Danke schön, Herr Dr. Keitel. - Bevor ich zur Abstimmung aufrufe, begrüße ich Schülerinnen und Schüler des Humboldt-Gymnasiums in Magdeburg, die in einer zweiten Gruppe - die erste war vorhin schon anwesend dem Landtag jetzt zuhören.
Zum weiteren Verfahren: Es ist vereinbart worden, keine Debatte zu führen. Ich sehe auch keine Wortmeldungen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung in der Drs. 3/5360. Wer der Beschlussempfehlung in der Fassung der Ausschussvorlage zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren! Damit ist der Tagesordnungspunkt 13 abgeschlossen. Bevor ich allerdings, wie intern verabredet, den Präsidenten Schaefer bitte, die Sitzung weiter zu leiten, möchte auch ich mich an dieser Stelle - das ist für mich die letzte Gelegenheit - von diesem Haus verabschieden.
Ich habe mir überlegt, dass das für mich vielleicht etwas schwerer ist. Ich will Sie nicht mit meiner ganzen Vita konfrontieren, aber doch ganz kurz darauf hinweisen, dass ich im Jahr 1970 zum ersten Mal in einen Landtag, den niedersächsischen, gewählt worden bin und mich somit seit nunmehr 32 Jahren auf Landtagsbänken in zwei verschiedenen Ländern herumtreibe. Ich meine, ich hätte einigermaßen anständig gearbeitet. Ich war in zwei Parlamenten in zwei Ländern, ich war dreimal in der Opposition,
ich war zweimal in der Regierung. Ich scheide jetzt endgültig aus dieser Art der Tätigkeit aus und wollte mich bei Ihnen gern verabschieden.
Ich habe allen Grund, Dank zu sagen - Dank zu sagen für die Art, wie Sie mich angenommen haben. Das war in der Anfangszeit nicht einfach. Vielleicht hat dabei etwas geholfen, dass ich einen Leitspruch habe, der gar nicht von einem großen Dichter stammt, sondern von einem Überhandtuch.
Ich weiß nicht, ob Sie die Sitte kennen, auf Überhandtücher weise Sprüche zu schreiben. Mir ist ein solcher Spruch in England in die Hände gefallen, der lautete: „There is so much good in the worst of us and so much bad in the best of us, that it little behoves one of us to speak about the rest of us.“ Übersetzt: Da ist so viel Gutes im Schlechtesten von uns und so viel Schlechtes im Besten von uns, dass es niemandem von uns ansteht, über den Rest zu reden. - Wenn wir das - auch wenn es nur eine Überhandtuchweisheit ist - beim Umgang miteinander im Hinterkopf haben, können wir in gegenseitiger Achtung miteinander umgehen.
Ich wünsche diesem Land, den Bürgern und natürlich den Mitgliedern des zukünftigen Landtages die Kraft, in gegenseitiger Achtung zum Wohl des Landes SachsenAnhalt und der Bürger dieses Landes zusammenzuarbeiten und Politik zu machen. Herzlichen Dank für die Chancen, die ich trotz mancher Widrigkeiten erfahren habe. In der Summe war es für mich eine erfüllte Zeit. Ich wünsche dem Land und Ihnen alles Gute. Ich denke, wir sehen uns noch bei anderer Gelegenheit. - Schönen Dank.
Einbringer für die FDVP ist die Abgeordnete Frau Wiechmann. Danach folgt eine Fünfminutendebatte. - Bitte, Frau Wiechmann, Sie haben das Wort.
Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz sich über 500 000 Demonstranten versammelten, um gegen die SED-Herrschaft zu protestieren, hörten sie die betagte Schauspielerin Steffi Spiera jene Forderung aussprechen, die später zum geflügelten Wort dieser Ereignisse wurde: Nie wieder Staatsbürgerkundeunterricht!
Diese Forderung wurde nicht nur von den Kindern und Jugendlichen bejubelt, nein, auch die Eltern und Großeltern wussten oft aus eigenem Erleben, wie qualvoll gerade dieser Unterricht war, weil er mit ideologischer Gleichschaltung und ideologischer Disziplinierung einherging. Oft genügte schon ein Hauch anderer Gedanken, um entsprechende Sanktionen hervorzurufen. Es war kein Unterricht für Staatsbürger, um sie zu Meinungsfreiheit und aktiver Mitgestaltung des Gemeinwesens anzuregen; vielmehr wurde freie Meinungsäußerung verketzert und verfolgt. Die Widerstandskraft von Kindern und Jugendlichen sollte gebrochen werden.
Die Gleichschaltung ging einher mit angestrebter Anpassung, die zur Doppelzüngigkeit der Bevölkerung in der gesellschaftlichen Kommunikation führte. Die Verlogenheit dieser DDR-Gesellschaft erreichte dadurch wahre Meisterschaft.
Es mag wie die Geschichte von einem anderen Stern klingen, meine Damen und Herren, wenn sich die Eltern daran erinnern, ihren Kindern fast eingebläut zu haben, dass sie abends eben nur einen Sandmann sehen, was allerdings nur im Dresdener „Tal der Ahnungslosen“ Sie erinnern sich alle an diesen Ausdruck - zutraf.
