Protocol of the Session on May 31, 2018

Das Ausmaß der anlasslosen Überwachung durch Geheimdienste, die Erkenntnisse über den Dieselskandal, Lux Leaks, die Panama Papers oder Cambridge Analytica würde wohl ohne mutige Whistleblower nie ans Licht gekommen. Whistleblower nehmen Verantwortung wahr, bezahlen dies in der Regel aber teuer, wenn nicht mit der Freiheit, so doch zumindest mit dem Ende ihrer Karriere oder ihrer beruflichen Existenz, denn sie werden derzeit in Deutschland nicht gesetzlich geschützt.

Stellen Sie sich einmal vor, werte Kolleginnen und Kollegen, es gäbe in Sachsen einen Edward Snowden, jemand, der über erhebliche Missstände in Behörden Bescheid weiß, der auf dem Dienstweg alles Erdenkliche unternimmt, um darauf hinzuweisen, um diese Missstände zu beseitigen, aber von seinen Vorgesetzten ignoriert wird, weil sie das Fehlverhalten decken oder schlicht ignorieren, und der sich dann an die Öffentlichkeit wendet. Auch in Sachsen müssen diese Personen mit erheblichen Strafen rechnen, wenn sie sich dann an die Öffentlichkeit wenden. Das wollen wir nun mit unserem Gesetzentwurf ändern.

In Erwägung solcher Gründe hat jüngst die EU-Kommission einen Entwurf über die Richtlinie zur Stärkung des Schutzes von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern in Europa vorgelegt. Auch auf Bundesebene gab und gibt es immer wieder Vorstöße, den Schutz von Whistleblowern in Deutschland zu verbessern. Dafür müssen in erster Linie Bundesgesetze geändert werden: das Arbeitsrecht, das Strafrecht und auch das Beamtenstatusrecht müssen dafür angepasst werden.

Gleichwohl haben wir GRÜNE einen Bereich ausgemacht, den wir als Landesgesetzgeber zum Schutz von Whistleblowern im öffentlichen Dienst regeln können und wobei der Freistaat ganz konkret den Schutz von Bediensteten im Freistaat Sachsen im Falle des Whistleblowings verbessern kann. Wir können uns nämlich nicht immer in Sachsen einen schlanken Fuß machen und auf andere hoffen. Wir müssen endlich einmal in dem Bereich, für den wir zuständig sind, in unserem eigenen Laden, Innovationen umsetzen. Sachsen kann auch einmal Vorreiter und muss nicht immer nur Nachzügler sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit den Änderungen des Sächsischen Beamtengesetzes und des Disziplinargesetzes schlagen wir vor, dass Whistleblower strafrechtlich und disziplinarrechtlich nicht verfolgt werden, wenn sie ihre Verschwiegenheitspflicht verletzen und sich mit ihrer Kenntnis von erheblichen Straftaten oder Gefahren für die Öffentlichkeit an ihre Vorgesetzten oder an die Öffentlichkeit wenden. In diesem Fall ist die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach § 353 b Abs. 4 des Strafgesetzbuches nicht zu erteilen. Auch dies ist ein entsprechender Schutz von Whistleblowern. Wir knüpfen diese Privilegierung an enge Voraussetzungen und einen angemessenen Ausgleich zwischen der Dienstpflicht und dem Offenbarungsinteresse an. Es geht nicht darum, dass Bedienstete des Freistaates demnächst eine Standleitung zu Redaktionen unterhalten oder bei Kaffeekränzchen munter Dienstgeheimnisse ausplaudern.

(Carsten Hütter, AfD: Danach sieht es aber aus!)

Nein, es geht um den Schutz extremer Einzelfälle, in denen es geboten ist, die Öffentlichkeit zur Abwehr schwerer Gefahren für uns alle zu informieren.

(Carsten Hütter, AfD: Wer stellt das fest?)

