Protocol of the Session on January 20, 2000

Ein wesentlicher Baustein dabei ist die möglichst lükkenlose Erfassung aller Krebsverläufe und Krebsmerkmale. Nur gesichertes und vollständiges Datenmaterial versetzt uns in die Lage, verläßlich regionale Entwicklungen und besonders belastete Bevölkerungsgruppen einschätzen zu können.

Der Bundesgesetzgeber hat ein Recht, keinesfalls aber eine Pflicht zur Meldung von Krebserkrankungsfällen im Bundeskrebsregistergesetz fixiert. Das Ergebnis ist in der Praxis niederschmetternd. Die Meldequoten sind in Sachsen-Anhalt von 95 % zu DDR-Zeiten auf derzeit 15 % abgestürzt. Das Instrumentarium reicht also nicht aus. Es ist zu unverbindlich und wird der Ernsthaftigkeit des Themas nicht gerecht.

Die Landesregierung spricht sich daher für eine Meldepflicht für Krebserkrankungen aus und bringt dazu ein Ausführungsgesetz zum Bundeskrebsregistergesetz als Änderungsentwurf zum Gesundheitsdienstgesetz des Landes ein.

Ärztinnen und Ärzte sollen die von ihnen diagnostizierten bzw. behandelten Krebserkrankungen erfassen und an das gemeinsame Krebsregister der neuen Länder in Berlin weiterleiten. Gefragt sind dabei vor allem Angaben zu Krebsart, Alter, Geschlecht und Beruf von Patientinnen und Patienten.

Die Erfordernisse des Persönlichkeitsschutzes bleiben dabei gesichert. Patientinnen und Patienten bekommen ein Widerspruchsrecht. Sie können sich gegen die Weiterleitung ihrer Befunde an das Krebsregister entscheiden. Auch die Mediziner selbst können im Einzelfall von einer Meldung absehen, wenn sie gesundheitliche Nachteile für ihre Patientinnen oder Patienten befürchten.

Zum Gesetzentwurf wurden in den zurückliegenden Wochen Berufsverbände, Kammern und andere Institutionen angehört. Dabei wurde vor allem seitens der Ärzteschaft eine breite Unterstützung und hohe Akzeptanz signalisiert. Das stimmt mich zuversichtlich und zeigt mir, daß der von der Landesregierung vorgesehene Weg zu mehr Verbindlichkeit der richtige ist.

Der zweite Teil des Gesetzentwurfs beschäftigt sich mit dem Transplantationswesen und schafft landesrechtliche Voraussetzungen zur Umsetzung von Bundesrecht. Insbesondere geht es um die in § 8 Abs. 3 des Transplantationsgesetzes vorgeschriebene Kommis

sion, die die Frage der Zulässigkeit der Organspenden von Lebenden gutachterlich zu beurteilen hat.

Laut Bundesgesetz haben die Länder unter anderem Fragen der Zusammensetzung dieser Kommission, das Verfahren und die Finanzierung zu regeln. Das tun wir hiermit. Für den Landeshaushalt ist mit einer Mehrbelastung von rund 2 000 DM pro Jahr zu rechnen.

Mit einem weiteren Regelungsdetail nach dem Transplantationsgesetz, nämlich der Frage der Bestellung von Ärztinnen und Ärzten in den Krankenhäusern zu Transplantationsbeauftragten, setze ich auf das Prinzip der Freiwilligkeit und auf das Verantwortungsbewußtsein der maßgeblichen Stellen. Nur für den Fall, daß die Aufgabenträger nicht in der Lage sind, die Aufgaben ohne weitere Rechtsvorschriften zu erfüllen, soll von der Ermächtigungsgrundlage Gebrauch gemacht und eine entsprechende Verordnung vorgelegt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Dienst der Gesundheit der Bevölkerung wäre ich Ihnen für eine sehr zügige Beratung des Gesetzentwurfs verbunden. Ich empfehle die Überweisung des Gesetzentwurfs in den Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales und in den Finanzausschuß.

(Zustimmung bei der SPD und von der Regie- rungsbank)

Ich danke Ihnen, Frau Ministerin, für die Einbringung.

Meine Damen und Herren! Es ist nicht vorgesehen, eine Debatte zu führen. Wünscht trotzdem jemand das Wort? - Das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zum Abstimmungsverfahren zur Drs. 3/2512. Ich lasse über den Vorschlag der Ministerin abstimmen, diesen Gesetzentwurf in den Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales als federführenden Ausschuß und in den Ausschuß für Finanzen zu überweisen. Kann ich darüber zusammen abstimmen lassen? - Ich sehe keinen Widerspruch. Wir verfahren so.

Wer stimmt dem Vorschlag zu? - Gegenstimmen? - Ich sehe keine. Stimmenthaltungen? - Eine Enthaltung. Damit ist der Gesetzentwurf in die Ausschüsse überwiesen. Wir haben diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes für Chancengleichheit und gegen Diskriminierung behinderter Menschen in Sachsen-Anhalt

Gesetzentwurf der Fraktion der PDS - Drs. 3/2536

Der Gesetzentwurf wird durch den Abgeordneten Herrn Dr. Eckert eingebracht.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Drs. 3/2536 bringt die PDS-Fraktion den Entwurf eines Gesetzes für Chancengleichheit und gegen Diskriminierung behinderter Menschen in Sachsen-Anhalt in den Landtag ein. Damit realisieren wir nicht nur unser Wahlprogramm, sondern greifen Forderungen der Behindertenverbände auf.