Das heißt, bereits die Kinder wurden so in ihrem Verhalten und in ihren Einstellungen geprägt, die auf eine Gesellschaft wirken. Jene, die dieser Doppelzüngigkeit und Heuchelei widerstanden, erhielten durch vielfache Schikanen die Quittung, die oft in heute nachzulesenden
Die Anpassung, meine Damen und Herren, und der keineswegs aufrechte Gang waren die Folge. Nur in den privaten Bereichen, den so genannten Nischen, wurde jene Offenheit gepflegt, die ansonsten in der Gesellschaft verwehrt wurde. Deshalb war der Drang der Menschen nach Meinungsfreiheit in allen Bereichen der Gesellschaft so groß. Nicht zuletzt dieser Wille läutete das Ende der DDR ein.
Diese Meinungsfreiheit - grundgesetzlich garantiert - ist sicherlich mit das höchste Gut, das der frühere DDRBürger ersehnte und das er nun auch zu schätzen weiß.
Deshalb, meine Damen und Herren, sind die Bürger in Mitteldeutschland aber auch so misstrauisch, wenn ihnen heute erneut in den Medien und durch die Politik statt Meinungsvielfalt nur Meinungseinfalt begegnet und vieles in der Medienpräsenz an diese Gleichschaltung erinnert.
Meine Damen und Herren! Als die Forderung nach Beendigung des berüchtigten Unterrichts in Stabü - so wurde das genannt - aufkam, da war vor allem das Ende der Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen gemeint. Heute wird aber das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, das heißt, in Kenntnis der trüben Erfahrungen mit dem einstigen Unterricht wird abgelehnt oder mit großen Vorbehalten aufgenommen, was einer staatsbürgerlichen Erziehung durchaus dienlich wäre.
Meine Damen und Herren! Es ist unverständlich und auch erstaunlich, dass Kinder und Jugendliche oft keine Kenntnisse über die Geschichte der DDR, ihre Strukturen und die SED-Diktatur insgesamt besitzen.
Doch wen verwundert das? - Eltern sind hilflos und lehnen die Beantwortung der Fragen ab, weil die Antworten für sie selbst Fragen nach dem eigenen einstigen Verhalten aufwerfen. Oder man ist ganz einfach müde, ständig sein Verhalten zu DDR-Zeiten erklären und den Kindern begreiflich machen zu müssen, dass nicht jeder Mensch zum Helden geboren war. - Ein Problem, das in der deutschen Geschichte von Generation zu Generation übergreift. Lehrer in der Schule verkneifen sich Antworten oder übergehen gar die Fragen, weil sie sich von Schülern bedrängt fühlen oder fürchten, eigene Positionen von einst kundtun zu müssen.
Als erlösende generalisierende Formel, um aus der Ecke zu gelangen, in die man gestellt wird, bietet sich dann eine Formel an, die man immer wieder hört: Es war ja nicht alles schlecht in der DDR. - Mit dieser Formel wird nicht nur eigenes individuelles Verhalten erklärt, sonder auch eigenes Verhalten verklärt. Diese Formel wird genutzt, um den eigenen Lebenslauf, die Familie, die berufliche Entwicklung und auch das Umfeld des eigenen Lebens, der Familie zu schützen, weil Außenstehende, oft Wessi-besserwisserische, zur großen Verurteilung ansetzen und zum Schluss entschuldigend hinzufügen, man wisse ja nicht, wie man sich selbst verhalten hätte, wenn man in der DDR gelebt hätte.
All das, meine Damen und Herren, zeugt von Unkenntnis über die DDR, von der Unkenntnis über das Leben in der DDR, über die Tücken, Heimtücken und auch über die Menschenverachtung der SED-Diktatur.
Verwundernd ist es, meine Damen und Herren, wenn Bürgerrechtler zu Außenseitern werden, heute einstige
Opfer von einstigen Tätern verhöhnt werden, weil die Täter zu den Gewinnern der damaligen Wende gehören. Wie viel Bitternis stößt jenen Menschen auf, die nun heute um ihre Rehabilitierung kämpfen müssen und die erfahren müssen, dass Jahrzehnte als Zuchthauswärter höhere Rentenansprüche erbringen als Jahrzehnte, die man als politischer Häftling im Bautzener „Gelben Elend“ abgesessen hat.
Meine Damen und Herren! Wie verhängnisvoll wird es, wenn die Kinder, Jugendlichen und Studenten keine Kenntnisse über die überwundenen Zeiten erhalten und so der Platz für Legenden geschaffen wird. Es sind eben die Legenden, die mit der Formel beginnen: Es war doch nicht alles schlecht in der DDR. - Wer dieser Formel nachhängt, vergisst das Leid, vergisst die Opfer und die Entwürdigung von Menschen, die über all die Jahre der SED-Diktatur bei Strafe ihres Lebens schweigen mussten, die resignierten und heute - wo sie reden und herausschreien könnten und müssten - verbittert schweigen und verdrängen; denn das ist auch die einzige Art von Opferschutz.
