Protocol of the Session on September 14, 2000

Wissen Sie, es gibt einen gedanklichen Gesamtansatz, den Sie eingefordert haben. Der heißt aber nicht Auge um Auge oder Zahn um Zahn, sondern der heißt Zug um Zug. Verständnis für die Komplexität der Aufgabe der Reform der Kommunal- und der Landesverwaltung in Sachsen-Anhalt kann man nur entwickeln, wenn man den prozesshaften Charakter von Verwaltungsreformen anerkennt. Da mögen wir vielleicht unterschiedlicher Auffassung sein.

Die Einführung eines lehrbuchartigen Verwaltungsaufbaus auf einen Schlag, die wäre im Jahr 1990 möglich gewesen. Diese Chance ist aber vertan worden oder zumindest anders angelegt worden, nämlich in Ihrem Sinne. Meinen Gedankengängen würde das viel eher entsprechen, weil ich es von der Technik gewöhnt bin, eine Halle aufzubauen, indem ich zunächst einmal schaue, was soll dort produziert werden, wie sind die Abläufe, was brauche ich dafür.

Das geht aber an den Realitäten dieses Landes vorbei. Wir können keine Generalreparatur bei Stillstand der Anlage machen,

(Zustimmung von Herrn Bischoff, SPD)

sondern wir müssen sie bei laufendem Betrieb machen. Es bleibt uns nichts anderes übrig. Wir können das Land und die Verwaltungen nicht einfach wieder abschaffen.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir müssen auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung in dem Prozess mitnehmen. Gerade das haben Sie ja eingefordert. Das geht nicht einfach so, wir malen etwas auf das Papier.

Soweit es die Rolle des Landtages betrifft, ist es nach unserer Auffassung in dieser Legislaturperiode das Ziel, diesem Prozess durch eine Reihe von Vorschaltgeset

zen Vorgaben zu geben und der Reform eine gesetzliche Grundlage zu geben. Bei Ihren ersten Reden zum Leitbild haben Sie dies noch gefordert. Jetzt ist Ihnen auf einmal alles zu viel, was an gesetzlicher Grundlage durch den Landtag beraten und beschlossen werden soll.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Zu wenig! - Weitere Zu- rufe von der CDU)

Der zeitweilige Ausschuss hat bereits am 7. September eine vorläufige Beschlussempfehlung zum Ersten Vorschaltgesetz zur Kommunalreform verfasst, mit der insbesondere für Planungssicherheit bei den Bewerbern für die Ämter der Bürgermeister und Landräte bei der Durchführung der Kommunalreform gesorgt wird. Ich weiß, dass Sie die noch nicht wollten, wobei das aus meiner Sicht weniger inhaltliche als taktische Gründe hatte.

Heute hat die Landesregierung ein Zweites Vorschaltgesetz zur Kommunalreform und Verwaltungsmodernisierung eingebracht, in dem schon Regelungsinhalte für ein drittes Vorschaltgesetz angelegt sind. Das wissen Sie so gut wie ich. Das beschreibt noch einmal den prozesshaften Charakter einer solchen Gesamtreform, die aus mehreren Teilen besteht. Weil es ein prozesshafter Charakter ist, muss auch der Landtag dem in dieser Legislaturperiode Rechnung tragen.

In der nächsten Legislaturperiode werden wir das fortschreiben müssen und natürlich zum Abschluss bringen. Darin gebe ich Ihnen Recht. Am Ende der Verwaltungs-, Kommunal- und Funktionalreform müssen ein Landesorganisationsgesetz und ein Gesetz über die Gemeinde- und Kreisgebietsreform stehen. Ich denke, an dieser Stelle sind wir uns auch wieder einig.

Aber wissen Sie, es bekümmert uns, wenn sich manche aus populistischen Motiven - insofern bin ich dankbar, heute nach Ihnen reden zu dürfen, Herr Becker - wider besseres Wissen gegen notwendige Reformen stellen. An dieser Stelle muss ich leider auch noch einmal die Aussagen des CDU-Landesvorsitzenden zum Stichwort Gebietsreform benennen. Ich möchte aus der „Bild“Zeitung vom 1. September zitieren, wo Herr Professor Böhmer gesagt hat, wenn er richtig zitiert worden ist:

„Die CDU setzt auf den freiwilligen Zusammenschluss von Gemeinden. Der Staat sollte den Kommunen nicht per Gesetz alles aufzwängen.“

(Frau Stange, CDU: Das ist auch richtig! - Herr Becker, CDU: Das ist richtig!)

Herr Professor Böhmer, dies ist eine Aussage, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.

(Herr Becker, CDU: Doch!)