Sven Bicker, Mitglied des Sprecherrates des neu gegründeten Deutschen Behindertenrates, brachte es am 3. Dezember 1999 als politische Botschaft der vereinigten Behindertenverbände auf den Punkt - ich zitiere -:

„Wir brauchen ein Gesetz, mit dem der grundgesetzliche Gleichstellungsauftrag umgesetzt wird, und das nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in allen Bundesländern. Der Gleichstellungsauftrag erfordert zugleich den Perspektivenwechsel in der Behindertenhilfe. Behinderte Menschen sind gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger. Sie wollen und dürfen nicht länger Objekt der Barmherzigkeit und Fürsorge sein.“

Mit dem Gesetzentwurf will die PDS den Perspektivenwechsel in der Behindertenhilfe befördern. Das heißt zugleich, mit jahrhundertealten Ansichten und Vorurteilen radikal zu brechen. Erlauben Sie mir bitte, diesen notwendigen radikalen Bruch exemplarisch darzustellen.

In der Geschichte sind sehr unterschiedliche Verhaltensweisen gegenüber behinderten Menschen zu beobachten. Dabei stand am Anfang weder ein Zustand bestialischer Roheit und lebensverachtender Brutalität, noch hat eine allmähliche, kontinuierliche moralische Entwicklung hin zu Toleranz, gegenseitiger Akzeptanz und Humanität stattgefunden. Vielmehr waren die Verhaltensweisen zum Leben behinderter Menschen, aber auch zu alten und kranken Menschen sehr vielgestaltig, widerspruchsvoll und konfliktreich.

Beispielsweise belegen historische Funde schon zur Zeit der Neandertalmenschen Fürsorge und soziale Pflege. So wurden Überreste eines etwa 40jährigen Mannes gefunden, dessen rechter Arm von Geburt an unterentwickelt war. Andere Fälle belegen eine abgeheilte Wirbelsäulentuberkulose. Hier übernahm also die Gemeinschaft die Sicherung der Existenz und ermöglichte zum Teil jahrelang andauernde Pflege.

Einige Jahrtausende später legte im Gegensatz dazu das römische Recht fest, daß das Familienoberhaupt das Recht hat, neugeborene behinderte Kinder zu töten. Über die Pruzzen, einen im 11. Jahrhundert an der Weichsel existierenden Volksstamm, wurde folgendes berichtet. Ich zitiere:

„Alte und schwache Eltern erschlug der Sohn. Blinde, schielende und verwachsene Kinder tötete der Vater durch Wasser, Feuer oder das Schwert. Lahme und blinde Knechte hing der Hausherr an den Bäumen auf.“

Im Mittelalter wie auch im 19. und 20. Jahrhundert pflegte die Gesellschaft behinderten Menschen vor allem mit barmherziger Fürsorge zu begegnen. Zugleich verfestigten sich über Erziehung, Erfahrung und Überlieferung immer wieder neue Vorstellungen und Gefühle, die behinderte Menschen oft mit negativen Eigenschaften in Verbindung brachten. Während sogenannte Schönheit anziehend wirkt und Sympathien weckt, ist man beim Anblick von sogenanntem Häßlichen geneigt, den Blick abzuwenden.

In allen Kulturen löst Häßlichkeit Argwohn oder zumindest ungute Empfindungen aus. Im Märchen verkörpern beispielsweise Hänsel und Gretel dieses Empfinden. Sie sind beim Erscheinen der auf Krücken humpelnden, mit dem Kinn wackelnden Alten so entsetzt, daß sie erstarren und alles fallenlassen, was sie in den Händen halten.

Insofern ist das Problem historisch gewachsen. Auch Untersuchungen in der Gegenwart belegen, daß diese Verbindungen noch heute wirksam sind. So erbrachte zum Beispiel eine Untersuchung in den 70er Jahren in der Schweiz, daß lernbehinderten Menschen die Eigenschaften häßlich und dumm sowie bösartig zugeordnet worden sind. Viele Menschen - machen wir uns nichts vor - schließen auch heute noch von der äußeren Erscheinung eines Menschen auf seine innere Beschaffenheit, also auf seinen Charakter und seine Eigenschaften.

(Frau Stange, CDU: Warum haben Sie die zu DDR-Zeiten ausgegliedert, Herr Eckert? - Herr Miksch, fraktionslos: Ja! - Frau Stange, CDU: Das ist es! Das ist es!)

- Das ist sehr differenziert zu betrachten. - Mit der Einbringung dieses Gesetzentwurfs geht es nicht einfach um ein neues Gesetz, sondern um einen weiteren wichtigen Schritt, um mit historisch gewachsenem Denken und Handeln zu brechen und behinderten Menschen einen juristischen und gesellschaftlichen Rahmen für ihre gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu schaffen.

