Protocol of the Session on July 3, 2003

Aber, liebe Landesregierung, wir werden nicht lockerlassen. Wir fragen weiter, weil das die einzige Möglichkeit ist, wenigstens etwas von dem zu erfahren, was Sie vorhaben.

(Zuruf von der CDU: Nein!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle eine Einschränkung machen. Das ist noch wichtig. Natürlich orientieren sich die Antworten auf die Fragen auch nach dem Motto: Wie die Frage, so die Antwort. Das trifft auf einige Fragen zu, die in der Großen Anfrage gestellt worden sind.

Meine Damen und Herren! Welche Erkenntnisse lassen sich nun aus der Antwort der Landesregierung ziehen? - Ich möchte vier Punkte nennen.

Erstens. Auch diese Landesregierung weiß, was Soziokultur ist. Sie hat zumindest über die Kultusministerkonferenz etwas von Soziokultur gehört und hält sie für wichtig.

Zweiter Punkt. Die Landesregierung gibt zu, dass es in den letzten zehn Jahren eine Landesförderung gegeben hat, und kann auch nicht verschweigen, dass die Förderung in diesem Haushaltsjahr so gering ist wie noch nie.

Drittens. Die Landesregierung blickt mit Zuversicht in die Zukunft. Sie möchte auch die Soziokultur nach Haushaltslage weiter fördern, also doch wohl eher ideell in Zukunft.

Viertens. Die Landesregierung weist darauf hin - mit Recht sage ich an dieser Stelle -, dass soziokulturelle Zentren Angelegenheit von kommunalen oder freien Trägern sind, und verweigert, weil sie keine empirisch gesicherten Daten hat, die Antwort. Das ist nachvollziehbar.

Meine Damen und Herren! Insgesamt kommen wir zu dem Eindruck, dass die Kultur insgesamt bei dieser Landesregierung eher ein Stiefkind ist und dass die Soziokultur bei diesem Stiefkind das fünfte Rad am Wagen ist. Wir fordern die Landesregierung auf, diesen Zustand zu beenden,

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

indem sie im nächsten Jahr der Kultur auch die entsprechenden Haushaltsmittel zuweist, die durch die Koalitionsvereinbarung versprochen worden sind. Darin steht nämlich: Wir steigern den Anteil an Kulturmitteln. - Das fordern wir ein.

Wir fordern des Weiteren ein, dass daran auch die Soziokultur angemessen beteiligt wird. Ich glaube, es ist das gute Recht der Opposition, die Versprechungen, die Sie gemacht haben, auch einzufordern.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Zu dem Antrag der PDS: Wir halten es für richtig und notwendig, dass über Soziokultur im Ausschuss für Kultur und Medien gesprochen wird. Wir plädieren daher dafür, dass der Antrag, weil er in dieser Fassung zumindest Nachfragen erwarten lässt, die wir noch stellen wollen, im Ausschuss für Kultur und Medien behandelt wird. Wir beantragen demzufolge eine Überweisung in den Ausschuss für Kultur und Medien.

Wir glauben, wenn man Soziokultur fördern möchte, reicht Geld allein dafür nicht aus, sondern es muss mehr sein, als nur Geld zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, es muss im Bewusstsein etwas dafür getan werden. Deshalb sollten wir im Ausschuss darüber sprechen.

Herr Reck, möchten Sie eine Frage von Herrn Kosmehl beantworten?

Ich möchte erst einmal sagen: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. - Jetzt bin ich fertig mit meinem Redebeitrag. Deshalb kann man nun klopfen, wenn man möchte.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Ich bin bereit, Fragen zu beantworten.

Bitte, Herr Kosmehl, Sie dürfen fragen.

Ich habe eine Frage, Herr Kollege Reck. Wir haben heute im Laufe des Vormittags schon mehrfach über das Thema „Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform“ gesprochen. Ich stelle an Sie also auch die Frage: Kann ich Ihrem Redebeitrag entnehmen, dass Sie mögliche Belastungen, die auf Sachsen-Anhalt durch das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform zukommen, nicht mit Kürzungen im Kulturbereich, sondern mit Kürzungen in irgendwelchen anderen Bereichen ausgleichen wollen?

Herr Kosmehl, ich möchte nur auf eines hinweisen, und zwar auf die Koalitionsvereinbarung, die Ihre Partei, die Freie Demokratische Partei, mit der Christlich-Demokratischen Union geschlossen hat. Da gibt es einen Vertrag. Wissen Sie, was ein Vertrag ist? - Das wissen Sie. Sie sind Jurist.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Das weiß er! Er ist Jurist!)

