Protocol of the Session on April 6, 2000

Unser Wille, die genannte Problematik einer gesetzlichen Regelung zuzuführen, geht auch auf die Gutachten des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes zu dieser Thematik für den Sozialausschuß zurück. Zu diesen Gutachten wurden in einem Schreiben der Ministerin vom 19. Oktober 1999 juristische Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung geäußert. Da ich davon ausgehe, daß die Ministerin diese Bedenken heute wiederholen wird, will ich prophylaktisch zu den zu erwartenden Einwänden, denen wir nicht zustimmen, kurz Stellung nehmen.

Bevor ich das näher ausführe, schicke ich eine allgemeine Bemerkung vorweg, die Ihnen verdeutlichen soll, weshalb ich - abgesehen davon, daß ich keine Juristen bin und auch keine werden möchte - gewisse Probleme habe, mich auf eine rechtliche Auseinandersetzung mit dem Ministerium einzulassen.

Ich versuche, Ihnen das Dilemma anhand eines Beispiels zu erläutern, das der parlamentarischen Praxis entnommen ist. Sie werden sich entsinnen, verehrte Frau Ministerin, daß mein Kollege Professor Trepte im Zusammenhang mit einer bereits mehrfach genannten Petition zwei Kleine Anfragen an die Landesregierung gerichtet hatte. In seiner zweiten Kleinen Anfrage hatte Professor Trepte unter anderem im Hinblick auf den Bedarfsplan zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für den Landkreis Quedlinburg die Frage gestellt, welche Landesbehörde an seiner Aufstellung beteiligt war.

In Ihrem Schreiben vom 5. Januar 1999 haben Sie darauf geantwortet - ich zitiere -:

„Die Aufstellung des Bedarfsplanes für die vertragsärztliche Versorgung obliegt dem Landesausschuß der Ärzte und Krankenkassen als Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung. Landesbehörden sind an seiner Aufstellung nicht beteiligt.“

Frau Ministerin, diese Antwort ist nach meiner Meinung offenkundig unrichtig, denn entgegen Ihrer Behauptung sind Landesbehörden sehr wohl an der Aufstellung der Bedarfspläne beteiligt bzw. zu beteiligen. Ich darf Ihnen den Wortlaut der für die Aufstellung der Bedarfspläne maßgebenden Rechtsvorschrift des § 99 SGB V zitieren:

„Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen sowie im Benehmen mit den zuständigen Landesbehörden einen Bedarfsplan aufzustellen.“

Wie Sie angesichts dieser eindeutigen Rechtslage die Behauptung aufstellen konnten, Landesbehörden seien nicht zu beteiligen, kann ich nicht nachvollziehen. Ich will darüber nicht spekulieren. Allerdings kann ich nicht verhehlen, daß Ihre Antwort bei mir einen zwiespältigen Eindruck hinsichtlich des Umgangs mit Rechtsvorschriften hinterläßt.

Nun konkret zu den Einwänden, die Sie, Frau Ministerin, seinerzeit bereits schriftlich erhoben haben. Sie haben sich damals auf den Standpunkt gestellt, daß eine landesrechtliche Regelung, wie sie von meiner Fraktion jetzt angestrebt wird, deshalb unzulässig sei, weil im Bundesrecht bereits eine für das Land verbindliche gegenteilige Entscheidung getroffen worden sei. Sie haben sich insoweit damals ausdrücklich auf den Bundesmantelvertrag für Zahnärzte berufen und diesem Regelwerk ein grundsätzliches Verbot der Abhaltung von Zweigsprechstunden entnommen.

Dieser Auffassung widerspreche ich deutlich. Wenn es richtig wäre, daß das Bundesrecht einen Rechtssatz enthielte, der einem grundsätzlichen Verbot der Abhaltung von Zweigsprechstunden gleichkäme, dann muß man sich natürlich fragen, wie Sie erklären können, daß es in allen Ländern der Bundesrepublik Zweigpraxen gibt. Gäbe es das von Ihnen behauptete grundsätzliche Verbot des Bundesrechts, dann dürften diese nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich gar nicht existieren.

