Amt. Präsident Thomas Colditz: Vielen Dank an Herrn Heidan von der CDU-Fraktion. Es schließt sich Herr Baum von der SPD-Fraktion an.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen jede und jeden. Dieser Satz beschreibt sehr gut die Notwendigkeit von Jugendberufsagenturen. Bei aller positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt bleibt es unser Ziel, die Chancen von Jugendlichen auf ihrem Weg ins Berufsleben zu verbessern.
Nicht allen jungen Frauen und Männern gelingt der Übergang von der Schule in den Beruf. Wer es beim ersten Mal nicht schafft, dem möchten wir eine zweite oder auch eine dritte Chance organisieren. In unserem Land ist jede und jeder Einzelne wichtig – unabhängig von der Leistung in der Schule oder von der Herkunft.
Die Jugendberufsagentur ist eine Anlaufstelle für alle. In Sachsen heißt es mittlerweile nicht mehr wie folgt: Wer ist zuständig? In Sachsen heißt es nun: Wir sind gemeinsam verantwortlich, und wir kümmern uns. Wir brauchen gute Auszubildende, die in Sachsen bleiben, denn diese jungen Frauen und Männer sind unsere Fachkräfte von morgen.
Wenn im Jahresdurchschnitt 2017 rund 10 300 Personen in der Altersgruppe 15 bis unter 25 Jahren arbeitslos sind, was einer Arbeitslosenquote von 7,1 % entspricht, dann sind das deutlich zu viele. Wenngleich die Zahl der Schulabgänger in Sachsen ohne Abschluss sinkt, lag der Anteil im Jahr 2015 immer noch bei 7,6 %. Das sind deutlich zu viele.
Wenn im Jahr 2016 mehr als jeder vierte Jugendliche in Sachsen seine Lehre abgebrochen hat, dann ist das eindeutig zu viel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Laut Bundesagentur für Arbeit betrug die Abbrecherquote 28,3 %. Damit liegt Sachsen etwas über dem Bundesdurchschnitt mit 25,8 %. Insgesamt gab es 5 700 Abbrecher. Das waren 450 mehr als noch im Jahr 2015.
Viele Vertragsauflösungen finden noch in der Probezeit statt. Man kann sich darauf berufen, dass Sachsen unter
den ostdeutschen Bundesländern das einzige Land mit einer Abbrecherquote unter 30 % sei, aber zufriedenstellend ist das sicherlich nicht. Die Fachkräfteentwicklung zeigt Folgendes: Wir brauchen jede und jeden und das so schnell wie möglich. Jeder Neuanlauf bei einer Lehre verzögert nun einmal den Eintritt ins Berufsleben.
Die Gründe für den Abbruch von Ausbildungen sind natürlich sehr unterschiedlich. Es ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen notwendig, bei der die Wirtschaft, die Gewerkschaften und die Politik an einem Strang ziehen müssen. Das reicht von einer höheren Vergütung über die Verbesserung der Ausbildungsqualität bis hin zur Stärkung unserer Jugendberufsagenturen. Wir brauchen schnellstens einen bundesweit einheitlichen AzubiMindestlohn. Hierbei steht die große Koalition in Berlin in der Pflicht, ihre Pläne für eine Mindestausbildungsvergütung zügig umzusetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auszubildende haben ein Recht auf eine angemessene Bezahlung, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Dies würde gerade in den Bereichen mit der höchsten Abbrecherquote die Attraktivität steigern. Die Wirtschaft und die Kammern müssen auch ihren Beitrag leisten, denn nicht in allen Unternehmen stimmt die Ausbildungsqualität. Hierfür müssen schleunigst vernünftige Strategien entwickelt werden.
Zudem werden wir unsere Berufsagenturen auch weiterentwickeln. Durch eine gute Zusammenarbeit von Jobcenter, Arbeitsagentur, Schulen und Kommunen soll jeder Jugendliche in Sachsen den ihm entsprechenden Weg ins Berufsleben finden.
Damit kommen wir zum Kern des heutigen Antrages der Koalition, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es geht um die Weiterentwicklung der Jugendberufsagenturen in Sachsen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Einbeziehung der Schulen. Eine bessere Berufsorientierung kann dafür sorgen, dass Schülerinnen und Schüler sich für die richtige Ausbildung entscheiden und somit die Abbrecherquoten gesenkt werden. Wir schaffen eine Servicestelle, die den Auf- und Ausbau der Jugendberufsagenturen unterstützt und hilft, die Qualität überall auf ein bestmögliches Niveau zu heben, sowie Best-PracticeBeispiele aus einzelnen Landkreisen zu erkennen und für die anderen nutzbar zu machen. Eine gemeinsam abgestimmte Öffentlichkeitskampagne unter der Dachmarke „Jugendberufsagentur Sachsen“ schafft die Möglichkeit, dass landesweit Aufmerksamkeit erzielt wird.
