Protocol of the Session on April 7, 2000

Wahl eines Schriftführers gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung des Landtages

Wahlvorschlag der Fraktion der DVU-FL - Drs. 3/2915

Meine Damen und Herren! Der Landtag hat in seiner konstituierenden Sitzung am 25. Mai 1998 nach § 7 Abs. 1 Satz 1 unserer Geschäftsordnung zwölf Mitglieder des Landtages zu Schriftführerinnen und Schriftführern gewählt. Nachdem sich am 14. Februar 2000 die Fraktion der DVU-FL gebildet hat, nimmt die Fraktion gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 unserer Geschäftsordnung das Recht wahr, ein Mitglied des Landtages für die Wahl zum Schriftführer vorzuschlagen.

Die Fraktion der SPD hat infolgedessen einen Schriftführer zurückgezogen. Ich möchte an dieser Stelle der Abgeordneten Frau Kauerauf für die tatkräftige Unterstützung als Schriftführerin danken.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU, bei der PDS, bei der DVU-FL und von der Regierungs- bank)

In dem Ihnen vorliegenden Wahlvorschlag der Fraktion der DVU-FL wird dem Hohen Haus empfohlen, Herrn Gunther Preiß zum Schriftführer für die Dauer der dritten Wahlperiode zu wählen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich denke, es gibt keinen Widerspruch, wenn wir gemäß § 77 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung mit Hand- zeichen wählen.

Wer dem Wahlvorschlag in Drs. 3/2915 zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer großen Anzahl von Enthaltungen ist der Wahl zugestimmt worden. Damit ist der Abgeordnete Herr Gunther Preiß zum Schriftführer gewählt. Der Tagesordnungspunkt 16 ist somit erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung

„Fixerstuben“ in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/2920 neu

Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/2961

Einbringer ist für die PDS-Fraktion Herr Gebhardt. Es folgt eine Fünfminutendebatte in der Reihenfolge: SPD, FDVP, CDU, PDS. Die Fraktion der DVU-FL hat auf einen Beitrag verzichtet. Ich bitte Herrn Gebhardt, das Wort zu ergreifen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Einrichtung von sogenannten Fixerstuben oder Druckräumen gab es in den vergangenen Jahren bundesweit grundsätzliche Diskussionen. Es wurde darüber diskutiert, ob man den Süchtigen und Schwerstabhängigen damit helfen könne und ob man für solche Einrichtungen nicht endlich eine bundesweite gesetzliche Regelung schaffen solle.

Letzteres ist nun geschehen. Nach jahrelanger Diskussion wurde der Reformstau in der Drogenpolitik, welchen die alte Bundesregierung zu verantworten hat, aufgebro

chen und der Weg für die Einrichtung von Fixerstuben auf gesetzlicher Grundlage geebnet. Das heißt, die kontrollierte Einnahme von Heroin ist in solchen Räumen ab sofort legal

(Herr Schulze, CDU, lacht)

und die bereits existierenden Fixerstuben in Hamburg, in Frankfurt am Main, in Hannover und in Saarbrücken können weiter ohne Angst vor strafrechtlicher Verfolgung betrieben werden.

Ohne die nun beschlossene neue gesetzliche Regelung waren die bisher bundesweit bestehenden 13 Druckräume nicht nur in ihrer Existenz bedroht, sondern die dortigen Mitarbeiter standen auch quasi mit einem Bein im Gefängnis. Es hätte ihnen jederzeit vorgeworfen werden können, daß sie eine Gelegenheit zum Drogenkonsum anbieten. Genau das war nach dem bisherigen Bundesbetäubungsmittelgesetz verboten.

Diese neue gesetzliche Grundlage, die durch die Stimmen von SPD, Grünen, PDS und FDP im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat zustande kam, ist von uns zu begrüßen. Begrüßt wird von der PDS-Fraktion auch das positive Abstimmungsverhalten der sachsen-anhaltischen Landesregierung im Bundesrat. Offenbar ist verstanden worden, daß Sucht eine Krankheit ist und daß man kranke Menschen nicht sich selbst und ihrem Schicksal überlassen darf, sondern daß man ihnen Hilfe anbieten muß.

Solche Einrichtungen sind eine Möglichkeit, gegen die drohende Verelendung von drogenabhängigen Menschen anzugehen. Die Gesundheitssituation von Süchtigen hat sich durch die Einrichtung von Fixerstuben an den jeweiligen Orten, an denen es solche Einrichtungen schon gab, stets deutlich verbessert. Die hohe Rate von HIV- und Hepatitisinfektionen hat sich positiv nach unten entwickelt. So lauten Aussagen der dortigen Kommunalvertreterinnen und -vertreter und der dortigen Drogenberatungsstellen. Man verhindert ganz einfach ein unsauberes und unsteriles Verabreichen von Drogen und schränkt somit das Risiko der Übertragung von Infek- tionskrankheiten ein.

