Erstens. Zunächst möchte ich auf § 2 des Gesetzentwurfs verweisen, in dem der Begriff „behinderte Menschen“ definiert wird. Anknüpfend an die Definition des Schwerbehindertengesetzes wird die gesellschaftliche Dimension und die gesellschaftliche Verantwortung benannt. Die damit verbundene veränderte Sichtweise hat im Grundsatz zur Folge, daß nicht die Menschen an die gesellschaftlichen Verhältnisse angepaßt werden, sondern daß die Rahmenbedingungen schrittweise so verändert werden, daß Chancengleichheit und gleichberechtigte Teilhabe für behinderte Menschen real gewährleistet werden können.
Zweitens. Bei einer Umsetzung des Gesetzentwurfs wird es zu einer besseren und umfangreicheren Mitwirkung behinderter Menschen und ihrer Organisationen an
Es wird einen Landesbehindertenbeauftragten oder eine Landesbehindertenbeauftragte geben, die an den Landtagspräsidenten angebunden ist. Das Wirken des Landesbehindertenbeauftragten wird durch ein flächendekkendes Netz von haupt- und ehrenamtlichen Beauftragten in Landkreisen und Kommunen unterstützt.
Des weiteren werden die Arbeit und die Kompetenz des Landesbehindertenbeirates durch das Gesetz auf eine gesetzliche Grundlage gestellt sowie ein Verbandsklagerecht für die auf Landesebene tätigen Behindertenverbände eingeführt.
Drittens. Der Gesetzentwurf enthält Vorschläge zur Novellierung einschlägiger und ausgewählter Landesgesetze. Exemplarisch möchte ich das Schulgesetz sowie die Landesbauordnung herausgreifen.
Insbesondere bei der Frage der integrativen Beschulung hoffen wir auf eine fruchtbare Diskussion in den Ausschüssen. Natürlich hoffe ich auch auf die konstruktive Unterstützung durch den Kultusminister; denn in der Einschätzung der Situation sind wir uns einig, wobei ich nicht nur den Dornröschenschlaf in der DDR als Ursache für das erhebliche Zurückbleiben Sachsen-Anhalts in dieser Frage anführen würde, sondern auch die in den vergangenen Jahren verpaßten Möglichkeiten bei der Sanierung, Modernisierung und Rekonstruktion vieler Schulen sowie die unzureichenden Angebote in der sonderpädagogischen Aus- und Fortbildung.
Hinsichtlich der Novellierung der Landesbauordnung möchte ich, obwohl wir im Hohen Haus bereits mehrfach die Möglichkeit hatten, das Thema anzusprechen, anmerken, daß die umfänglichen Ausnahmeregelungen beim barrierefreien Bauen nach DIN-Norm nicht nur aus gesellschaftspolitischer Verantwortung, sondern vor allem aus wirtschaftspolitischer Sicht nicht länger hinnehmbar sind. Hier wird alte Ausgrenzung in Beton oder Steine gegossen und neu zementiert.
Gestatten Sie mir einige Ausführungen zu den Kosten, die möglicherweise durch dieses Gesetz verursacht werden könnten. Dabei möchte ich feststellen, daß die aus der Umsetzung des Gesetzes resultierenden Kosten wie auch mögliche Einsparungen und Mehreinnahmen für das Land gegenwärtig nicht genau zu bestimmen sind; denn finanzielle Mehrausgaben aufgrund dieses Gesetzes ergeben sich durch höhere Personal- und Sachkosten für die Behindertenbeauftragten auf den verschiedenen Verwaltungsebenen. Bislang wurde ein Teil dieser Kosten für den Behindertenbeauftragten und für das ihm zugeordnete Personal aus dem Haushalt des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales getragen.
Das nach dem Gesetzentwurf vorgesehene Netz von haupt- und ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten wird erhöhte Personal- und Sachkosten zur Folge haben. Auch die Änderungen des Schulgesetzes und die angestrebte vermehrte integrative Beschulung werden für eine Übergangszeit Mehrkosten entstehen lassen. Bei deren Kalkulation sind jedoch Einsparungen im Bereich der Sonderschulen und der teilstationären Eingliederungshilfe gegenzurechnen.
Zugleich werden erhöhte Kosten zumindest bei der Umsetzung der Barrierefreiheit im baulichen Bereich anfallen. Dabei ist aber die Frage erlaubt: Sind diese Auf
wendungen nicht als eine Investition anzusehen, beispielsweise als eine Investition, um zu erwartende höhere Kosten in anderen Bereichen nicht anfallen zu lassen?
Eine höhere Lebenserwartung und verbesserte medizinische Betreuung lassen die Gesellschaft zunehmend altern. So wird der Anteil der Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt über 65 Jahre erheblich zunehmen. Barrierefreies Wohnen, barrierefreies Einkaufen, barrierefreies Wohnumfeld und barrierefreie Verwaltungen sind Voraussetzungen dafür, daß die Menschen länger als bisher üblich in ihrem angestammten Wohnumfeld mit gewachsenen sozialen Bindungen und Beziehungen verbleiben können.