Mir scheint, daß Ihre Rechtsbehauptung schon durch die allenthalben geübte Praxis widerlegt wird. Diese Praxis wird übrigens auch durch die von Ihnen angeführte Entscheidung des Bundessozialgerichts in keiner Weise in Zweifel gezogen.

Ein anderer Aspekt kommt hinzu. Ihre Behauptung, der Bundesmantelvertrag für Zahnärzte enthielte ein grundsätzliches Verbot der Abhaltung von Zweigsprechstunden, findet im Vertragstext selbst keine Stütze. § 6 Abs. 6 Satz 1 des Bundesmantelvertrages lautet wörtlich:

„Die Ausübung kassenzahnärztlicher Tätigkeit in einer Zweigpraxis bedarf der vorherigen Zustimmung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, in deren Bereich die Zweigpraxis liegt.“

Der Bundesmantelvertrag formuliert also gar nicht das Verbot, das Sie der Vorschrift unterlegten, sondern er bedient sich einer verbreiteten dogmatischen Figur des Verwaltungsrechts, nämlich des „Verbots mit Erlaubnisvorbehalt“.

Der Kern dieser juristischen Argumentation ist nicht das von Ihnen behauptete Verbot, sondern vielmehr die Ableitung von einer besonderen Genehmigung. Das heißt, es soll schon vor Eröffnung einer Zweigpraxis geprüft werden, ob diese zur Versorgung der Versicherten notwendig ist. An dieser Stelle soll durch den von uns vorgelegten Gesetzentwurf nicht das geringste geändert werden.

Was geändert werden soll, ist - dazu bekennen wir uns allerdings ganz ausdrücklich -: Wenn ein Versorgungsbedürfnis besteht, dann soll es nicht länger im Ermessen der Kassenärztlichen Vereinigung und ihrer subjektiven Kriterien liegen, ob sie eine Genehmigung erteilt oder nicht. Darauf kommt es uns an, und daran halten wir fest.

Über Einzelheiten, meine ich, können wir im weiteren Verlauf reden, darüber können wir im Ausschuß beraten. Deshalb beantrage ich namens meiner Fraktion die Ü

berweisung dieses Gesetzentwurfs in den Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales.

(Beifall bei der PDS)

Danke für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Im Ältestenrat ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden. Die Fraktionen sprechen in der Reihenfolge CDU, DVU-FL, SPD, FDVP und PDS. Als erster erteile ich jedoch für die Landesregierung Ministerin Frau Dr. Kuppe das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen Abgeordneten! In der Tat, Frau Krause, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf greift die PDS-Fraktion ein bereits in der Vergangenheit - nicht nur in Ihrer Fraktion - heftig diskutiertes Anliegen auf.

Kurz zum Begriff. Zweig- oder Außensprechstunden, bei denen der Vertragsarzt oder die Vertragsärztin an einem anderen Ort als am Praxissitz zusätzlich Sprechstunden durchführt, sind eine Besonderheit in Ostdeutschland. Im Westen ist das Thema wegen der gewachsenen Strukturen in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung nahezu unbekannt.

Vielen von uns ist noch das Bild des Arztes oder der Ärztin präsent, die mit knatterndem Auto über Land fuhr und die Sprechstunden in den sogenannten Schwesternstationen abhielt. Den Patientinnen und Patienten war es damals und ist es heute noch wichtig, möglichst am Wohnort behandelt zu werden und einen regelmäßig wiederkehrenden Arzt oder eine regelmäßig wiederkehrende Ärztin in der Nähe zu wissen. Die Zweigsprechstunden waren zu DDR-Zeiten neben den Landambulatorien Garanten für eine medizinische Versorgung mit gutem Standard auch auf dem Land.

