Protocol of the Session on May 17, 2017

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über das Ausreisegewahrsamsvollzugsgesetz und als AfDFraktion – ich mache es „unspannend“ – werden wir uns bei diesem enthalten.

Wenn im jetzigen Tempo weiter abgeschoben wird, dann dauert die Abschiebung all derer, die heute in Sachsen bereits ausreisepflichtig sind, circa drei Jahre. Durch das Anwachsen der Ablehnungen in der nächsten Zeit müssen wir aber mindestens mit einer Verdopplung rechnen, und das heißt, wir wären schon im Jahr 2023, bis alle das Land verlassen haben – vorausgesetzt, es kommt kein neuer Asylbewerber dazu.

Nun reden wir über das Gesetz. Auf der einen Seite brauchen wir dieses Gesetz. Ich habe es soeben dargestellt. Es lohnt sich, einen Blick auf die Zahlen zu werfen. Wir waren – Frau Nagel hat es schon angesprochen – letzte Woche auf Ausschussreise in Italien, und wir haben nicht nur den liebenswerten Bürgermeister von Palermo kennengelernt, der in der Frage leider etwas unrealistisch ist, sondern wir haben natürlich auch mit anderen offiziel

len Vertretern gesprochen. Dabei haben wir festgestellt, dass sich schon 200 000 Menschen in Italien illegal aufhalten, und sie sind im Zweifel schon vor unserer Tür. Auch wenn wir in Deutschland jetzt meinen, dass die Asylbewerberzahlen sinken, können wir davon ausgehen, dass die Zahlen in Zukunft steigen werden, und das spätestens nach der Bundestagswahl. Auch das haben wir in Italien lernen dürfen. Bis jetzt nimmt man noch Rücksicht, aber diese wird uns nicht ewig zuteil werden.

(Juliane Nagel, DIE LINKE: Weil es kein europäisches Verteilverfahren gibt!)

Schon jetzt sind 50 % der Personen nicht mit einem Aufenthaltsgrund, mit einem wirklich legitimierten Schutzgrund versehen, sondern sie sind illegale Einwanderer. 99 % der Personen haben keinen Pass.

Auf der anderen Seite ist dieses Gesetz – obwohl wir es brauchen – teilweise schlecht erdacht und teilweise schlecht gemacht. Allein mit dem § 62 a und b des Aufenthaltgesetzes sind schon viele Dinge geregelt, die wir jetzt auf die Landesebene herunterbrechen, um das Gesetz anwenden zu können. Sie wollen in Sachsen als Regierung und Koalition für Klarheit sorgen und regeln alles Mögliche. Sie regeln in dem Gesetz zum Beispiel die Einbindung der Asyl- und Migrationslobby in die Anstaltsbeiräte. Hinzu kommt Folgendes: Ihr Gesetz wird durch die Pauschalverweisung zum totalen Flickwerk.

Ich darf Ihnen einmal die vier größten Unsinnigkeiten vorstellen, auf die Sie mit diesem Gesetzentwurf verweisen: Wir haben hier 21 Tage Hafturlaub, auf die verwiesen wird.

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

Es wird auf den dreimal jährlich angemessenen Paketempfang verwiesen. Wir haben den Verweis auf die Krankenbehandlung während des Hafturlaubs,

(Interne Gespräche zwischen den Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE, und Albrecht Pallas, SPD)

und wir haben den Verweis auf die Erstellung eines Vollzugsplans, den wir üblicherweise nur bei Strafgefangenen brauchen.

Meine Damen und Herren, das klingt vielleicht auf den ersten Blick sehr sinnvoll, aber doch nicht, wenn wir über vier Tage Ausreisegewahrsam sprechen. Entschuldigung! Das kann jeder Azubi besser, und insofern ist es traurig, dass wir heute im Parlament darüber in ungeänderter Form reden müssen.

Werfen wir als Nächstes noch einen Blick auf die Bundesebene, denn von dort haben wir das Gesetz für Sachsen ja im Grunde heruntergebrochen. Die Abschiebehaft und der Ausreisegewahrsam sind insgesamt sehr unübersichtlich geregelt. In den §§ 62 a und 62 b des Aufenthaltsgesetzes haben wir die Möglichkeit von vier Tagen Ausreisegewahrsam oder sechs Wochen Sicherungshaft oder bis zu 18 Monaten Vorbereitungshaft. Das ist insge

samt unpraktisch. Es kann schlecht angewendet werden und muss zwingend vereinfacht werden.

(Interne Gespräche zwischen Klaus Bartl, DIE LINKE, und Albrecht Pallas, SPD)

Im Grunde steht die Forderung, wer seiner Ausreisepflicht in Deutschland nicht nachkommt, muss inhaftiert werden. Das wäre einfach und damit kann man arbeiten.