Derartige Lebensbedingungen vorausgesetzt, sind Einsparungen im Bereich der stationären Pflege sowie der Sozialhilfe, hier im Bereich der Hilfe zur Pflege, zu erwarten.
Leider ist meine Redezeit abgelaufen. Aber unterstellt, daß die stationäre Unterbringung nur für 1 000 Menschen für ein Jahr hinausgezögert werden kann, sind Einsparungen in Höhe von 50 Millionen DM möglich.
Investitionen im baulichen Bereich könnten auch eine Investition zur Entwicklung des Tourismus und damit der Wirtschaft sein und könnten zu mehr Steuereinnahmen führen.
Abschließend bitte ich Sie, meine Damen und Herren, um Überweisung des Gesetzentwurfes in alle Ausschüsse, federführend in den Ausschuß für Arbeit, Soziales und Gesundheit.
Sie sagten: „in alle Ausschüsse“. Den Petitionsausschuß wollen Sie sicherlich ausnehmen. - Gut. Danke für die Einbringung.
Meine Damen und Herren! Es ist eine Fünfminutendebatte in der Reihenfolge CDU, DVU, SPD und PDS vereinbart worden. Als erste spricht jedoch die Frau Ministerin.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Mit der Einbringung des Gesetzentwurfs für Chancengleichheit und gegen Diskriminierung behinderter Menschen in Sachsen-Anhalt wird ein aktuelles und nicht nur aus der Sicht der Betroffenen sehr wichtiges Thema aufgegriffen, das auch für die Landesregierung einen hohen Stellenwert hat.
Bereits bei der im Jahr 1994 erfolgten Ergänzung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland um ein Benachteiligungsverbot von Behinderten waren sich alle Beteiligten darüber klar, daß sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene weitere Initiativen erforderlich sein würden, um das Benachteiligungsverbot umzusetzen.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich in Erinnerung rufen, daß mit der bewußten und wohlbegründeten Entscheidung, das Benachteiligungsverbot im Grundgesetz zu verankern, ein Perspektivenwechsel in der Behindertenpolitik vollzogen wurde, nämlich Behinderung nicht als eine Abweichung von einer Norm des Menschseins, sondern als eine von vielen Formen des Verschiedenseins von Menschen zu verstehen. Behinderte Menschen sollen nicht mehr als Bittsteller auftreten, sondern die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft selbstbewußt einfordern können.
Diese Grundgesetzänderung war im Hinblick auf die unmittelbare Bindung von Verwaltung und Rechtsprechung von praktischer und rechtlicher Bedeutung und bindet auch den Gesetzgeber selbst.
Eine bundesgesetzliche Initiative ist von grundlegender Bedeutung, weil viele maßgebliche Rechtsbereiche für den Abbau bestehender Diskriminierungen landesrechtlichen Regelungen nicht zugänglich sind. Die Landesregierung begrüßt es deshalb sehr, daß auf Bundesebene Regierung und Koalitionsfraktionen daran arbeiten, die gesetzlichen Bestimmungen für die Eingliederung und die Teilhabe von Behinderten im Sozial-gesetzbuch IX zu vereinheitlichen und das im Grund-gesetz verankerte Benachteiligungsverbot konkret umzusetzen.
Mein Haus hat entsprechend der Ankündigung des Ministerpräsidenten in seiner Regierungserklärung vom Juni 1998 federführend einen Referentenentwurf für ein Behindertengleichstellungsgesetz für das Land SachsenAnhalt erarbeitet. Dieser liegt derzeit den kommunalen Spitzenverbänden, den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und den Gremien des Runden Tisches für Menschen mit Behinderung im Land Sachsen-Anhalt zur Stellungnahme vor. Eine Anhörung wird am kommenden Montag erfolgen.
Ich sage noch einmal ausdrücklich: Die frühzeitige Einbindung der Gremien des Runden Tisches entspricht der Zielsetzung der Landesregierung, Selbstbestimmung und Mitwirkung der Betroffenen auszubauen und damit den breiten Erfahrungsschatz, den die betroffenen Menschen aus ihrer spezifischen Lebenssituation heraus mitbringen, zu erschließen und mit ihnen gemeinsam eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse zu erreichen.
Meine sehr geehrten Herren und Damen! Die generellen Zielsetzungen des von der PDS-Fraktion eingebrachten Gesetzentwurfes werden sicherlich von nahezu allen Abgeordneten im Hause unterstützt werden. Aber es ist schon vor Aufnahme der konkreten Beratungen festzustellen, daß die Umsetzung einer Reihe von Vorschlägen erhebliche Kostenauswirkungen haben würde. Deshalb ist es aus der Sicht der Landesregierung zwingend erforderlich, alle Vorschläge umfassend zu prüfen und im Hinblick auf ihre Gesamtfolgen zu beurteilen.