Ich will nicht unerwähnt lassen, daß die neue gesetzliche Regelung nicht weit genug geht; denn es können nur Konsumentinnen und Konsumenten über 18 Jahren einen Druckraum nutzen. Für die vielen unter 18jährigen ist noch keine Lösung gefunden worden. Auch darf weiterhin in Fixerstuben der Stoff nicht analysiert werden, wodurch Notfälle durch eine Überdosis vermieden werden könnten.

Dennoch ist die neue Bundesgesetzgebung ein Schritt in die richtige Richtung. Durch die Einrichtung von Drogenkonsumräumen werden die bisherigen Möglichkeiten der praktischen Drogenhilfe erweitert. Es besteht die Möglichkeit, Schwerstabhängigen konkrete Überlebenshilfen zu geben und ausstiegsfördernd tätig zu werden. Neben der bereits erwähnten Verhinderung der Übertragung schwerer Krankheiten wird auch die Gefahr eines Drogentodes minimiert.

Einen weiteren Vorteil dieser Einrichtung will ich kurz erwähnen. Aufgrund der Erweiterung des Angebotes besteht die realistische Möglichkeit, daß Beratungsstellen künftig solche Leute erreichen, die bisher keinen Kontakt zu Sucht- und Drogenberatungsstellen gefunden haben, sondern sich beispielsweise in der verdeckten Szene bewegen.

Ich will kurz einige aktuelle Zahlen nennen, die uns zum Nachdenken und Handeln bewegen sollten. Im vergangenen Jahr stieg nicht nur die bundesweite Zahl von Abhängigen und Schwerstabhängigen, sondern auch die Zahl der Drogentoten erreichte einen neuen Höchststand. Bundesweit starben allein 1 723 Menschen an den Folgen des Konsums illegalisierter Drogen, in allererster Linie an Heroin. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Abhängigen liegt mittlerweile bei 32 Jahren.

Auch wenn das Land Sachsen-Anhalt im Ländervergleich nicht an vorderster Stelle zu finden ist, so sind die neuesten Zahlen aus unserem Land besorgniserregend.

Die Stadt Halle wird als Heroinhauptstadt der neuen Bundesländer bezeichnet. Die hallische Drogenberatungsstelle Drobs teilte Anfang März in einer Presseerklärung mit, daß es im Jahre 1999 einen Anstieg der Zahl der von ihr betreuten Abhängigen um 30 % im Vergleich zum Vorjahr gab. Danach sind im vergangenen Jahr fast 400 Heroin- und über 30 Kokainabhängige allein in dieser hallischen Einrichtung betreut worden. 75 % dieser abhängigen Menschen sind jünger als 21 Jahre.

Auch die Polizei räumte diesen Aufwärtstrend ein. Er ist zum Teil in der Kriminalstatistik des letzten Jahres ablesbar.

Wenn wir davon ausgehen, daß es sich bisher nur um die Zahlen von einer von insgesamt drei Beratungsstellen in Halle handelt und daß erfahrungsgemäß nur ein Drittel der süchtigen bzw. der abhängigen Menschen Kontakt zu Beratungsstellen aufnimmt, dann können wir ahnen, wie hoch die tatsächliche Zahl von schwerabhängigen Menschen in Sachsen-Anhalt und vor allem im hallischen Raum ist.

All dies ist für die PDS-Fraktion Anlaß, der Landesregierung den Auftrag zu geben, Sondierungsgespräche mit den Drogen- und Suchtberatungsstellen und anderen Initiativen, einschließlich der Kommunalvertreter vor Ort, hinsichtlich einer objektiven Prüfung der Einrichtung von sogenannten Fixerstuben bzw. Gesundheitsräumen in Sachsen-Anhalt zu führen.

Daß der Reformstau der vergangenen Regierung im Bund in der Drogenpolitik zu einer immer weiteren Verschärfung der Situation von Abhängigen geführt hat und letztlich in einer Sackgasse endete, belegen die Zahlen sehr deutlich. Wir haben lange über neue Wege in der Drogenpolitik geredet. Nun ist eine bundesweite gesetzliche Grundlage geschaffen worden. Wir sollten anfangen, sie in die Tat umzusetzen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Danke sehr. - Für die Landesregierung erteile ich Kultusminister Herrn Dr. Harms in Vertretung für Frau Ministerin Dr. Kuppe das Wort. Bitte, Herr Dr. Harms.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gebhardt, langjähriger Drogenkonsum hat besonders in einigen Großstädten und Ballungsgebieten mit einer großen offenen Drogenszene zur gesundheitlichen Verelendung der Schwerstabhängigen und zu einer hohen Zahl von Drogentoten geführt. Die Änderung des Bundesbetäubungsmittelgesetzes war erforderlich, um

den rechtlichen Rahmen für die notwendigen Maßnahmen in der Drogenpolitik zu schaffen. Die Einrichtung und das Betreiben von Drogenkonsumräumen wurde damit legalisiert.

