Protocol of the Session on May 4, 2022

Das war Herr Ulbrich für die AfD-Fraktion. Für die BÜNDNISGRÜNEN bitte Valentin Lippmann.

(Zuruf von der AfD: Jetzt wird es lustig!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Einen Teil der Rede von Ihnen, Herr Ulbrich, sollte man wirklich als Werbevideo ausstrahlen. Ich hoffe, dass Sie in Ihrem Leben keinen einzigen Mandanten mehr als Strafverteidiger bekommen. Das ist wirklich eher Verurteilungsgehilfendasein denn Strafverteidigung, was Sie an den Tag legen.

(André Barth, AfD: Nicht so böswillig!)

Überdies ist das, was Sie erzählt haben, auch ziemlich peinlich. Aber dazu kommen wir später noch.

Ich würde erst einmal gern auf den Antrag der LINKEN eingehen. Das Thema Ersatzfreiheitsstrafe ist ein Dauerdiskussionspunkt unter den Strafrechtsexpertinnen und Strafrechtsexperten und in den letzten Jahren immer wieder ein Diskussionspunkt der größeren Öffentlichkeit. Sie wurde im Rahmen der Großen Strafrechtsreform 1969 verabschiedet – das vielleicht für diejenigen, die so tun, als wäre das schon immer Teil der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. So alt ist sie nicht. Sie dient seither als Surrogat für Geldstrafen, wenn diese nicht erbracht werden können.

Von den Befürwortern wird sie oft als Rückgrat der Geldstrafe bezeichnet; denn ohne sie würde das Sanktionssystem der Geldstrafe in sich zusammenbrechen. Von den Gegnern wird sie als diskriminierend abgelehnt und zunehmend auch rechtspolitisch als durchaus problematisch diskutiert. Sie darf nur Ultima Ratio sein; denn sie greift in die persönliche Freiheit nach Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz ein. Noch problematischer wird es, wenn dies im Zusammenhang mit einem Strafbefehl verhängt wird und zu keinem Zeitpunkt eine richterliche Anhörung stattgefunden hat. Ob das jetzt das Prinzip der Gewaltenteilung nach Artikel 20 durchbricht, wie DIE LINKE in ihrem Antrag meint, be

zweifle ich. Aber der Antrag der LINKEN, der die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe fordert, greift durchaus viele Kritikpunkte auf, die auch wir BÜNDNISGRÜNE teilen.

In der Praxis trifft die Ersatzfreiheitsstrafe vorrangig einkommens- und vermögensschwache Menschen, Menschen mit vielfältigen Problemlagen wie Wohnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Suchtproblemen und psychischen Problemen. Die Zeit der Inhaftierung ist überdies so kurz, dass man nicht einmal Basishilfsmaßnahmen – wie Therapiemaßnahmen oder einen Alkoholentzug – wirklich greifen lassen kann. Nicht selten ist die Ersatzfreiheitsstrafe nicht nur der Weg in die JVA, sondern auch der Weg in eine tiefere kriminelle Karriere.

Das Problem ist bekannt, die Probleme der Ersatzfreiheitsstrafe sind bekannt. Es wurde in der Vergangenheit viel diskutiert, welche alternativen Sanktionsmöglichkeiten es geben könnte, die bestenfalls die Ersatzfreiheitsstrafe ersetzen könnten. Klar wird immer wieder: Es kann keinen einfachen Königsweg geben, auch wenn das Thema nun endlich Eingang in den Koalitionsvertrag auf Bundesebene gefunden hat.

Schon 2000 wurde ein Abschlussbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionssystems vorgelegt – allerdings mit dem Ergebnis, die Ersatzfreiheitsstrafe sei unerlässlich. 16 Jahre später wurde von der JuMiKoFrühjahreskonferenz erneut ein Bericht beauftragt. Dieser liegt seit Längerem vor. Die neue Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund zu Recht im Koalitionsvertrag vereinbart, das Sanktionssystem einschließlich Ersatzfreiheitsstrafen, Maßregelvollzug und Bewährungsauflagen zu überarbeiten mit dem Ziel der stärkeren Prävention und Resozialisierung.

