Protocol of the Session on January 17, 2002

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Minister Herrn Dr. Harms)

Danke sehr. - Für die Fraktion der FDVP spricht jetzt die Abgeordnete Frau Helmecke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Pisa piesackt, und im Ergebnis der Studie wissen die Bildungsexperten der SPD-Fraktion plötzlich genau, was zu tun ist. In der Bildungspolitik war doch bisher alles in schönster Ordnung. Oder vielleicht doch nicht?

Jetzt wurde das Übel erkannt. Nun muss das Übel an der Wurzel gepackt werden. Das sind in diesem Fall - so scheint es - die Jüngsten des Landes. Genauer gesagt fängt das Übel laut SPD-Antrag schon im Kindergarten an. Also soll hier der Hebel angesetzt werden, frei nach dem Motto: Immer auf die Kleinen.

Nein, so läuft das nicht. Wir müssen umdenken. Bildung ist in erster Linie Selbstbildung und nicht das Ergebnis von Belehrung. Damit stellt sich die Frage: Was müssen die Erwachsenen und was müssen wir tun, um die Selbstbildung des Kindes und seine eigenaktive Aneignung der Welt zu unterstützen? Was müssen sie tun, um die natürliche Neugier des Kindes zu erhalten und zu fördern? Die Frage muss weniger lauten: Was müssen wir den Kindern beibringen?

Die Grundlagen für die Dimensionen des Allgemeinwissens werden offenbar sehr früh gelegt. Damit gewinnt der Spruch, was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr, eine neue, brisante Bedeutung, jedoch nicht im Sinne einer frühen Abrichtung und rechtzeitigen Unterweisung, sondern im Sinne von lebendig erhalten, fördern und nähren der Kompetenzen der Kinder.

Wie ist das Verhältnis von Qualität und Quantität? - OstAntwort: viel hilft viel. West-Antwort: klein, aber fein.

Wie ist das Verhältnis von Familienaufgabe und gesellschaftlicher Aufgabe? Nicht jedes Betreuungsproblem kann privatisiert werden. Der Betreuungs-, Förderungs-, Erziehungs- und Bildungsauftrag der Kindertagesstätten muss, kann und darf für die Eltern nur eine Ergänzung sein. Durch ihn dürfen die Eltern aber auf keinen Fall entmündigt werden.

Wir brauchen eine neue Antwort auf die Frage des Bildungsauftrags. Hierbei helfen die in den Systemen gefundenen alten Antworten nicht weiter. Weder hat die Befähigungspädagogik eine Zukunft, noch wächst und gedeiht alles, wenn man es nur in Ruhe lässt.

Kindertagesstätten erfüllen einen eigenständigen altersund entwicklungsgemäßen Betreuungs- und Bildungsauftrag, indem sie die natürliche Neugier der Kinder unterstützen, ihre eigenaktiven Bildungsprozesse herausfordern, die Themen der Kinder aufgreifen und erweitern. Damit erfolgt die Vorbereitung auf die Grundschule über die ganze Dauer des Besuches der Kindertagesstätte durch eine spielerische Weiterentwicklung insbesondere kognitiver und sozialer Kompetenzen.

Nun zum Thema sportliche Betätigung. In einem gesunden Körper steckt also doch ein gesunder Geist. Zu dieser Erkenntnis scheint nun auch die SPD gekommen zu sein. Nun ja, Vorbeugen war schon immer besser als Heilen.

Konzentrations- und Lernschwierigkeiten, Wirbelsäulenschäden, Übergewicht und andere Krankheiten sind nicht nur bei Erwachsenen anzutreffen, sondern bereits bei Kindern und Jugendlichen weit verbreitet. Dies lässt auf mangelnde körperliche Betätigung schließen.

Gesundheitsfördernde Aspekte verstärkt in die inhaltliche Ausrichtung unserer Kindertagesstätten einzubrin

gen ist zwar eine schöne Sache. Aber wie haben Sie sich das vorgestellt? Das war Ihrem Beitrag nicht zu entnehmen, Frau Wiedemann. Durch körperliche Ertüchtigung, durch eine tägliche Pflichtsportstunde?

Dieses Thema steht ja nicht zum ersten Mal auf der Tagesordnung. Auch beim letzten Mal ging es um gesundheitsfördernde Maßnahmen. Frau Dr. Hein - sie ist leider nicht anwesend - wird sich sicherlich noch an Ihre Ausführungen zu diesem Thema erinnern. Sie hat ihrer Meinung nach eine geistige Verwandtschaft zu einem Parteiprogramm aus dem Jahre 1920 entdeckt. Wer das noch immer nicht sieht, müsse nach Meinung von Frau Dr. Hein mit politischer Blindheit geschlagen sein.

Damals wurde der Antrag wegen politischer Blindheit und wahrscheinlich auch, weil man auch damals schon mit Messer und Gabel gegessen hat, abgelehnt. Aber das ist Gott sei Dank heute noch erlaubt.

(Zustimmung von Herrn Wolf, FDVP, und von Frau Wiechmann, FDVP)

Diese Argumentation vermisse ich heute bei Ihnen. Na ja, man sollte seine zukünftige Braut auch nicht zu sehr verärgern; am Ende platzt vielleicht die Hochzeit. Mir jedenfalls liegen solche Redensarten fern; sie gehören nicht zu meinem Sprachgebrauch.

