Protocol of the Session on January 20, 2000

Das Leitbild, über das seit dem 20. Dezember 1999 diskutiert wird, bewegt sich im Kontext dieser Überlegungen. Der Handlungsbedarf im kommunalen Bereich ergibt sich nach der Leitbilduntersuchung, die ich von März des letzten Jahres an durchführen ließ, aus mehreren Punkten, die sich natürlich zum Teil mit dem Reformbedarf auf Landesebene decken. Sie werden Ihnen allen bestens bekannt sein. Nur zur Unterstreichung will ich einige nochmals hervorheben:

Erstens ist die Entwicklung wettbewerbsfähiger Strukturen in allen Bundesländern zu nennen. So weist das Land Sachsen zum Beispiel bei 4,5 Millionen Einwohnern nur 595 Gemeinden auf. Oder - das führe ich als Extrembeispiel an, das wir nicht anstreben - in Nordrhein-Westfalen leben 18,8 Millionen Einwohner in 395 Gemeinden.

Alle Länder, mit Ausnahme Brandenburgs, MecklenburgVorpommerns und Sachsen-Anhalts, haben eine Gebietsreform auf allen kommunalen Ebenen durchgeführt. Die beiden genannten Länder prüfen, ob sie nicht auch Reformschritte einleiten wollen. In Brandenburg läuft dies zur Zeit. Ich habe vor kurzem mit meinem Kollegen Schönbohm darüber gesprochen.

Zweitens ist die Änderung des Länderfinanzausgleiches im Jahr 2004,

drittens die Veränderung der EU-Förderung ab dem Jahr 2006, was zwangsläufig zu einigen Verlusten führen könnte, und

viertens die Entwicklung eines gemeinsamen großen Marktes in Europa, die Osterweiterung der EU, anzuführen.

Fünftens ist der zunehmende Wettbewerb der Länder und Kommunen bei der Ansiedlung von Industrie und Dienstleistungsgewerbe zu nennen. Damit einhergehend müssen entsprechende Angebote an Infrastruktur und an Informationstechnik sowie Kenntnisse innerhalb der Verwaltung bis hin zum europäischen Rechtssystem vorhanden sein.

Sechstens erinnere ich an die täglichen Meldungen von Konzern- und Bankenfusionen.

Siebentens ist die Forderung nach hoher Verwaltungsqualität bei niedrigen Kosten zu erwähnen.

Achtens. Damit hängen die Klagen der Gemeinden über eine verwaltungsbedingte zu hohe Kostenbelastung, gerade gegenüber den Verwaltungsgemeinschaften, zusammen.

Neuntens ist auf Spannungsfelder zwischen ehrenamtlichen Bürgermeistern und den Leitern der gemeinsamen Verwaltungsämter, die manch eine Verwaltungsgemeinschaft lähmen, aufmerksam zu machen. In diesem Zusammenhang erinnere ich nur daran, wie schwierig sich in vielen Verwaltungsgemeinschaften die Bereinigung der Gründungsfehler gestaltet.

Zehntens ist die nicht hinreichende Wahrung der Interessenlagen der Mitgliedsgemeinden gegenüber der Verwaltung in der Trägergemeinde einer Verwaltungsgemeinschaft,

elftens die zu kurz gegriffene Kreisgebietsreform von 1994 zu nennen.

Zwölftens möchte ich abschließend auf die Gutachten hinweisen, die im Auftrag des Landesrechnungshofes bzw. des Bundes der Steuerzahler erstellt worden sind.

Meine Damen und Herren! Der Blick über die Landesgrenzen hinaus - das darf ich an dieser Stelle sagen - ist ein nicht unwesentlicher Antrieb für die Reformüberlegungen bei uns gewesen. Es stellen sich also die Fragen, ob wir wirklich das einzige Land sein wollen und können, das sich den Reformbedürfnissen und -erfordernissen verweigert, und welche Argumente wir zum Beispiel in den nicht mehr allzu fernen Neuverhandlungen über den Länderfinanzausgleich finden wollen.

Die Feststellung von Herrn Dietrich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, daß Länder, die sich eine überteuerte Verwaltung leisten, im anstehenden Verteilungskampf um den Finanzausgleich in einer schlechten Position sein werden, läßt sich nicht von der Hand weisen, Herr Professor Böhmer.

(Zuruf von Herrn Prof. Dr. Böhmer, CDU - Herr Becker, CDU: Deshalb Verwaltungsreform!)

- Lieber Herr Becker, Herr Dietrich machte diese Feststellung in einem Artikel über unser Leitbild, das er übrigens sehr positiv darstellt, auch was die kommunale Ebene betrifft. Sehr richtig, Herr Becker.