Entkriminalisiert man, wie von der LINKEN vorgeschlagen, das Schwarzfahren, blieben andere Anlassstraftaten wie Diebstahl, Hehlerei und Straßenverkehrsdelikte bestehen, wegen derer bei uneinbringlichen Geldstrafen weiterhin eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt werden könnte. Der Antragspunkt 2.1 schlägt daher die komplette Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe vor. Hier ist der Antrag dann doch, und jetzt kommen wir von der Einigkeit zur Kritik, arg dünn geraten. Zwar sieht er stattdessen gemeinnützige Arbeit vor, was durchaus als Lösungsweg diskutiert werden kann, lässt jedoch andere Lösungsoptionen außen vor. Wenn es um eine Reform der Sanktionssysteme geht, sollte aber eher der bunte Blumenstrauß an Optionen diskutiert werden. Dem verwehrt sich der Antrag zugunsten einer einzigen Lösung, die gleichweg nicht unumstritten ist.

Aber auch dieser Vorschlag der gemeinnützigen Arbeit ist nicht ganz bis zu Ende gedacht. Ich verweise gern auf unseren Antrag aus der letzten Legislaturperiode von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei dem wir damals durch die heutige Justizministerin vorgetragen bekommen haben, wie ähnliche Vorschläge, allerdings mit weiteren Forderungen untersetzt, aussehen könnten, etwa mit regionalspezifischen Pools an Trägern oder aufsuchender Sozialarbeit

als weitere Mittel, die entsprechende Maßnahmen flankieren. Ich bitte immer auch zu bedenken: Nicht jeder ist in der Lage, zu arbeiten. Hierfür bräuchte es Härtefallregelungen, die man mitbedenken muss.

Die Einführung alternativer Sanktionsmechanismen oder die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe ist und bleibt aber Sache der Bundesebene. Die Länder wiederum können Maßnahmen zur Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe schaffen. Bekannt sind hier „Schwitzen statt Sitzen“ oder „Auftrag ohne Antrag“. Nach Artikel 293 EGStGB können die Länder Verordnungen zur Abwendung von Ersatzfreiheitsstrafen erlassen. Auch Sachsen hat davon 2014 Gebrauch gemacht, allerdings mitunter nicht mit der Resonanz, wie man sie sich erhofft.

Die Frage, die man sich hier zunächst stellen muss, ist: Muss überhaupt eine Strafe verhängt werden, die empirisch häufig zu einer Ersatzfreiheitsstrafe führt? Dies bringt uns zu dem Punkt Entkriminalisierung und der geplanten Strafrechtsreform auf Bundesebene, auf die ich im zweiten Teil noch einmal den Blick werfen will.

Der Antrag greift nun ein bekanntes, immer wieder diskutiertes Thema auf – die Beförderungserschleichung nach § 265 a StGB. Der Tatbestand stammt noch aus der tiefsten Nazi-Zeit, von 1935. Er ging davon aus, dass der Volksschädling sanktioniert werden sollte, der sich an der Volksgemeinschaft dadurch bereichert, dass er nicht die Karten für die Straßenbahn bezahlt. Würde man heute darüber diskutieren, hätte man sicherlich andere Gedanken zu diesem Straftatbestand. Und überdies, Herr Ulbrich, zum Thema Menschenwürde, die in diesem Straftatbestand betroffen sein soll, erklären Sie mir bitte einmal, was die Menschenwürde eines Verkehrsunternehmens sein soll. Aber das können Sie an anderer Stelle machen.

