Protocol of the Session on June 23, 2000

Herr Kollege, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie den Rahmen einer persönlichen Bemerkung weit gesprengt haben. Das ist von der Geschäftsordnung nicht mehr gedeckt.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zum Schluß. - Meine Damen und Herren! Auch Politiker, die glauben, sich in Ihrem Dachterrassenappartement nicht um den Konflikt zwischen dealenden Asylbewerbern, nicht um den Konflikt in den unteren Etagen kümmern zu müssen, sind auf die Hausordnung vereidigt und haben diese Hausordnung, nämlich Recht und Gesetz, durchzusetzen. Dies und nur dies einzufordern, dazu diente unser Antrag und dient unsere Unterschriftenaktion. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDVP und bei der DVU-FL)

Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß das Recht, persönliche Bemerkungen zu machen, nach § 67 der Geschäftsordnung nicht dafür verwendet werden darf, einen zusätzlichen Diskussionsbeitrag zur Sache zu geben. Das geht nicht.

Meine Damen und Herren! Wir haben den Tagesordnungspunkt 30 damit abgeschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf:

Beratung

Novellierung des 630-Mark-Gesetzes

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/3272

Änderungsantrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/3312

(Unruhe)

Der Antrag wird von der Abgeordneten Frau Stange eingebracht. Ich möchte zuvor bitten, den Lärmpegel zu senken. Ansonsten werde ich warten, bis die nötige Ruhe im Parlament, die wir zur Beratung brauchen, hergestellt ist. Erst dann läuft für Sie die Uhr, Frau Stange.

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren! Ich muß Sie bitten, die nötige Ruhe herzustellen. - Kollegin Stange, bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im vergangenem Jahr haben wir aufgrund unserer Anträge bereits zweimal über die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse gesprochen, im Februar und im Juni. Einer wurde angenommen, einer wurde abgelehnt. Wir haben bereits viel über die Probleme und die Defizite dieser Gesetzesnovelle diskutiert.

Bereits vor dem Inkrafttreten diese Gesetzes und kurz nach der Beschlußfassung am 1. April 1999 war immer wieder gefordert worden - ich erinnere daran, daß auch SPD-Ministerpräsidenten dieser Meinung waren und auch Frau Fischer in der Debatte am 18. Juni 1999 dem zugestimmt hat -, daß wir Verbesserungen brauchen, daß wir Nachbesserungsbedarf haben. Dieser Nachbesserungsbedarf ist also schon damals gesehen worden.

Nunmehr liegt uns mit der Bundesratsentschließung des Freistaates Bayern zur Sozialversicherungsfreiheit von Aufwandsentschädigungen ehrenamtlich Tätiger der erste Nachbesserungsvorschlag vor. Ich möchte kurz einige Punkte aus dieser Entschließung wiedergeben.

Als erster Schritt soll dafür Sorge getragen werden, daß die Neuregelung des 630-Mark-Gesetzes für den Bereich des Ehrenamtes zurückgenommen und damit für ehrenamtliche Helfer der vor dem 1. April 1999 geltende Rechtszustand wiederhergestellt wird.

In einem zweiten Schritt soll eine Gesetzesänderung auf den Weg gebracht werden, in der festgelegt wird, daß das Ehrenamt grundsätzlich kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis darstellt.

Drittens soll der Höchstbetrag bei der typisierenden Ermittlung des steuerfreien Anteils von Aufwandsentschädigungen von 300 auf 600 DM erhöht werden.

Die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ist von Anfang an auf große Bedenken gestoßen. Ich habe mehrmals in den Reden darauf hingewiesen. Wie berechtigt diese Bedenken waren, zeigt sich jetzt auch daran, daß Aufwandsentschädigungen, selbst wenn sie sich unter der Geringfügigkeitsgrenze bewegen, dann von der Beitragspflicht erfaßt werden, wenn der ehrenamtlich Tätige einen versicherungspflichtigen Hauptberuf ausübt. Die geltende gesetzliche Regelung beeinträchtigt die Bereitschaft, ein Ehrenamt zu übernehmen.

Wir haben schon sehr oft in diesem Hohen Hause über das Ehrenamt gesprochen. Heute, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, haben wir nun eine große Chance, den Sonntagsreden endlich Taten folgen zu lassen. Denn es sind vernünftige Forderungen, die im

Entschließungsantrag zur Novellierung der 630-MarkRegelung in den Bundesrat eingebracht worden sind. Es wird auch von der Mehrheit der Länder konstatiert, daß es sich in der Entschließung um ein sinnvolles Anliegen handelt.

Ich bin Ihnen, Herr Püchel, und dem Vertreter Ihres Hauses im Ausschuß für innere Angelegenheiten sehr dankbar, daß Sie dieser Entschließung im Bundesrat bereits zugestimmt haben. Leider ist die Vorlage nicht bereits am 19. Mai beschlossen worden, sondern noch in anderen Ausschüssen beraten worden. Aber der Innenausschuß im Bundesrat hat einen ersten sehr gewichtigen Schritt getan, so daß wir heute diesen Antrag stellen müssen, weil am 29. Juni die Beratung in den anderen Ausschüssen weitergeführt wird.