Zugleich stellen wir fest, dass die Beamtinnen und Beamten durch diese Offenbarungen keine Nachteile erhalten dürfen, wobei der Dienstherr die Beweislast genau dafür trägt.

Wir schaffen zudem die gesetzliche Grundlage für die Bestellung eines Vertrauensanwalts oder einer Vertrauensanwältin, an die sich Bedienstete wegen eines begründeten Verdachts einer Korruptionsstraftat wenden können. Wir nutzen dafür die Öffnungsklausel des § 37 Beamtenstatusgesetz. Alternativ oder gern auch kumulativ kann aber auch ein elektronisches System zur Kommunikation mit anonymen Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern eingerichtet werden. Ein solches System ist, nebenbei bemerkt, in vielen Behörden anderer Bundesländer Standard. Mir ist vollkommen unverständlich, warum es so etwas in Sachsen noch nicht gibt. Zu glauben, Sachsens Bedienstete wären so etwas wie Heilige, ist töricht. Deshalb braucht es bestimmte Mechanismen, auch im Freistaat Sachsen.

Nicht zuletzt nehmen wir zwei Veränderungen im Vergaberecht und in der Haushaltsordnung vor, die darauf zielen, dass sowohl in den Beteiligungen des Freistaates als auch bei Unternehmen, die von der öffentlichen Hand beauftragt werden, betriebsinterne Hinweisgebersysteme zur Aufklärung von Missständen zu errichten sind und der erforderliche Schutz von Whistleblowern vor Benachteiligungen gewährleistet wird. Für uns ist klar: Wer als Unternehmen öffentliche Gelder erhält, muss Whistleblower ebenfalls schützen.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vor wenigen Wochen von der Ermordung des Journalisten Jàn Kuciak und seiner Lebensgefährtin erfahren. Erst im vergangenen

Herbst ist die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia von einer Autobombe getötet worden. Beide Journalisten recherchierten über die Verbindung zwischen Politik, prominenten Unternehmen, organisierter Politik und Steuerhinterziehung. Vera Jourová, die EU-Kommissarin für Justiz, betonte aus Anlass dieser Verbrechen, dass Whistleblower investigativen Journalistinnen und Journalisten als wichtige Quelle dienen und damit dazu beitragen, dass die Meinungsfreiheit und die Medienfreiheit in Europa gewahrt bleiben. Der Schutz von Whistleblowern ist in anderen Staaten sicherlich eine existenzielle Frage des Schutzes von Leib und Leben und körperlicher Unversehrtheit. Sicher, in Sachsen leben wir diesbezüglich in einer anderen Situation. Aber lassen Sie uns, werte Kolleginnen und Kollegen, mutig vorangehen. Es braucht in Deutschland, ja, es braucht in Europa gute Vorbilder, die zeigen, wie es geht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sachsen kann ein solches Vorbild werden. Unser Gesetzentwurf ist ein erster Schritt dazu. Ich hoffe auf eine gute Diskussion in diesem Hause.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, diesen Gesetzesentwurf an den Innenausschuss – federführend –, an den Verfassungs- und Rechtsausschuss und den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen. Wer gibt die Zustimmung? – Gibt es Stimmen dagegen? – Stimmenthaltungen? – Auch hier kann ich Einstimmigkeit erkennen. Damit wurde der Überweisung zugestimmt.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 6

Erste Beratung des Entwurfs

Gesetz zur Einführung des Kommunalwahlrechts für dauerhaft in

Deutschland lebende Ausländerinnen und Ausländer aus Nicht-EU-Staaten

Drucksache 6/13351, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auch hier gibt es keine allgemeine Aussprache. Die Einreicherin spricht. Bitte, Frau Abg. Zais.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieses Hohe Haus hat gestern über Integration und Teilhabe in Sachsen diskutiert. Bei allem Positiven hinsichtlich der politischen Teilhabe wurden wenige Fortschritte erreicht – ein Umstand, den der Dachverband der sächsischen Migrantenorganisationen in dieser Woche deutlich kritisiert hat. Nach wie vor ist die Situation in Sachsen so, dass ein nicht geringer Teil der Bevölkerung von der politischen Repräsentation ausgeschlossen ist und, wenn es nach dem Willen von CDU und AfD geht, auch weiterhin in Sachsen ausgeschlossen bleiben soll.

