Vielen Dank, Herr Dr. Püchel. - Für die FDP-Fraktion erteile ich nun Herrn Lukowitz das Wort. - Nein, es spricht Herr Kosmehl.
Herr Präsident! Entschuldigung für die Verwechslung. Das hatten wir bei der Meldung der Redner übersehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eingangs möchte ich es ausdrücklich begrüßen, dass zu einem so wichtigen und elementaren Thema ein Antrag aller Fraktionen zustande gekommen ist. Insbesondere die Art und Weise der konstruktiven Diskussion, die zu diesem Antrag geführt hat, ist positiv hervorzuheben.
Die bisher geführten Diskussionen haben einmütig gezeigt, dass sich die föderale Ordnung der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich bewährt hat. Dennoch stellen die sich verändernden Rahmenbedingungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sowie der fortschreitende Prozess der europäischen Integration die föderale Ordnung vor neue Herausforderungen. Der Bundesstaat wird ihnen nur gewachsen sein, wenn seine Strukturen und Verfahren modernisiert werden. Kurz gesagt: Der Föderalismus ist reformbedürftig.
Das im Grundgesetzt angelegte Verhältnis zwischen Bund und Ländern hat sich im Laufe der Jahre zuungunsten der Länder verschoben. Der Weg steuert immer mehr auf eine Zentralisierung zu. Dies würde nicht nur einen Bruch mit der Verfassungstradition unseres Landes darstellen, sondern gefährdet bereit jetzt sowohl die Vielfalt und die Bürgernähe als auch die Effektivität des politischen Handelns in Deutschland. Zudem werden Kompetenzen und Gestaltungsmöglichkeiten der Länder dadurch ausgehöhlt, dass es eine immer stärker werdende Verflechtung auf allen Ebenen gibt, so zum Beispiel bei der Mischfinanzierung und bei den Gemeinschaftsaufgaben.
Das führt nicht nur - wie bereits erwähnt - zu einer verstärkten Zentralisierung, sondern auch zu einem Verlust der politischen Verantwortung. Das widerspricht jedoch dem liberalen Politikverständnis. Es muss daher zu einer umfassenden Entflechtung von Aufgaben und Zuständigkeiten kommen. Dadurch können politische Gestaltungsmöglichkeiten zurückgewonnen werden. Außerdem wird eine Zuordnung möglich, wer die Verantwortung für Erfolge oder Fehlentscheidungen trägt.
Die FDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich, dass am 31. März dieses Jahres ein Föderalismuskonvent der Präsidentinnen und Präsidenten und der Fraktionsvorsitzenden der Landesparlamente stattfinden und sich mit diesem wichtigen Themenkomplex beschäftigen wird. Aber auch für dieses Hohe Haus ist es unerlässlich, sich an der Diskussion zu beteiligen, um eigene Vorstellungen und Positionen einbringen zu können, die die ostdeutschen und insbesondere die sachsen-anhaltischen Spezifika berücksichtigen.
Ich möchte daher die heutige Debatte auch nutzen, um noch einmal nachdrücklich auf folgende Gesichtspunkte hinzuweisen, die aus unserer Sicht im Rahmen der Tagung Beachtung finden und eine Diskussionsgrundlage darstellen sollten:
Erstens. Es sollte über die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen nachgedacht werden, da sich, wie bereits erwähnt, das im Grundgesetz angelegte Verhältnis zwischen Bund und Ländern deutlich verschoben hat.
Zweitens. Verantwortlichkeiten müssen klar zugeordnet werden, das heißt, es müssen Gemeinschaftsaufgaben und Gemeinschaftsfinanzierungen abgebaut werden.
Viertens. Die Länder und die Landtage müssen gestärkt werden. So muss zum Beispiel die Ausgestaltung der den Ländern obliegenden Aufgabenbereiche mehr durch die Entscheidung der Landesparlamente festgelegt und weniger durch Entscheidungen von Fachministerkonferenzen oder ähnliches geprägt werden.