Vier Tage Ausreisegewahrsam reichen im Übrigen auch nicht aus. Lassen Sie mal etwas dazwischenkommen – auch das haben wir in der Anhörung gehört –: Ein Flug fällt aus, es wird jemand krank oder irgendwelche Papiere treffen nicht rechtzeitig ein. Es ist dann unmöglich, binnen vier Tagen diese Dinge nachzuholen. Das heißt, wir bräuchten einen Ausreisegewahrsam, der zehn Tage, 14 Tage oder – wie in Italien – bis zu 30 Tage dauert. Dann haben wir alle Eventualitäten abgedeckt.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, es gibt Pro und Kontra, was dieses Gesetz angeht, und wir werden uns, wie gesagt, enthalten. Die schlechte handwerkliche Qualität macht es uns leider unmöglich, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.

Lassen Sie mich abschließend noch zwei Dinge sagen: Wenn, wie es in den Medien von einem Sprecher des Innenministeriums kolportiert worden ist, ernsthaft überlegt wird, die Wachpolizei im Ausreisegewahrsam einzusetzen, dann können Sie davon ausgehen, dass wir uns das nicht gefallen lassen. Wir werden bei einem so rechtswidrigen Einsatz Widerstand leisten; das gibt das Gesetz nicht her.

Zum Zweiten verstehe ich nicht: Wenn es Ihnen so wichtig ist, Gesetze und die Ausreisepflicht durchzusetzen, warum hatten wir im Jahr 2016 keinen einzigen Nafri in der Abschiebehaftanstalt Eisenhüttenstadt, wo wir auch Plätze haben, und warum haben Sie nicht versucht, die Verträge mit Brandenburg so zu ändern, dass wir sie als Ausreisegewahrsamseinrichtung schon jetzt nutzen

können? Es ist ganz einfach – die Begründung liegt auf der Hand: Recht und innere Sicherheit liegen ihnen nicht wirklich am Herzen, sondern es sind einfach nur hohle Phrasen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Albrecht Pallas, SPD)

Für die Fraktion GRÜNE Frau Abg. Zais, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst sei mir ein Wort zur Rede des Kollegen Pallas gestattet, der am Anfang seiner Ausführungen darauf verwiesen hat, dass bei diesem Gesetzentwurf der Staatsregierung Recht und Moral wohl am Ende nicht zusammenfinden werden. Wir als GRÜNE sind der Auffassung, dass es schon gut wäre, wenn das Recht auch eine moralische Grundlage hätte.

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN – Zuruf des Abg. Albrecht Pallas, SPD)

Dass wir als GRÜNE den Gesetzentwurf zum Ausreisegewahrsamsvollzug ablehnen, haben wir mit unserem Antrag beim letzten Plenum deutlich gemacht. Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam machen krank. Sie sind rechtlich und moralisch – das ist meine tiefste Überzeugung – fraglich. Deshalb stehen wir dafür, dass statt Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft Alternativen zur Inhaftnahme gestärkt werden.

Herr Hartmann hat in seiner Rede darauf hingewiesen, davon auszugehen, dass in Sachsen diese milderen Mittel immer geprüft werden. In der Stellungnahme der Staatsregierung zu unserem Antrag vom letzten Plenum hat allerdings der Minister darauf verwiesen: Es sei nicht möglich, ohne dass die Arbeit der Staatsregierung eminent gefährdet wird, für die zwölf Fälle von Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam in den Jahren 2015 und 2016 nachzuweisen, welche milderen Mittel angewandt wurden. Es ist schon erstaunlich, dass das nicht einmal für die zwölf Fälle hätte möglich sein können.

Unsere Ablehnung aus tiefster Überzeugung beruht im Grunde auf zwei Argumentationslinien, die teilweise schon genannt worden sind. Ich möchte sie noch einmal darlegen: Zunächst bezieht sich unsere Ablehnung natürlich auf die bundesrechtliche Grundlage in Form des § 62 b Aufenthaltsgesetz. Hier teilen wir – das haben wir mehrmals deutlich gesagt – die Auffassung des Jesuiten- Flüchtlingsdienstes, dass dieser Paragraf gegen Europa- und Bundesrecht verstößt. Alle bisher vorgebrachten Argumente für das Gesetz – das haben wir in der heutigen Debatte auch von Kollegen Pallas gehört – beziehen sich letztlich im Kern darauf, Erleichterungen bei der Durchsetzung der Abschiebung zu schaffen. Damit steht die Zulässigkeit einer solchen Haftform infrage; denn der Eingriff in die Freiheit als persönliches Rechtsgut ist nicht mit dem reibungslosen Ablauf von Verwaltungsvorgängen zu rechtfertigen, und nichts anderes sind Abschiebungen.

Dann, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, fragen wir als GRÜNE: Warum verfolgt die Koalition in Sachsen diese Politik, die ja nicht zwingend vorgeschrieben ist? Wir als Sachsen müssen den Ausreisegewahrsamsvollzug nicht in Form eines Gesetzes definieren. Dazu sind wir nicht gezwungen. Warum macht man das?

Es ist meine tiefste Überzeugung, dass man diese Politik vorantreibt, um den Kritikern des Grundrechts auf Asyl – von denen wir ausreichend Vertretungen hier im Sächsischen Landtag haben –, aber nicht nur ihnen, sondern auch den Kritikern der von Deutschland unterzeichneten Konventionen, zum Beispiel der Genfer Flüchtlingskonvention, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Hier wird Politik für die Straße gemacht, und zwar für die Straße der am lautesten Schreienden.

