Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass sich trotz einzelner Schwächen mittlerweile eine solide Sozialberichterstattung im Freistaat Sachsen etabliert hat, deren Kontinuität allerdings dringend sichergestellt werden muss.
Ich gehe bei der Einbringung noch auf einige Forderungen unseres Entschließungsantrags ein und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Kollegin Schaper sprach für die Fraktion DIE LINKE. Nun spricht für die Fraktion BÜNDNISGRÜNE Frau Kollegin Kuhfuß.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte als Allererstes meinen Dank an das Sozialministerium – hier vertreten durch Sie – für diesen Sozialbericht richten, der nicht nur Gutes beinhaltet, sondern auch grafisch gut aufbereitet und – das haben meine Vorredner schon gesagt – zum allerersten Mal im Freistaat Sachsen Daten so kleinteilig erhebt, dass man damit auch auf Gemeinde- und Kommunalebene etwas anfangen kann.
Außerdem ist besonders lobenswert, dass dieser Bericht die Dinge geschlechtergerecht betrachtet, also immer sehr klar differenziert, was der Anteil von Frauen und Männern ist, und uns damit gerade in der Analyse rund um Erwerbstätigkeit ganz neue Einblicke gibt.
Ich möchte gern auf drei Themen eingehen, von denen ich glaube, dass sie uns landespolitisch Hausaufgaben aufgeben:
Das erste ist das Sozialbudget. Die Kolleg(inn)en hatten es schon gesagt: Das Ding hat 900 Seiten; wenn man also den Kollegen in der Fraktionssitzung nicht leiden kann, der links oder rechts neben einem sitzt, hat das Aggressionspotenzial.
Wenn man sich den Sozialbericht genauer anschaut, stellt man fest, dass in dem Sozialbudget insbesondere für die Ausgaben von Kindern und Jugendlichen enorme Unterschiede in den Gebietskörperschaften bestehen. Wir haben einen Landkreis, in dem 74 Euro pro jugendlichem Einwohner ausgegeben werden, und wir haben eine Großstadt, in der 269 Euro ausgegeben werden. Diese Unterschiede sollten uns zu denken geben, weil das Aufwachsen als Kind oder Jugendlicher – egal, ob ich in Mittelsachsen oder Leipzig lebe – immer ähnlich verläuft.
Wenn ich die Zahlen rund um Kita und Hort bereinige, was relativ analoge Kosten sind, bleibt eine große Spanne übrig, in welcher Bedarfe scheinbar unterschiedlich gewertet werden und ganz konkret unterschiedlich viel Geld ausgegeben wird.
Jetzt ist es aber unsere Aufgabe als Landespolitik, gleichmäßige Möglichkeiten des Aufwachsens zu garantieren. Es soll egal sein, ob ich in Mittelsachsen oder Leipzig aufwachse – ich soll als Kind oder Jugendlicher überall ähnliche Bedingungen vorfinden.
Das erste ist die Weiterentwicklung der Jugendpauschale. Diese Jugendpauschale ermöglicht es uns, 50 % des Geldes in einen Landkreis, in eine Stadt zu geben. Die anderen 50 % kommen von dort und sollen insbesondere für Jugendarbeit, Beratung und Familienbildung genutzt werden. Diese 50-%-Finanzierung haben wir in einem ersten Schritt in eine Langfristigkeit gebracht. Das heißt, wir haben im Doppelhaushalt beschlossen, dass wir bis zum Jahr 2026 eine Prognose, eine Vorausschau geben, was die Landkreise haben können.
Ich glaube aber, dass ein zweiter Schritt nötig ist. Und zwar, das Ganze zu einem atmenden System zu machen und die Landkreise damit zu motivieren, wirklich Geld in die Entwicklungsmöglichkeiten ihrer Kinder und Jugendlichen zu stecken. Geld für Kinder und Jugendliche auszugeben heißt nicht nur, attraktiv für diese und für Familien zu sein, sondern in vielen Fällen auch, Probleme frühzeitig zu erkennen und intervenieren zu können, bevor sie kostenintensiv werden.