Drogenkonsumräume können eine Möglichkeit zur Verhinderung des sozialen Abstiegs von Schwerstabhängigen, nicht therapiefähigen oder nicht therapiewilligen Heroinkonsumentinnen oder -konsumenten sein. Sie sind aber keinesfalls als Standardangebot der Drogenhilfe zu sehen. Wichtig ist nach meiner Ansicht, daß zukünftig mit dem Betreiben von Drogenkonsumräumen ausstiegsorientierte Beratungs- und Therapieangebote unterbreitet und vorgehalten werden sollen.

Nach Aussage des Fachverbandes Drogen und Rauschmittel ist die Notwendigkeit für Drogenkonsumräume in den großen Städten gegeben. Derartige Angebote existieren bereits - Sie haben es genannt - in Hamburg, in Hannover, in Frankfurt am Main und in Saarbrücken. Dort sind zum Teil bereits begleitende Hilfsangebote vorhanden.

Sachsen-Anhalt hat dem dritten Gesetz zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes im Bundesrat zugestimmt, auch um die in anderen Ländern mit offener Drogenszene vorhandenen Hilfsangebote aus der Grauzone zwischen Illegalität und gesetzlichem Rahmen herauszuholen. Dies war meines Erachtens überfällig. Nun haben die Länder die Möglichkeit, das Gesetz entsprechend umzusetzen und anzuwenden.

In Sachsen-Anhalt ist die Einrichtung von Drogenkonsumräumen gegenwärtig noch nicht geplant. Das bedeutet jedoch keineswegs, daß die Landesregierung gegenüber der bedenklichen Entwicklung der Drogenproblematik die Augen verschließt. Die Entwicklung wird sehr wohl intensiv verfolgt, insbesondere in den sich abzeichnenden Schwerpunktregionen in unserem Land.

In Sachsen-Anhalt gibt es bisher keine vergleichbaren Zustände wie in den genannten Großstädten. Das sollten wir als Chance sehen und diese auch offensiv nutzen. Deshalb sieht Frau Ministerin Kuppe den weiteren Aufbau und Ausbau von erforderlichen Hilfsangeboten zur Komplettierung der gesamten therapeutischen Kette als prioritär in der Drogenpolitik des Landes an. Dazu gehören folgende Maßnahmen:

erstens Sicherung der präventiven Beratungs- und Hilfsangebote auf kommunaler Ebene,

zweitens Entwicklung von speziellen Beratungsangeboten für von illegalen Drogen Abhängige,

drittens Ausbau der Entgiftungsplätze für von illegalen Drogen Abhängige, auch unter Berücksichtigung der Altersstruktur - so sind aufgrund des Bedarfs zusätzlich zu den bereits vorhandenen Möglichkeiten der Entgiftung von Patientinnen und Patienten am Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Bernburg jetzt auch Entgiftungsplätze für Jugendliche im Sankt-Barbara- und im Sankt-Elisabeth-Krankenhaus in Halle geschaffen worden -,

viertens Schaffung von Rehabilitationsmöglichkeiten für diese Klientel - bis Mitte des Jahres sind 35 neue Plätze zur Rehabilitation drogenabhängiger Jugendlicher in der Fachklinik am Kyffhäuser vorgesehen -,

fünftens sehen wir Bedarf auch im Bereich der Nach- sorge, insbesondere in bezug auf betreute Wohnformen.

Die im Gesetz vorgeschriebene Ausstiegsorientierung kann nur realisiert werden, wenn die soeben genannten

Hilfsmöglichkeiten bestehen und/oder ausgebaut werden.

Meine Damen und Herren! Selbstverständlich wird das Sozialministerium gemeinsam mit dem Innen- und dem Justizressort sowie mit den in der Drogenhilfe tätigen Institutionen die sich entwickelnde Bedarfslage auch hinsichtlich der Notwendigkeit von Drogenkonsumräumen prüfen. Sobald sich entsprechender Handlungsbedarf abzeichnet, wird die Landesregierung, wie im Betäubungsmittelgesetz vorgesehen, eine Rechtsverordnung zur Errichtung von Drogenkonsumräumen in SachsenAnhalt erlassen. Hierbei gilt es, die Mindestanforderungen unter gesundheitlichen und rechtlichen Aspekten zu regeln.

Die dem Anliegen unter Punkt 3 des vorliegenden Antrages zugrunde liegende Intention der PDS macht nach unserer Ansicht allerdings den zweiten Schritt vor dem ersten. Die Landesregierung wird in den Ausschüssen gern über die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Errichtung von Drogenkonsumräumen berichten, wie es der Änderungsantrag der SPD-Fraktion vorsieht. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr. - Den Standpunkt der SPD-Fraktion vertritt nunmehr der Abgeordnete Herr Steckel. Bitte, Herr Steckel, Sie haben das Wort.