Würde man diesen Straftatbestand streichen, ob als Ordnungswidrigkeit oder komplett, wäre zumindest jedenfalls ein Großteil aller Fälle der Ersatzfreiheitsstrafen mit einem Schlag erledigt. Deshalb haben wir BÜNDNISGRÜNE das in der Vergangenheit immer wieder auf Bundesebene gefordert. Damit würden auch jede Menge Kosten gespart. Laut Justizministerium würde der Freistaat Sachsen über 1 Millionen Euro Haftkosten sparen. Das würde den Finanzminister, leider gerade nicht anwesend, doch sicherlich freuen. Die AfD wollte vorhin auch immer wieder Geld sparen. Hier hätten Sie einen Punkt, wie Sie den Justizhaushalt entlasten könnten.

Die neue Bundesregierung plant nun eine Reform des StGB. Dabei verschreibt sich die Bundesregierung einer evidenzbasierten Strafrechtspolitik. Das Kriterium der Evidenzbasierung verspricht hier Wissenschaftlichkeit und Rationalität. Das erfordert eine systematische Herangehensweise und nicht nur das Reagieren im Einzelfall, und dem, das sage ich gern, würde ich ungern – anders als DIE LINKE – mit einem einzigen Straftatbestand vorweggreifen; denn neben dem Schwarzfahren sehen wir BÜNDNISGRÜNEN durchaus auch noch andere Delikte, die auf den Prüfstand gehören.

Jetzt einmal fernab der Diskussion über weite und große Straftatbestände – wie die Reform des Mordparagrafen, die mit diesem Antrag nichts zu tun hat, aber auch in eine Strafrechtsreform eingebettet werden muss –: Natürlich steht die als Einzelnovelle vorangebrachte Aufhebung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche oben auf der Tagesordnung. Auch die Entkriminalisierung im

Betäubungsmittelbereich – die Sie leider nicht in den Antrag aufgenommen haben, obwohl wir uns darin sogar einig wären – steht oben auf der Agenda. Der berühmte Straftatbestand der Datenhehlerei, der aus unserer Sicht so sinnvoll ist wie ein Kropf, gehört in diesem Prozess genauso abgeschafft. Darüber gilt es jetzt in einem Gesamtpaket zu diskutieren.

Dieser Diskurs muss so breit wie möglich auf Bundesebene geführt werden und ist jetzt auch vom Bundesjustizministerium mehrfach angekündigt worden. Ich habe vollstes Vertrauen in die neue Ampelregierung. Diesem Prozess mit einem bereits vorgegebenen Ergebnis, am besten noch aus einem einzelnen Bundesland, vorzugreifen, halte ich überdies für nicht zielführend, weswegen wir diesen Antrag schlussendlich ablehnen werden. Ihn braucht es schlicht nicht, um das Anliegen zu erfüllen, das wir gemeinsam zu diesen Punkten haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN, der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Das war Valentin Lippmann für die BÜNDNISGRÜNEN. Für die SPD-Fraktion Hanka Kliese, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Aspekte, die ich einbringen wollte, sind in der vorangegangenen Rede von Kollegen Lippmann schon genannt worden, deshalb kann ich es mir zeitlich erlauben, noch einmal kurz auf den Beitrag der AfD-Fraktion einzugehen. Es gibt zwei konkrete Punkte, auf die ich gern zu sprechen kommen möchte.

Der erste Punkt, Herr Ulbrich, ist: Sie haben das Thema Pädophilie im Zusammenhang damit genannt, dass das die politische Linke – ich nehme an, Sie meinen die gesamte Strömung, nicht nur die Partei – sehr locker sehen würde. Dazu muss ich Ihnen sagen: Dieses Thema ist partout nicht dazu geeignet, mit Dreck nach dem politischen Gegner zu werfen. Sie können sich inhaltlich mit dem politischen Gegner auseinandersetzen. Was das Thema sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Pädophilie angeht, gibt es in jeder Partei bedauerlicherweise schlimme, schlimme Vorfälle. Es gibt Ihre Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern, ich nenne da Herrn Holger Arppe – jemand, der dafür verurteilt worden ist. In meiner Fraktion im Bundestag gab es einen Kollegen, der wegen Kinderpornografie angezeigt worden ist; wahrscheinlich auch zu Recht.

