Wer es nicht ganz so grobschlächtig ausgedrückt lesen will, dem sei das Buch „30 Silberlinge - die Denunziation in Gegenwart und Geschichte“ von Karol Sauerland empfohlen. Der um Verständnis und Rechtfertigung heischende Satz „Ich habe niemandem geschadet“ wird vollends verworfen, wenn die dokumentierten Schicksale von politisch Verfolgten in der DDR herangezogen werden.
Dietrich Koch, heute Physikprofessor, schildert in seiner drei Bände umfassenden Dokumentation sein Verhör durch die Stasi, schildert, wie er von der Stasi verfolgt und verurteilt wurde, wie er in Einzelhaft saß und wie er in die psychiatrische Anstalt im berüchtigten Waldheim überstellt wurde.
Der Grund für eine einjährige Isolierhaft ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt und zu Mitgefangenen außer zu einem kurzzeitig einsitzenden Zellenspitzel und für die folgende Verurteilung zu mehrjähriger Zuchthausstrafe war der Protest gegen die Sprengung der Leipziger Universitätskirche im Jahre 1968. Dietrich Koch organisierte mit Freunden eine mutige Aktion und zeigte den Gästen der Abschlussveranstaltung des internationalen Bach-Wettbewerbs in Leipzig, dass nicht alle Menschen in der DDR diese frevelhafte Sprengung duldend hinnahmen.
Er schildert anhand der Vernehmungsprotokolle der Stasi, wie die Stasi durch Verrat oder leichtfertige Gesprächsäußerungen von Freunden, von Bekannten und durch gezielt angesetzte zahlreiche IMs selbst von intimen Details seines Lebens wusste, ihn dadurch verunsicherte und auch mürbe werden ließ.
Ja, meine Damen und Herren, auch die Marke des von ihm bevorzugten Rotweines wurde genutzt, um Macht zu demonstrieren und um zu zeigen, dass der Stasi nichts verborgen bleibt. All das wurde ermittelt, erspitzelt und erpresst unter Missachtung von rechtsstaatlichen Mitteln und auch unter gröblichster Verletzung von DDRGesetzen. Das sage ich aber nur als Randbemerkung zur Rechtfertigungsstrategie der MDR-IMs.
Meine Damen und Herren! Um so verwunderlicher, ja verwerflicher ist es doch, wenn in diesem Land die einen mit pastoraler Wittenberger Verkündigung die StasiAkten verbrennen wollen, die anderen hingegen einen Schlussstrich fordern.
Die „FAZ“ vom 31. März druckte einen Leserbrief unter der Überschrift „Absonderliches von Reinhard Höppner“. Gestatten Sie bitte, Frau Präsidentin, dass ich daraus
„Wenn ein Herzenssozialist wie Reinhard Höppner, Ministerpräsident von der PDS Gnaden, im ärmsten deutschen Bundesland über sein Leben in der untergegangenen DDR schwätzt, regt das hierzulande niemanden auf. Verharmloser der Diktatur - ‘Es war doch nicht alles schlecht‘ - gibt es zu viele. Wenn dieser hochrangige SPDPolitiker jedoch vor Schülern auftritt, die die DDR nicht bewusst erlebt haben, und dann unwidersprochen solchen Unsinn verbreitet wie vor Gymnasiasten in Dessau, muss die Frage erlaubt sein, ob das noch als Ulknummer durchgehen darf.
Besonders absonderlich ist Höppners Interpretation der Stasi-Spitzelei. Viele Stasi-Mitarbeiter hätten ihre Berichte nur geschrieben, weil sie die Jahresendprämie dazu verleitet habe, versuchte er den jungen Leuten weiszumachen. Nach Höppners Ansicht habe die Stasi nur Texte verfasst, über die man sich hätte kaputtlachen können. Kein Wort davon, dass Spitzelei und Denunziation der Stasi unzählige Menschen in die Zuchthäuser von Bautzen, Cottbus oder Hoheneck gebracht haben. Höppners salopper Umgang mit Gewalt und Terror ist erschreckend. In unserer Spaßgesellschaft fällt das aber offenbar nicht weiter auf.“
Meine Damen und Herren! Es ist auch gegenwärtig nicht zum kaputtlachen, es ist die bittere Wahrheit, dass Dr. Höppner und dessen SPD-Fraktion gemeinsam mit den Kungelbrüdern der linksextremistischen PDS bis zum heutigen Tage eine Überprüfung der Abgeordneten dieses Landtages auf mögliche Stasi-Mitarbeit verhindern.