Die freiwillige Phase läuft auf gemeindlicher Ebene, rechtlich gesehen, nicht erst, seitdem die Landesregierung diese ausgerufen hat. Sie ist seit Jahr und Tag in Artikel 90 unserer Verfassung und in der Gemeindeordnung vorgesehen. Aber es hat sich in der Vergangenheit freiwillig nicht viel getan.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist doch der Punkt! Warum denn nicht? - Weitere Zurufe von der CDU)

- Da brauchen Sie sich doch gar nicht aufzuregen. Zu dieser Einschätzung kann man als Landtag kommen. Wenn das nicht genug ist und wenn die Verwaltungskraft

in den jetzigen Gebilden nach unserer Auffassung nicht groß genug ist,

(Herr Dr. Bergner, CDU: Ja wofür denn nicht groß genug?)

- das werde ich Ihnen gleich erzählen, wenn Sie den Gesetzentwurf nicht gelesen haben, da steht das nämlich drin - dann muss sich der Landtag darauf verständigen, eine Kommunalreform und damit im Zusammenhang eine Funktional- und Verwaltungsreform zu machen. Bei seinen Reformanstrengungen hat der Landtag nach meiner Auffassung auch Augenmaß zu wahren; denn unsere Beschlüsse dürfen auch nicht - das sollten wir nicht vergessen - zur Vollbremsung bei einer Vielzahl in der Landesverwaltung bereits angeschobener Reformprojekte führen. Ich erinnere nur an die Fortschritte bei der Reform der Umweltverwaltung, die wir auch im Ausschuss Stück für Stück mitberaten werden.

Dabei wissen wir als SPD-Fraktion auch, dass wir in einem Spannungsfeld stehen zwischen einigen aufgeschriebenen Großkreisen, die dann zu kleinen RPs führen würden, die wir nicht wollen, und einem unterstellten mutmaßlich riesigen Landesverwaltungsamt, das wir als SPD-Fraktion genauso wenig wollen. Also ist bei dem gesamten Reformprozess Augenmaß geboten.

Diejenigen, die sich auf der Überholspur wähnen, müssen genauso aufpassen. Denn wer zu viel fordert, spielt unter Umständen auch gegen seinen Willen denen zu, die den Status quo verteidigen wollen, Herr Becker.

Meine Damen und Herren! Mit dem heute vorgelegten Zweiten Vorschaltgesetz zur Kommunalreform und Verwaltungsmodernisierung werden zwei grundlegende Weichenstellungen gesetzlich festgeschrieben. Ich habe mir notiert, dass Sie gefragt haben: Wem soll man dann noch glauben? - Dem Parlament, Herr Becker! Im Parlament sitzen Sie auch und im Parlament können Sie auch mitgestalten.

(Zuruf von Frau Wernicke, CDU)

Die Weichenstellungen, die im Zweiten Vorschaltgesetz vorgenommen werden sollen, sind: Erstens. Wir schaffen Klarheit über die zukünftige Struktur der Landesverwaltung. Wir schreiben nämlich den Grundsatz der Zweistufigkeit fest. Sie wissen, dass dies ein nicht unkomplizierter Diskussionsprozess war. Zweitens. Wir schreiben Richtgrößen für die Kommunen fest.

Wenn ich mich richtig erinnere, ist es doch das gewesen, was Sie angemahnt haben, als wir über das Leitbild diskutiert haben. Also bitte! Hier gibt es ein Vorschaltgesetz, in dem schon sehr weitreichende Vorgaben gemacht werden. Wir sagen weiterhin, beide Inhalte stehen in direkter gegenseitiger Abhängigkeit voneinander.

Lassen Sie mich zunächst auf den Grundsatz der Zweistufigkeit eingehen. Soweit es den Grundsatz der Zweistufigkeit betrifft, verstehen wir darunter eine weitestmögliche Aufgabenübertragung auf die Kommunen. Vom Land soll nur noch der Restbestand an Aufgaben erledigt werden, der von den Kommunen nicht zweckmäßig und wirtschaftlich wahrgenommen werden kann.

(Zuruf von Frau Schnirch, CDU)

Ich glaube, dass auch Sie als CDU dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht widersprechen werden. Es ist wohl von allen anerkannt, dass die Leistungsfähigkeit einer Kommune und damit die Beantwortung der Frage, welche Aufgaben von ihr zweck

mäßig und wirtschaftlich wahrgenommen werden können, entscheidend mit von der Größe der Kommune abhängig ist. Für Fachaufgaben notwendige Fachleute rechnen sich erst ab einer bestimmten Größenordnung. Je mehr Aufgaben kommunalisiert werden sollen, desto leistungsfähiger, also auch größer müssen die Kommunen sein.

Das Zweite Vorschaltgesetz ist nicht bloß ein Lippenbekenntnis, sondern es schlägt einen ganz konkreten Weg vor. Die Landesregierung wird sich mit den beiden kommunalen Spitzenverbänden - wie Sie das in Ihren Verbänden regeln, das ist Ihr Problem und nicht unser Problem - zusammensetzen und im Paket klären, welche Aufgaben zu welchem Preis, also mit welcher Effizienz und welcher Wirtschaftlichkeit, erledigt werden können. Wir wollen am Ende tatsächlich auch Ergebnisse haben, die von beiden Seiten getragen werden.