Bei der heutigen Kritik an der abnehmenden Zahl der Zweigsprechstunden wird häufig übersehen, daß mittlerweile die Versorgung mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in Sachsen-Anhalt flächendeckend als gut zu bezeichnen ist. In vielen Planungsbereichen ist sogar eine Überversorgung festzustellen.

Es kann dennoch sein, daß in einzelnen Regionen, die ansonsten rechnerisch ausreichend versorgt sind, wegen der besonderen örtlichen Gegebenheiten der Bedarf an zusätzlichen Zweigsprechstunden gegeben ist. Bei einem derartigen Bedarf kann die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalts als zuständige Körperschaft des öffentlichen Rechts im Einzelfall die Ausübung einer Zweigsprechstunde genehmigen.

Ich habe Verständnis dafür, daß die Schließung einer solchen Sprechstunde für die betroffene Bevölkerung als ein Einschnitt in die gesundheitliche und soziale Infrastruktur empfunden wird. Insbesondere in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen möchten nach wie vor auf das bewährte Instrument zurückgreifen. Möglicherweise scheuen sich auch manche, ihren Hausarzt oder ihre Hausärztin um einen Hausbesuch zu bitten, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die nächste Arztpraxis zu gelangen. Auch das ist ein mögliches Instrument.

Gegen die Verabschiedung des vorgelegten Gesetzentwurfs sprechen für mich mehrere Gründe. Sie haben

schon einige davon angesprochen, Frau Krause. Ich will insbesondere auf die Gründe rechtlicher Natur eingehen.

Ich teile - und das gemeinsam mit den Juristinnen und Juristen meines Hauses - zum einen nicht die Auffassung des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes des Landtages von Sachsen-Anhalt - dieser ist ja faktisch der Autor des Gesetzentwurfs -, daß der Landtag von Sachsen-Anhalt die Kompetenz zum Erlaß von Regelungen für den Bereich der vertragsärztlichen Versorgung hat. Zum anderen halte ich die vorgeschlagenen Regelungen zur Änderung des Heilberufegesetzes für überflüssig.

Zum ersten. Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst vertritt die Auffassung, daß der Bundesgesetzgeber hinsichtlich des Vertragsarztrechtes von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz gemäß Artikel 74 Abs. 1 Nr. 12 keinen Gebrauch gemacht habe und daß deshalb die Sperrwirkung des Artikels 72 Abs. 1 des Grundgesetzes bisher noch gar nicht ausgelöst worden sei.

Die Sperrwirkung besagt, daß das Land die Befugnis zur Gesetzgebung hat, solange und soweit der Bund nicht durch Gesetz davon Gebrauch gemacht hat. Nach meiner Auffassung hat der Bundesgesetzgeber sehr wohl seine Gesetzgebungskompetenz in Anspruch genommen, so daß deshalb kein Raum für ein Landesgesetz besteht, das den vertragsärztlichen Bereich erfaßt.

Ich will das kurz erläutern. Eine Regelung, die einer grundsätzlichen Einschränkung der Abhaltung von Zweigsprechstunden gleichkommt, besteht bereits, und zwar im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte. Auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts besagt, daß die Regelung im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte auf die vertragsärztliche Tätigkeit zu übertragen und dort anzuwenden ist.

Die Bundesmantelverträge kommen einem Gesetz gleich. Sie beruhen auf der gesetzlichen Ermächti- gung nach dem Sozialgesetzbuch V und sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als Rechtsnormen mit Außenwirkung zu qualifizieren. Daneben erhält das Fünfte Buch des Sozialgesetzbuches selbst wie auch die Ärztezulassungsverord- nung Bestimmungen über die Ausübung von Sprechstunden, die regelhaft mit Zweigsprechstunden nicht in Einklang zu bringen sind.

Es handelt sich also hierbei unstreitig um bundesrechtliche Regelungen, die der Landesgesetzgeber nicht außer Kraft setzen kann. Der Bundesgesetzgeber hat diesen Bereich abschließend geregelt, allerdings nur für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung - ich betone: für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Dieser Bereich umfaßt in unserem Land mehr als 90 % der Bevölkerung.