Meine Damen und Herren! Glaubwürdig dagegen ist die von den eigenen Lebenserfahrungen geprägte Botschaft des Journalisten Karl Wilhelm Fricke vom Deutschlandfunk Köln. Fricke, 1929 in Hoym, Sachsen-Anhalt, geboren, wurde im Jahre 1955 aus dem tiefsten Westberlin von Stasi-Schergen nach Ostberlin gewaltsam verschleppt und nach 15 Monaten Isolierhaft in einer fensterlosen Zelle wegen Boykotthetze seiner Berichterstattung in den Westmedien zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Und weil der Schurkenstreich gelang, sperrte man gleich noch seine in der DDR lebende Mutter zwei Jahre ins Zuchthaus.
„Ein Schlussstrich wird so lange nicht zu ziehen sein, weder politisch noch juristisch noch historisch, wie die DDR-Vergangenheit die Gegenwart und die Zukunft von Menschen überschattet, die unter uns leben. Das wird noch eine Generation so sein.“
Diese Worte, meine Damen und Herren, sollte sich Herr Dr. Höppner ins Stammbuch schreiben und er sollte sie auch beherzigen.
Und noch eine Ergänzung: Wie beklemmend war es doch für einen Ihrer Gesprächspartner, Herr Ministerpräsident - er ist nicht anwesend; ich kann mich gar nicht erinnern, dass er noch entschuldigt war -, dem Sie jüngst begegneten, dem Schriftsteller Erich Loest, der seinen neuen Roman „Reichsgericht“ von einem IM des
MDR lektoriert sah. Loest, viele Jahre im Zuchthaus Bautzen einsitzend, konnte nicht verzeihen, dass sein Vertrauen so missbraucht wurde, dass der Lektor seine trübe Vergangenheit ihm auch so viele Jahre nach der Wende nicht offenbar hatte, aber als Literaturpapst von Mitteldeutschland im MDR-Rundfunk täglich über andere Künstler Werturteile und moralische Verurteilungen traf.
Doch, meine Damen und Herren, wie ging man beim MDR mit den Opfern um, mit den Stasi-Opfern? Die Frage bezieht sich nicht nur auf die unmittelbare Zeit nach der Wende, nein, auch auf den heutigen Tag.
Eine Mitte der 80er-Jahre aus der DDR ausgereiste Mitarbeiterin des Rundfunktechnikbereiches traf nach der Wende im MDR, ja sie trifft heute noch jene IMs und jene Kollegen, die sie selbst bei der Stasi denunziert hatten. Der MDR weigerte sich nach der Wende, die Rehabilitierung des einstigen Stasi-Opfers für das Personal bekannt zu geben und in diesem Falle ein kleines Stück wenigstens moralischer Wiedergutmachung zu gewähren.
Gestützt wurde dieses Verhalten durch das Mitglied des MDR-Rundfunkrates Horst Greim, der in einem offenen Brief an die Mitarbeiter des MDR am 27. November 2000 in seinen Segenswünschen für Weihnachten schließlich ist er Mann der Kirche im Rundfunkrat und Stasi-Überprüfer im MDR gewesen - Folgendes schrieb:
„Wir leben in einem Rechtsstaat, in dem auch elf Jahre nach der Wende Verdächtigungen und Beschuldigungen nach schmerzlicher Überprüfung nicht neues Misstrauen aufkommen lassen sollten. Es wäre ein Rückfall in die Zeit des Kommunismus. Deshalb bitte ich Sie um Vertrauen in die bisherige Arbeit des Rundfunkrates. Geben Sie Brunnenvergiftern keine Chance. Zehn Jahre nach der Wende und Ihrer guten Arbeit im MDR mit dem von vielen beneideten Erfolg des MDR sollten mögliche Rechtsverstöße vor einem ordentlichen Gericht verhandelt werden und nicht in Zeitungen.“
Meine Damen und Herren! Genau so ist es: Opfer werden zu Brunnenvergiftern erklärt, und die Journalisten, die die Recherchen über die Stasi-Verstrickungen führten, werden zu Neidern des MDR ernannt.