Wir reden über die Gruppe der dauerhaft in Sachsen lebenden Drittstaatsangehörigen, die anders als Unionsbürgerinnen und -bürger bei der Kommunalwahl nicht ihre Stimme abgeben oder sich zur Wahl stellen dürfen. Damit bleibt ihnen das wichtigste demokratische Mittel für die direkte Mitgestaltung des Zusammenlebens in den Gemeinden vorenthalten. Wer aber schon seit vielen Jahren in den Städten und Gemeinden Sachsens lebt, arbeitet, Steuern zahlt, Familien gründet und damit zum Gemeinwesen beiträgt, soll auch das Recht haben, mitzuentscheiden. Es passt nicht zu einer lebendigen Demokratie, einerseits Integrationsbemühungen einzufordern und andererseits politische Teilhabe zu verweigern. Wer a) – Integration – sagt, muss auch b) – politische Teilhabe – sagen.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir im Freistaat Sachsen die Rechtsgrundlagen für die aktive und passive Teilnahme von dauerhaft im Freistaat Sachsen lebenden Nicht-EU-Ausländerinnen und -Ausländern an den Kommunalwahlen schaffen. Dabei vertreten wir die Rechtsauffassung, dass die Einführung des Kommunalwahlrechts für Nicht-EU-Ausländerinnen und -Ausländer ohne vorherige Änderung von Artikel 28 Abs. 1 Grundgesetz zulässig ist und folgen damit dem dem Urteil des Staatsgerichtshofes der Freien Hansestadt Bremen vom 31. Januar 2014 beigefügten Sondervotum der Richterin am Staatsgericht, Prof. Dr. Ute Sacksofsky.

Dauerhaft in Sachsen lebenden Ausländerinnen und Ausländern das aktive und passive Wahlrecht einzuräumen ist demokratisch geboten und integrationspolitisch absolut notwendig, wie der Sachverständigenrat der Deutschen Stiftung Migration und Integration feststellt. Wir möchten, dass diese unter uns lebenden Menschen auch mitentscheiden können, wo die neue Schule, wo die neue Kita öffnet, welcher Gehweg saniert und wo ein neuer Park angelegt werden soll; denn auch sie sind, genauso wie wir alle hier im Saal, von diesen direkten Entscheidungen der Kommunalparlamente betroffen.

In mehr als der Hälfte der 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist das Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige gängige Praxis. Die Einführung erfolgte in Schweden 1975. Dänemark folgte 1981, die Niederlande 1985 und Finnland 1991. 1992 verabschiedete der Europarat das „Übereinkommen über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben“.

Deutschland hat aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken dieses Übereinkommen noch nicht ratifiziert. Auch der Europarat hat im Jahr 2001 in einer Empfehlung dazu aufgerufen, allen Ausländerinnen und Ausländern mit legalem Aufenthaltsstatus dieses Recht auf kommunaler Ebene einzuräumen.

Auch in Deutschland gab es übrigens bereits seit Anfang der 1980-er Jahre bis hinein in die jüngste Vergangenheit Debatten über mehr Bürgerrechte für ausländische Einwohnerinnen und Einwohner. Am 14. Februar 1989 führte der Landtag in Schleswig-Holstein das Kommunalwahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer ein. Zur gleichen Zeit brachte der Stadtstaat Hamburg eine ähnliche Gesetzesinitiative auf den Weg.