Wir schlagen vor, die antragstellende Fraktion sollte erst einmal dafür Sorge tragen, dass weniger Sportstunden ausfallen und dass in den Schulen statt zwei künftig drei Sportstunden wöchentlich durchgeführt werden. Da kann ich aus Erfahrungen reden. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDVP)

Danke sehr. - Für die CDU-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Feußner. Bitte, Frau Feußner.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass wir uns ernsthaft mit der Frage beschäftigen müssen, wie die Zeit vor dem Schulbeginn besser genutzt werden kann. Was können Kinder in dieser Zeit lernen? Was sollen sie lernen? Wo sollen sie dies tun? Ich kann das Nachdenken über diese Fragen nur unterstützen und erkläre ausdrücklich die Bereitschaft unserer Fraktion, dabei mitzuwirken.

Wenn wir demnächst im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft vielleicht mit Herrn Professor Baumert, dem Leiter der Pisa-Studie in Deutschland, sprechen werden, wird sicherlich auch dieses Thema eine Rolle spielen. Da wir uns aber in der letzten Landtagssitzung in einer Debatte zur Pisa-Studie darauf verständigt haben, zunächst eine intensive Analyse vorzunehmen, wundert es mich umso mehr, dass Sie heute diesen Antrag stellen. Selbst der Kultusminister war der Auffassung, dass erst eine detaillierte Analyse vorzunehmen ist. Schnellschüsse bringen an dieser Stelle nichts.

Die Motivation für diesen Antrag und vor allem das, was Sie mit Ihrem Antrag konkret erreichen wollen, ist mir trotz Ihres Redebeitrages noch nicht klar geworden. Ich möchte an dieser Stelle, gerade weil wir eben in der Debatte zum Arbeitsschutz über einen Bericht gesprochen haben, betonen: Hierbei reden wir über ein Konzept. Ich

weiß nicht, inwieweit wir ein solches Konzept noch bis zum Ende der Legislaturperiode umsetzen können.

Aus verschiedenen Gründen können wir deshalb diesen Antrag nur ablehnen. Lassen Sie mich einige Gründe konkret nennen.

Erstens. Als Begründung für die Ablehnung würde es ausreichen, dass die Regierung das geforderte Konzept - ich erinnere daran, hier wird ein Konzept und nicht ein Bericht gefordert - bis zum Ende der Legislaturperiode nicht mehr vorlegen kann. Ob das Parlament den Antrag annimmt oder ablehnt, wird keine Folgen haben, jedenfalls keine, die nicht auch ohne diesen Antrag eintreten würden.

Außerdem - das muss ich ehrlich sagen - wäre eine Anhörung der Betroffenen nicht nur ratsam, sondern notwendig. Ich denke, Sie möchten in diesem Zusammenhang nicht auf die Meinung der Eltern und auf die Erfahrungen der Erzieher verzichten, zumal genau dies in Ihrer Begründung gefordert wird. Darin heißt es nämlich ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -:

„... sind die Träger von Kindertageseinrichtungen gemeinsam mit den Eltern und den Schulträgern gefordert, entsprechende inhaltliche Konzepte zu erarbeiten und umzusetzen.“

Die Träger sollen also dieses Konzept vorlegen.

Zweitens fragt man sich, wer hier in den letzen Jahren überhaupt regiert hat

(Zustimmung von Herrn Dr. Daehre, CDU)

oder wenigstens einen entsprechenden Eindruck erweckt hat.

(Heiterkeit bei der FDVP)

Nach fast acht Jahren an der Regierung wendet man sich erstmalig inhaltlich den Kindergärten zu. Insofern entlarvt der Antrag vor allem die Schlafmützigkeit unserer Sozialministerin. Bei dem Thema Vorbereitung auf die Schule mag man noch einräumen,

(Unruhe bei der SPD)

dass dieses durch die Pisa-Studie neu in den Blick gerückt wurde.

(Ministerin Frau Dr. Kuppe: Wann haben Sie sich jemals um die Kitas gekümmert?)

Aber was die Gesundheitsförderung und die Ernährung anbelangt, ist dies zweifelhaft.

Drittens. Es ist - je nach Betrachtungsweise - drollig -

(Ministerin Frau Dr. Kuppe: Wir wollen doch eine zufrieden stellende Versorgung! - Herr Dr. Daeh- re, CDU: Frau Ministerin, bleiben Sie doch mal ganz ruhig! Hören Sie doch mal zu!)

- Bleiben Sie doch ganz ruhig. Sie brauchen heute keine Angst zu haben.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Es ist Daehre, der hier schreit, und nicht die Ministerin!)

Es ist - je nach Betrachtungsweise - drollig oder unverfroren, pünktlich zu einer weiteren Absenkung der Höhe der Landespauschalen mehr Inhalte von den Einrichtungen abzufordern.

(Frau Kauerauf, SPD: Was hat denn das damit zu tun?)

Oder sollen die Mehrangebote auch noch die Kommunen übernehmen? Sie kürzen und die Kommunen bezahlen. Woher sollen die denn noch das Geld nehmen?

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU - Un- ruhe bei der SPD)

Viertens. In diesem Zusammenhang ist zumindest die Frage aufzuwerfen, ob nicht in dem Maße, in dem die Kindergärten Bildungsangebote machen, das Land die Kindergartenbeiträge übernehmen müsste.

(Zuruf von Herrn Bischoff, SPD)

Fünftens geht aus dem Antrag nicht im Mindesten hervor, was die SPD überhaupt unter vorschulischer Bildung versteht. Solange Sie bei Ihrem Antrag so unklar bleiben, gehen Sie nicht über das hinaus, was jetzt schon im Kinderbetreuungsgesetz steht.

Sechstens sollte sich eine entsprechende Konzeption ausdrücklich nicht nur an Kindergärten, sondern auch an die Elternhäuser wenden. So sehr wir vorschulische Bildungsangebote unterstützen, so sehr lehnen wir auch die kleinste Vorstufe zu einem Kindergartenpflichtjahr ab.