Protocol of the Session on January 20, 2000

Genau das ist der Punkt.

Wenn es gut geht, mit dem Land, aber doch nicht mit den Verwaltungsstrukturen. Das kann man doch nicht als Argument gegen eine Verwaltungsänderung anführen.

(Zurufe von der CDU)

Herr Kollege Fikentscher, Sie haben mit Ihrer Frage ein Plädoyer für unsere Position gehalten.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich identifizieren sie sich nicht mit einer Verwaltungsstruktur. Deshalb sagen wir auch, in Gottes Namen, dann sollen die Verwaltungsgemeinschaften, wenn nötig, größer werden, um die Effizienz zu steigern. Das ist doch überhaupt nicht unser Problem. Aber mit

dem Dorf, mit der Stadt, mit der Gemeinde identifiziert man sich, und die wollen Sie köpfen.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von Frau Budde, SPD, und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Tausend Gemeinden schlachten, wie Herr Becker gesagt hat, zerstört Identität. Und das ohne eine ausreichende Begründung zu tun ist ein Abenteuer, und dieses soll wenigstens überlegt werden.

(Unruhe bei der SPD)

Es werden immer Beispiele von Nordrhein-Westfalen angeführt. Daß dort eine ganz andere Siedlungsstruktur ist, ist klar.

Ich möchte - Herr Minister, vielleicht erübrigt das sogar Ihre Frage - einmal aus einem Gutachten zur Gebietsreform in den neuen Ländern von einem Professor Stühr aus Münster/Osnabrück vorlesen, der erst einmal die Problematik der Gemeindereform und ihr Scheitern an vielen, vielen Beispielen in Nordrhein-Westfalen deutlich macht. Ich zitiere einmal daraus, weil mir das wirklich zu denken gegeben hat:

„Gerade in kritischen Fällen, in denen der Bürgerwille sich in der Neugliederungsentscheidung nicht wiederfindet, müssen die lediglich an Effektivitätsgesichtspunkten ausgerichteten Maßstäbe um weitere, am Bürgerwillen ausgerichtete Maßstäbe ergänzt werden.

Die den Gebietsreformmaßnahmen zugrunde liegenden Maßstäbe scheinen vorwiegend an Effektivitätsgesichtspunkten orientiert zu sein. Darin darf sich die kommunale Gebietsreform jedoch nicht erschöpfen.

Die Grundsätze und Leitsätze, nach denen sich die Gebietsreform vollzieht, sind vielmehr neben Effektivitätsgesichtspunkten um Integrationswerte zu ergänzen, oder es ist auf der Ebene der Anwendung der Leitsätze dafür Sorge zu tragen, daß neben die Effektivitätsgesichtspunkte auch Integrationsmaßstäbe, etwa der örtlichen Verbundenheit oder der Akzeptanz der Neugliederungsentscheidung, treten.“

(Beifall bei der CDU)

Genau dieser Teil fehlt uns in Ihrem kommunalen Leitbild. Dort wird ein Zahlenfetischismus geübt. Ich sage gar nicht, daß man von den Zahlen abstrahieren kann, aber es gehört beides dazu. Der Herr Professor Stühr plädiert nämlich nun sogar dafür, daß bei einer rechtlichen Bewertung von Gemeindegebietsreformen die Berücksichtigung von Integrationswerten sogar rechtlichen Bestand haben soll.

Wir riskieren nicht nur, daß wir die Leute überrollen, sondern wir riskieren auch, daß wir vor dem Landesverfassungsgericht scheitern. Und das ist ein Gesichtspunkt, den Sie sich wirklich überlegen sollten.

(Herr Hoffmann, Magdeburg, SPD: Deshalb gibt es eine freiwillige Phase!)

Herr Dr. Bergner, es gibt noch drei Fragen von Herrn Dr. Püchel, Herrn Dr. Brachmann und Herrn Bullerjahn. Sind Sie bereit zu antworten?

Ich immer, wenn Sie dies zulassen.

Das hängt auch von den übrigen Abgeordneten ab. Ich denke aber, das Thema ist interessant genug. - Bitte, Herr Dr. Püchel.

Herr Dr. Bergner, eine kleine Feststellung und dann eine Frage dazu. Sie kamen mir eben wie ein Segler vor. Sie haben an einer Klippe vorbeizusegeln versucht, nämlich an der Frage, brauchen wir auf der kommunalen Ebene Veränderungen oder nicht. Immer wenn Sie zu der Frage kamen, sind Sie wieder zurückgesegelt. Sie haben nie klar gesagt, wie Sie zu dieser Klippe stehen.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Die Frage bitte!)