(Zustimmung bei der SPD)

Das hat auch Herr Wallbaum von der „Hannoverschen Allgemeinen“ getan, obwohl das mir von ihm unterstellte Heldentum natürlich deplaziert war.

Es hat nichts mit Mut zu tun, sich einem solchen Thema zu stellen. In erster Linie ist es die Pflicht, die Verantwortung, die wir übertragen bekommen haben, auch wahrzunehmen, zumal das Thema - das zeigen die heftigen Diskussionen - reif ist.

Lassen Sie uns zunächst über die Fragen diskutieren, ob und in welchen Bereichen der Landtag die von mir vorgeschlagene Verwaltungs- und Kommunalreform unterstützen will und in welcher Zeit die Details geklärt werden, die Reform schrittweise umgesetzt werden soll.

Es dürfte wenig Zweck haben, jetzt über Details zu reden. Es geht darum, zu zeigen, ob Reformwille besteht oder nicht. Mir ist klar, daß wir zumindest für die Kommunalreform spätestens dann, wenn die freiwillige Phase endet und die Gesetzgebungsphase beginnt, auf

entsprechende Mehrheiten bei den dann zu treffenden Entscheidungen angewiesen sein werden. Es kann natürlich sein, daß wir allein die Mehrheit stellen; dann ist es noch einfacher.

Jetzt müssen wir nur wissen, ob eine Reform im Grundsatz unterstützt wird oder nicht. Wir werden bereits in nächster Zeit konkreter darüber diskutieren müssen, wenn es um die Anzahl von Bürgermeistern und Landräten geht. Diese Frage muß geklärt werden, am besten in einem Vorschaltgesetz. Dieses könnte eine Verkürzung der Amtszeit von Bürgermeistern und Landräten beinhalten, wodurch ein zeitlicher Gleichklang der Wahltermine erreicht werden würde. Dies wäre der klarste, aber auch der einschneidendste Schritt.

Im Grunde besteht jedoch nur für die hauptamtlichen Bürgermeister Handlungsbedarf, deren Gemeinde die zukünftige Mindestgröße für Einheitsgemeinden derzeit nicht erreicht, sowie für Landräte, deren Landkreise nach der Kreisgebietsreform neu strukturiert werden.

Alles in allem handelt es sich insgesamt um 30 bis 40 Personen, für die vorsorglich eine Lösung gefunden werden muß. Die ehrenamtlichen Bürgermeister könnten als Ortsbürgermeister bis zum Ende der Wahlperiode weiter amtieren, zum Beispiel auch mit Rederecht im neuen Gemeinderat.

Ähnlich hat es damals Herr Becker gemacht bei seiner wilden Gemeindegebietsreform. Wir wollen es aber lieber gesetzlich geregelt haben. Das war Ihr Einwurf vorhin, Herrn Becker.

Betroffen werden ebenfalls nicht die hauptamtlichen Bürgermeister der größeren Städte sein. Denn was für einen Sinn sollte es zum Beispiel machen, die Amtszeit der Oberbürgermeister von Halberstadt oder Weißenfels zu verkürzen, wenn diese Städte von einer Gebietsreform gar nicht oder nur in sehr geringem Maße betroffen wären?

Über diese Fragen müßte als erstes in dem neuen Ausschuß beraten werden, der nach dem Willen der Mehrheit des Parlaments eingesetzt werden soll.

Mit der Zustimmung zu einer Vorschaltregelung wird kein Bekenntnis zu den einzelnen Vorschlägen des Leitbildes gefordert, wohl aber ein grundsätzliches Bekenntnis zu Reformen überhaupt.

Nach meiner festen Überzeugung, die durch die im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Leitbildes durchgeführten Untersuchungen und Anhörungen bestätigt wurde, besteht auf allen Ebenen Reformbedarf, wobei wie bereits gesagt - direkte Wechselwirkungen zwischen allen Ebenen zu erkennen sind. Man muß dies in Form einer Pyramide sehen mit dem Landtag und den Ministerien an der Spitze.

Die „FAZ“ hat das Leitbild dafür gelobt, daß es die gesamte Verwaltung umfaßt und - ich zitiere - „um den Gemeinden und Kreisen mit gutem Beispiel voranzugehen, die Treppe von oben kehrt“.

Das trifft aber nicht ganz zu. Wenn ich bei diesem Bild bleiben will, muß ich feststellen, meine Damen und Herren: Die Treppe darf nicht nur gekehrt werden. Sie ist in einem solchen Zustand, daß sie zuerst erneuert und instandgesetzt werden muß. Exakt darum geht es mit dieser Reform.