Damit sind wir bei dem zweiten Punkt, der den Landkreisen und Städten momentan große Sorge bereitet: Das sind die Kosten für Hilfen zur Erziehung. Jeder von Ihnen, der das Vergnügen hat, parallel in einem Kreistag zu sitzen,
weiß, wie viele Beschlüsse man in den letzten Jahren gefasst hat, um hierzu Nachtragshaushalte zu gewährleisten. Wir haben als Land in einem ersten Schritt zusammen mit den Jugendämtern eine Studie in Auftrag gegeben, die sehr genau hinsieht, auch aus der Betroffenenperspektive. Kinder und Jugendliche, die Nutzer(innen) sein mussten, wurden befragt, was wirkungsvoll ist, weil wir in Zeiten von Fachkräftemangel und eingeschränkten Möglichkeiten von Haushalten neue Wege gehen müssen. Das zum Thema Jugendhilfe.
Das zweite Thema, welches ich gern kurz mit Ihnen erörtern möchte, ist: Was der Sozialbericht sehr transparent behandelt, ist die Frage von Beschäftigungspotenzialen. Da mache ich jetzt etwas, was für Sie vielleicht untypisch ist: dass ich als GRÜNE sage, Teilzeitbeschäftigung ist für das Individuum betrachtet wirklich gut – das steht jedem zu und das gönne ich auch jedem. Doch ich glaube, wir müssen uns bemühen, Menschen Anreize zu setzen, bis sie entweder wieder in Vollzeitbeschäftigung gehen oder wie sie in Vollzeitbeschäftigung bleiben; denn wir können es uns demografisch am Ende nicht leisten, zwischen 15 und 25 Stunden zu arbeiten.
Es gibt Lebenssituationen, in welchen das sinnvoll und notwendig ist, doch wenn wir uns die Statistik anschauen, befinden sich acht von zehn Frauen in Teilzeitarbeit. Das heißt nicht nur, dass bei uns in Sachsen Care-Arbeit sehr ungerecht verteilt ist, sondern es heißt auf der anderen Seite auch, dass wir uns intensiv bemühen müssen, zu schauen, wo Potenziale sind und was wir an guten Bedingungen schaffen müssen, damit Frauen wieder in Vollzeit gehen; weil wir ihre Leistungen brauchen, weil wir sie im Sinne der Gleichstellung und der Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt haben wollen und natürlich auch, weil wir Altersarmut vermeiden wollen.
Echte Zukunftsfragen werden sein: Wie gehen wir mit den Menschen um, die in Rente bzw. in Altersrente gehen? Gibt es Modelle, die wir in Sachsen, aber auch zusammen mit dem Bund entwickeln können, wie Menschen motiviert werden, ihre Kompetenzen dem Arbeitsmarkt länger zur Verfügung zu stellen?
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich möchte nicht dafür appellieren, dass der Dachdecker mit 67 Jahren noch auf dem Dach herumspringen muss, sondern ich möchte, dass wir Modelle entwickeln, damit ältere Menschen, die aus dem Erwerbsleben aussteigen, ihre Erfahrungen weiter in den Prozess einspeisen; denn es tut mir im Herzen weh, wenn jemand, der eine Handwerksausbildung hat, sich mit 66 Jahren in die Rente verabschiedet und eigentlich noch voll Kraft und Leidenschaft ist – vielleicht nicht mehr auf dem Dach, aber als Pate oder in der Berufsausbildung. Das sind Potenziale, auf die wir zugehen müssen.
Sie sehen, ich kann der AfD in ihrer Analyse des Sozialberichts nicht wirklich folgen – dass Mütter mehr Kinder bekommen, wenn man sie mit Geld ausstattet –, sondern der Weg ist, zu sagen, welche guten Rahmenbedingungen es braucht, damit Familien sich dafür entscheiden, Kinder zu
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Frage der Pflege und der Pflegefachkräfte. Wir haben uns in den letzten Jahren alle schon ausführlich darüber verständigt, dass wir hierbei riesige Herausforderungen haben, aber ich glaube, dieser Sozialbericht macht sehr deutlich, was in den nächsten Jahren auf uns zukommt – und „die nächsten Jahre“ sind gar nicht so lange hin; es sind nur 13 Jahre hin. In 13 Jahren werden wir 280 000 pflegebedürftige Sächsinnen und Sachsen haben. Das ist ein Anstieg um 13 %. Und wir werden 8 800 zusätzliche vollstationäre Pflegeplätze brauchen. Dort müssen Menschen arbeiten. Das sind 66 000 Vollzeitstellen, die wir benötigen.