Sechstens. Das ist heute bereits angesprochen worden. Besonders wichtig ist aus liberaler Sicht eine Einführung des so genannten Wettbewerbsföderalismus. Ein echter und gestärkter Wettbewerbsföderalismus ist nämlich ein wesentlicher Baustein einer geteilten und subsidiär geordneten Staatsmacht und als Dezentralisierungsprinzip unentbehrlich.
mehr Bürgernähe Ängste nehmen und Vorteile bringen. Hier scheint mir, sehr geehrter Herr Kollege Püchel, noch einiger Aufklärungsbedarf zu bestehen, den wir aber sicherlich in den nächsten Monaten verringern können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht sollten wir uns bei der Diskussion über eine Reform des Föderalismus von einem Satz leiten lassen, den die Schöpfer des Grundgesetzes an die Spitze des erstens Entwurfes einer Verfassung gestellt haben. Sie sagten: Der Staat ist um des Menschen Willen da und nicht der Mensch um des Staates Willen.
Sehr geehrter Herr Präsident Professor Dr. Spotka, der vorliegende Antrag reiht sich in eine Vielzahl von Anträgen ein, die andere Landesparlamente zu diesem Thema schon verabschiedet haben. Ich bin der Auffassung, dass wir Ihnen mit dem fraktionsübergreifenden Antrag, der unsere spezifischen Interessen verdeutlicht, ein positives Zeichen für Ihre Arbeit im Rahmen des Föderalismuskonvents mitgeben werden. Ich bin sicher, dass Sie unsere Interessen würdig vertreten werden. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Der Tag wird kommen, an dem du, Frankreich, du, Russland, du, England, und du, Deutschland, all ihr Nationen dieses Erdteils zu einer höheren Einheit verschmelzen werdet, ohne eure verschiedenen Vorzüge und ruhmreiche Einzigartigkeit einzubüßen, und ihr werdet eine europäische Bruderschaft bilden.“ Dies schrieb Victor Hugo bereits 1850.
Ich habe dieses Zitat an den Anfang gestellt, weil es für die heutige Diskussion zwei wichtige Botschaften beinhaltet.
Die erste Botschaft lautet: Bemüht euch um Vorausschau objektiv verlaufender gesellschaftlicher Prozesse. Der Konvent der Landtage am 31. März und die unter enormen Zeitdruck dazu geführte Diskussion offenbarten, wir Landesparlamente beschäftigen uns oftmals erst mit Grundsatzfragen, wenn man eigentlich den längst ablaufenden gesellschaftlichen Prozessen hinterher läuft. So bleibt häufig allein die Besitzstandswahrung. Vieles, was dieser Antrag beinhaltet, ist dies auch. Es ist richtig, aber es ist nicht alles.
Die zweite Botschaft lautet: Man muss eine Vision haben. Hugo nannte sie die verschiedenen Vorzüge und die ruhmreiche Einzigartigkeit, die es gilt, nicht einzubüßen.
In dem gemeinsamen Antrag ist in den ersten sechs Anstrichen der Wert des Föderalismus beschrieben. Wir sagen: Ja, es lohnt sich, um den Föderalismus zu kämpfen, und es bedarf des Kampfes.
Den Föderalismus modernisieren - ja. Aber welcher Föderalismus ist nicht nur modern, sondern zukunftsfähig und erstrebenswert? Unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen funktioniert er? - Die PDS-Fraktion ist der Auffassung, ein solcher Föderalismus muss weit über
den Status quo hinausgehen und der Tendenz hin zum Wettbewerbsföderalismus dringend notwendige Korrektive entgegensetzen. Herr Kosmehl, wir bedürfen nicht Ihrer Aufklärung.
Es ist das Plädoyer für einen Föderalismus, dessen Wesen kooperativ ist und mit dem Geiste des Grundgesetzes übereinstimmt, die Vision eines Föderalismus, in den das Element des Wettbewerbs integriert ist, er selbst aber nicht das Koordinatensystem darstellt. Es ist die Vision eines Föderalismus, der eben nicht soziale Ungleichheit billigend in Kauf nimmt, wie es beispielsweise bei dem Konzept der regionalen Krankenkassen deutlich wird, eines Föderalismus, der legislativ getragen auf Angleichung orientiert und der vor allem zwei großen Herausforderung gerecht wird: die deutsche Einheit zu vollenden und die europäische Integration zu bewältigen.
