Protocol of the Session on October 11, 2001

Aber diese Untätigkeit, meine Damen und Herren, ist wiederum erkennbar Wasser auf die Mühlen der erklärten Feinde unserer demokratisch-rechtsstaatlichen Grundordnung. Ja, die Dinge - und das muss erkannt werden - beginnen sich in dramatischer Weise umzu

kehren. Jetzt wendet sich die ignorante Unsicherheitspolitik deutscher Bundes- und Landesregierungen gegen die eigene deutsche Einwohnerschaft.

Man mag es kaum glauben, aber schon drohen zwielichtige islamitische Organisationen wie Milli Görüs und sogar der Zentralrat der Muslime in Deutschland dem deutschen Staat ganz unverhohlen unkalkulierbare und unbeherrschbare Gewaltaktionen der islamischen Bevölkerungsbasis für den Fall an, dass der Rechtsstaat es wagen sollte, Moscheen bzw. Gebetshäuser von Organisationen zu schließen, denen Verfassung, Gesetze und hiesige Werteordnung völlig gleichgültig sind. - So nachzulesen in den aktuellen Zeitungen.

Glatt unwahr ist die Behauptung, das alles habe niemand vorhersehen können. Nein, der Verfassungsschutz hat seit den 80er-Jahren fortwährend ein sorgfältiges Bild der extremistischen und vor allem auch der fanatisch-gewaltbereiten islamitischen Gruppen auf deutschem Boden gezeichnet. Nur scherten sich die allermeisten Multikulti-Sozialisten, Kommunisten und Liberalisten eben nicht darum.

Ideologie, meine Damen und Herren, trübt eben den Blick. Und fatal ist, wie heftig die Folgen drücken, die wir alle, die große Mehrheit der Rechtstreuen und der gänzlich Friedfertigen, fortan wohl oder übel auszubaden haben.

(Unruhe bei der SPD)

Wenn erst einmal aggressive und intolerante Minderheiten das Heft in die Hand bekommen, geht die Demokratie bitterschweren Zeiten entgegen.

Meine Damen und Herren! Auch das muss entgegen aller Schönfärberei gesagt werden: Die innere Sicherheit ist zutiefst beschädigt. Machen Sie endlich Schluss mit dem Gerede vom angeblich übertriebenen subjektiven Unsicherheitsempfinden der Bürger. Auch für Deutschland ist es höchste Zeit. Und Amerika ist eben nicht so weit weg, Herr Dr. Fikentscher, wie Sie es jüngst im Ältestenrat behauptet haben. Auch für Deutschland ist es höchste Zeit. Nur Ignoranten können vor der Bedrohung noch immer die Augen verschließen.

Niemand, meine Damen und Herren, will den Rechtsstaat abschaffen, aber der Rechtsstaat muss zeigen, dass er Recht und Ordnung und innere Sicherheit garantieren will und dass er das auch kann.

Die eingeleiteten Maßnahmen zum Terrorschutz strapazieren die Polizei bis aufs Äußerste. Zusätzliche Einsätze stehen an. Viele Polizeibeamte kennen ihre Häuslichkeit nur noch zum Schlafen. Ein Familienleben findet nicht mehr statt. Jede weitere zusätzliche Einsatzbelastung ist einfach nicht mehr ertragbar. Die Grenze der physischen und psychischen Belastbarkeit ist offenbar bei vielen Beamten erreicht, wenn nicht sogar schon überschritten. Die Beamten des Polizeivollzugsdienstes schieben zum Teil ganze Berge von Überstunden vor sich her.

Die Bundesregierung will jetzt mit einer personellen Aufstockung des Bundesgrenzschutzes reagieren. Außerdem soll die technische Ausstattung verbessert und auch komplettiert werden.

Wo aber bleibt das Land Sachsen-Anhalt? Nichts, aber auch gar nichts ist von den Bundesabsichten für die Polizeivollzugsdienste des Landes Sachsen-Anhalt zu vermelden. Die Beamten werden verschlissen, die Einsatz- und Führungsmittel werden aufgebraucht.

