Protocol of the Session on March 10, 2000

(Herr Rothe, SPD: Danke schön!)

Meine Damen und Herren! Damit haben wir die Debatte über den Tagesordnungspunkt 27 beendet.

Wir kommen zum Abstimmungsverfahren zur Drs. 3/2738 und zur Drs. 3/2833. Es ist zuerst über den Änderungsantrag der CDU-Fraktion in der Drs. 3/2833 mit der erwähnten Ergänzung, die von der SPD-Fraktion vorgetragen und von der CDU-Fraktion übernommen worden ist, abzustimmen. Wer stimmt dem Änderungsantrag der CDU-Fraktion zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Mehrere Enthaltungen. Damit ist dem Änderungsantrag gefolgt worden.

Ich lasse jetzt über den Ursprungsantrag in der soeben geänderten Fassung abstimmen. Wer stimmt zu? Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Bei gleichem Abstimmungsverhalten ist dem Antrag zugestimmt worden. Wir haben den Tagesordnungspunkt 27 bewältigt.

Meine Damen und Herren! Ich entlasse Sie in die Mittagspause. Bitte seien Sie pünktlich um 14 Uhr wieder hier. Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit.

Unterbrechung: 13.02 Uhr.

Wiederbeginn: 14.01 Uhr.

Meine Damen und Herren! Wir setzen unsere Sitzung fort mit dem Tagesordnungspunkt 28:

Beratung

Anhebung der substituierbaren „Kindererziehungsrente“

Antrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/2741

Der Antrag wird von der Abgeordneten Frau Helmecke eingebracht.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich den bezeichneten Sozialantrag auf Anhebung der substituierbaren „Kindererziehungsrente“ begründe, erlaube ich mir noch eine Anmerkung.

Sie, Frau Ministerin Kuppe, haben während der letzten Plenardebatte ein wenig am Thema vorbeigeredet. Im einzelnen vorgetragen habe ich das Adjektiv „substituierbar“. Sie dagegen haben das Verb „substituieren“ erläutert und das Partizip „substituierend“ ausgewiesen. Das aber ist inhaltlich falsch. Schauen Sie zur Selbstkontrolle in den Stenographischen Bericht über die letzte Sitzung.

Nun zum eigentlichen Thema. Gemäß Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes und Artikel 24 Abs. 1 der Landesverfassung stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.

Der Artikel 6 des Grundgesetzes enthält nicht ein einzelnes, einheitliches Grundrecht, sondern mehrere unterschiedliche Vorschriften. Sie alle beziehen sich auf den engsten persönlichen Bereich, den Familie nkreis.

Allerdings hat sich der Begriff von Ehe und Familie im Laufe dieses Jahrhunderts grundlegend geändert. So liegt zwischen der strengen Ordnung des ursprünglichen Bürgerlichen Gesetzbuches und dem heute geltenden Ehe- und Familienrecht ein langer Weg. Das dem heutigen Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde liegende partnerschaftliche Ehebild ist entscheidend beeinflußt von der rechtlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frau.

Noch für die Väter des Grundgesetzes waren Ehe und Familie nahezu identisch. Die Ehe galt als die Grundlage für die Familie. Die Familie war die normale Folge der Ehe. Eheschutz und Familienschutz waren miteinander verbunden, weil eine Eheschließung normalerweise auch zur Geburt von Kindern führte und damit die Gründung der Familie vorbereitete.

Heute gibt es in sehr viel größerer Anzahl einerseits kinderlose Ehen und andererseits Kinder, die nicht in einer Ehe geboren werden und aufwachsen. Das kann für die Auslegung von Artikel 6 des Grundgesetzes nicht ohne Bedeutung bleiben.

Eheschutz und Familienschutz können, ja müssen heute getrennt gesehen werden. Voraussetzung für den Schutz einer Lebensgemeinschaft als Ehe ist die Eheschließung in der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Form. Nichteheliche Lebensgemeinschaften fallen nicht unter Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes, sind aber verfassungsrechtlich auch nicht verboten.

Der Gesetzgeber ist somit nicht gehindert, nichteheliche Lebensgemeinschaften in Teilbereichen oder auch umfassend gesetzlich zu regeln. Schon gar nicht hat er die Pflicht, solchen Lebensgemeinschaften jegliche rechtliche Anerkennung zu versagen. Nur eine völlige Gleichbehandlung würde dem Schutzgebot des Artikels 6 Abs. 1 widersprechen.