Damit komme ich zum zweiten Einwand. Gesetzliche Sonderregelungen, die die PDS nunmehr fordert, die auch vom Land über eine Änderung des Gesetzes über die Kammern für Heilberufe und eine darauf aufbauende Änderung der Berufsordnung getroffen werden könnten, würde es demzufolge nur für Privatpatientinnen und -patienten geben.

Ich kann mir nicht vorstellen, sehr geehrte Frau Krause, daß es die Intention der PDS-Fraktion als der Antragstellerin ist, ausgerechnet diesem Teil der Bevölkerung

Sonderregelungen zukommen zu lassen, also eine gesetzliche Regelung für die 10 % der privat Versicherten zu schaffen. Eine solche Neuregelung hätte letztlich für den Bereich der Kassenpatientinnen und -patienten keine Auswirkungen.

Abgesehen davon, meine sehr geehrten Damen und Herren, wäre im Hinblick auf die geringe Zahl der privat Versicherten wohl kaum ein Arzt oder eine Ärztin bereit, seine oder ihre Tätigkeit zusätzlich in einer Zweigstelle anzubieten.

Sowohl die Ärztekammer als auch die Zahnärztekammer haben im übrigen in ihren Berufsordnungen Rechtsgrundlagen, die es gestatten, eine Zweigpraxis zu errichten, sofern es die Versorgung der Bevölkerung erfordert. Diesen Spielraum haben die ärztlichen Selbstverwaltungen auszufüllen.

Aus dem Bereich beider Kammern sind mir keine Streitigkeiten zwischen Kammer und Berufsangehörigen bekannt, die dazu zwingen würden, gesetzliche Vorgaben zu erlassen.

Bereits durch Artikel 12 des Grundgesetzes und Artikel 16 der Landesverfassung wird das Recht der freien Berufsausübung gewährleistet. Deshalb ist es auch nicht notwendig, im Gesetzentwurf das Recht allgemein zu betonen, die Berufstätigkeit in eigener Verantwortung zu bestimmen, und ein spezielles Recht zu gewähren, unter bestimmten Voraussetzungen Zweigstellen zu errichten.

Die beabsichtigten Änderungen zu Vorschriften des Kammergesetzes stellen nach meiner Überzeugung eine Überreglementierung dar, die nicht mehr in die heutige Zeit paßt und wegen der Beschränkung auf den Kreis der Privatversicherten auch inhaltlich nicht gerechtfertigt ist.

Ich fasse zusammen: Ich sehe keinen Bedarf bzw. keine Möglichkeit für die vorgesehene gesetzliche Regelung. Wegen der komplizierten Materie sollten sich aber die Ausschüsse für Arbeit, Gesundheit und Soziales, für Inneres und für Recht und Verfassung mit dem Thema befassen.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Professor Dr. Böhmer.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich würde weder dem Thema noch Ihnen noch mir einen Gefallen tun, wenn ich heute abend kurz vor 20 Uhr noch einmal den gesamten Rechtsapparat zitierte, den Frau Krause und die Ministerin schon angesprochen haben.

Seit 1994 verfolgt uns dieses Thema fast in jeder Form, die die Geschäftsordnung unseres Landtages zuläßt. Vom Petitionsausschuß über Anträge bis hin zu Anhörungen haben wir alles schon durch.

Nun liegt ein Gesetzentwurf vor, der uns nicht überrascht, weil er bereits im Herbst des vorigen Jahres kursierte und offensichtlich hier im Hause erarbeitet worden ist. Frau Krause, Sie haben fast richtig alles zitiert, was in dem Gutachten aufgeführt ist. Einen Satz aber haben

Sie weggelassen. Herr Sälzer hat nämlich auch hineingeschrieben:

„Das ist ein Thema, mit dem sich offenbar noch niemand vertieft befaßt hat.“

Was das ist, weiß ich nicht genau.