Meine Damen und Herren! Unseren Beamten, Herr Dr. Püchel und Herr Ministerpräsident, ist tatsächlich der Dank auszusprechen für den großartigen Einsatz, den sie bisher geleistet haben und auch weiter leisten werden. Allerdings ist ihnen der Dank der Bürger dieses Landes auszusprechen, Herr Innenminister.

(Beifall bei der FDVP - Zustimmung von Frau Brandt, DVU)

Der Landesinnenminister bekundet nur pflichtgemäße Absichten. Das haben wir heute auch wieder gehört. Was nicht zur Verfügung steht, kann auch nicht eingesetzt werden. Mit anderen Worten: Infolge der personellen, finanziellen und sächlichen Ausdünnung des Polizeivollzugsdienstes ist die Polizei auch bundesweit nicht mehr in der Lage, den Auftrag zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung wahrzunehmen. Aber niemand, meine Damen und Herren, kommt auf die Idee, danach zu fragen, warum denn wohl die privaten Sicherheitsdienste wie Pilze aus dem Boden schießen. Daher ist es grundsätzlich geboten, die Personalkosten und die Ausgaben für technische Neuerungen für den Polizeivollzugsdienst deutlich zu erhöhen.

Es bestehen keine Bedenken, auch unsererseits nicht, im Rahmen des Antiterrorprogramms weitere zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen. 1 Million DM, Herr Innenminister Püchel, zur Motivation der Polizisten, das reicht an dieser Stelle nicht aus. Schauen wir in das Bundesland Bayern. Dort wurden weiter reichende Schritte beschlossen.

Allerdings werden auch Neueinstellungen nicht zu einer kurzfristigen Entlastung der Polizei im Lande führen, da es überwiegend um die Einstellung von Auszubildenden geht. Die Ausbildung eines Polizeibeamten dauert mehrere Jahre und kostet rund eine Viertelmillion D-Mark einschließlich der Bezüge der Betroffenen. Kräfte, die aus anderen sicherheitsrelevanten Bereichen, etwa aus der Bundeswehr, abgezogen und umgeschult werden, bringen zahlenmäßig auch keine große Entlastung. Zu all den Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, habe ich heute nichts von Ihnen gehört, Herr Innenminister.

Vor diesem Hintergrund ist aber auf die zusätzlichen Belastungen hinzuweisen, etwa den für November geplanten Castor-Transport. Das tritt zunehmend in den Hintergrund, aber auch davor ist dringend zu warnen. Es ist derzeit personell nicht mehr zu verkraften, diese Transporte zu sichern. Die Beruhigungspillen des Bundesinnenministers - heute haben wir das auch vom Landesinnenminister gehört - vermögen nun nicht mehr von der sicherheitsrechtlichen und sicherheitstaktischen Anarchie abzulenken. Heute von einer gesicherten Sicherheitslage auszugehen ist doch nicht mehr und nicht weniger als eine Schimäre.

Polizeipraktiker halten insgesamt und durchgängig alle Konzepte der Innenminister bisher für blanke Theorie. Das gilt für die Terrorbekämpfung wie auch für die Castor-Transporte. Denn wo früher ein Beamter stand und Wache schob, stehen jetzt mindestens zwei. Viele andere Aufgaben, etwa unterstützende Arbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung, sind längst hintenangestellt worden, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen ohnehin gestrichen. Allein beim Objekt- und Personenschutz werden massenweise Beamte verschlissen, die sinnvollerweise bei der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung eingesetzt werden müssten.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren! Seien Sie bitte etwas ruhiger.

Danke sehr, Herr Präsident.

Trotz ihrer extremen Belastung ist die Moral bei der Polizei aber ungebrochen. Die Konsequenzen der Tragödie von New York und Washington hat jedermann begriffen. Gleichwohl wird hinter vorgehaltener Hand auch bei der Polizei die Frage immer lauter, wie denn der Sicherheitsstandard dauerhaft aufrechterhalten werden soll, wenn die Lage sich verschärfen sollte. Hieraus folgt, dass der Personalbestand der Polizei deutlich zu erhöhen ist und die Einsatz- und Führungsmittel dem jeweiligen Stand der Technik anzugleichen sind.

