Schon in frühester Zeit empfand es die Menschheit als Pflicht, den Toten eine würdige Bestattung zu geben. Im Laufe der Entwicklung der Hochschulgesellschaften zu Rechtsstaaten wurden diese sittlichen Pflichten zu Konventionen und letztendlich zu Rechtsregeln. Der Rechtsphilosoph und erste sozialdemokratische Justizminister der Weimarer Republik Gustav Radbruch postulierte damals, dass entsprechende Rechtsnormen so weit Gültigkeit beanspruchen können, als sie den Moralvorstellungen der Gesellschaft entsprechen.
Ich habe diesen gesellschaftstheoretischen und rechtssoziologischen Bogen gespannt, um noch einmal deutlich zu machen, dass wir es hier mit einer Materie zu tun haben, die mit Ernst und mit Respekt behandelt werden muss. Diese Merkmale zeichneten das parlamentarische Verfahren im Landtag von Sachsen-Anhalt aus. Deswegen danke ich an dieser Stelle sehr herzlich allen Mitgliedern des federführenden Ausschusses und der mitberatenden Ausschüsse für die ernsthafte, sachorientierte Arbeit. Der Dank gilt ebenso allen anderen Beteiligten im Gesetzgebungsverfahren.
Die inhaltliche Diskussion im federführenden Ausschuss und auch im hinzugezogenen Ausschuss für Recht und Verfassung - Frau Krause hat darüber berichtet drehte sich in Auswertung der Anhörung überwiegend und insbesondere um Fragen des pietätvollen Umgangs mit Verstorbenen und die Voraussetzungen für eine
In den Ausschussberatungen wurde eine Rechtsgüterabwägung vorgenommen. § 9 - Leichenöffnung - in der Fassung, die heute auch aufgrund des Änderungsantrages zur Abstimmung gestellt wird, berücksichtigt sowohl die Menschenwürde des oder der Verstorbenen, die über den Tod hinaus wirkt, als auch die im Rahmen der Handlungsfreiheit grundrechtlich geschützten Rechte der Hinterbliebenen auf Totenfürsorge.
Die im Regierungsentwurf vorgesehene schriftliche Einwilligung der Angehörigen wurde in den Beratungen durch die Möglichkeit der mündlichen Zustimmung mit Anfertigung eines Protokolls über die abgegebene Einwilligung zur Leichenöffnung ergänzt. Dies ist verfassungsrechtlich möglich, da die schriftliche Form der Dokumentation und der Rechtssicherheit dient und, wie jetzt vorgesehen, durch einen anderen geeigneten Nachweis ersetzt werden kann.
Ich meine, dass die jetzt zu § 9 gefundene Regelung einerseits der pathologischen Praxis entgegenkommt, denn die formalen Erfordernisse werden herabgesetzt; andererseits wird aber auch materiell eine grundrechtsschützende Position beibehalten.
Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich denke, der Landtag sollte dem einmütig gefassten Votum des federführenden Ausschusses folgen. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Danke schön, Frau Ministerin. - Das Wort zur Aussprache, die vereinbarungsgemäß fünf Minuten Redezeit pro Fraktion umfasst, hat Herr Dr. Bergner für die CDUFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe heute Vormittag noch Frau Krause und mir die Frage gestellt, ob man zu einem solchen Gesetz tatsächlich noch eine Debatte braucht. Es ist in der Tat mit großem und grundsätzlichem Einvernehmen beraten worden Einvernehmen sowohl hinsichtlich der Intentionen der Vorlage der Landesregierung als auch zwischen den Fraktionen. Ich denke aber, dass die Debatte wenigstens insofern ein Zeichen setzen kann, als es sich - dabei schließe ich auch an das an, was Frau Krause gesagt hat - natürlich um eine Frage handelt, die Berührungspunkte zu bioethischen und ethischen Grundsatzfragen aufweist, die uns in jüngster Zeit verstärkt beschäftigen.
Ich will auch aus der Sicht der CDU-Fraktion noch einmal betonen, dass der GBD in Gestalt von Herrn Dr. Reich und Frau Behrendt eine Menge wertvoller Hinweise gegeben hat, die durchaus nicht nur technischer Natur waren, sondern insbesondere auch der Widerspruchsfreiheit zu anderen parallelen gesetzlichen Vorgaben gedient haben.
Übereinstimmung - das können wir mit großer Befriedigung feststellen - bestand bei zwei, wie ich denke, wichtigen grundsätzlichen Gesichtspunkten.
Der erste Gesichtspunkt ist das Bemühen um den so genannten postmortalen Persönlichkeitsschutz, das heißt
die von der Menschenwürde - Artikel 1 - und den Freiheitsrechten - Artikel 2 - abgeleiteten Forderungen, die nach dem Todesfall im Umgang mit dem Körper des Verstorbenen ihren Niederschlag finden. Wir haben damit einen bewussten Bruch mit den DDR-Regeln des Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesens vorgenommen. Wir sind aber auch - ich denke, diesen Vorwurf kann man uns nicht machen - nicht leichtfertig mit den Argumenten umgegangen, die uns engagierte Pathologen vorgetragen haben. Ich bin froh, dass unser Vorschlag einer Erweiterung der Zustimmungsregelung mehrheitsfähig gewesen ist.