Für die CDU-Fraktion ist es sehr wichtig, daß dieses Problem aufgenommen wird; denn wir wollen bürgerliches Engagement fördern und neue Möglichkeiten der bürgerschaftlichen Teilhabe schaffen. Ich verweise auf unseren Antrag zur Förderung von ehrenamtlich tätigen älteren Personen ohne Erwerbseinkommen in Drs. 3/281, womit wir dies hier im Landtag schon einmal versucht haben und leider an den Mehrheiten gescheitert sind.

Die verfehlte Neureglung des 630-Mark-Gesetzes durch die rot-grüne Bundesregierung bewirkt eben genau das Gegenteil. Die Ehrenamtlichen haben sich jedenfalls bei uns darüber beschwert, daß diese Regelung für sie ein Schlag ins Gesicht sei und sie sich zurückziehen müßten.

Deswegen heute diese Debatte, deswegen heute unser Antrag; denn die Neuregelung beeinträchtigt das Ehrenamt. Wir wollen und müssen die Bereitschaft fördern, daß mehr ehrenamtliche Helferinnen und Helfer im Verbund mit der Hauptamtlichkeit tätig sein können und dies nicht mit finanziellen Nachteilen verbunden ist.

Ich erinnere zum Abschluß an die Aktion des Sportbundes im vergangenen Jahr, die sehr deutlich darauf hingewiesen hat, welche Auswirkungen diese Neuregelung auf die Tätigkeit der Ehrenamtlichen hat. Wir wollen einen klaren Standpunkt des Landes Sachsen-Anhalt zur Novellierung des Gesetzes im Bundesrat, und ich bitte um Ihre Zustimmung.

Der Antrag der FDVP wird von uns abgelehnt, da er viel zu weitgehend ist. Wir wollen diese ersten Schritte so gehen. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDVP)

Ich danke für die Einbringung. - Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden in der Reihenfolge FDVP, SPD, DVU-FL, PDS, CDU. Zunächst erteile ich jedoch der Ministerin Frau Dr. Kuppe für die Landesregierung das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Ich beginne mit einem Zitat:

„Ehrenamtliche Tätigkeit wirkt in alle Lebensbereiche hinein. Sie ist Ausdruck der Verantwortung des einzelnen für eine soziale, nur im Miteinander funktionierende Gesellschaft. Nur auf

der Grundlage hauptamtlicher, bezahlter Arbeit kann ein Gemeinwesen nicht existieren. Es ist vielmehr angewiesen auf das freiwillige, nicht auf Entgelt ausgerichtete Mitwirken seiner Bürgerinnen und Bürger. Im politischen Bereich ist das Ehrenamt als staatsbürgerliche Pflicht ausgestaltet und Stützpfeiler einer funktionierenden Demokratie. Mit dem Dienst an der Gesellschaft tut der einzelne/die einzelne aber auch etwas für sich selbst. Er gibt dem Leben zusätzliche Sinnerfüllung.“

Dieses Zitat ist ein Auszug aus der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der PDS vom August 1996 zur Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeit für unsere Gesellschaft. In ihm wird die Bedeutung und die Dimension, die die Landesregierung ehrenamtlichen Engagements zumißt, treffend beschrieben. Untersetzt wird dies durch eine Reihe von Förderungen auf kommunaler, auf Landes- und auf Bundesebene.

Darüber hinaus hat der Bundestag die Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ eingesetzt, um eine systematische Bestandsaufnahme des bürgerschaftlichen Engagements in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und eine Klärung sozialer, arbeitsmarktpolitischer, wirtschaftlicher und bildungspolitischer Rahmenbedingungen und Bedingungsparameter herbeizuführen. Auf dieser Grundlage sollen institutionelle und rechtliche Möglichkeiten zur Förderung des Ehrenamtes, zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements erörtert werden.

Meine Damen und Herren! Nach dem 630-Mark-Gesetz unterliegen geringfügig Beschäftigte der Sozialversicherungspflicht. Das ist richtig. Bei den Rentenversicherungsträgern betrugen die dadurch erzielten Einnahmen im Zeitraum von April bis Dezember 1999 immerhin über 2,4 Milliarden DM, und die gesetzliche Krankenversicherung hatte in demselben Zeitraum ein Einnahmeplus von 1,6 Milliarden DM aufgrund dieses Gesetzes, in Sachsen-Anhalt waren es allein 9,1 Millionen DM. Genau dieser Effekt war durch die Novellierung des 630-MarkGesetzes auch gewünscht.

Zugleich ging die Anzahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse zurück. Arbeitgeber haben aber im Gegenzug auch eine Reihe von solchen Beschäftigungsverhältnissen in Ganztagsarbeitsplätze oder in reguläre Teilzeitarbeitsplätze umgewandelt.