(Zuruf des Abg. Sebastian Wippel, AfD)

Es gibt bei den GRÜNEN eine Vergangenheit, die aufgearbeitet werden musste. Das sind alles sehr tragische Geschichten, nämlich für die Opfer.

Genau aus dieser Perspektive heraus sollten wir es betrachten und nicht aus der Perspektive, ob ich das gegen meinen politischen Gegner verwenden kann. Das gehört sich einfach nicht.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN, den BÜNDNISGRÜNEN und der Staatsregierung)

Das Zweite ist: Sie haben der Antragstellerin vorgeworfen, der Antrag hätte etwas Weinerliches oder er wäre weinerlich eingebracht worden. Was die Antragstellerin tatsächlich gemacht hat – und was ich sehr richtig finde –, ist, auf die Lebensrealität von Menschen zu verweisen. Wir können uns immer hier vorn hinstellen und schlau erzählen, dass es die Menschen gibt, die dann Arbeitsleistungen erbringen können usw. usf. Aber unter diesen Menschen sind Menschen mit psychischen Erkrankungen, Menschen, die das nicht schaffen. Diese Lebensrealität müssen wir, ob es uns gefällt oder nicht, dass es sie gibt, in unsere Politik einfließen lassen.

Wenn Sie die Berücksichtigung der Tatsache, dass es solche Menschen gibt, als „weinerlich“ betrachten, frage ich mich angesichts der vorangegangen Debatten, wer hier eigentlich im Elfenbeinturm sitzt.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN, den BÜNDNISGRÜNEN und der Staatsregierung)

Wie wir schon mehrfach gehört haben und wie es sich auch in der Stellungnahme der Staatsregierung wiederfindet, sind mit der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen hohe Kosten für die öffentliche Hand verbunden, und die Resozialisierungserfolge sind doch sehr überschaubar. Aus kriminalpräventiver sowie aus haushaltspolitischer Sicht ist es daher definitiv angebracht, alle Möglichkeiten zur Vermeidung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen zu nutzen, zumal man an dieser Stelle immer wieder bedenken muss, dass diese Menschen nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, sondern zu einer Geldstrafe – aus Gründen. Diesen Widerspruch gilt es aufzulösen.

Die Ersatzfreiheitsstrafe trifft in der Tat meist jene Menschen in unserer Gesellschaft – und das ist mir sehr wichtig zu betonen –, die per se vor großen Herausforderungen in ihrem Leben stehen: Menschen ohne festen Wohnsitz, Suchtkranke, psychisch Erkrankte, Einkommensschwache. Durch die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe wird häufig eine bereits bestehende Notlage weiter verschärft; auch das hat Herr Lippmann schon angedeutet. Das kann alles nicht in unserem Interesse sein. Diesen Teil der Intention des Antrages teilen wir daher vollumfänglich. Wir freuen uns auch sehr, dass es auf Bundesebene, wo das Thema gelöst werden kann, maßgeblich Bewegung in diesem Feld gibt und die Justizministerin zu einer Kraft gehörte, die sich Anfang des Jahres – und auch schon vorher – dazu sehr deutlich geäußert hat.

Die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens steht auch auf dem Prüfstand. Ich finde, prüfen kann man das auf alle Fälle, und in Sachsen sollten wir uns fragen, wie wir jene Menschen unterstützen können, die sich in der misslichen Lage befinden, eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten zu müssen, und zwar nicht, weil sie nicht bezahlen wollen, sondern weil sie aus irgendwelchen Gründen nicht bezahlen können. Wir sollten daher generell noch einmal überprüfen, ob die Tagessatzhöhe, die für Einkommensschwache veranschlagt wurde, nicht zu hoch angesetzt ist, und auch über Härtefälle sprechen. Zudem ist es wichtig, dass wir bei den Verantwortlichen in der Rechtspflege ein besonderes Verständnis für die Situation und die Lebenslage dieser Menschen herstellen; in Teilen ist das auch schon vorhanden.