Unbedingt reformbedürftig ist die gesamte Mittelinstanz. Meine Überlegungen zur Reform der Mittelinstanz stellen im Grunde eine Weiterentwicklung des Kabinetts

beschlusses vom Februar 1997 dar. Ursprünglich war geplant, die drei Regierungspräsidien im Jahre 2007 zu einem Landesverwaltungsamt zusammenzufassen. Der Vorschlag lautet nun, diesen Prozeß bereits im Jahre 2005 abzuschließen.

Um einen Gleichklang mit der Kommunalverwaltung zu erreichen, war ein Zeichen in das Land zu setzen, daß das Land genauso bereit ist, sich dem zu unterwerfen, wie die Kommunen. Die Anzahl der Landesoberbehörden, sprich Landesämter, soll auf die Hälfte reduziert werden. Dies soll durch die vollständige oder teilweise Eingliederung von Landesämtern in das Landesverwaltungsamt bzw. durch die Umwandlung von Landesämtern in Landesbetriebe erfolgen. Daß das gut machbar ist, haben wir mit dem Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen gezeigt.

Die Anzahl der Landesbehörden der Ortsinstanz soll um ein Drittel reduziert werden. - Dies nur in Kürze zur Landesverwaltung.

Verbunden damit ist die immer wieder geforderte Funktionalreform. Besitzen die Landkreise die entsprechende Größe, können ihnen auch neue Aufgaben übertragen werden. Hierzu befinden wir uns bereits seit längerem in einem intensiven Diskussionsprozeß. Bei der Aufgabenübertragung ist das Konnexitätsprinzip zu beachten, wobei mit der Übertragung natürlich nicht höhere Kosten verbunden sein dürfen.

Meine Damen und Herren! Eine Kommunalreform fordern die Kommunen längst selbst. Der Landkreistag, zu dem auch die beiden verehrten Kollegen Jeziorsky und Webel gehören, hat am 7. Dezember 1998 die Landesregierung in einem Grundsatzpapier aufgefordert, gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden ein Leitbild für die Organisation staatlicher und kommunaler Aufgaben zu definieren. Dabei hat dieser Spitzenverband ausdrücklich eine Neuorganisation der Gemeindeebene für erforderlich gehalten.

Damit folgt der Landkreistag der richtigen Erkenntnis, daß die Zersplitterung der gemeindlichen Ebene in kleine und kleinste Einheiten angesichts der an sie gestellten Anforderungen eine Schwächung ihrer selbst bedeutet. Wer für eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung ist, muß größere Einheiten für die Kommunen fordern. Der Zusammenschluß zu Verwaltungsgemeinschaften funktioniert eigentlich nur dann wirklich gut, wenn sich die Mitgliedsgemeinden im Prinzip wie eine Einheitsgemeinde verhalten. Das haben auch die dazu durchgeführten Anhörungen ergeben.

Der Erkenntnis übrigens, daß größere Einheiten der Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung dienen, hat sich das Landesverfassungsgericht in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren der Gemeinde Rodleben ausdrücklich angeschlossen.

Meine Damen und Herren! Ich will über die vorgetragenen grundsätzlichen Erwägungen hinaus im einzelnen nicht weiter auf das Leitbild eingehen. Es liegt seit einem Monat vor und soll - das ist mein Wunsch - gründlich und breit auf allen Ebenen diskutiert werden, damit die Reform letztlich von einer breiten Basis in diesem Land und auch in diesem Haus getragen wird.

Zum zeitlichen Ablauf lassen Sie mich auf die im Anhang zum Leitbild dargestellte Abfolge verweisen. Wegen einiger Eckpunkte sind wir zu einer gewissen Schrittfolge gezwungen, wenn wir in absehbarer Zeit zu Ergebnissen kommen wollen. Ich erwähnte bereits die anstehenden Wahlen. Ich möchte dem Eindruck, daß

die Reform quasi im Galopp durchgepeitscht werden soll, mit Nachdruck entgegentreten. Das Leitbild ist ein Diskussionspapier. Lassen Sie uns gemeinsam mit allen Betroffenen intensiv darüber diskutieren. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und von der Regierungs- bank)

Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen, Herr Minister. Herr Becker möchte eine Frage stellen. Sind Sie bereit, sie zu beantworten?

Da ich ihn angesprochen habe, habe ich das erwartet.

Bitte, Herr Becker.

Ich möchte Sie fragen, weil ich nicht die Chance hatte, bei der verehrten Kollegin Budde Fragen loszuwerden. Vielleicht kann ich sie aber jetzt an den Herrn Minister richten, der sie dann vielleicht in die Fraktion trägt.

Die erste Frage betrifft Ihr Leitbild zur Landesverwaltung. Sehen Sie nicht ein Mißverhältnis allein schon in der Stärke und in der Dichte der Ausführungen in beiden Papieren? Das eine umfaßt 158 Seiten, das andere etwa 17 Seiten.