Damit wir nicht nur in Sachsen, sondern auch in anderen Bundesländern vorankommen, muss der Bund aktiv werden. Die bisherigen Regelungen zum Datenaustausch der Akteure reichen dazu nicht aus. Im sogenannten Übergangsbereich brauchen wir klare Regelungen, die auf der einen Seite die abgestimmte Fallarbeit ermöglichen und Bildungsverläufe der Zielgruppen und Personen erfassen und analysieren. Auf der anderen Seite muss das unter Beachtung des Datenschutzes geschehen. Derzeit stützen sich die Jugendberufsagenturen vor Ort auf die sogenannte Arbeitshilfe zum Sozialdatenschutz in Ju
gendberufsagenturen des Bundes vom Juli 2016. Diese hat lediglich empfehlenden Charakter. Eine einheitliche bundesgesetzliche Regelung würde hierbei zu mehr Handlungssicherheit bei den beteiligten Akteuren führen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Fazit lautet wie folgt: Jugendberufsagenturen sind ein gelungenes Beispiel für behördenübergreifende Zusammenarbeit. Durch eine noch bessere Einbindung von Schulen und Schulverwaltungen können wir aber noch besser werden; besser, um mehr Jugendliche und junge Menschen in Ausbildungen und in den Job zu bringen. Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Antrag.
Amt. Präsident Thomas Colditz: Vielen Dank, Herr Baum. Es folgt die Fraktion DIE LINKE. Herr Brünler, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich müsste man meinen, dass der Weg für junge Menschen in den Arbeitsmarkt inzwischen ein leichter sei. Wir sprechen in Sachsen beinahe von einer Vollbeschäftigung, in einzelnen Bereichen ist sogar von einem Fachkräftemangel die Rede. Die Zeiten, in denen auf eine Lehrstelle zehn oder mehr Bewerber kamen, sind für die Jugendlichen zum Glück vorbei.
Ist also alles in Butter? – Keineswegs. Nach wie vor beginnen viele junge Menschen keine Ausbildung oder brechen sie vorfristig ab. In Sachsen wird rund jede vierte Berufsausbildung vorzeitig beendet. Wir haben es bereits gehört: Die Gründe sind vielfältig. Sie reichen von einer gestiegenen Erwartungshaltung an den Ausbildungsbetrieb über falsche Vorstellungen vom Beruf bis zu persönlichen Schwierigkeiten der Jugendlichen. Ja, nicht jede abgebrochene Ausbildung endet in der Perspektivlosigkeit. Für einige ist sie auch der Beginn einer erfolgreichen Neuorientierung.
Dennoch bleibt unterm Strich die Erkenntnis, dass die Abbrecherquote im Freistaat genauso wie die Jugendarbeitslosigkeit deutlich über dem Bundesschnitt liegt. Nicht selten setzt sich ein Teufelskreis fort, der bereits früh begann. Wenn wir in Deutschland zu Recht immer wieder auf die Vorzüge und Stärken der Berufsausbildung und insbesondere des dualen Systems verweisen, dann hat diese starke Orientierung an formalen Abschlüssen viel stärker als beispielsweise in Großbritannien oder Nordamerika auch eine Kehrseite: ohne Schulabschluss keine Berufsausbildung, ohne Berufsausbildung kein Zugang zu guter Arbeit, ohne gute Arbeit keine Perspektive auf soziale Sicherheit. Das gilt zwar in ganz Deutschland, ist aber auch besonders ein sächsisches Thema. Zwar ist der Anteil von jungen Menschen, die die Schule ohne Abschluss verlässt, in den letzten Jahren leicht gesunken. Er liegt aber immer noch um rund ein Drittel über dem
Oftmals summieren sich jedoch die Schwierigkeiten: kein Schulabschluss, private Probleme und dann auch verschiedene Einrichtungen und Rechtskreise, die für die Bewältigung der einzelnen Alltagsprobleme zuständig sind. Für die Berufsberatung ist es die Bundesagentur für Arbeit, für die psychologische Betreuung ist es die Jugendhilfe, und Arbeitslosengeld gibt es beim Jobcenter. Das sind unterschiedliche Akteure mit eigenen Regeln, eigenen Budgets und eigenen Angeboten. Es sind viele verschiedene Ansprechpartner. Da ist es nicht immer leicht, den Überblick zu behalten.
