Protocol of the Session on April 26, 2023

Wenn sich das abschließend nicht aufklären lässt, dann könnte ja die nächste Kleine Anfrage von Frau Köditz Licht in das dunkeldeutsche Sachsen bringen.

Meine Damen und Herren! Solange Sie von den LINKEN nicht damit aufhören, Sachsen pauschal als Ort des Faschismus zu bezichtigen,

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Bei 28 % AfD müssen wir das leider so einschätzen!)

solange Sie weiterhin nicht damit aufhören, auf jede rechte Mücke eine Herde Antifa-Elefanten zu schicken, so lange Sie nicht aufhören, weiterhin das Nest der Sachsen in dieser Art und Weise zu beschmutzen, so lange haben Sie jedes Recht verloren, in einer Debatte, in der Sie sich angeblich um die Geringschätzung des Ostens sorgen, ernst genommen zu werden.

(Beifall bei der AfD)

Die Menschen in Sachsen brauchen keine allgemeine Jammer-Ossi-Debatte, sondern sie wussten sich schon immer selbst zu helfen. Auferstanden aus Ruinen – aus den Ruinen von 40 Jahren Sozialismus haben sie in den Neunzigerjahren fast einen blühenden Freistaat Sachsen aufgebaut,

(Marco Böhme, DIE LINKE: Es waren Ruinen des Faschismus! – Carsten Hütter, AfD: Mensch, Herr Böhme, da waren Sie gar nicht dabei! – Marco Böhme, DIE LINKE: Aber Sie auch nicht!)

und das ganz ohne gendergerechte und queerkompatible Sprache,

(Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

ohne sich ausreichend darüber Gedanken zu machen, ob denn vier oder fünf Geschlechter ausreichend sind, um die Welt zu erklären, oder derer vielleicht sogar 72 benötigt werden. Nein, die Sachsen haben mit ihrer eigenen Hände Arbeit, Mut, Zuversicht, Unternehmergeist und einem erwachsenen Selbstvertrauen etwas geschaffen.

Zur Wahrheit gehört dazu, dass Sachsen in dieser Zeit von einer Regierung noch in Ruhe gelassen und sogar positiv begleitet wurden.

(Beifall bei der AfD)

Diese Zustände gehören bekannterweise der Vergangenheit an, seit vermeintlich die weltverbessernden Geisteswissenschaftler beharrlich daran arbeiten.

Dennoch lassen sich die Sachsen nicht auf ihrem Weg beirren. Sie bieten die Stirn und haben ihre Protestkultur nicht verloren, wenn sich die Regierenden wieder einmal zu weit von dem entfernt haben, was die Bürger wollen. Aber, Herr Gebhardt, die Sachsen dulden kein Linkes. Überall regt sich Bildung und Streben, alles wollen sie mit Farbe beleben, doch an einer guten Regierung fehlt‘s im Revier – sie wählen die AfD dafür.

(Beifall und Heiterkeit bei der AfD – Sören Voigt, CDU: Darüber müssen sogar die eigenen Leute lachen!)

Für die BÜNDNISGRÜNEN Herr Löser, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut, dass das der arme Goethe nicht hören musste.

Springer-Vorstandsvorsitzender Herr Döpfner hat in Privatnachrichten Einblick in seine emotionale Blitzableiterfunktion gegeben und dabei offenbart, wie er über bestimmte Themen denkt. Man glaubt immer, die „Bild“-Zeitung sei – euphemistisch formuliert – schon ganz nah dran sowie direkt und ungefiltert am Gefühlsleben der Menschen, aber nein, es geht eben immer noch ehrlicher. Herr Döpfner hat, nebenbei bemerkt, nicht nur alle sogenannten Ostdeutschen als Faschisten oder Linksradikale diskreditiert; er hat Minderheiten verunglimpft, die parlamentarische Demokratie infrage gestellt, und er hält Bundeskanzlerin Merkel für irre und gefährlich. Und wir erfahren, dass bei der „Bild“ journalistische Beiträge eine Art Werbeanzeigen für die FDP sind.