Dieses Ausreisegewahrsamsgesetz soll zudem – darin schließe ich mich der Meinung des Sächsischen Flüchtlingsrates an – abschrecken und verhindern, dass Men

schen den Weg nach Deutschland und damit nach Sachsen finden. Die EU-Rückführungsrichtlinie verlangt für die Verhängung von Abschiebungshaft – nichts anderes ist letztlich Ausreisegewahrsam – die zuvor festgestellte Fluchtgefahr. Die Kriterien für die Fluchtgefahr müssen objektiv und in einem Gesetz definiert sein. Das ist im § 62 b Aufenthaltgesetz nicht passiert. Es gibt zwar die Formulierung „wenn der Ausländer ein Verhalten gezeigt hat, dass er die Abschiebung erschweren oder vereiteln wird“, aber diese Formulierung, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist schwammig und kann keine Rechtsnorm begründen.

Zudem ist § 62 b Aufenthaltsgesetz verfassungsrechtlich bedenklich. Es bestehen tatsächlich Zweifel an der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere ist der effektive Rechtsschutz der Menschen, die in Gewahrsam genommen werden, gefährdet. Auf die Vier-Tage-Regel hat Frau Kollegin Nagel bereits hingewiesen. Zur komplizierten Rechtsmaterie insgesamt habe ich mich bereits zum Plenum im April geäußert.

Der Ausreisegewahrsam – so der Bundesgesetzgeber – soll darüber hinaus nicht in normalen Abschiebungshafteinrichtungen, sondern im Transitbereich von Flughäfen oder in einer Unterkunft vollzogen werden, von der aus die Ausreise möglich ist. Beides trifft für den gewählten Standort – bis jetzt ist er im Detail nicht wirklich bekannt – hier in Dresden nicht zu.

(Sebastian Wippel, AfD: Gibt es Taxis?)

Außerdem – auch auf dieses Thema wurde bereits hingewiesen – sind die Verweise auf das Strafvollzugsgesetz unsinnig. So, wie Sie das im Gesetz formuliert haben, sollen sich die Normadressaten – hier die Bediensteten – auf der einen Seite und jene, die in Gewahrsam genommen wurden, auf der anderen Seite selbst aussuchen, welche Norm letztendlich anwendbar ist und welche nicht. Das kann nach unserer Auffassung absolut nicht sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Das Gesetz ist abzulehnen. Abschließend sage ich Ihnen: Dass ein so schludriges Gesetz hier vorgelegt wurde, kann auch nicht dadurch wettgemacht werden, dass man sich von vornherein auf die geringe Halbwertszeit dieses Gesetzes beruft. Es geht hier um Menschen und nicht um Sachen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN den LINKEN – Albrecht Pallas, SPD: Deshalb haben wir einen Antrag gestellt!)

Für die CDUFraktion Herr Abg. Hartmann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Zais, die von Ihnen vorgetragene Schludrigkeit können wir an dem Gesetzentwurf nicht erkennen, auch wenn er in der Tat – das ist sowohl von Herrn Pallas als auch von Frau

Nagel gesagt worden – sehr viel mit Verweisen auf die entsprechenden bundesrechtlichen Regelungen arbeitet. Es macht diesen Gesetzentwurf auf keinen Fall schludrig, auch wenn Sie ihn nicht mögen. Das sei Ihnen anheimgestellt.

Wir sehen auch keine Rechtswidrigkeit, auch wenn Sie das nicht mögen. Ich sage Ihnen noch eines: Ein Staat muss willens und in der Lage sein, die Regeln und Gesetze in seinem Land umzusetzen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Herr Wippel, das war in der Tat eine politische Debatte und kein Mathekurs. Zu Ihren Mäkeleien, die Sie vorgetragen haben, ist zu sagen: In der politischen Debatte und in der Ausschussarbeit mangelte es an konstruktiven Vorschlägen seitens Ihrer Fraktion, welche konkreten Regelungen Sie einbringen wollen.

(Petra Zais, GRÜNE, steht am Mikrofon. – Sebastian Wippel, AfD: Wir sind nicht für Ihre Nachhilfe zuständig!)

Es gibt eine Zwischenfrage, Herr Hartmann.

Ich möchte den Gedanken zu Ende bringen. – Für eine Nachhilfe hätte es auch nicht getaugt, aber es hätte Ihnen vielleicht erspart, sich hier hinzustellen und filibusternderweise – übrigens macht man das eher in amerikanischen Parlamenten als hier, und Gott sei Dank ist die Redezeit beschränkt – vorzugehen. Sie machen ein Filibuster zu Regelungen des § 62 b und nehmen Beispiele, die in Bezug auf die heutige Debatte nur schwerlich greifen. Aber es sei Ihnen legitim gestellt, dass Sie eine bundespolitische Debatte hier hineintragen.

Auf einen Punkt erlaube ich mir noch hinzuweisen: Die Personenbewachung ist nach Wachpolizeigesetz eine Aufgabe der Wachpolizei. Aber darüber können wir an anderer Stelle reden.