Genau hier setzte 2010 das gemeinsam vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Bundesagentur für Arbeit initiierte Arbeitsbündnis „Jugend und Beruf“ an, das eine stärkere Verzahnung der vorhandenen Angebote und die Beratung unter einem Dach zum Ziel hatte, woraus letztlich auch die Jugendberufsagenturen entstanden sind. Hamburg war hier vor allen Dingen in qualitativer Sicht Vorreiter. Inzwischen existieren diese Agenturen in jedem Bundesland. Auch in Sachsen hat sich die Idee mittlerweile flächendeckend etabliert. Der Erzgebirgskreis war bis Ende letzten Jahres noch der letzte Nachzügler. Inzwischen haben aber alle Landkreise und kreisfreien Städte Mittel aus dem Förderprogramm „Jugendberufsagentur Sachsen“ beantragt und im Dezember seitens der SAB auch bewilligt bekommen. Wir hatten im letzten Doppelhaushalt die Mittel hierfür nochmals aufgestockt. Ich denke, das war parteiübergreifend nicht strittig.
Ebenso herrscht hier im Haus sicherlich Konsens darüber, dass es wichtig ist, auch die Schulen als Partner ins Boot zu holen, um einen gelungenen Übergang von der Schule in den Beruf zu unterstützen und eine bessere Berufsorientierung zu ermöglichen. Mit Blick auf die konkrete Lage vor Ort bleibt jedoch die Erkenntnis, dass Art und Umfang der Verzahnung und bereichsübergreifenden Arbeit in den einzelnen Jugendberufsagenturen nach wie vor höchst unterschiedlich ist. Arbeiten sie doch in dezentraler Verantwortung, und es kommt auf die Handlungsbedarfe und vor allem auf die Kooperationsbereitschaft vor Ort an. Böse Zungen behaupten sogar, dass mancherorts bisher nicht mehr passiert ist, als das Türschild auszutauschen.
Darum ist es nicht falsch, wenn der Antrag an die landesweite Kooperationsvereinbarung zwischen der Staatsregierung, der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit und den kommunalen Spitzenverbänden von 2017 erinnert, um den flächendeckenden Aufbau und die Verstetigung der Jugendberufsagentur anzumahnen. Dabei hinterlässt es bei mir durchaus auch Fragen, wenn die Staatsregierung per Antrag zur weiteren Erfüllung von ihr bewusst herbeigeführter Vereinbarungen aufgefordert wird.
Viel wichtiger erscheint mir aus Sicht des Parlaments die regelmäßige Einbeziehung und Information der zuständigen Fachausschüsse bei der Umsetzung. Das wäre bereits
So bleibt ein wenig der schale Beigeschmack, dass der Antrag zu den seitens der Staatsregierung bei den Koalitionsparteien bestellten Auftragswerken gehört, wofür sich der zuständige Minister artig bedanken kann, um dann zum Selbstlob anzusetzen.
Unabhängig davon halten wir das Ziel der Jugendberufsagenturen natürlich für richtig. Auch als LINKE wollen wir, dass sie flächendeckend im Freistaat arbeiten, und zwar nach einheitlichen Ansätzen. Von daher – und weil wir Eigenlob gönnen können – freuen wir uns schon auf die Ausführungen von Staatsminister Dulig und stimmen dem Antrag zu.
Amt. Präsident Thomas Colditz: Danke, Herr Brünler. Jetzt folgt die AfD-Fraktion. Herr Beger, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Müsste ich den vorliegenden Antrag kurz charakterisieren, würde ich sagen, dass CDU und SPD uns hier alten Wein in neuen Schläuchen servieren. Es ist der neue Aufguss des Antrages in der Drucksache 6/3981, der im Novemberplenum 2016 ausführlich behandelt wurde. Haben wir uns bei der Abstimmung 2016 noch enthalten, werden wir den Antrag heute ganz klar ablehnen.
Die Forderungen von damals unterscheiden sich von denen heute nur in Nuancen. Ich sehe daher keine Notwendigkeit, auf den Antrag im Detail einzugehen, sondern nutze die Gelegenheit, auf ganz grundsätzliche Aspekte im Bereich des Übergangs von der Schule in das Berufsleben einzugehen.