Der zweite Gesichtspunkt, bei dem ich auch vor dem Hintergrund früherer Diskussionen die Übereinstimmung noch einmal hervorheben will, ist die Bereitschaft, sich bei der Ausgestaltung dieses Gesetzes nicht nur an sachliche Gegebenheiten, also medizinische Erfordernisse, strafprozessuale Erfordernisse und anderes, gebunden zu fühlen, sondern auch an das, was das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung einmal „allgemein anerkannte Wertvorstellungen der Gesellschaft“ genannt hat, wenn Sie so wollen, kulturelle Traditionen. Dies hat bei den Beisetzungsfristen, bei der Beisetzungspflicht, wobei wir dem Votum des Innenausschusses nicht gefolgt sind, bei den erforderlichen Ruhezeiten und anderem mehr seinen Niederschlag gefunden.
Natürlich haben wir all diese Beschlüsse im Wissen um die Bedeutung der sich aus Artikel 4 - Religionsfreiheit ableitenden Besonderheiten für Angehörige von Religionen mit anderen religiösen Riten und kultischen Erfordernissen gefasst.
Ich erwähne auch noch, dass ich mich im Lichte dieser Verständigung nach der Gesetzesberatung gefragt habe, Herr Kollege Bischoff, weshalb wir uns vor anderthalb Jahren einmal über einen Begriff in die Haare geraten sind, der hier eigentlich seine Rechtfertigung gefunden hat, nämlich der Begriff der Leitkultur. Was wir gemacht haben, war letztlich nichts anderes, als dass wir auf der Basis unserer kulturellen Traditionen Entscheidungen und Regelungen getroffen haben, dass wir uns zu diesen Traditionen bekannt haben und dass wir, weil es auch unsere Tradition ist, dort Offenheit signalisiert haben, wo uns der Respekt vor anderen Religionen dazu Anlass gibt. Insofern stellt sich mancher Begriff, wenn er aus der Szene der Kampfbegriffe herausgeholt ist, als sehr sinnvoll und sehr angemessen dar.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Entwurf des Bestattungsgesetzes enthält wesentliche Regelungen zum Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen. Das wurde in der Berichterstattung durch die Kollegin Krause noch einmal deutlich gemacht. Der Gesetzentwurf wurde in den zuständigen Ausschüssen umfassend beraten.
Der wichtigste Schwerpunkt der Beratung war die Leichenöffnung, geregelt in § 9 des neuen Bestattungsgesetzes.
Nur wenige medizinische Bereiche berühren das Persönlichkeitsrecht so tiefgreifend wie eine Leichenöffnung. Die individuellen Auffassungen über die Durchführung einer Sektion sind so unterschiedlich wie die Ansichten über den Tod überhaupt. Mit der Regelung des § 9 unter Hinzufügung der Formulierung des Änderungsantrages wird der Menschenwürde, dem postmortalen Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen, dem Pietätsgefühl und dem Persönlichkeitsrecht der Angehörigen in Form des Totensorgerechts voll entsprochen. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen sicherlich nicht.
Es ist nach ethischen Gesichtspunkten unabdingbar, dass entweder die verstorbene Person zu Lebzeiten schriftlich einer Leichenöffnung zugestimmt oder aber der nächste Angehörige schriftlich eingewilligt hat. In der Regel sind nahe Angehörige mit den Ansichten und Auffassungen der verstorbenen Person genügend vertraut, um den mutmaßlichen Willen der verstorbenen Person abschätzen bzw. vertreten zu können. Damit wird ein ethisch vertretbarer Kompromiss zwischen dem Schutz des hypothetischen Willens der verstorbenen Person und dem gewichtigen medizinischen Interesse an der Leichenöffnung erzielt.
Darüber hinaus kann auch eine mündliche Einwilligung des Angehörigen genügen. Hierüber ist immer ein Protokoll anzufertigen. Allerdings kann einem Missbrauch auch durch eine Protokollanfertigung nicht immer vorgebeugt werden. In der Praxis bildet der Missbrauch jedoch die Ausnahme, sodass es unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keine Beanstandungen gibt. Demgegenüber ermöglicht die fernmündliche Mitteilung eine zeitnahe Sektion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist dem Anliegen angemessen, dass wir diese Debatte sehr ernsthaft führen. Es ist tatsächlich so: Wenn wir über den Tod reden, der jeden von uns trifft, dann reden wir auch über das Leben. Wenn wir über die Würde reden, die wir dem Tod und dem Verstorbenen beimessen, dann reden wir auch über die Würde des Lebens und über uns. Die Art und Weise, wie wir über den Tod und das Sterben reden, lässt Rückschlüsse darauf zu, wie wir mit der Würde des Lebens umgehen.