Wer all das wie einen Albtraum aufnimmt, kann in einer Dokumentation des Bürgerkomitees Leipzig e. V. zum Thema „Der MDR, die Stasi und die Medien“ all das chronologisch dokumentiert nachlesen.
Meine Damen und Herren! Mit dem Rücken zur Wand, bis zuletzt sich auf eine zweifelhafte formaljuristische Ebene zurückziehend, versuchte der Intendant des MDR, Professor Reiter, eine Verteidigungsstrategie umzusetzen, die auf erheblichen Widerstand der Öffentlichkeit stieß. Selbst der Versuch, ein inzwischen genehmigtes Forschungsprojekt der ARD über die Geschichte des DDR-Rundfunks zu installieren, um, wie Reiter sagte, möglichst bald Klarheit über die Dimension des Problems und seine Fassetten zu gewinnen, konnte die Wogen der öffentlichen Erregung und den Protest nicht glätten.
Die flugs ausgestrahlten Extrasendungen beruhigten auch deshalb nicht, weil eben nicht die Opfer, die Betroffenen, das Wort erhielten, sondern die einstigen Täter eine Bühne für ihre Rechtfertigungen und Begründungen vorfanden.
Es blieb in den Schlussminuten der Originalsendung der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Frau Edda Ahrberg, vorbehalten, anzumahnen und einzufordern, dass die Opfer zu Wort kommen müssen, die aber in der Sendung eben nicht vertreten waren.
Mit sauertöpfischer Miene und in Abwehrhaltung nahm der „Verbrennt die Stasi-Akten!“-Prediger Schorlemmer von Frau Ahrberg ein Buch entgegen, in dem die Schriftstellerin Elisabeth Graul aus Barleben ihre langjährige Leidenszeit in den Zuchthäusern der DDR schilderte.
Meine Damen und Herren! Die vor einem Jahr mit großer Mehrheit dieses Hohen Hauses wieder gewählte Landesbeauftragte Frau Edda Ahrberg fand auch die folgenden klaren Worte über die Stasi-belasteten MDR-Mitarbeiter, als sie in einem Interview der „Mitteldeutschen Zeitung“ am 31. März dieses Jahres sagte ich darf bitte zitieren -:
„Ich meine, solche Mitarbeiter sollten nicht für Sendungen verantwortlich sein oder diese gar moderieren. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Gerade eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt wie der MDR muss mit der DDR-Vergangenheit sehr sensibel umgehen. Unsere Behörde hat empfehlende Kriterien für die Bewertung einer früheren inoffiziellen Tätigkeit für die Staatssicherheit erarbeitet. Danach hätte ein Teil der jetzt betroffenen MDR-Mitarbeiter überhaupt nicht weiter beschäftigt werden dürfen.“
Meine Damen und Herren! Der Antrag der FDVP-Fraktion unterstützt gerade diese Bemühungen, Geschichte nicht zu verdrängen und unverzüglich Informationen darüber zu erhalten, welche Kriterien bei der bisherigen und künftig zu erfolgenden Überprüfung von festen und freien Mitarbeitern angelegt werden.
Steffen Reichert schilderte unlängst in der Ausgabe des Medienmagazins „Journalist“, wie sich Intendant Reiter in einer Talkshow die Stichworte von Kachelmann und Hofer vorgeben ließ und eloquent antwortete. Herr Reichert schrieb auch:
„Je näher die faktenreichen Fragen wie Einschläge den Schreibtisch des Intendanten erreichten, desto hilfloser agierten er und seine Führungsmannschaft.“
Meine Damen und Herren! Wir sehen in einer Anhörung von Vertretern der Opferverbände, von Opfern und von leitenden Mitarbeitern im Ausschuss für Kultur und Medien ein dringendes Gebot zur Herstellung der Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, auch und gerade im Interesse der Gebührenzahler, die aufgrund von Parlamentsentscheidungen ja auch Gebührenerhöhungen mittragen müssen. Herr Intendant Professor Reiter, der vor Monaten den Weg nach Magdeburg nicht scheute, um seine Argumente für eine Gebührenerhöhung dem Ausschuss für Kultur und Medien vorzutragen, sollte sich auch im Interesse seiner Anstalt, der Zuschauer und der Abgeordneten dieses Parlaments erneut auf den Weg nach Magdeburg begeben. Uns scheint das im Interesse einer umfassenden Aufklärung dringend geboten. - Danke schön.