Ich bitte Sie hierzu um eine eindeutige Aussage. Das ist das eine.

Das zweite ist, Sie haben als universalpolitischer Sprecher - - Das ist als Kompliment gemeint; Sie haben das sehr gut gemacht, es hat mir sehr gefallen. Ich habe auf jedes Wort geachtet. Sie haben aber bestimmt vorher noch mit Ihrem innenpolitischen Sprecher über diese Thematik gesprochen, denn Sie wollen auch noch den dort vorhandenen Sachverstand mit einbeziehen. Haben Sie Herrn Becker einmal gefragt, wie es sich mit der Identität der Menschen in den von ihm eingemeindeten Dörfern verhält?

Ich will zunächst auf den universalpolitischen Sprecher eingehen. Es gibt die Funktion eines Fraktionsvorsitzenden. Bei einer Debatte - um auch das gleich zu sagen -, bei der bestimmte Argumente überzeugender vorgetragen werden können, wenn sie nicht von einem Bürgermeister oder Landrat vorgetragen werden, ist die Entscheidung, wer redet, so gefallen.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Sonderausschuß!)

Ich habe mich auch darüber gewundert, daß Frau Budde gesprochen hat. Aber das ist eine andere Frage.

(Zuruf von Frau Budde, SPD)

Was nun die Abstimmung mit Herrn Becker betrifft, werden Sie eine interessante Antwort bekommen. Der Gesichtspunkt der identitätsstiftenden Wirkung von Gemeinden ist ein Gesichtspunkt, den ich von Herrn Becker gelernt und aufgenommen habe.

Wer über den Marktplatz von Naumburg geht, der weiß, wovon er spricht, meine Damen und Herren. Das ist genau der Punkt, um den es dabei geht. Das ist kein Gegensatz zu Herrn Becker, sondern ist in der Sache mit Herrn Becker abgestimmt.

(Beifall bei der CDU - Unruhe bei der SPD - Zuruf von Frau Budde, SPD)

Herr Dr. Brachmann, stellen Sie bitte Ihre Frage.

(Unruhe bei der SPD)

Entschuldigung, zu der anderen Frage. - Herr Minister Püchel, wenn Sie die Rede richtig gehört haben, hat niemand gesagt, daß wir Veränderungen auf kommunaler Ebene völlig ausschließen. Das tut niemand im Hause. Aber das Schlachten von 1 000 Gemeinden einfach so zu verkünden -

(Unruhe bei und Zurufe von der SPD - Frau Bud- de, SPD: Macht doch nicht schon wieder die Bruchlandung! - Zuruf von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner)

- Gut, die Zur-Disposition-Stellung von 1 000 gemeindlichen Gebietskörperschaften, wenn diese Formulierung als korrekter empfunden wird, so einfach einmal zu diskutieren und dann eine Begründung zu geben, die doch in der Sache unzureichend ist, weil sie die Funktionalzuordnung völlig außer acht läßt, und dann das eigentlich heiße Eisen, die Landesverwaltungsreform, so zaghaft anzufassen, das ist doch der Punkt der Kritik, wo wir nicht weiterkommen.

(Beifall bei der CDU)

Bitte, jetzt Herr Dr. Brachmann.

Herr Dr. Bergner, die Botschaft ist angekommen. Ich denke, es streitet in diesem Haus auch keiner ab, daß, was die Reform der unmittelbaren Landesverwaltung anbelangt, noch einiges zu leisten ist.

Ich habe zwei Fragen: Sie haben dargelegt, daß auf kommunaler Ebene in den letzten Jahren eine ganze Menge passiert ist. Dann erklären Sie mir einmal, warum Sachsen-Anhalt mit 25,8 Bediensteten auf 1 000 Ein-wohner auf kommunaler Ebene auch in dieser Hinsicht bundesweit immer noch das Schlußlicht darstellt, trotz der Veränderungen.

Aus welchem Jahr stammt die Angabe?

Die zweite Frage kommt dann noch.

Haben Sie die Jahreszahl, auf die sich die Angabe bezieht? Das sind jetzt nicht die Zahlen von der KPMG? Die sind veraltet, das wissen wir.

Es sind die Zahlen nach der Gebietsreform 1994.

(Oh! und Lachen bei der CDU)

Aber Herr Kollege!

Die Zahlen, die ich habe, beziehen sich auf das Jahr 1996. Daran wird aber auch deutlich, daß beispielsweise Rheinland-Pfalz zu jenem Zeitpunkt 12,4 Be

dienstete je 1000 Einwohner auf der kommunalen Ebene hatte, also die Hälfte.

(Zuruf von Frau Budde, SPD)