Ich möchte zudem in Sachsen die Entwicklung eines Programms anregen, das das Bundesland Baden-Württemberg in einem Pilotprojekt erprobt hat und schon flächendeckend nutzt, weil es erfolgreich war. Dort werden überforderte Geldstrafenschuldner und -schuldnerinnen proaktiv über ihre Möglichkeiten von Ratenzahlungen oder die Ableistung gemeinnütziger Arbeit informiert. Dazu wird der direkte Kontakt zu ihnen gesucht, was bedeutet, dass sie beraten werden. Es werden schriftliche Tilgungsvereinbarungen mit den Schuldnern und Schuldnerinnen getroffen, die ihre tatsächliche Einkommenssituation berücksichtigen. Zu den jeweiligen Terminen, an denen die Raten fällig sind, erfolgt abermals eine Zahlungserinnerung durch die Gerichtshelfer und Gerichtshelferinnen. Wenngleich hier ein höherer Betreuungsaufwand für die Gerichtshelfer und Gerichtshelferinnen entsteht, so konnte die Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen in vielen Fällen vermieden werden, und so fand es tatsächlich in Baden-Württemberg statt.

Das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ wurde schon angesprochen. Ich finde, es ist noch Luft nach oben, wie es angenommen wird. Es ist aber eine Option. Man muss einsehen, dass es diese eine Gruppe, die ich angesprochen habe, psychisch erkrankte Menschen, Suchtkranke, nicht abholt. Das ist leider so. Hier scheitert der Rückgriff auf das Ableisten von gemeinnütziger Arbeit schon daran, dass die Betroffenen die notwendigen Anträge nicht stellen, weil sie nicht wissen, dass sie diese stellen können, oder weil sie nicht wissen, wie sie diese zu stellen haben. Auch hier sollten wir ansetzen.

Wie gesagt, große Sympathie für das Grundanliegen – der Teufel steckt im Detail. Kollege Lippmann hat ausgeführt, an welchen Punkten wir so weit nicht mitgehen würden. Ich freue mich auf die Debatte, die dazu im Bund geführt wird, und danke Ihnen für den Impuls.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN, den BÜNDNISGRÜNEN und der Staatsregierung)

Das war Frau Kollegen Kliese für die SPD-Fraktion. – Gibt es weiteren Gesprächsbedarf? – Das sehe ich nicht. Dann bitte ich jetzt die Staatsregierung. Frau Staatsministerin Katja Meier, bitte.

Katja Meier, Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich die Debatte, die überwiegend sehr sachlich geführt wurde, Revue passieren lasse, ist eines sehr deutlich geworden: Das heutige System der Verhängung einer Freiheitsstrafe anstelle einer uneinbringlichen Geldstrafe stellt einen enormen Wertungswiderspruch dar. Wenn das Gericht eine Geldstrafe verhängt, hat es die Verhängung einer Freiheitsstrafe weder unter Schuld- noch unter Präventionsgesichtspunkten für erforderlich gehalten.

Wenn ich einmal in die Vergangenheit schaue, nämlich ins Mittelalter, dann muss ich an den mittelalterlichen Schuldturm denken, in dem die Schuldner seinerzeit der Schuldknechtschaft unterworfen wurden. Ich finde, wir alle miteinander sind sehr gut beraten, die Methoden des Mittelalters hinter uns zu lassen und das moderne Strafrecht an den Gedanken der Aufklärung auszurichten; denn eines ist für mich ganz klar: Ersatzfreiheitsstrafen sind ungerecht und sinnwidrig. Sie vertiefen soziale Ungleichheit und verursachen Kosten für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler – dies wurde schon mehrfach genannt –, die auf den Staat insgesamt zukommen.