Nichteheliche Gemeinschaften dürfen gegenüber echten Ehen aber auch nicht begünstigt werden. Die Familie im Sinne des Artikels 6 Abs. 1 des Grundgesetzes ist in erster Linie die Gemeinschaft von Eltern mit ihren minderjährigen Kindern, also die moderne Kleinfamilie. Keine Familie im Sinne des Artikels 6 Abs. 1 des Grundgesetzes sind dagegen reine Wohngemeinschaften, die sich als Großfamilie bezeichnen.

Auch nichteheliche Lebensgemeinschaften sind als solche zunächst keine Familien im Sinne von Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes, und zwar auch dann nicht, wenn sie jahrelang bestanden haben.

Etwas anderes muß freilich für nichteheliche Lebensgemeinschaften mit gemeinsamen Kindern gelten; denn gerade im Hinblick auf Artikel 6 Abs. 5 des Grundgesetzes wird man den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie in Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes auch auf Familien erstrecken müssen, deren Grundlage eine nicht legalisierte freie Lebensgemeinschaft der Eltern ist.

Damit ist der Adressatenkreis, der Empfängerkreis benannt, der für die Anhebung der substituierbaren „Kindererziehungsrente“ in Betracht kommt. Daß Alleinerziehende in diesen Kreis einbezogen sind, ist eine Selbstverständlichkeit.

Kollegin Helmecke, Moment bitte. - Meine Damen und Herren! Ich wurde darum gebeten, für etwas mehr Ruhe zu sorgen. Der Geräuschpegel würde es unmöglich

machen, Frau Helmecke zu verstehen. Ich bitte Sie, dem zu folgen.

Unter welchen Voraussetzungen und für welchen Zeitraum Kindererziehungszeiten zu berücksichtigen sind, ergibt sich aus den §§ 56, 249 und 249 a SGB VI.

Nach § 3 Nr. 1 SGB VI begründet die Erziehung eines Kindes unter den Voraussetzungen des § 56 SGB VI die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Ohne tatsächliche Beitragszahlungen handelt es sich nunmehr unabhängig davon, ob die Zeiten vor dem 1. Januar 1986 liegen, um Pflichtbeitragszeiten, die bei der Rentenberechnung punktemäßig bewertet werden.

Bei Geburten vor 1992 wird die Zeit der ersten zwölf, bei Geburten ab 1992 die Zeit der ersten 36 Kalendermonate nach der Geburt des Kindes als Pflichtbeitragszeit berücksichtigt. Sie beginnt mit dem ersten Tag des auf den Monat der Geburt des Kindes folgenden Monats. Sie endet drei Jahre später mit dem letzten Tag des Monats, der seiner Benennung nach dem Monat der Geburt des Kindes entspricht.

Für die Anrechnung der Kindererziehungszeit in voller Länge ist aber Voraussetzung, daß durchgehend für alle Monate sämtliche Merkmale der Versicherungspflicht wegen Kindererziehung erfüllt sind. Anderenfalls verkürzt sich die anrechenbare Zeit entsprechend. Bei gleichzeitiger Erziehung mehrerer Kinder verlängert sich die Kindererziehungszeit von 36 Monaten um die Monate der gemeinsamen Erziehung.

Derzeit werden also lediglich drei Erziehungsjahre, und zwar mit Modifizierungen, bei der Rente für Kinder angerechnet, die nach dem 1. Januar 1992 geboren wurden. Dies ist ohne Zweifel ein sozialer Erfolg. Dennoch sind wir der Auffassung, daß die rentenerheblichen Kindererziehungszeiten für Mütter und/oder Väter schrittweise höher eingruppiert werden und die Einschränkungen wegfallen müssen, um die geforderte Wahlfreiheit zwischen Kindererziehungstätigkeit und Erwerbstätigkeit unter den Partnern gewährleisten zu können.

Wir fordern daher die Landesregierung auf, sich in Abstimmung mit der Bundesregierung und den Bundesländern im Bundesrat über eine Bundesratsinitiative dahin gehend zu verständigen, die austauschbare Kindererziehungsrente durch eine initiierte Novellierung des § 56 SGB VI stufenweise anzuheben.