Der Sozialbericht zeigt auf sehr kleiner Ebene, was wir tun müssen. Was wir auf Landesebene schon getan haben, ist das Thema Kurzzeitpflege aufzuwerten und Geld hineinzugeben. Was wir im nächsten Schritt aber tun müssen, ist, uns noch einmal anzuschauen, welche Menschen in Sachsen mit uns zusammenarbeiten können. Ich glaube, wir können es uns nicht mehr leisten, zu sagen: Du hast keinen Hauptschulabschluss, deshalb kannst du bei uns keinen Helferberuf lernen. Und du sprichst momentan noch nicht ausreichend Deutsch, deshalb wollen wir dich nicht haben. Wir werden gut daran tun, wenn wir unseren Blick weiten, wer mit uns gemeinsam in Sachsen arbeiten kann und will. Dabei ist eine Willkommenskultur natürlich ein sehr wichtiger Beitrag, doch wir müssen die Bedingungen auch strukturell verbessern.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen: Ein guter Sozialbericht macht noch lange keine gute Sozialpolitik, sondern er macht ausschließlich deutlich, was zu tun ist. Susanne Schaper hatte gesagt, der Sozialbericht komme zum Ende der Legislatur. Das ist einer der wenigen Berichte in den vorherigen Legislaturen, die überhaupt noch in einer Legislatur gekommen sind, die man noch in einer Legislatur verhandeln kann. Wir alle sind gerade dabei, uns inhaltlich für den Landtagswahlkampf zu rüsten. Ich glaube, deshalb kommt dieser Sozialbericht genau zur richtigen Zeit, weil hierin die Herausforderungen für Sachsen beschrieben sind und wir damit für die nächste Legislatur unsere Agenda vor uns haben.
Kollegin Kuhfuß sprach für die Fraktion BÜNDNISGRÜNE. Für die Fraktion der SPD spricht nun Kollegin Lang.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Auch ich möchte mit einem Dank an das Sozialministerium beginnen; denn das Ministerium unter Petra Köpping hat es nicht nur geschafft, den Bericht deutlich früher zu veröffentlichen als in der vergangenen Legislaturperiode, sondern auch eine offene Baustelle aus der Ersten Sozialberichterstattung geschlossen.
In dem nun vorliegenden Bericht finden wir neben der Beschreibung der sozialen Lage in den drei kreisfreien Städten und zehn Landkreisen erstmalig auch eine Analyse auf der Ebene der kreisangehörigen Gemeinden. Das ist eine Premiere nicht nur in Sachsen, sondern in ganz Deutschland.
Der Zweite Sozialbericht führt die ausführlichen Betrachtungen der sozialen Lage im Freistaat fort und ermöglicht uns eine strategische Sozialplanung, die die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung bereits heute einplant; denn gute Sozialpolitik funktioniert dann am besten, wenn sie zielgerichtet wirkt und ihre Wirkung auch untersucht wird. Der Bericht ist vor allem ein Arbeitsmittel und kein PRSchaufenster, in dem alles schön dargestellt wird. Er hilft uns ganz konkret, die sozialen Probleme weiterhin an der richtigen Stelle anzupacken, und er hilft uns dabei, die Auswirkungen von Maßnahmen – wenn auch zeitverzögert – politisch zu bewerten.
Die Realität, die die Zweite Sozialberichterstattung auszeichnet, kann nur diejenigen überraschen, die bisher die Augen vor dieser verschlossen haben. Das gilt für die Zahlen der erwerbstätigen Menschen ebenso wie für die Zahlen der Pflegebedürftigen und im Übrigen auch für die Feststellung, dass es keine wirklich abgehängte Region im Freistaat gibt.
So mahnend die Zahlen sind, so dankbar bin ich dafür, dass diese Fakten nun schwarz auf weiß vorliegen. Das genaue Ausmaß lässt dennoch aufhorchen. So ist es eine erfreuliche Nachricht, dass die Lebenserwartung der Senioren und Seniorinnen über die Jahre weiter zugenommen hat. Dies hat allerdings auch zur Folge – das haben wir heute bereits gehört –, dass die Zahl der Senioren und Seniorinnen bis 2035 voraussichtlich um 91 000 Personen zunehmen wird.
Diese individuelle gute Nachricht stellt viele Landkreise vor Herausforderungen; auch das haben wir heute schon gehört. Dennoch liegt der Anteil der Senioren und Seniorinnen an der Gesamtbevölkerung in den Landkreisen Vogtland, Görlitz, Zwickau und auch bei mir im Erzgebirge bei rund 30 %.
Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird bis zum Jahr 2035 voraussichtlich um 30 000 Menschen steigen, wobei zusätzlich 11 000 Menschen auf vollstationäre und 10 000 auf ambulante Pflege angewiesen sein werden. Um sie versorgen zu können – das hatte der Kollege heute schon gesagt –, werden 13 900 zusätzliche Pflegekräfte vonnöten sein, und das bei einer weiter sinkenden Zahl erwerbstätiger Personen.
Aber, Herr Wendt, allein mit einem Tarifvertrag und mit mehr Geld wird das nicht funktionieren. Mehr Geld verdienen sie jetzt schon. Das hatte nur zur Folge, dass noch mehr in Teilzeit arbeiten, und wenn 25 % der Pflegekräfte in Teilzeit arbeiten, wird es nicht allein am Geld liegen. Aber das muss man auch dazusagen: Wir arbeiten mit Menschen und da ist nicht alles planbar.
Die Tendenz ist also bekannt und verdeutlicht mehrere Dinge. Viele Ansätze, die wir bereits heute verfolgen, sind richtig und müssen fortgeführt und verstärkt werden. Hierzu zählen zum Beispiel die Alltagsbegleiter, die betagte Menschen ohne Pflegegrad in ihrer häuslichen Umgebung unterstützen, oder Nachbarschaftshelfer, die Pflegebedürftige stundenweise entlasten. Hierzu zählen auch die Kurzzeitpflege, die wir im aktuellen Doppelhaushalt fördern, und die verschiedensten Programme, um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen.
Jedoch bleibt einiges zu tun. Wir werden mehr barrierefreie bezahlbare Wohnungen brauchen, um betagten Menschen den Verbleib in der eigenen Häuslichkeit zu erleichtern. Generationenübergreifende Wohnformen werden von zunehmender Bedeutung sein. Die Fachkräfteeinwanderung ist auch hier maßgeblich und dürfte nicht wirklich jemanden überraschen.
Ein Fakt, vor dem einige in diesem Haus immer wieder ihre Augen verschließen, ist: Menschen, die bereits in Sachsen leben, sollten auch die Möglichkeit erhalten, hier zu arbeiten.
Der Zweite Sozialbericht zeigt deutlich die Potenziale und Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen. Er ist ein Fundus an Fakten, der nicht nur uns im Land, sondern auch den Gemeinden vor Ort bei einer zielgerichteten sozialen Planung hilft. Daher kann und darf der Zweite Sozialbericht nicht der letzte bleiben.
Kollegin Lang sprach für die SPD-Fraktion. Nun könnten wir, wenn der Wunsch besteht, eine zweite Rederunde starten. Es ist noch Redezeit vorhanden, aber ich sehe diesbezüglich keinen Bedarf. Somit übergebe ich jetzt an die Staatsregierung, an Herrn Staatsminister Dulig. Bitte schön, Herr Staatsminister.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Zeitplan der heutigen Plenarsitzung hat sich ja etwas nach hinten verschoben. Das hat leider auch Konsequenzen für den Zeitplan meiner Kollegin Köpping. Aber für einen Sozi ist es schon genetisch machbar, diese Rede zu halten – und das aus Überzeugung.
Wenn wir drei Jahre zurückblicken – auf drei Krisenjahre –, dann hat man sehr häufig die Frage gestellt: Wie resilient ist eigentlich unsere Wirtschaft? Wenn man sich den Bericht anschaut, dann wird der Fokus darauf gelegt: Wie resilient ist unsere Gesellschaft und was genau ist der Grund dafür, dass wir durch Krisen kommen? Genau dieser Bericht hat es gezeigt: Die vielen Krisen – egal, ob die Inflation, der Angriffskrieg, die hohen Energiepreise oder die Folgen von Corona – zerren am gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Die Botschaft dieses Berichtes ist, dass starke soziale Infrastrukturen helfen, Krisen zu überstehen. Egal, ob wir über eine Gesundheits- oder Pflegelandschaft, über Räume und Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche usw. reden. Sie stärken die Substanz und den Zusammenhalt unseres Landes. Das ist deshalb noch einmal so deutlich auszuformulieren, weil sich viele – auch in der Kommunalpolitik – mitunter über die hohe Soziallast, die sie tragen, beschweren. 60 % der Ausgaben sind Sozialausgaben. Aber der Bericht zeigt: Es ist das richtig investierte Geld. Sie haben uns geholfen, durch die Krisen zu kommen.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Natürlich heißt das, den Kommunen auch zu helfen, damit sie es schultern können. Aber der Bericht zeigt: Diese Ausgaben sind mehr als sinnvoll und richtig gewesen.