In einem modernen Rechtsstaat kann die Ersatzfreiheitsstrafe nur ein Auslaufmodell sein, wie es uns die skandinavischen Länder vormachen. Deshalb ist sie auch eine statistische Anomalie. Seit 20 Jahren geht die Zahl der kurzen Freiheitsstrafen immer weiter zurück, gleichzeitig bildet sich dieser Trend aber bei den Ersatzfreiheitsstrafen nicht ab. Menschen hinter Gitter zu schicken, weil sie nicht die Ressourcen – und ich rede jetzt nicht nur vom Geld – aufbringen können, eine Geldstrafe zu zahlen oder sie abzuarbeiten, ist falsch. Die Ersatzfreiheitsstrafen binden im Justizvollzug wertvolle Ressourcen. Die Kosten für den Staat übersteigen durchweg die Höhe der verhängten Geldstrafen.

Wir haben es gehört: Ziel muss es sein, evidenzbasierte Strafrechtspolitik zu machen, und die kriminologische Forschung belegt, dass Ersatzfreiheitsstrafen keinen präventiven Zweck erfüllen. Sie sind, was die Prävention angeht, sogar schädlich; denn die Menschen können in der Haft kaum bis gar nicht Hilfs- oder Therapieangebote erfahren, da sie bei einer Ersatzfreiheitsstrafe im Durchschnitt nur fünf bis sechs Wochen inhaftiert werden und entsprechende Therapieangebote keine Durchschlagskraft haben.

Die Ersatzfreiheitsstrafe ist zudem, und das ist in dieser Debatte sehr deutlich geworden, unsozial und ungerecht. Am ehesten trifft sie vor allem mittellose Menschen, verschuldet und ohnehin sozial schlecht integriert. Die Menschen werden, wenn sie die Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen, aus ihren ohnehin schon fragilen sozialen Netzen gerissen. Wir verstärken also die Isolation derer, die ohnehin schon isoliert sind, statt ihnen mit den Mitteln, die für die Ersatzfreiheitsstrafe gebunden werden, außerhalb des Gefängnisses die nötige Hilfe anzubieten. Ich denke hier vor allem an psychosoziale Unterstützung und externe Suchttherapie.

Wir müssen uns einmal klarmachen – Herr Modschiedler hat es angesprochen –, was eigentlich alles passieren muss, damit ein Mensch wegen einer Geldstrafe im Gefängnis landet: Rechnungen werden gestellt, aber vielleicht nicht geöffnet oder nicht verstanden, dann kommen Mahnungen, es kommen letzte Mahnungen, es werden Gespräche geführt. Auch das findet in Sachsen tatsächlich statt; es wird auf die Möglichkeit von Ratenzahlungen hingewiesen oder die Alternative, gemeinnützige Arbeitsstunden zu leisten.

Menschen, die auf solche Angebote nicht eingehen, tun das in aller Regel nicht aus dem Impuls, die eigene Strafe zu vermeiden, denn diese ist schlicht unvermeidlich. Sie tun es vielfach aufgrund fehlender individueller Ressourcen einer, wie wir sagen würden, geordneten Lebensführung.

Aus all diesen Gründen spricht mir der Antrag schon aus dem Herzen; das muss ich an dieser Stelle sagen. Ich habe das auch schon an verschiedenen Stellen geäußert. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist eines modernen Rechtsstaats nicht mehr würdig. Nur stellen sich die Folgen ihrer Abschaffung doch etwas komplexer dar, als es uns dieser Antrag suggerieren will.

Man kann es vielleicht in eine mathematische Formel fassen, wenn ich mir Ihren Antrag anschaue: Aktuelles Strafrecht minus Ersatzfreiheitsstrafe plus gemeinnützige Arbeit ist gleich Gerechtigkeit. – Hört sich gut an, aber so einfach ist es in der Realität dann leider doch nicht.