Nach meiner Auffassung ist der politische Schaden bei den behinderten Menschen größer, wenn auf der Grundlage idealtypischer Forderungen Hoffnungen geweckt werden, die derzeit keine reale Basis zur Umsetzung haben. Nicht alles, was langfristig wünschbar wäre, ist kurzfristig zu finanzieren.
Mein Haus hat sich deshalb im Referentenentwurf unter Berücksichtigung der Gesamtverantwortung für das Land darauf konzentriert, Regelungsvorschläge zu erarbeiten, die weitere zielgerichtete Verbesserungen für die in unserem Land lebenden Menschen mit Behinderung sicherstellen und zugleich den gegenwärtigen Rahmenbedingungen Rechnung tragen.
Ich bin der Meinung, daß es gerade in diesem sehr sensiblen Bereich besonders wichtig ist, die Betroffenen vor Enttäuschungen zu bewahren, ohne ihr Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Politik zu beschädigen.
Ich schlage vor, nach Einbringung auch des Regierungsentwurfes eine umfassende inhaltliche Diskussion über die landesrechtliche Ausgestaltung erforderlicher und geeigneter Antidiskriminierungsregelungen und Fördermöglichkeiten für Menschen mit Behinderung in Sachsen-Anhalt auf der Grundlage der in Teilbereichen nicht zuletzt wegen der finanziellen Auswirkungen unterschiedlichen Vorschläge in den Ausschüssen des Landtages zu führen, um am Ende die bestmögliche Lösung zu erreichen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei vielen Diskussionen hier und an anderer Stelle wurde deutlich, daß es nach wie vor Ausgrenzungen von behinderten Menschen gibt, die natürlich nicht hingenommen werden dürfen. Wir sind uns sicherlich dahin gehend einig, daß die Grundgesetzänderung allein nicht genügt, um Diskriminierungen von Behinderten zu verhindern. Wir brauchen mehr Sensibilität und Toleranz im Umgang mit behinderten Menschen. Dazu bedarf es nach wie vor in erster Linie einer Veränderung in den Köpfen der Menschen, einer Veränderung des Bewußtseins und nicht nur einer Veränderung in den Gesetzen.
Es ist unstrittig, daß auch die CDU-Fraktion konsequent für die Umsetzung des Grundgesetzes sowie für gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderungen eintritt. Die Frage lautet in der Tat, wie diese von der Verfassung erteilte Aufgabe in der Wirklichkeit umgesetzt wird.
Mit dem Entwurf eines Gesetzes für Chancengleichheit und gegen Diskriminierung behinderter Menschen in Sachsen-Anhalt liegt uns ein umfangreiches Werk vor, das Veränderungen bei einer Reihe von Gesetzen einfordert. Jede dieser zahlreichen Gesetzesänderungen bedarf einer ausführlichen Diskussion.
Ich will heute nur einige Beispiele nennen. Mit dem Artikel 2 soll die Gemeindeordnung und mit dem Artikel 3 die Landkreisordnung dahin gehend geändert werden, daß hauptamtlich tätige Behindertenbeauftragte zu bestellen sind, die den Bürgermeistern bzw. den Landräten unmittelbar unterstehen. Diese Änderung wird von
In den großen Städten sind bereits entsprechende hauptamtliche Stellen eingerichtet worden. Viele Behindertenbeauftragte sind ehrenamtlich tätig. Nach der Gemeindeordnung besteht die Möglichkeit, ehrenamtliche Behindertenbeauftragte zu bestellen. Dies unterstützen wir. Es sollte aber der Entscheidung der Kommunen überlassen bleiben.
Die mit Artikel 7 beabsichtigte Änderung des Ausführungsgesetzes zum BSHG steht in Konflikt mit der Rahmengesetzgebung und wirft gleichzeitig Finanzierungsfragen auf, die im Gesetz nicht geregelt sind. Das gilt ebenso für die Neufassung des ÖPNV-Gesetzes, für das Straßengesetz und für die Bauordnung.
Die Bauordnung von Sachsen-Anhalt eröffnet - sofern sie eingehalten wird - schon heute die Möglichkeit, eklatante bauliche Barrieren zu vermeiden. Die Einhaltung der Bauordnung sollte kontrolliert werden. Bei Nichteinhaltung sollte über entsprechende Sanktionen nachgedacht werden.
Nein, jetzt nicht. - Bevor Gesetzesänderungen eingefordert werden bzw. ein neues Gesetz geschaffen wird, sollten eine klare Analyse bestehender gesetzlicher Regelungen und Verantwortlichkeiten vorangestellt werden und die Gründe für deren Nichtwahrnehmung erfaßt werden.
Der Gesetzentwurf zeigt deutlich, wie viele Konsequenzen die Lösung der anstehenden Probleme haben wird und wie viele bestehende Gesetze novelliert werden müssen. Wenn man den Nachteil aufgrund einer Behinderung durch selektive Bevorzugung ausgleichen will, muß man berücksichtigen, daß dadurch eventuell noch mehr gesetzliche Vorschriften entstehen, noch mehr Bürokratie entsteht. Die Frage ist, wollen wir das.