Ich habe zwei Fragen, Frau Ministerin. Meine erste Frage: Sie haben nach meiner Ansicht richtigerweise ausgeführt, dass demografische Entwicklungen sehr langfristig sind und auch langfristig zu beurteilen sind. Sagen Sie doch einmal, welche gravierenden neuen Erkenntnisse es zwischen Mitte 1998 und dem Jahr 2000 auf dem Gebiet der Demografie gegeben hat, sodass Sie jetzt plötzlich meinen, zu vollkommen anderen Schlussfolgerungen kommen zu müssen?
Ich will die zweite Frage gleich anschließen. Wie empfinden Sie es denn unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit, dass nur bei demjenigen die private Vorsorge unterstützt wird, der auch in der Lage ist, die vollen Beiträge zur privaten Vorsorge zu leisten?
Ich befürchte, dass gerade diejenigen, denen es schwer fällt, private Vorsorge zu betreiben, und die es nötig haben, nur die Absenkung des Berechnungsniveaus ihrer Renten werden hinnehmen müssen, aber selbst nicht in der Lage sein werden, die private Vorsorge aufzubauen.
Zur ersten Frage: Die demografischen Erkenntnisse insgesamt sind sicherlich nicht so besonders neu. Sie sind in den letzten Jahren präzisiert worden; die Demografie wird natürlich fortgeschrieben.
Bei der Diskussion um das Blüm‘sche Rentenkonzept hat auch für mich persönlich die Betrachtung beider Seiten, nämlich der Einnahmen- und der Ausgabenseite, eine ganz wichtige Rolle gespielt. Ich habe es dem Bundesminister Blüm sehr übel genommen, dass er damals die Einnahmenseite überhaupt nicht betrachtet hat.
Ich denke, da liegen auch jetzt noch Reserven; da sind wir immer noch nicht am Ende. Das Gesamtsystem besteht nun einmal aus Einnahmen und Ausgaben. Deswegen gehört das zusammen.
Bei den Einnahmen ist vonseiten der Bundesregierung schon gegengesteuert worden, indem versicherungsfremde Leistungen oder nicht über Beiträge gedeckte Leistungen umfinanziert worden sind und Mehreinnahmen zumindest in den ersten Ansätzen in die Rentenversicherung gesteuert worden sind. Das ist in Ordnung.
Zu der Frage nach der Unterstützung der kapitalgedeckten Eigenvorsorge: Es gibt ja jetzt schon Eigenvorsorge. Sie soll auch weiterhin freiwillig sein, obwohl die Diskussion über freiwillige und Zwangsvorsorge ja auch noch nicht am Ende ist. Sie soll freiwillig sein, aber staatlich unterstützt. Es gibt also Förderung, und darüber lässt sich im Detail noch reden.
Es gibt jetzt einen Diskussionsentwurf der Bundesregierung. Es ist im Vorfeld über die Eckpunkte lange diskutiert worden und es ist dieses Konzept des Aufbaus der freiwilligen Vorsorge bis 2008, also praktisch in acht Jahresstufen, diskutiert worden. Ich halte das für machbar; ich halte es auch für Menschen in Ostdeutschland für machbar, weil es ja wirklich ein Stück Eigenverantwortung umzusetzen hilft, und zwar mit der Unterstützung, die über die staatliche Förderung - entweder über steuerliche Abschreibung oder über direkte Finanzzuwendun
Ich bin gern bereit, dass wir uns über Details fachlich noch einmal unterhalten und uns auch die Berechnungen anhand einzelner Biografien vornehmen. Das wäre sogar sehr hilfreich, um die Auswirkungen, die Chancen und Risiken gerade für Biografien hier im Osten im Detail bewerten zu können.
Ich wollte an dem Punkt einfach noch einmal nachhaken. Ich habe hier ein Rechenbeispiel, ein Familienvater mit zwei Kindern und 60 000 DM rentenversicherungspflichtigem Einkommen. Sie geben vielleicht zu, dass das für die neuen Bundesländer keine ungewöhnliche Einkommenssituation ist. Er muss einen Eigen- anteil von 1 800 DM sparen,
um die Prämie von 600 DM und eine Kinderkomponente von insgesamt 720 DM zu bekommen. Nun stellen Sie sich die Situation diese Mannes einmal vor, alle möglichen konkreten Dinge, die in der Familie noch sein können. Er schafft es nun tatsächlich nur 1 000 oder 1 200 DM zu sparen.