Da gibt es einen Vertrag, in dem etwas über die Bedeutung der Kultur steht. Sie haben in der Vereinbarung festgelegt, dass Sie beide zusammen mit der Landesregierung den Stillstand in der Kulturpolitik aufbrechen wollen

(Zustimmung bei der SPD)

und dass es dazu notwendig ist, die Kulturausgaben zu erhöhen. - Ich nehme Sie nur beim Wort. Das sollte man doch einmal tun dürfen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Herr Dr. Püchel, SPD: Er möchte Sie doch nur unter- stützen!)

Vielen Dank, Herr Reck. - Nun bitte für die CDU-Fraktion Herr Schomburg.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Begriff „Soziokultur“ taucht in der deutschen kulturpolitischen Diskussion zu Beginn der 70er-Jahre auf. Er stand in engem Zusammenhang mit der damals diskutierten Kulturreform, mit der der Demokratisierungsgedanke auch im Kulturbereich politisch durchgesetzt werden sollte. „Kultur für alle!“ oder „Bürgerrecht Kultur!“, lauteten damals die Schlachtrufe.

Demokratisierung der Kultur heißt oder hieß: Chancengleichheit verwirklichen und Mitbestimmung ermöglichen. Andererseits war, zumindest später, die Soziokultur keineswegs nur als Gegenbegriff zu Kunst und Ästhetik gedacht, sondern sollte vielmehr als Aufforderung verstanden werden, die Künste ernster zu nehmen, als Medien für Kommunikation und Reflexion und instrumentalisiert auch als Gesellschaftskritik.

Die Demokratisierung der Kultur und das Entstehen der Soziokultur waren durch starke ideologische Konflikte begleitet. Die Soziokultur ist immer ein wenig als Gegenkultur zur so genannten Hochkultur verstanden worden.

Soziokultur als Begriff und gelebter Inhalt existierte in der DDR meines Wissens nicht. Weil sich in der letzten Zeit der DDR die Unterschiede zwischen Staatskunst und Alternativkulturen immer weiter aufweichten, gab es die in Westdeutschland ausgeprägten Abgrenzungen zwischen Hochkultur und Gegenkultur in der DDR kaum und es gibt sie bis heute fast nicht.

Die soziokulturelle Szene in Sachsen-Anhalt hat wie in ganz Ostdeutschland deshalb im Wesentlichen zwei Wurzeln. Erstens. In der Nachwendezeit, in der fast alle überkommenen Strukturen zusammenbrachen und die Mechanismen des Marktes zu wirken begannen, in der sich die bisherigen Käuferschichten der DDR-Kunst in Luft auflösten, waren und sind die Künstler nun gezwungen, ihre Kunst durch Nebenverdienste zu finanzieren. Aus den alten autonomen Künstlern wurden vielfach wirtschaftlich planende Individualisten. Es war aber auch die Zeit, Träume, Utopien, Projekte und Aktionen Wirklichkeit werden zu lassen, die neu entstandene Freiräume ausfüllten. So gründeten die Künstler Galerien, Kneipen, Kunst- und Kulturfabriken und eben auch soziokulturelle Zentren.

Die zweite Wurzel waren die um ihre Zukunft kämpfenden Jugendklubs und Kulturhäuser, die in diesem Begriff eine Überlebenschance für ihre Institutionen und die darin Beschäftigten sahen. Die neu entstandenen soziokulturellen Initiativen und Projekte, dann auch Vereine und deren Konzepte wurden also sehr häufig durch Künstler initiiert. Daraus resultieren auch die neuen inhaltlichen Schwerpunkte dieser Zentren. Im Gegensatz zu den Einrichtungen im Westen Deutschlands spielen die künstle

rische Avantgarde, die künstlerische Arbeit, aber auch das künstlerische Angebot und Workshops eine entscheidende Rolle.

Die so entstandene Fülle soziokultureller Zentren besaß trotz aller Unterschiedlichkeiten in den Anfangsjahren eine Gemeinsamkeit: Sie verdankte ihre Existenz dem Arbeitsförderungsgesetz und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, also der Bundesanstalt für Arbeit. Mittlerweile sind bei zurückgehenden Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit zunehmend kommunal unterstützte Strukturen entstanden. Häufig sind Vereine Träger der Einrichtungen und kompensieren mit viel ehrenamtlichem Engagement die fehlenden finanziellen Ressourcen. Alles in allem ist ihre Wirksamkeit aber auf das unmittelbare Umfeld, maximal bis zum Landkreis hin, begrenzt.

Das zentralistische und zentralstaatliche Bild der PDS kommt auch in den Fragestellungen zu der Großen Anfrage zur Soziokultur wieder deutlich zum Ausdruck. Aufgrund dieser Fragen muss man ehrlich zweifeln, ob die PDS wirklich schon in der Bundesrepublik angekommen ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Um einen Teil dieser Fragen zu beantworten, benötigte man einen Überwachungsstaat nach dem Vorbild der DDR, die alle Aktivitäten ihrer Bürger überwachte, statistisch korrekt erfasste und zum Schluss an dem Datenwust erstickte. Dies wollen wir nicht und verzichten gern auf die Beantwortung zum Beispiel der Fragen 2.9, 2.10 ff.

Wenn man sowohl die Wirksamkeit als auch die maßgebliche Finanzierung soziokultureller Projekte im kommunalen Bereich ansiedelt, so hat das natürlich auch Konsequenzen für die Zuständigkeit des Landes in diesem Bereich. An dieser Stelle möchte ich ehrlich fragen: Welcher Teufel hat die PDS geritten, eine solche Große Anfrage zu stellen?

(Zuruf von der PDS)

Ich denke, die CDU hat vor etwa eineinhalb Jahren im Rahmen der Großen Anfrage zur Kulturpolitik der Landesregierung die notwendigen Fragen gestellt.

(Zuruf von Herrn Czeke, PDS)

Dass sich die Datenlage in eineinhalb Jahren so stark ändert, ist kaum zu erwarten gewesen. Anhand der Zahlen und Daten, die als Antwort auf die Anfrage geliefert wurden, ist dies erkennbar.

Ein Problem, das die Antwort aufdeckt, ist die große Zentrierung der Ausrichtung der soziokulturellen Einrichtungen auf die Kinder- und Jugendarbeit. In diesem Zusammenhang muss überlegt werden, ob angesichts des demografischen Wandels die Zukunft dieser soziokulturellen Zentren nicht auch in der Ausrichtung auf andere Bevölkerungsschichten zu suchen ist. Naturgemäß fällt ein Teil der Bevölkerung, der sich im aktiven Berufsleben befindet, traditionell für diesen Kulturbereich fast vollständig aus. Das besagen auch die Ergebnisse von Datenerhebungen in den alten Ländern. Aber sich in diesem Bereich fast ausschließlich auf Kinder- und Jugendarbeit zu stützen, bringt Probleme mit sich. Ich komme später darauf zurück.

Selbstverständlich gibt es aufgrund der angespannten Haushaltslage der Kommunen in der Zukunft Probleme mit der Finanzierung soziokultureller Zentren. Aber es ist eine abwegige Idee, die Grundfinanzierung dieser Zen

tren durch Hilfen der Landesregierung zu erwarten. Denn wo sonst noch müsste die Landesregierung dann für finanziell problematische kulturelle Infrastruktur auf kommunaler Ebene eintreten?

In diesem Bereich ist eher an Kooperationen zwischen soziokulturellen Zentren, zwischen soziokulturellen Zentren und anderen Kultureinrichtungen wie Theatern und Museen, aber auch - das ist ein Beispiel, das ich selbst mit vollzogen habe - an das Zusammengehen eines soziokulturellen Zentrums mit einem Bildungsträger zu denken. Diese sind eigentlich mit unterschiedlichen Zielstellungen ausgestattet, entfalten aber durch die Zusammenarbeit Synergien, die auch der finanziellen Ausstattung der soziokulturellen Arbeit durchaus zugute kommen.

Wir haben es mit einem Kampf um Aufmerksamkeit und Akzeptanz zu tun. Insofern befinden sich soziokulturelle Zentren in einer Konkurrenzsituation zu den attraktiven Angeboten der Medien, der kommerziellen Akteure, aber auch der von Vereinen getragenen Initiativen.

Lassen Sie mich einige Worte zum Zusammenschluss der soziokulturellen Zentren in der Lassa äußern. Dieser Zusammenschluss braucht sicherlich noch etwas Zeit, um nachweisen zu können, dass er im Gegensatz zur Vorgängereinrichtung LAGS in der Lage ist, die Aufgaben zu übernehmen, die diese Einrichtung einmal hatte. Andererseits müssen wir akzeptieren, dass in diesen finanziell schwierigen Zeiten die Übernahme neuer institutioneller Förderungen reiflich zu überlegen ist.

Ich mache auch darauf aufmerksam, dass es in diesem Land eine Reihe von ehrenamtlich arbeitenden Vereinigungen mit mehreren Zehntausend Mitgliedern gibt, die ebenfalls keine institutionelle Förderung für ihre Arbeit erhalten und alles auf freiwilliger Basis erledigen müssen, um ihre Landesinstitutionen zu erhalten.