Ich mache einige Anmerkungen zu der Frage, ob ein derartiges Gesetz notwendig ist.

Sehr oft weckt der Anblick oder das Zusammentreffen mit behinderten Menschen Mitleid und das spontane Bedürfnis zu helfen, was positiv zu bewerten ist. Die wenigsten Menschen denken daran, daß die angebotene Hilfe oft nicht notwendig wäre, wenn die Gesellschaft anders, nämlich menschengerecht, entsprechend den individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten gestaltet wäre. Zu viele von uns akzeptieren, daß behinderte Menschen in unserer Gesellschaft, das heißt in einer reichen und modernen Gesellschaft, strukturell und faktisch auf vielfältige Weise benachteiligt und diskriminiert werden, auch in Sachsen-Anhalt.

Dafür einige Beispiele. Stichwort Beschäftigung: Nach wie vor hat sich an der überproportional hohen Arbeitslosigkeit behinderter Menschen nichts geändert. Frau Stange, wir haben gerade in der Diskussion mit den gehörlosen Menschen festgestellt, daß das einer der zentralen Punkte ist, der neu hinzugekommen ist.

Stichwort Buga: Wir haben die Probleme in diesem Hohen Haus mehrfach dargestellt. Eine Information über die Beseitigung der im Mai 1999 aufgedeckten ausgrenzenden Gegebenheiten gab es bisher nicht.

Das Theater der Landeshauptstadt wurde umfassend rekonstruiert. Rollstuhlfahrerinnen steht dennoch nur ein umständlicher Zugang für eine begrenzte Anzahl von Plätzen zur Verfügung.

(Zuruf von Herrn Hoffmann, Magdeburg, SPD)

Der Bereich der Bildung: An 136 Sonderschulen werden zur Zeit rund 20 000 Kinder und Jugendliche unterrichtet. Nur 140 Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Bedarf besuchen eine Regelschule. Das ist im Vergleich aller Bundesländer für Sachsen-Anhalt der letzte Platz.

Ein letztes Beispiel: Der Bahnhof in Salzwedel ist barrierefrei umgebaut worden. Aber seit mindestens sechs Wochen funktionieren die Fahrstühle nicht.

Mit diesen Beispielen möchte ich belegen, daß ohne eine systematische, rechtlich und politisch klar formu

lierte Politik zur Herstellung von Chancengleichheit und gleichen Teilhabemöglichkeiten für behinderte Menschen sich an der nach wie vor gegebenen Bittstellersituation im Grunde nichts ändern wird.

Bisher hat sich vor allem in den Behindertenverbänden etwas bewegt. Dort ist ein wachsendes Selbstbewußtsein festzustellen, welches sich in klaren Forderungen artikuliert. Gefordert werden Chancengleichheit und Selbstbestimmung. Darauf müssen der Staat, die Gesellschaft und der Gesetzgeber reagieren.

Mit dem Gesetzentwurf unterbreitet die PDS-Fraktion einen Vorschlag, um Chancengleichheit und gleiche Teilhabemöglichkeiten für behinderte Menschen rechtlich zu fixieren und damit die Landesverfassung wie auch das Grundgesetz konkret auszugestalten. Ein jahrelanger Diskussionsprozeß mit Behindertenverbänden und Selbsthilfegruppen des Landes findet zunächst einen positiven Abschluß.

In diesem Zusammenhang darf ich daran erinnern, daß die PDS-Fraktion im Jahr 1997, ausgehend von der Ergänzung des Grundgesetzes in Artikel 3 Abs. 3 im Jahr 1994, im Landtag einen Antrag zur Erarbeitung eines Landesantidiskriminierungsgesetzes durch die Landesregierung stellte. Schon damals fand dieser Antrag die Unterstützung der Verbände und Vereine behinderter Menschen.

In seiner Regierungserklärung kündigte der Ministerpräsident die Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs seitens der Landesregierung an. Das war im Mai 1998. Um den scheinbar zähen und langwierigen Diskussionsprozeß in der Landesregierung zu befördern, machten wir uns an die Erarbeitung eines eigenen Gesetzentwurfes, den die Fraktion im Mai 1999 der Öffentlichkeit vorstellte.

Ausgehend von den Bedingungen im Land SachsenAnhalt hatten wir Gesetzentwürfe anderer Bundesländer analysiert und versucht, den dortigen Diskussionsprozeß in unsere Arbeit einfließen zu lassen. Interessant ist, daß diese Entwürfe aus anderen Bundesländern mehrheitlich von Behindertenverbänden bzw. von enga-gierten ehrenamtlich tätigen Betroffenen erarbeitet worden sind und nicht von den Regierungen der entsprechenden Länder.

Eine Anhörung durch unsere Fraktion sowie viele Beratungs- und Diskussionsrunden folgten. Die dabei gegebenen Hinweise und Ergänzungen wurden aufgegriffen und in den nun vorliegenden Gesetzentwurf eingearbeitet.

Welche inhaltlichen Punkte sind hervorzuheben?