Sich an Bundesländern, Herr Innenminister Püchel, zu orientieren, die schlechter als Sachsen-Anhalt dastehen, ist in dieser Situation einfach nicht angezeigt.

Allerdings begrüßen wir ausdrücklich Ihre Ausführungen zur besseren Ausrüstung der Polizei, auch bezüglich Schutzwesten. Das zeigt uns die Richtigkeit unserer Forderungen, die wir bereits vor über eineinhalb Jahren gestellt haben. Diesbezüglich besteht aber immer noch ein erheblicher Nachholbedarf. Es geht nicht an, die Sondereinheiten der Polizei mit dem besten Gerät auszustatten, während sich der Posten- und Einzeldienst sowie die Bereitschaftspolizei als Bettler der Nation betätigen dürfen.

Es ist darüber hinaus angezeigt, zumindest zu erwägen, ob die dreigeteilte Laufbahn in Sachsen-Anhalt zugunsten der zweigeteilten Laufbahn aufgegeben werden kann. Denn es kann nicht angehen, meine Damen und Herren, dass die westlichen Bundesländer die zweigeteilte Laufbahn als Regellaufbahn eingeführt haben, während sich in Sachsen-Anhalt das überwiegende Fußvolk im mittleren Dienst wiederfindet, mit weniger Geld und praktisch keinen Funktionen. So, Herr Innenminister, motiviert man Polizeibewerber, die sich dem Landesdienst zur Verfügung stellen, und Polizeibeamte, die über den Dienst nach Vorschrift hinaus Polizeidienst zu versehen haben, jedenfalls nicht.

Meine Damen und Herren! Es ist erstaunlich, dass es bis auf die Kommunisten des Landtages alle Parteien erreicht haben, meine Partei - das muss ich doch etwas sarkastisch betonen - in dieser Sache argumentativ -

Frau Wiechmann, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass wir hier keine kommunistische Fraktion im Saal haben.

Doch, die sitzt dort, Herr Präsident.

Nein, das ist keine kommunistische Fraktion.

Die sitzt dort.

(Beifall bei der FDVP - Herr Weich, FDVP: Ja- wohl!)

- - rechts zu überholen. Die Vermutung ist nicht unbegründet - das ist ein bisschen ironisch gemeint -, dass künftig zumindest die Fraktion der CDU und der amtierende Innenminister des Landes im Verfassungsschutzbericht unter der Rubrik „Rechtsradikale Umtriebe“ aufgenommen werden.

Meine Damen und Herren von der CDU, Sie fordern in der Drs. 3/4958 nur das, was wir zu den Drs. 3/3015 und 3/3023 bereits einmal vorgetragen haben. Wir können natürlich Ihre dahin gehenden Anträge mittragen, obwohl Sie unsere Anträge damals abgelehnt haben. Wir geben allerdings zu bedenken, dass unter Ihrer Regentschaft die Raster- und die Schleierfahndung als taktische und rechtliche Grundbegriffe nicht in die Polizeidienstvorschrift 100 aufgenommen wurden.

Vielleicht noch die eine Bemerkung: Sie reden, mit Wilhelm Busch gesprochen, - das ist unsere Meinung - nur dem Volke nach dem Maul. Der in Drs. 3/4998 vorliegende Antrag Ihrerseits weist Intentionen und auch Akklamationen aus, die von meiner Fraktion nicht insgesamt geteilt werden können; denn es sind zunächst die ausländerrechtlichen Vorschriften zu ändern, die derzeit keinen Zugriff auf die Dateien durch die Polizeien der Länder zulassen - das müssten Sie eigentlich wissen -, um dann in einem zweiten Schritt die Übermittlung an die Polizei vornehmen zu können.