(Frau Dr. Sitte, PDS: Herr Bergner, bis vor zwei Wochen wollte Ihre Partei noch mit der SPD den Rentenkonsens machen! Was ist denn jetzt?)
Ich bin leider in meiner Redezeit nicht dazu gekommen, unsere Position noch einmal genau zu beschreiben. Ich halte es im Übrigen - wenn ich das nebenbei in die Frage verpacken darf - für sehr, sehr wichtig, weil inzwischen genug Misstrauen gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung entstanden ist, dass - -
Die gesetzliche Rentenversicherung lebt aber davon, dass junge Menschen Vertrauen haben, in sie einzuzahlen.
Deshalb sollten wir, wenn auch im Streit, doch versuchen, uns auf ein gemeinsames Ziel hin zu bewegen.
Deshalb, Frau Minister, die Frage, die sich aus diesem Rechenbeispiel ergibt: Halten Sie es denn wirklich für gerecht, dass man diesen Familienvater unter allen Umständen dazu zwingt, diese 1 800 DM zusammenzubekommen, damit er für seine Kinder die entsprechenden Zuschläge bekommt - es geht ja darum, den Ausgleich zwischen Kinderlosen und Eltern von Kindern sicherzustellen - und die Prämie dafür, dass er eine private Vorsorge aufbaut, oder ist das mit dieser strikten Linie nicht tatsächlich Solidarität mit den Starken und nicht Solidarität mit den Schwachen?
Herr Bergner, andersherum ist es doch richtig. Die private Altersvorsorge findet doch jetzt schon statt. Die findet auch seit DDR-Zeiten bei uns in Ostdeutschland statt. Es gibt viele Einzelpersonen, die privates Kapital ansparen, um im Alter etwas auf der hohen Kante zu haben. Das ist absolut nichts Neues.
Jetzt kommt als neuer Aspekt hinzu, dass der Staat für eine konsequente private Altersvorsorge Unterstützung leistet. Das ist etwas Neues, und wir können darüber diskutieren, wie diese staatliche Unterstützung gestaltet ist. Ich finde es primär wichtig, dass der Staat die einzelnen Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützt, privat für das Alter Vorsorge zu treffen.
Danke sehr. - Eine dritte Frage kommt von Herrn Professor Böhmer. Frau Dr. Kuppe, möchten Sie antworten?
Frau Ministerin, weil ich hoffe, dass wir uns auch diesbezüglich näher kommen, will ich wenigstens fragen. Wir sind uns einig, dass die öffentliche Hand, das heißt der Steuergesetzgeber, in das System Finanzmassen ein
Sind Sie nicht auch der Meinung, dass diese Belastung möglichst gleichmäßig verteilt werden sollte, auch einnahmeseitig bei der Erhebung der Steuer, oder halten sie es für richtig, dass besondere Berufe, die berufsbedingt viel für Benzin ausgeben müssen, auch allein diese Last schultern sollen?
Wir können gern noch einmal eine Debatte über die Ökosteuer führen. Ich halte die Ökosteuer für ein sinnvolles Instrument.
- Gut. Aber die Ökosteuer hat, indem sie in die Rentenversicherung eingespeist wurde, dazu beigetragen, die Lohnnebenkosten zu senken und damit die Wirtschaft und den Faktor Arbeit zu stärken. Das ist wiederum eine richtige Zielstellung.
(Zustimmung bei der SPD - Herr Sachse, SPD: Das Ziel ist richtig! - Frau Wiechmann, FDVP: 100 000 Arbeitslose! Warum erzählen Sie das? - Zuruf von Herrn Wolf, FDVP)
Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Auf der Zuschauertribüne hat ein Wechsel stattgefunden. Wir begrüßen nun Gäste der Landeszentrale für politische Bildung.