Die Jugendberufsagenturen sollen alle Angebote und Maßnahmen im Bereich des Übergangs von der Schule in das Berufsleben bündeln. Das könnte man als hehres Ziel betrachten. Andererseits könnte man vermuten, dass eine Bündelung erforderlich ist, weil es a) schon zu viele solcher Maßnahmen gibt und sich die Schulabgänger daher in einem Wollknäuel von Unterstützungsmaßnahmen verfangen und sie b) allesamt wenig bis gar nicht erfolgreich sind. An der Schnittstelle von der Schule zum Beruf haben wir beispielsweise Praxisberater, Berufseinstiegsbegleiter, Schulsozialarbeiter, Zehntausende Lehrer und Arbeitsämter.
Woran liegt es dann, dass trotzdem so viele Lehrstellen unbesetzt bleiben? Schauen wir uns einige Berufe an, die wenig bis gar nicht nachgefragt sind, können wir uns diese Frage leicht beantworten. Das sind Bäcker, Fleischer, Koch, Maurer, Gerüstbauer, Dachdecker, also alles Berufe, die körperlichen Einsatz verlangen und teilweise ungewöhnliche Arbeitszeiten haben. Für eine Generation Smartphone sind Berufe, deren Arbeit sich nicht durch ein
Wischen über das Display erledigen lässt, wenig attraktiv. Lehrstellen in anderen Berufen bleiben hingegen unbesetzt, weil den Bewerbern mehr und mehr die Ausbildungsreife fehlt. Sie offenbaren in Bewerbungsschreiben und persönlichen Gesprächen eklatante Defizite im Lesen, Schreiben und Rechnen. Ich könnte jetzt spekulieren, ob das eventuell am kompetenzorientierten Unterricht liegen könnte oder an Lehrern, die öffentlich zugeben, dass sie ihren Schülern ausschließlich gute Noten geben. In jedem Fall ist es offensichtlich, dass Jugendberufsagenturen sicher nicht das Mittel der Wahl sind, um an diesem Befund etwas zu ändern.
Meine Damen und Herren! Für die Förderung regionaler Kooperationsbündnisse stellten Sie 1,5 Millionen Euro zur Verfügung, wohlgemerkt über drei Jahre und nicht etwa pro Jahr. Das macht bei 13 teilnehmenden Landkreisen und kreisfreien Städten pro Jahr über den Daumen gerechnet eine Fördersumme von sage und schreibe 38 500 Euro. Ist das wirklich Ihr Ernst?
Meine Damen und Herren! Das ist leider keine Dystopie, sondern das Ergebnis von 30 Jahren missglückter CDUBildungspolitik. Statt das Pferd von hinten aufzuzäumen, machen wir es lieber richtig:
Erstens. Jeder Schüler muss die Schule mit mangelfreien Kenntnissen der elementaren Anforderungen im Lesen, Schreiben und Rechnen verlassen.
Zweitens. Die Zahl der Abiturienten ist durch verbindliche und restriktive Zulassungsvoraussetzungen deutlich zu verringern.
Dann findet jeder Betrieb die zu ihm passenden Auszubildenden und jeder Schulabgänger den passenden Ausbildungsberuf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte konkret zum vorliegenden Antrag sprechen. Der Antrag demonstriert eindrucksvoll das Regierungsverständnis der sächsischen Koalition. Wenn man den Antrag liest, kommt man zu der Erkenntnis, dass Regieren für Sie nicht heißt, proaktiv Ziel und Richtung vorzugeben, sondern das Handeln der Staatsregierung mit Feststellungen und wiederholten Berichtswünschen quasi parlamentarisch zu dekorieren. Das dürfen Sie natürlich, auch wenn man dadurch in der Sache wenig vorankommt, sondern nur die Anzahl der Drucksachen erhöht, die dabei entstehen.
Vor einem Jahr haben die Kommunen mit den drei Ministerien und der Arbeitsagentur die Kooperationsvereinbarung zur Weiterentwicklung der Jugendberufsagenturen unterschrieben. Damit haben sich die Kooperationspartner verpflichtet, regionale Vereinbarungen für Jugendberufsagenturen umzusetzen und auf Landesebene zusammenzuarbeiten. Wir können das heute noch einmal beschließen. Aber für wen ist dieses Schaulaufen dann organisiert?
Gemäß Punkt 2 soll die Staatsregierung erneut über ihre Aktivitäten berichten. Nur zu! Der letzte Bericht von Frau Klepsch zum letzten Antrag der Koalition zum gleichen Thema ist schon wieder ein Jahr alt.