Herr Dr. Bergner, ich halte das, was Sie gesagt haben, für richtig: Natürlich ist es Ausdruck unserer Kultur und unserer Religionsgeschichte, dass wir Werte schützen, indem wir zum Beispiel Regelungen dazu treffen, wie Friedhöfe gestaltet werden, wie die Friedhofsruhe einzuhalten ist. Auch dass wir uns bei der Urnenbestattung darauf geeinigt haben, diese nicht zu liberalisieren und
in die Willkür Einzelner zu geben, halte ich für wichtig und richtig. Daher ist es in diesem Zusammenhang gut, sich zu vergewissern, auf welchem Boden wir stehen.
Ich will, weil das schon von allen gesagt worden ist, jetzt nicht auf die einzelnen Regelungen eingehen. Ich will an Sie appellieren. Wir haben bei diesem Gesetz gemerkt, wie wichtig es ist, dass man zu Lebzeiten schriftlich etwas festlegt, was nach dem Tod des Einzelnen nicht mehr zu regeln ist. Man legt es sonst in die Hände anderer. Wir wissen, wie schwer es Verwandten oder Ärzten oft fällt, mit der Entscheidung umzugehen. Es reicht bis hin zu verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn es um die Unantastbarkeit der Würde des Lebens auch nach dem Tod geht.
Es wäre schön, wenn wir Politiker und Politikerinnen, die wir auch eine Vorbildfunktion haben, bei diesen Dingen selbst etwas regeln und etwas hinterlassen, um nicht von anderen etwas zu verlangen, was sie in Gewissenskonflikte bringen könnte. Ich will Sie in diesem Zusammenhang um eines bitten; ich lege das in den nächsten Tagen in Ihre Fächer. Diese Thematik steht in enger Beziehung zum Organtransplantationsgesetz. Ich glaube, für viele ist es der letzte Liebesdienst, wenn sie schriftlich festlegen, dass nach ihrem Tod Organe an diejenigen weitergegeben werden können, die noch eine letzte Hoffnung auf Leben haben.
Eigentlich sollte jeder von uns einen solchen Ausweis in der Tasche haben. Ich habe ihn immer bei mir, manch anderer auch. Vielleicht kann sich der eine oder andere von Ihnen dazu durchringen, dabei mitzumachen und dies zu Lebzeiten schriftlich festzulegen, damit andere, die noch eine Lebenschance haben, etwas davon haben. Das könnte ein gutes Zeichen sein.
Ich würde mir wünschen, dass dieses Gesetz, das ethische und moralische Vorstellungen weitergibt, sie gesetzlich regelt, Einstimmigkeit erfährt. Ich wünsche Ihnen, dass Sie einmal in dieses Gesetz hineinsehen; denn darin sind viele Dinge geregelt, die jeden von uns persönlich angehen. Manchmal gehen einem erst die Augen auf, wenn man sich genauer damit beschäftigt hat. - Ich danke Ihnen.
Danke schön, Herr Bischoff. - Da die DVU-Fraktion ihre Wortmeldung zurückgezogen hat, sind wir am Ende der Debatte. Wir kommen zur Abstimmung.
Ihnen liegt ein Änderungsantrag mehrerer Abgeordneter vor. Das Präsidium ist der Meinung, dass eine darin enthaltene Formulierung zu Irritationen führen könnte. Unter Nr. 2 des Änderungsantrags heißt es: § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Beschlussempfehlung wird ersatzlos gestrichen. Dies könnte bei einer späteren Endfassung bedeuten, dass auch der Halbsatz „Eine Leichenöffnung ist zulässig“ entfällt.
Ich stelle deshalb ausdrücklich fest, dass das Hohe Haus der Meinung ist, dass dieser Teil des Satzes durch den Änderungsantrag nicht gestrichen werden soll, sodass die spätere redaktionelle Bearbeitung problemlos erfolgen kann.
Ich rufe zur Abstimmung zunächst den Änderungsantrag mehrerer Abgeordneter in der Drs. 3/5184 auf. Wer den
darin vorgesehenen Änderungen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme und ohne Enthaltung ist diesem Änderungsantrag zugestimmt worden.
Wir können nun über die Beschlussempfehlung in ihrer Gesamtheit einschließlich der soeben beschlossenen Änderung durch den Genossenantrag abstimmen.
Wer der so geänderten Beschlussempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Keine Gegenstimme. Damit ist der Beschlussempfehlung des Ausschusses mit der durch den Genossenantrag vorgenommenen Änderung gefolgt worden.
Wir kommen zur Abstimmung über die Abschnittsüberschriften in der Fassung der Beschlussempfehlung. Wer den Abschnittsüberschriften zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Das ist einstimmig so beschlossen.