Nun ist das bei der „Bild“ nichts Neues, und spätestens seit dem Erscheinen von Heinrich Bölls Buch „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ im Jahr 1974 weiß die deutsche Öffentlichkeit, wie es um Recherche, Wahrheit oder einfach nur Anstand bei „Bild“ steht. Auch kann ich gern, wenn es interessiert, kurz zur Kenntnis geben, was die „Bild“ letzte Woche so an Schlagzeilen in Richtung Wirtschaftsminister Habeck von den GRÜNEN verbreitet hat: „Heiz-Hammer ist Atombombe für unser Land“, „HeizHammer sprengt den Sozialstaat!“, „Unsere Mieten werden explodieren.“ Atombombe, sprengen, explodieren – das sind die bevorzugten Wortschöpfungen in Richtung GRÜNE. Den einen oder anderen habe ich bei diesen Worten gedanklich schon ein bisschen nicken „hören“ – anerkennend –, und ich freue mich, wie Sie hier alle gemeinsam über den Herrn Döpfner losziehen.

Da wir gerade dabei sind: Auch unser verehrter Herr Ministerpräsident war sich in der Wochenendausgabe der „Bild“-Zeitung nicht zu schade, ähnlich martialische Worte in Richtung GRÜNE zu finden. „Die Politik der Grünen ist

ökologischer Irrsinn.“ „Die Pläne dieser Regierung führen […] zu Aufruhr in der Bevölkerung.“

(Demonstrativer Beifall bei der AfD)

Der Beifall belegt‘s. Die Menschen wenden sich ab, weil sie Angst bekommen, und das – das meine ich ernst – vor dem Hintergrund einer anhaltend hohen Bedrohungslage in den Abgeordnetenbüros der GRÜNEN. Mittlerweile gibt es fast wöchentlichen Angriffe auf GRÜNEN-Büros.

Aber es ist doch klar, was bei so viel Irrsinn so viel Angst macht,

(Zuruf des Abg. André Barth, AfD)

Bei so viel Grund zu Aufruhr wird man sich als Bürger doch noch wehren dürfen. Es ist ja nur der Koalitionspartner in Sachsen, der den Ministerpräsidenten – ganz nebenbei bemerkt – mit gewählt hat. Was glaubt der Ministerpräsident eigentlich, wer ihn das nächste Mal wieder ins Amt wählen wird?

Nun bin ich ehrlicherweise weit abgeschweift. Eigentlich wollte ich nur die Frage stellen: Warum regt uns der Herr Döpfner mit seinem Ost-Bashing so auf? Neu ist das alles nicht. Es regt uns deshalb auf, weil es genau das ist, was in Dirk Oschmanns Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ als immer wiederkehrende journalistische Abwertungsbeschreibung des Ostens, der dann meistens als ganz besonders schlimmen Osten Sachsen meint, gezeichnet wird.

Herr Döpfner tut uns geradezu eine Woche nach Erscheinen des Buches von Dirk Oschmann den Gefallen, genau dieses Vorurteil zu bestätigen. Bessere Werbung geht nicht – und das, obwohl das Buch schon vorher zum Bestseller avanciert und in zahlreichen Zeitungen besprochen wurde.

Bevor ich zu den Thesen aus Oschmanns Buch komme, will ich noch einmal den Begriff „Ostdeutschland“ hinterfragen. Ich selbst bin 1972 geboren, war im Jahr 1989 also 17 Jahre alt, und habe mich nie vordergründig als Ostdeutscher gesehen. Abgesehen von den eher nervigen Ossi-Retrowellen habe ich das immer als Nachwendekonstruktion verstanden. Ich nehme aber wahr: Es gibt auch in der jungen Generation im Osten eine Debatte zu dem Thema. Ich habe unsere Tochter, sie ist 16, einmal gefragt, ob sie mit dem Begriff „Ostdeutschland“ etwas anfangen kann oder ob das in ihrer Generation in der Selbstbeschreibung irgendwie eine Rolle spielt. Ihre Antwort war schlicht und ergreifend: Ja, vor allem, wenn sie in Westdeutschland ist und mit permanent krassen Vorurteilen konfrontiert wird wie: „Bist du auch, wie alle Ossis, ein Nazi? Sind deine Eltern Nazis?“ Zum Glück kann sie immer glaubhaft Nein sagen. Aber klar wird: Es ist eine Abwehrdiskussion, und ostdeutsche Herkunft wird als Makel beschrieben. Die alte Hoffnung, wir warten einfach mal 30 Jahre ab und irgendwie hat sich das dann mit dem Osten erledigt, geht also nicht auf.