Die Beratung im Ausschuss ist, meine ich, dringend angezeigt, und der werden wir auch zustimmen. Es muss wahrscheinlich in einigen Punkten noch etwas geändert werden. Allerdings ist zu vermuten - auch das gebe ich hier noch zum Besten -, dass Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der CDU, das gleiche Schicksal erleiden wird wie andere vorher. Deshalb kann ich Ihren Optimismus nicht teilen, sondern meine, dass er wie andere Anträge von Ihnen vorher im Ausschuss abgeschmettert werden wird. - Danke schön.

(Beifall bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Wir haben neue Zuhörer und Zuschauer. Wir begrüßen ganz herzlich Damen und Herren des Förderkreises Naturschutz und Ökologie e. V. Bad Dürrenberg.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich möchte Ihnen nun den den Fraktionen noch zustehenden Redezeitfonds mitteilen. Die CDU-Fraktion verfügt noch über 17 Minuten, die SPD-Fraktion über sieben Minuten, die PDS-Fraktion über elf, die DVU-Fraktion über 29 und die FDVP-Fraktion über vier Minuten. Möchte jemand davon noch Gebrauch machen? - Herr Becker, bitte, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Die CDU wollte ursprünglich nach den grundsätzlichen Ausführungen des Herrn Fraktionsvorsitzenden nicht mehr sprechen. Der Herr Fraktionsvorsitzende konnte aber nicht ahnen, was Frau Dr. Sitte nach ihm noch ausführen würde. Das ist auch der Anlass, aus dem ich noch etwas sagen möchte.

Frau Dr. Sitte, wir sehen die Schwierigkeiten, in denen sich Ihre Partei seit etwa vier Wochen befindet. Die Basis ruft nach schärferen Gesetzen, nach verstärkten inneren Sicherheitsmaßnahmen. Die anderen wollen mit

ihrem Pazifismus den Westen, die alten Bundesländer, erobern. Dieses Spannungsfeld ist durchaus schwierig für eine Partei. Deshalb sind Sie gleich einer Balletttänzerin über die Probleme ein bisschen hinweggehüpft.

Ich möchte Sie als Balletttänzerin, um bei dem Bild zu bleiben, auf den Boden der Realität zurückholen. Mir fällt auf, verehrte Frau Dr. Sitte, dass Sie sich bei vielen bedankt haben. In diesen Dank haben Sie die Polizei, den Strafvollzug und andere einbezogen. Aber Sie haben nicht Ihren Dank gegenüber dem Verfassungsschutz zum Ausdruck gebracht.

Gleichwohl haben Sie gesagt, nachvollziehbare Ansätze in Form der Bildung einer Soko Islamismus seien da, sodass man über die Vorstellungen des Herrn Innenministers, die fast deckungsgleich mit denen der CDU sind, was die Personalerhöhung beim Verfassungsschutz angeht, nachdenken könnte.

Die Frage, die ich Ihnen stellen wollte, die Sie aber leider nicht zugelassen haben, war folgende: Haben Sie nun Ihre Meinung zum Verfassungsschutz, den Sie im Grunde seit Jahr und Tag auflösen wollen, geändert?

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Kannegießer, DVU, und von Frau Spors, DVU)

Wo stehen Sie eigentlich? Es wäre doch eigentlich angesichts des Ernstes der Lage ein Gebot der Stunde, dies deutlich zu machen, damit der Herr Innenminister weiß, was er tun muss. Auch für die Beamten, die dort tätig sind, wäre es wichtig zu wissen, was will diese PDS mit unserem Verfassungsschutz.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Kanne- gießer, DVU)

Mit ist noch etwas aufgefallen, Frau Dr. Sitte. Sie haben behauptet - ich habe mich gewundert, dass der Kollege Rothe dabei so ruhig blieb -, Sie hätten die Sondersitzung des Innenausschusses zum Thema der inneren Sicherheit beantragt. Ich habe sofort den Vorsitzenden des Ausschusses gefragt, ob das so sei. Der Herr Vorsitzende hat mir mitgeteilt, Herr Rothe habe angerufen.

(Unruhe bei der SPD)