Ich danke für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion in der Reihenfolge PDS, SPD, DVU, CDU,
FDVP vereinbart worden. Die PDS-, die SPD- und die DVU-Fraktion verzichten auf einen Redebeitrag. Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Schomburg.
Dieses Thema ist inzwischen das dritte Mal im parlamentarischen Raum und wird hier sehr emotional diskutiert, was ich auch verstehen kann. Aber ich will einmal versuchen, das wieder auf den Boden einer realen Diskussionsebene zurückzuführen.
Wie gesagt, zum wiederholten Male debattieren wir dieses Thema und zum wiederholen Male muss ich auch darauf hinweisen, dass die Kontrolle der anstaltsinternen Vorgänge des MDR primär Aufgabe der pluralistisch zusammengesetzten Aufsichtsgremien Rundfunkrat und Verwaltungsrat ist - alles Dinge, die wir selber irgendwann einmal festgelegt haben und an die wir uns auch halten sollten.
An dieser Rechtslage hat sich innerhalb der letzten sechs Wochen nichts geändert. Es gilt unverändert der verfassungsrechtliche Grundsatz der Staatsferne des Rundfunks.
Es bleibt also dabei, dass der Personalausschuss des MDR-Rundfunkrates die bei der Stasi-UnterlagenBehörde angeforderten Berichte erhalten und bewerten wird. Über den entsprechenden Grundsatzbeschluss des Rundfunkrates hat meines Wissens die Landesregierung den Landtag auf der Grundlage eines Schreibens des MDR-Intendanten bereits in Kenntnis gesetzt.
Der MDR-Rundfunkrat hat in seiner Sitzung am 23. April 2001 einen ersten Bericht des Personalausschusses erhalten. Der Rundfunkrat hat die Kriterien der Bewertung von Stasi-belasteten Mitarbeitern wie folgt beschlossen:
Der Personalausschuss wird die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesarbeitsgerichts sowie die Kriterien der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen aller drei MDR-Staatsvertragsländer zugrunde legen. Die belasteten MDR-Mitarbeiter wird der Ausschuss jeweils zu einer Anhörung einladen. Alle Fälle werden vertraulich und unter Wahrung des Datenschutzes behandelt.
Die Entscheidungen des Personalausschusses bedürfen einer Zweidrittelmehrheit. Der Vorsitzende des Personalausschusses ist im Übrigen der Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg Willi Polte, dem ich an dieser Stelle mein volles Vertrauen aussprechen möchte.
Über diesen Beschluss hat der MDR die Öffentlichkeit unter anderem durch seine Presseinformation vom 24. April 2001 in Kenntnis gesetzt. Somit kann ich im Moment ein Informationsdefizit der Landesregierung oder der Öffentlichkeit nicht erkennen.
Sowohl die Stasi-Unterlagen-Behörde als auch der Personalausschuss des MDR-Rundfunkrates müssen jetzt die Chance bekommen, ihre Arbeit zu tun. Es gibt keinen Zweifel daran, dass dies tatsächlich geschieht.
Sollte sich jedoch wider Erwarten zeigen, dass die zuständigen Gremien nicht mit aller Konsequenz untersuchen und handeln, dann müssen die drei Landtage deutlich nachfragen und intervenieren. Auch wenn sich herausstellt, dass die Übernahme von Stasi-belasteten Mitarbeitern des ehemaligen DDR-Fernsehens beim Aufbau des MDR System hatte, muss eine Debatte über die Gründungsgeschichte des MDR geführt werden.
Ich hoffe, dass dies nicht notwendig wird; denn das würde bedeuten, dass verunsicherte, unkritische, erpressbare und kadavergehorsame Journalisten dem Intendanten, aber nicht der Rundfunkfreiheit gedient haben. Dann, meine Damen und Herren, müssen wir über Herrn Reiter, Herrn Mühlfenzl, aber auch über die drei damals CDU-regierten Länder und deren Ministerpräsidenten deutlich reden. - Vielen Dank.