Als Bemessungsgrenze kommen in Betracht die Anhebung von drei auf fünf Erziehungsjahre für Kinder, die 13 Jahre vor dem möglichen Inkrafttreten einer Gesetzesänderung geboren wurden, unter dem Stichtag 1. Januar 1987, und Erziehungsjahre für Kinder, die 18 Jahre vor dem möglichen Inkrafttreten einer Gesetzesänderung zur Welt kamen, unter dem Stich-tag 1. Januar 1982. Damit kämen alle Berechtigten, ob Mann und/oder Frau, in den Genuß, eine höhere Rentenabsicherung infolge der Kindererziehungsrente zu erfahren.

Die gegenwärtige Wahlfreiheit ist nur eine scheinbare. Als Beispiel wäre in unserer Vorgabe der Fall zu nennen, daß eine Frau mit drei Kindern, die nach 1982 geboren und verantwortungsvoll erzogen, versorgt und betreut wurden, einen Rentenanspruch von 21 Jahren erworben hätte. Damit erführe ein Berechtigter die

gleiche Rentenabsicherung wie der Partner, der 21 Jahre lang erwerbstätig gewesen wäre und ein Durchschnittseinkommen erhalten hätte.

Diese Form der Familienförderung erachten wir als erstrebenswert, da sie geeignet ist, die Situation der Familien zu verbessern und zu Familiengründungen beizutragen. Dabei kann offenbleiben, ob es sich bei den Familien um legalisierte Ehen handelt oder nicht. Auch der demographischen Fehlentwicklung könnte damit vorgebeugt werden.

Meine Damen und Herren! Kein anderer als das Bundesverfassungsgericht hält den Gesetzgeber für verpflichtet, die Nachteile der Erziehenden in einem weiteren Umfang als bisher schrittweise abzubauen. Begleitende kinderfreundliche Maßnahmen, insbesondere im Steuerrecht, sollten Partnerschaft und Kinderfreundlichkeit unterstützen, obwohl der Umfang der staatlichen Förderungspflicht beim Familienausgleich umstritten ist.

Maßstab der Förderungspflicht im Sinne unseres Antrages kann aber nicht das Existenzminimum auf Sozialhilfeniveau sein, sondern muß der Lebensstandard von kinderlosen und kinderarmen Familien sein. Die Familien und die Betroffenen müssen sich auch bei der Anerkennung von Kindererziehungszeiten annähernd das gleiche leisten können, und zwar unabhängig davon, ob sie viele Kinder, wenige oder gar keine haben. Dies folgt aus Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, also der Verpflichtung des Staates, Familien und Betroffene dem Grunde nach ausreichend zu versichern.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag und beantrage die Überweisung in den Sozialausschuß ebenso wie in den Gleichstellungsausschuß. - Ich danke I hnen.

(Beifall bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Bevor wir mit der Debatte beginnen, freue ich mich, Seniorinnen und Senioren der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft aus dem Raum Stendal in unserem Hause herzlich begrüßen zu dürfen.

(Beifall im ganzen Hause)

Es ist im Ältestenrat eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion in der Reihenfolge CDU, DVU-FL, PDS, SPD und FDVP vereinbart worden. Als erster erteile ich jedoch für die Landesregierung Frau Ministerin Kuppe das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich unterstelle, daß der Antrag darauf abzielt, keine neue Kindererziehungsrente zu konstruieren, sondern die im Rentenrecht zu berücksichtigenden Kindererziehungszeiten zeitlich zu verlängern.

Wie sähen die Konsequenzen aus? - Annähernd 5,2 Millionen Renten in Deutschland enthalten Kindererziehungszeiten. Nach der schrittweisen Realisierung der bereits jetzt geltenden gesetzlichen Regelung, je Kindererziehungsjahr ein Entgeltpunkt, werden hierfür bereits 6,5 Milliarden DM aufzuwenden sein. Fünf Kindererziehungsjahre je Kind erforderten pro Jahr mehr

als 32 Milliarden DM, und bei sieben Jahren je Kind wären es über 45 Milliarden DM pro Jahr; das sind fast 10 % des gesamten Haushalts des Bundes.

Ich finde es unerträglich, wenn Sie von der FDVPFraktion nach Haider-Manier Forderungen formulieren und damit Hoffnungen wecken, die niemand bezahlen kann.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Wir als Landesregierung werden realistisch handeln und mangels Erfolgsaussicht nicht im Sinne dieses Antrages aktiv werden. Gleichwohl wird sich die Landesregierung für eine Verbesserung einer eigenständigen Alterssicherung von Frauen und für hinreichend realistische, umsetzbare Maßnahmen zur Verhinderung von Altersarmut in die anstehende Rentendiskussion auf Bundesebene einbringen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)