Richtig ist aber auch, daß es in der Umsetzung des Gesetzes ein Problem bei den ehrenamtlich Tätigen gibt, die eine Aufwandsentschädigung erhalten. Ich betone: Das Problem betrifft wirklich nur die Ehrenamtlichen mit einer Aufwandsentschädigung, und das ist der eher geringere Anteil. Dieser Personenkreis unterliegt mit der neuen Gesetzgebung nun auch mit der Aufwandsentschädigung der Sozialversicherungspflicht. Das erscheint zumindest in den Fällen, in denen es sich um einen reinen Auslagenersatz handelt, nicht nachvollziehbar. Da gebe ich Ihnen recht, Frau Stange.

Die Bundesregierung hat bereits auf diese Problematik reagiert, indem sie im Steuerrecht den Freibetrag von 2 400 DM auf 3 600 DM erhöht hat. Damit ist allerdings das Problem der Sozialversicherungspflicht in diesem Bereich noch nicht gelöst. In diesem Zusammenhang hat die Innenministerkonferenz am 5. Mai dieses Jahres festgestellt, daß die Gleichsetzung des Ehrenamtes mit einer auf Einkommenserzielung gerichteten Tätigkeit dem Sinn und Zweck ehrenamtlicher Tätigkeit wider

spricht und daher die Sozialversicherungspflicht mit dem Selbstverständnis des Ehrenamtes nicht vereinbar ist. Sie hat daher die Bundesregierung um eine Änderung der rechtlichen Bestimmungen gebeten. Hieran hat auch Sachsen-Anhalt mit seinem Innenminister mitgewirkt.

Es müssen dabei aber zwei Arbeitsschritte unterschieden werden, und das finde ich sehr wichtig. Bei dem einen geht es darum, das Problem zu analysieren. Dazu dient unter anderem die Arbeit der Enquete-Kommission. Bei dem anderen Schritt geht es darum, das Problem zufriedenstellend zu lösen.

Mit der Problemanalyse, zu der auch der Antrag Bayerns einen Akzent setzen will, bin ich völlig einverstanden. Deshalb kann ich dem Entschließungsantrag Bayerns in einer ganzen Reihe von Punkten zustimmen. Aber darin bin ich mir auch sicher - der Problemlösung dient dieser Entschließungsantrag aus Bayern leider nicht.

Dieser bayerische Antrag enthält zum Beispiel keine Legaldefinition des Begriffes „Ehrenamt“. Ich denke, man muß sich im Vorfeld erst einmal darüber verständigen, was man denn mit „Ehrenamt“ meint. Das reicht von gelegentlichen Besuchsdiensten bis hin zu manchmal hochdotierten Aufsichtsratsposten, die ehrenamtlich wahrgenommen werden. Hierbei muß erst einmal klar abgegrenzt werden, welche Tätigkeit denn dem Ehrenamt zugeordnet wird.

Auch der Begriff „Aufwandsentschädigung“ ist nicht eindeutig. Während bei dem sozialen Ehrenamt, soweit überhaupt Aufwandsentschädigungen gezahlt werden, hierunter nur ein Auslagenersatz verstanden wird, gibt es in anderen Bereichen beispielsweise Sitzungsgelder, mit denen auch der zeitliche Aufwand anerkannt wird.

Damit findet in dem Entschließungsantrag des Freistaates Bayern ein zentraler Themenkomplex praktisch keine Beachtung. Das halte ich für ungenügend. Der Entschließungsantrag ist deswegen im federführenden Arbeits- und Sozialausschuß des Bundesrates mit der Mehrheit der Stimmen erst einmal vertagt worden.

Zwischenzeitlich hat auch Bayern selbst erkannt, Frau Stange, daß mit dem Entschließungsantrag das Problem nicht zu lösen ist. Bayern hat unterdessen einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem unter anderem auch die Legaldefinition des Ehrenamtes enthalten ist. Der Bundesrat wird sich demnächst mit diesem bayerischen Gesetzentwurf befassen. Er wird derzeit in meinem Haus geprüft.

Nach meiner Auffassung ist der Entschließungsantrag, von dem Sie in Ihrem Antrag reden, nur im Zusammenhang mit dem jüngst eingebrachten Gesetzentwurf zu beraten. Deswegen, denke ich, kann der Landtag heute Ihrer Aufforderung, daß wir den Entschließungsantrag auf Bundesebene befördern sollen, so nicht zustimmen. Ich plädiere deswegen in diesem Punkt für Ablehnung. Dasselbe gilt aus den genannten Gründen für den Änderungsantrag der FDVP-Fraktion. Danke.

(Zustimmung bei der SPD und von Frau Dirlich, PDS)

Danke, Frau Ministerin. - Die FDVP-Fraktion hat, wenn sich kein Widerspruch erhebt, ihre Rede zu Protokoll gegeben. - Kein Widerspruch.