Schließlich war es das Bundesverfassungsgericht, das diesen Vorhaben einen Riegel vorschob, indem es die Ausweitung des Wahlrechts für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar hielt. Trotzdem wird seither diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes kontrovers diskutiert. So wies Felix Hanschmann vom Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg in einer Stellungnahme für die Anhörung des Innenausschusses im Bundestag darauf hin, dass die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts durch eine Änderung des Grundgesetzes verfassungsrechtlich zulässig sei. Ich zitiere: „Insbesondere die Einführung des aktiven und passiven Kommunalwahlrechts für Unionsbürger und das aktive und passive Wahlrecht bei Wahlen zum Europaparlament haben den vom Bundesverfassungsgericht behaupteten Zusammenhang von Volkssouveränität, Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft widerlegt.“ – So der Sachverständige.

Trotz der Urteile des Bundesverfassungsgerichts rangen progressive Vertreterinnen und Vertreter in den Parlamenten – DIE LINKE, die GRÜNEN, die Piraten, auch die SPD – immer wieder um dieses Recht. Aber nicht nur die politischen Parteien waren es, sondern auch die deutschen Migrantenorganisationen, Städte, Gemeinden und Gewerkschaften machten sich für dieses Recht stark.

Es ist an der Zeit, auch hier in Sachsen die Debatte neu zu führen; denn wer Ja sagt, muss auch Ja zur politischen Teilhabe sagen. Welche konkreten Regelungen treffen wir in den einzelnen Artikeln unseres Gesetzentwurfs?

Im Artikel 1 nehmen wir eine klarstellende Regelung des Artikels 86 der Sächsischen Verfassung vor, die ausdrücklich vorsieht, dass neben deutschen Staatsangehörigen und Unionsbürgerinnen und -bürgern auch Angehörige

anderer Staaten vom Gesetzgeber zu Bürgerinnen und Bürgern erklärt werden können. Konsequent folgen dann in Artikel 2 und 3 unseres Gesetzentwurfs zum einen die Änderung der Sächsischen Gemeindeordnung und zum anderen die Änderung der Sächsischen Landkreisordnung mit der ergänzenden Passage zur Bestimmung des Begriffs. Bürger der Gemeinde bzw. Bürger des Landkreises ist jeder Deutsche im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes, jeder Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, auch jeder Ausländer, der im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltsrechts ist. Logischerweise schlussfolgern danach im Artikel 4 unseres Gesetzentwurfs die daraus resultierenden Änderungen des Kommunalwahlrechts.

Gestatten Sie mir noch eine abschließende Bemerkung zum Punkt „Unbefristeter Aufenthaltstitel“. Ja, auch wir GRÜNE sind der Auffassung, die Anknüpfung des Kommunalwahlrechts an einen unbefristeten Aufenthaltstitel, an ein unbefristetes Aufenthaltsrecht zu binden. Es ist für uns aus integrationspolitischen Erwägungen naheliegend. Damit sollen – so unsere Intention – regelmäßig ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung sichergestellt werden.

(André Barth, AfD: Dann gibt es irgendwann mal ein Wahlrecht in Land und Bund!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch in Bezug auf dieses Gesetz freuen wir uns über eine sachliche und fundierte Diskussion zu den Anhörungen und in den entsprechenden Ausschüssen. Machen wir uns auf den Weg.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf des soeben eingebrachten Gesetzes an den Innenausschuss federführend, an den Ausschuss für Soziales und Verbraucherschutz, Gleichstellung und Integration und an den Verfassungs- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer gibt die Zustimmung? – Die Gegenstimmen, bitte? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Ich sehe einige Stimmenthaltungen. Dennoch ist die Überweisung mit Mehrheit beschlossen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 7

Situation der Beschäftigten in der Kinder- und Jugendhilfe

im Freistaat Sachsen

Drucksache 6/9211, Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE,

und die Antwort der Staatsregierung

Als Einbringer spricht zuerst die Fraktion DIE LINKE. Danach folgen CDU, SPD, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Frau Abg. Pfau, Sie haben das Wort.