Das Gesetz nimmt diesen Gedanken mit der Formulierung auf, dass das Kriterium der Wirtschaftlichkeit dabei nicht nur von den Kosten für eine einzelne Aufgabe, sondern von der Effektivität des Gesamtkonzepts bestimmt werde. Damit ist es also auch kein Totschlagargument mehr zu sagen, es muss wirtschaftlich und effizient sein, sondern es wird im Gesamtzusammenhang betrachtet. Erste Schritte dazu werden auch schon in einer Arbeitsgruppe zwischen dem Innenministerium und den kommunalen Spitzenverbänden getan.

Die Entscheidung, welche Aufgaben auf Kommunen nicht übertragen werden sollen, soll nicht ohne Beteiligung des Landtages getroffen werden. Also sind Sie selbst auch wieder beteiligt. Der Landtag wird die Kriterien für die Aufgaben, die auf die Kommunen nicht übertragen werden können, per Gesetz regeln. Dies ist, meine ich, auch richtig so; denn die Landespolitik muss auch beachten, wo sie notwendigerweise Steuerungselemente beim Land behalten muss oder beim Land behalten will. Diese Ehrlichkeit sollte man auch an den Tag legen.

Bei der Aufgabenübertragung auf die Kommunen wird ein besonderes Augenmerk auch darauf zu richten sein, ob man eine so genannte echte Kommunalisierung vornimmt oder eine eben nicht ganz echte Kommunalisierung,

(Herr Becker, CDU: Halbstaatlich! - Frau Werni- cke, CDU, lacht)

nämlich nur die eines übertragenen Wirkungskreises. - Sie brauchen dabei gar nicht zu lachen, Frau Wernicke. Ich kenne den Unterschied schon. Ich bin mir aber auch dessen bewusst, dass ich dies hier ziemlich genau und konkret beschreiben muss, weil ich weiß, dass Sie nur darauf aus sind, einen Halbsatz irgendwie falsch verstehen zu wollen.

(Frau Wernicke, CDU, und Herr Becker, CDU, la- chen)

Deshalb bin ich sehr vorsichtig, wenn ich diese Dinge hier vortrage.

Ich werde Sie auch nicht damit belästigen, dass ich Ihnen lehrbuchartig vortrage, was denn nun aus unser Sicht eine echte und eine nicht echte Kommunalisierung ist. Aber wir sagen, nach dem Subsidiaritätsprinzip gibt es das selbstverständlich. Wenn Sie etwas nur in die Landkreise hinuntergeben, es aber in der Fachaufsicht und nicht bloß in der Rechtsaufsicht des Landes behalten, ist es keine echte Kommunalisierung mehr, sondern

dann ist es das, was man im übertragenen Wirkungskreis anders regelt.

(Herr Becker, CDU: Eine Halbschwangerschaft!)

Wir sagen auch, dass eine Neuübertragung von Pflichtaufgaben zwingend per Gesetz geschehen muss. Also auch hier wird der Landtag mitreden müssen.

Aber ich möchte auch nicht vergessen, jemanden zu zitieren, nämlich meinen Kollegen Bernward Rothe - darauf lege ich sehr viel Wert -, der mir gesagt hat, ich solle doch den Damen und Herren auf der Regierungsbank noch einmal zurufen, und dies für die SPDFraktion, die Aufgabenübertragung sollte leichter fallen, wenn man sich immer wieder klar macht, dass die Kommunen ein Teil der Staatsorganisation sind, also dem Land nicht fremd gegenüberstehen. Die den Landkreisen von der bisherigen Mittelinstanz zu übertragenden Aufgaben gehen dem Land ja nicht verloren, soweit sie künftig in den Landratsämtern als unterer staatlicher Behörde wahrgenommen werden.

(Herr Becker, CDU: Bernward Rothe lässt grü- ßen!)

Meine Damen und Herren! Eine schon heute absehbare Konsequenz der Grundsatzentscheidung für einen zweistufigen Verwaltungsaufbau ist aber, dass den Landkreisen neben der kommunalen Selbstverwaltung immer mehr ein zweites, staatliches Standbein zuwachsen wird. Auch dies ist Konsequenz von konsequenter Verwaltungsreform.

Ich möchte nur in den Raum werfen, ohne dass gleich wieder alle aufschreien, man sollte einfach einmal das Stichwort staatliche Abteilung in Landkreisen in die Gedanken mit aufnehmen. Ob es am Ende so sein wird, ist völlig offen. Aber zumindest in die Überlegungen sollte man es mit einbeziehen.

Lassen Sie mich nun zu dem Thema der verbleibenden Aufgabenerledigung beim Land kommen. Ich habe vorhin gesagt, vom Land solle nur der Restbestand an Aufgaben erledigt werden, der von den Kommunen nicht zweckmäßig und wirtschaftlich wahrgenommen werden kann. Dieser Restbestand von Aufgaben soll von einem Landesverwaltungsamt und daneben von einer begrenzten Anzahl von Landessonderbehörden erledigt werden; ich möchte nur das Landeskriminalamt nennen. Ich meine, nicht bei allen Sonderbehörden werden wir unterschiedlicher Auffassung sein.