In diesem Sinne wird die PDS in dem Konvent stärker darauf orientieren, dass die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West, die Zukunftsfähigkeit sozialer Sicherungssysteme und die Stärkung der Rolle der Kommunen im föderalen System deutlicher zum Ausdruck kommen.
Die Positionen in den Parteien sind unterschiedlich. Aber wir dürfen uns nicht an der Notwendigkeit vorbeimogeln, einige Fragen zu beantworten. Ist die Flucht, auch unsere Flucht in die Privatisierung, ist die Theorie vom schlanken Staat und die damit einhergehende Dominanz eines effizienten Föderalismus nicht eine Art Harakiri auch des Föderalismus insgesamt und der von uns so beklagten mangelhaften Einflussmöglichkeiten? Delegiert das Wehklagen über die Rechte der Exekutive im Allgemeinen nicht ein Stück weit die Verantwortung auf die anderen? Wer, wenn nicht vor allem wir selbst, räumt der Exekutive umfassende Verordnungskompetenzen ein? Je nach Regierungskonstellation sind es einmal die einen oder die anderen. Wann, wenn nicht auch augenblicklich, tun wir dies? Schauen wir uns doch die verabschiedeten Gesetze einmal unter diesem Gesichtspunkt an.
Sicherlich ist es richtig, dass man auch darüber nachdenken muss, welche gesellschaftlichen Prozesse, welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hierfür notwendig sind. Ja, wir haben auch darüber nachzudenken, ob die gegenwärtigen Länderstrukturen einem zukunftsorientierten Föderalismus entsprechen. Daran und auch an dieser Diskussion dürfen wir uns nicht vorbeimogeln. Nein, die Opferrolle steht uns nicht. Wir sind auch Täter, alle miteinander.
Nun teilen wir die Auffassung, dass es in dem Konvent vor allem um Forderungssignale geht. Aber es geht auch um Anforderungssignale. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Dr. Paschke. - Zum Abschluss der Diskussion erhält Herr Stahlknecht für die CDU-Fraktion das Wort. Bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal bleibt festzustellen, dass sich die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes, so denke
ich, trotz aller Kritik bewährt hat. Eine hohe Fähigkeit zur Anpassung hat sie in die Lage versetzt, Elemente unterschiedlicher Leitbilder, der Föderalismustheorie sowie politisch imprägnierter Bundesstaatsverständnisse aufzunehmen und zu verarbeiten.
In den Anfängen der Bundesrepublik Deutschland orientierte sich die bundesstaatliche Ordnung an dem Leitbild eines separativen Föderalismus. Das heißt, staatliche Aufgaben zwischen Bund und Ländern sind streng geteilt.
Anfang der 50er-Jahre erfolgte eine Abkehr von dem Modell des seperativen Föderalismus hin zum so genannten unitarischen Bundesstaat. Hier spielten insbesondere finanzwirtschaftliches Komplement, Mischfinanzierung und Fondswirtschaft eine Rolle.
In den 60er-Jahren galt insbesondere in der politischen und in der öffentlichen Diskussion der Föderalismus vielen als nicht mehr zeitgemäß. Für die Erneuerung des Bundesstaates wurde die Staatsidee des kooperativen Föderalismus geboren. Dies beinhaltete die Forderung nach einem beweglichen System der Zuordnung und der Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern und unter den Ländern.
In den letzten 40 Jahren hat sich dieser kooperative Föderalismus in vielfältigen Formen des Zusammenwirkens verwirklicht, die unsere Verfassungswirklichkeit heute prägen. Allerdings - das möchte ich an dieser Stelle erwähnen - ist die Zahl der Bund-Länder-Kommissionen inzwischen auf mehr als 300 gestiegen. Die Zahl der länderübergreifenden Gremien und Arbeitsgruppen soll sich - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - auf mehr als 900 belaufen.
