der mathematisch nicht gerade als Überflieger zu Bezeich

nende ist möglicherweise in der Lage, bei dieser Berechnung auf zehn Kreise zu kommen.

(Zustimmung bei der PDS und bei der SPD)

Interessanterweise haben wir in diesem Artikel auch gelesen, dass die PDS mal für vier Großkreise gewesen sein soll. Das ist eine interessante Frage. Ich meine, die PDS ist eine pluralistische Partei, und ich habe sofort versucht, den Abgeordneten herauszugreifen, der etwas von vier Großkreisen gesagt hat. - Es hat sich keiner gemeldet.

(Frau Budde, SPD, lacht)

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir hatten eine solche Diskussion, wir hatten sie in den Jahren 1999 und 2000, und zwar wollten wir die Überlegung mit anstrengen, fünf Regionalkreise zu bilden. Das ist richtig. Aber wir haben uns in einer Fraktionsklausur im Sommer des Jahres 2000 mit einer eindeutigen Mehrheitsentscheidung zu diesem Modell der zwei Landkreise pro Region, also zu zehn Landkreisen bekannt und haben dies auch in das Vorschaltgesetz implementieren können und dies als Vorgabe gemacht.

Dies hatte einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Beschluss vom Januar 2002 zur Funktionalreform. Die Vorschläge waren aufeinander abgestimmt. Wenn Sie das jetzt wiederentdecken, ist es schön. Traurig bleibt die Tatsache, dass Sie sie fünf Jahre zu spät realisieren.

Ein anderer Bestandteil dieses Interviews war genauso verräterisch. Ich habe meine Parteikollegen gefragt: Hat einer von euch jemals gesagt, wir wollen das Landesverwaltungsamt erst im Jahr 2007? - Es hat sich wiederum niemand gemeldet.

(Herr Gürth, CDU: Das will nichts heißen!)

Die Vorwürfe, die Sie uns bzw. der SPD gemacht haben, zeugen von einer erheblichen Ignoranz und Arroganz gegenüber den Vorschaltgesetzen, die wir damals ausgearbeitet haben. Wenn Sie die Intentionen auf einer derart mangelhaften Grundlage aufgehoben haben, dann ist es wirklich traurig für dieses Land; denn damit hat man die Entwicklung in diesem Land um fünf Jahre verzögert.

Was brauchen wir also? - Diese Landesregierung muss sich erklären. Sie muss erstens erklären, wie sie bei der Neustrukturierung der Verwaltungsgemeinschaften und der Einheitsgemeinden über die Kreisgrenzen hinweg mit dem Prozess umgehen will, der dann bei den Landkreisen beginnen wird. Dieser Prozess kann für die immer noch existierenden kleinen Landkreise existenzgefährdend sein. Wie wollen Sie diesen Prozess begleiten und bewältigen?

Zweitens. Wie wollen Sie in der freiwilligen Phase bei der Neugliederung der Kreise bis zum Jahr 2006 Ihre landesplanerische Verantwortung für die Findung einer neuen Kreisgebietsstruktur wahrnehmen? Eines ist doch wohl klar: Man kann diesen Prozess nicht vollkommen der Freiwilligkeit überlassen.

Wenn sich zwei Landkreise zusammenfinden, dann werden für die übrigen angrenzenden Kreise einige oder sämtliche anderen Optionen verbaut. Das heißt, man kann diesen Prozess nicht der völligen Freiwilligkeit überlassen. Man muss ihn politisch steuern. Sie müssen uns erklären, wie Sie ihn politisch steuern wollen.

Des Weiteren müssen Sie sagen, welche Struktur Sie sich ungefähr vorstellen. Nachdem ich das Interview mit Herrn Lukowitz gelesen haben, habe ich zu meinem Kollegen Uwe Köck gesagt: Pass einmal auf, noch ein halbes Jahr und er holt deine Karte wieder hervor und verkauft sie möglicherweise auf einem FDP-Parteitag.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Ich meine, aus politischer Sicht wäre das für dieses Land gut.

(Zustimmung bei der PDS und bei der SPD - Frau Feußner, CDU: Ja, unbedingt!)

Wir würden in stiller Bescheidenheit vielleicht auch zurücktreten und sagen,

(Frau Feußner, CDU: Sie haben das Land in den Ruin gewirtschaftet! Und jetzt!)

die Idee von Herrn Lukowitz sei hervorragend.