Welche politischen Problemfelder beschreibt Dirk Oschmann in seinem Buch und wodurch ergibt sich die strukturelle Benachteiligung des Ostens, die er darin debattieren möchte? Ich nenne einmal vier Punkte:

Einkommensunterschiede Ost-West: nach 33 Jahren deutsche Einheit 22 % weniger im Osten.

Das Thema Besitz, Vermögen, Vererbung, Immobilien: In Dresden sind knapp 40 % der Immobilien in westdeutscher Hand, in Leipzig sind es deutlich mehr. Man stelle sich das einmal umgedreht in München vor!

Führungspositionen in Hochschulen, Unternehmen und Vorstandsposten.

Ebenso halte ich die einseitige Berichterstattung in führenden deutschlandweiten Medien über den Osten für relevant.

(Zurufe)

Interessant ist: Was machen wir mit diesen Feststellungen? Was leiten wir politisch daraus ab? Dazu gibt Herr Oschmann wenig Antwort in seinem Buch. Dazu in der zweiten Runde mehr.

Eines ist mir aber wichtig: Bitte keine pauschalen WessiBashings; denn es gibt unzählige sogenannte Wessis, die sich im Osten für Sachsen und für die Demokratie starkmachen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN – Carsten Hütter, AfD: Herzlichen Dank! – Lachen bei der AfD)

Für die SPDFraktion spricht Herr Abg. Richter, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Schwestern und Brüder aus dem Osten und aus dem Westen Deutschlands! Die Kollegen der AfD werden damit leben müssen, dass nun ein Geisteswissenschaftler spricht;

(Zuruf von der AfD)

und übrigens ein Geisteswissenschaftler, der für sich in Anspruch nimmt, durchaus das eine oder andere für die Entwicklung Sachsens und auch die freiheitliche demokratische Grundordnung vernünftig getan zu haben. Vielleicht können Sie das, Herr Barth, bei der nächsten Gelegenheit relativieren oder einordnen, das würde Ihnen guttun.

Ich wiederhole, was bereits gesagt worden ist: Wenn Herr Döpfner meint, Ostdeutsche geringschätzen zu können oder beleidigen zu müssen – mich trifft er damit nicht. Insofern hätte ich mir die Debatte sparen können, Herr Gebhardt, oder wir hätten sie anders ansetzen können.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Na ja!)

Nur aufgrund des Amüsements, das in diesem Hause manchmal etwas zu kurz kommt, darf ich eine eigene –

wirklich lustige – Beleidigungsgeschichte vortragen: Ungefähr vor zwei Jahren saß ich beim Frühstückstisch und hatte ausnahmsweise Zeit. Das Telefon klingelte – ein Meinungsforschungsinstitut aus Bielefeld.

(Zuruf von der AfD: Nein, echt?)

Ich solle doch bitte – ob ich Zeit hätte – sagen, wie ich die Corona-Schutzmaßnahmen der verschiedenen Regierungen einschätze. Ich habe Zeit, ich antworte Ihnen gern. Vorfrage: Sind Sie in der Bundesrepublik Deutschland, in der EU, im europäischen Nicht-EU-Ausland oder sonst irgendwo auf der Welt geboren?

(Heiterkeit bei der CDU)

Ich habe der Dame aus Bielefeld gesagt: Ich bin in der DDR geboren. Antwort: Das habe ich auf meinem Zettel nicht. Das war dort nicht.