Meine Damen und Herren! Die Zahl jener Menschen, die nicht mehr schweigen wollen, wächst, und das ist gut so. Einst in DDR-Zeiten bei strengster Strafe verboten, wanderte das Buch von Wolfgang Leonhard „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ dennoch von Hand zu Hand. Doch die den Zeitzeugen verbleibende Lebenszeit vermindert sich; die Zahl der Zeitzeugen verringert sich.
In diesen Tagen erscheinen die Erinnerungen des seriösen und untadligen Herrmann Weber, der einen Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der Universität Mannheim innehatte. Weber schildert in seinen Erinnerungen, wie er 1947 als junger Kommunist aus der Westzone in die Ostzone zum Parteistudium delegiert wurde und wie seine Begeisterung bereits nach wenigen Wochen nachließ, weil ihm der Dogmatismus und die geistige Indoktrinierung so starke Fesseln anlegten, dass er seinen Ausflug in das kommunistische Herrschaftssystem bald beendete. Herrmann Weber wurde zu einem der sachkundigsten Analytiker der SED-Diktatur.
Meine Damen und Herren! Wem das nicht ausreicht, der sollte sich mit der Biografie Carola Sterns beschäftigen, die in der so genannten Höhle des Löwen, sprich in der Ulbricht‘schen Parteihierarchie, nicht unbedeutend war und am eigenen Leibe die gedankliche Entmündigung verspürte, wenn man sich der Nomenklatura verschreiben musste.
Meine Damen und Herren! Aber nicht nur diese Erinnerungen, nein, auch die Erinnerungen und die Erfahrungen der so genannten einfachen Leute mit der DDR, mit der SED-Diktatur werden den Kindern und den Jugendlichen verschwiegen oder in einem Schnellkurs innerhalb weniger Stunden vermittelt, der in die Nähe einer Quizsendung angesiedelt ist.
All das verblüfft nicht; denn jüngste Untersuchungen ergaben, dass die DDR-Forschung an den Universitäten und Hochschulen fast brachliegt. Wie sollen dann aber jene Kenntnisse über die DDR, deren Machtstrukturen und die SED-Diktatur erlangen, die diese Kenntnisse später in der Schule vermitteln sollen, wenn sie in ihrer Ausbildung nicht zu diesen Erkenntnissen geführt werden?
Der Autor der interessanten Studie über die DDR-Forschung und ihren Niederschlag im akademischen Lehrbetrieb, der noch unlängst in Wittenberg tätige Peer
„Heute entscheidet sich, ob die DDR-Geschichte künftig eine angemessene Berücksichtigung in den Lehrplänen und in der Unterrichtsgestaltung erfahren wird und wie die gegenwärtig bzw. künftig auszubildenden Lehrerinnen und Lehrer diesen Teil deutscher Nachkriegsentwicklung werden unterrichten können. Was sie während des Studiums nicht wissenschaftlich vermittelt bekommen, werden sie danach kaum in den Unterricht transformieren können.“
Zu denken gibt das in der Studie angeführte Ranking der Sachthemen. Mit weitem Abstand nehmen jene Lehrveranstaltungen eine Spitzenposition im akademischen Lehrbetrieb ein, die sich mit ostdeutschem Kulturleben und der DDR-Kulturpolitik sowie mit dem politischen System und der Verwaltung befassen. Natürlich waren westdeutsche Bürokraten bei ihrem Einstieg im Osten hoch erfreut, gleichartige Amtsbrüder vorzufinden; denn: gleiche Brüder, gleiche Kappen, getreu dem Motto: „Bürokraten aller Systeme, vereinigt euch!“
Viel ernster ist doch die Tatsache, dass die Detailauswertung zum Themenfeld „Politisches System und Verwaltung“ ergab, dass die auf die SED bezogenen Themen lediglich einen Anteil von 2 % ausmachen.
„Andere Themen sind ausgesprochen gering in den Lehrveranstaltungen vertreten. Opposition, Widerstand und Repression zählen nicht zu den zentralen Gegenständen der Lehre an den deutschen Hochschulen. Nur 60 von insgesamt 1 421 erfassten Vorlesungen und Seminaren waren zum Thema Opposition und Widerstand zu ermitteln, also nur 4 %. Die Themen MfS und Polizei machten 0,8 % der 1 421 Vorlesungen und Seminare aus.“
Meine Damen und Herren! Wer diese Zahlen vernimmt, der könnte in Anlehnung an den Satiriker Peter Ensikat ausrufen: Hat es die DDR überhaupt gegeben?
Meine Damen und Herren! Wen erstaunt es angesichts der bereits in der Lehrerbildung auftretenden Fehlentwicklungen, wenn hier neue Legenden Einzug halten? Niemand leugnet die Notwendigkeit, die Alltagskultur zu erforschen, aber wenn die Disproportionen derart ausgeprägt sind, dann stimmt die Richtung nicht mehr.
Wenn die Deutsche Forschungsgemeinschaft Millionenbeträge für Drittmittel auswirft und diese dann - das ist ein jetzt begonnenes Projekt - für die Erforschung der Sandmann-Sendungen und der Sendungen „Ein bunter Kessel“ des Fernsehens der DDR einsetzt, dann fragt man sich doch -