Neben der Schwierigkeit einer einheitlichen Meinungsfindung in diesen Gremien und Kommissionen wird rechtspolitisch vielfach beklagt - das ist heute bereits mehrfach gesagt worden -, dass der Bund von seiner Kompetenz im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung und bei der Rahmengesetzgebung übermäßig Gebrauch gemacht habe.
Darüber hinaus werden in der öffentlichen Diskussion, so wir wie sie auch heute führen, dem deutschen Föderalismus in seiner heutigen Ausprägung drei Kardinalfehler attestiert. Diese sind erstens eine mangelhafte Trennung der Aufgaben- und Ausgabenkompetenzen, zweitens das Übergewicht der Gemeinschaftssteuern und drittens eine übertriebene Ausgleichsintensität des noch geltenden Bund- und Länderfinanzausgleichs.
Nun kann es, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Präsident Professor Dr. Spotka, nicht die heutige Aufgabe sein, konkrete Reformvorschläge inhaltlich erschöpfend zu diskutieren. Gleichwohl möchte ich einige der meines Erachtens guten Reformvorschläge der Bertelsmann-Kommission, die zu Beginn des Jahres 2000 dem Thema „Verfassungspolitik und Regierungsfähigkeit“ tagte, als richtungsweisend aufzeigen:
Erstens. Einführung einer Grundsatzgesetzgebung. An die Stelle der bisherigen Rahmengesetzgebung sollte eine Regelung treten, die den Bund auf die Festlegung von Grundsätzen beschränkt und es den Ländern ermöglicht, Einzelheiten oder die konkrete Ausgestaltung der Gesetze je nach ihren besonderen Verhältnissen oder aber auch Bedürfnissen selbst zu regeln.
Zweitens. Konkurrierende Gesetze mit Widerspruchsrecht des Bundes. Die Länder sollen auch für bundes
gesetzlich geregelte Bereiche - Herr Dr. Püchel hat das angesprochen - eigenständige Normen erlassen dürfen. Dem Bund käme dann aus Gründen der Wahrung der Einheitlichkeit des Wirtschaftsrechts eine Einspruchsmöglichkeit zu. Dadurch würden die Experimentierbereitschaft des politischen Systems und die Zuständigkeit und Eigenständigkeit der Länderparlamente erhöht.
Drittens. Rückverlagerung von Zuständigkeiten. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung sind einzelne Materien in die Länderzuständigkeit zurückzuführen. Allerdings, meine Damen und Herren, möchte ich an dieser Stelle hervorheben, dass ich eine Umkehrung der konkurrierenden Gesetzgebung, wie sie teilweise in der Diskussion ist, nämlich in der Weise, dass der Bund nur noch Gesetzgebungsbefugnisse hat, solange die Länder von ihrem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch machen, ablehne.
Viertens. Ausweitung funktionaler und interregionaler Zusammenarbeit. Als Beispiele seien genannt: die Zusammenlegung von Landesrundfunkanstalten, Landesmedienanstalten, Landesbanken und Landeszentralbanken über die Grenzen einzelner Bundesländer hinaus. Diesbezüglich haben wir von der CDU uns schon eindeutig positioniert. Nicht umsonst ist von unserem Herrn Ministerpräsidenten die „Initiative Mitteldeutschland“ ins Leben gerufen worden.
Fünftens. Veränderung der Zustimmungspflicht des Bundesrates. Der Bundesrat soll bei verbleibender Bundeskompetenz nur noch dort Zustimmungsbefugnisse erhalten, wo dies tatsächlich der Wahrung der Länderinteressen dient.
Sechstens. Die Länder sollen eigene steuerpolitische Gestaltungsmöglichkeiten erhalten, um so in größerem Umfang eigenverantwortlich tätig zu werden. Hervorheben - und das als Reformvorschlag anschließen - möchte ich insbesondere an dieser Stelle, dass Bund und Länder nicht weiterhin staatliche Aufgaben auf die Kommunen verlagern dürfen, ohne dass diesen dafür die erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden.