Protocol of the Session on March 15, 2017

Die tatsächlich Benachteiligungslinien – darauf hat Frau Kliese zu Recht verwiesen – verlaufen heute nicht zwischen Ost und West, sondern sie verlaufen zwischen arm und reich, sie verlaufen zwischen Mann und Frau, sie verlaufen zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund –

Bitte zum Ende kommen!

– und sie verlaufen zwischen Beschäftigten in atypischen und prekären Arbeitsverhältnissen und den in guter Arbeit Beschäftigten.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Linksfraktion hat noch einmal um das Wort gebeten. Herr Brünler, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine Tatsache, dass die Regularien auf Bundesebene in vielen Punkten nicht zu 100 % auf die ostdeutschen Verhältnisse passen. Das Rentensystem wurde hierzu schon genannt. Frau Kollegin Zais hatte es gerade etwas ausführlicher dargestellt, wobei ich hinzufügen möchte: An der Aushöhlung der gesetzlichen Rente war beileibe nicht nur die CDU beteiligt, sondern damals war auch Ihre Partei in der Bundesregierung mit vertreten.

Das Rentensystem, das darauf zugeschnitten ist, dass als dritte Vorsorgesäule eine Betriebsrente vorhanden sein soll: Wenn man sich die ostdeutschen Realitäten anschaut, stellt man fest, dass der Spalt wiederum zwischen Ost und West verläuft. Das gibt es im Osten nirgends.

Dass die Sache so aussieht, wie sie aussieht, dazu muss man sich nichts vormachen. Das hat etwas mit den Mehrheiten im Bund zu tun. Nordrhein-Westfalen und Bayern, die zwei stärksten westdeutschen Bundesländer, sind nun zusammengenommen doppelt so groß und in der aktuellen Debatte doppelt so stark wie der gesamte Osten.

Wir haben im letzten Plenum über Energiefragen gesprochen. Wir sprechen auch morgen noch einmal darüber. Das ist ein schönes Beispiel dafür, bei dem meinungsstarke Westländer letztlich versuchen, ihre Interessen gegenüber dem Osten durchzusetzen.

Bei diesem Wirtschaftsbezug haben wir einen schönen Übergang zu einem anderen Bereich. Sie gestatten mir bitte, dass ich zwei Sätze wörtlich vorlese. Ich möchte unseren Ministerpräsidenten, Herrn Tillich, zitieren, was er vor rund vier Wochen in der „FAZ“ gesagt hat.

„Wir haben leider häufiger die Lage, dass große Unternehmen, die hier investiert haben, sich einfach wieder zurückziehen...“ und er „... erlebe immer wieder, dass sächsische Standorte trotz längerer Arbeitszeiten und geringerer Löhne aufgegeben werden, um Standorte im Westen zu schonen.“ Schlimmer noch: Er, der Ministerpräsident, „... kenne Beispiele, wo Unternehmen...“ „mit Verweis auf ihre ostdeutsche Herkunft aufgefordert wurden, ihre Angebote um bis zu 20 % billiger zu machen. Und“– so der Herr Ministerpräsident weiter – „das sind leider keine Einzelfälle.“

Gute Erkenntnis, sage ich da nur. Was lernen wir daraus? Die Niedriglohnstrategie, so wie sie zumindest von der

Vorgängerregierung der jetzigen Staatsregierung, immer wieder propagiert und gefahren wurde – –

(Alexander Krauß, CDU: Niedriglohnstrategie – das ist völliger Unsinn! Das ist Quatsch! Es gab keine Niedriglohnstrategie!)

Ich kann mich noch deutlich daran erinnern, dass die Staatsregierung in der letzten Legislaturperiode damit geworben hat, dass wir billigere Löhne im Osten haben. Das können Sie nicht wegdiskutieren.

(Alexander Krauß, CDU: Das ist doch Quatsch!)

Wir sehen auf der einen Seite: Es nützt sozial nichts, denn die Zahl der Aufstocker ist im Osten höher. Wir haben im Osten eine deutlich höhere Zahl an Menschen, die, wenn sie Renten beziehen, eine Rente auf Mindeststandard haben. Wir sehen auf der anderen Seite, dass es wirtschaftspolitisch keine positiven Effekte hat. Im Gegenteil: Man läuft Gefahr, dass man den Ruf eines Billiglohnlandes hat. Das sehen wir ja hier. Das sagt Ihr Ministerpräsident selbst. Wir sind letztendlich in vielen Bereichen die verlängerte Werkbank großer Unternehmen, für die die Standorte im Osten beliebig austauschbar und ohne jegliche strategische Bedeutung sind.

Ich nenne nur „Neoplan“ in Plauen oder die Diskussion um die Zukunft von „Linde“ in Dresden bzw. von Bombardier in der Lausitz. Bombardier in der Lausitz ist ein schönes Beispiel dafür, um über die Frage zu diskutieren: Wie sieht es denn in Sachsen mit einer aktiven Standort- und Wirtschaftspolitik aus? Damit meine ich nicht das Lohnargument, sondern ich meine etwas anderes.

Wer von Ihnen weiß denn, wie sich in den letzten Jahren der Anteil von Bombardier-Zügen auf sächsischen Schienen entwickelt hat? Und ich füge noch eine Frage hinzu, wenn Sie das wissen: Warum hat er sich so entwickelt, wie er sich entwickelt hat? Oder anders formuliert: Immer, wenn in Sachsen eine Linie im Schienenverkehr an einen privaten Konkurrenten der DB gegangen ist, ist in Sachsen ein Bombardier-Zug von der Schiene verschwunden.

Die Frage lautet: Hat sich hier der Bessere mit seinem Angebot durchgesetzt? Nein, in der Regel hat sich nicht der Bessere durchgesetzt, sondern in der Regel hat sich der Billigste durchgesetzt. Und warum ist das so? Auch dabei beißt sich die Katze wieder ein Stück weit in den Schwanz. Wir haben heute Morgen über Mobilität gesprochen. Wenn die Finanzausstattung im öffentlichen Personenverkehr so ist, dass die Verkehrsverbünde angehalten sind, auf Biegen und Brechen Kosten zu reduzieren, und vor der Wahl stehen, entweder eine Strecke ganz abzubestellen oder in ihren Ausschreibekriterien die Maßstäbe an das rollende Material und die Tarif- und Verdienstbedingungen so weit herunterzuschrauben, dass es dann eben jemand anderes bekommt, dann haben wir auf der einen Seite geringere Löhne für die Beschäftigten bei der Bahn und auf der anderen Seite ein deutlich negatives Signal an ein hier in Sachsen verortetes Industrieunternehmen.

Damit sind wir wieder genau bei dem Titel unserer Debatte. In der Folge haben wir hier einen dauerhaften Lohnabstand zu Westdeutschland, und dieser ist in den letzten Jahren keineswegs geringer geworden.

Bitte zum Ende kommen.

Wir haben eine Kinderarmut von 17 %, und wir haben hier in der Tat auch ein wachsendes Problem mit Altersarmut, welches deutlich höher ist als in den Bundesländern westlich von uns.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die CDU Herr Abg. Krauß, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will noch ein paar Punkte klarstellen. Der Ministerpräsident hat aus meiner Sicht richtigerweise kritisiert, dass wir kaum große Konzerne bei uns haben. Wir haben gar keinen DAXKonzern, der seinen Sitz hier hat. Wenn Standortentscheidungen getroffen werden, dann ist es häufig so, dass der Unternehmer, der Geschäftsführer, der Vorstand – dort, wo er sitzt – wahrscheinlich nicht so sehr an den Osten, sondern mehr an seine eigene Heimat denkt. Das hat er beklagt.

Es ist noch einmal ein Unterschied, ob man etwas beklagt oder gutheißt. Sie unterstellen dem Ministerpräsidenten, dass er das gutgeheißen hat – nach dem Motto, das wäre ja seine Niedriglohnstrategie. Der Ministerpräsident hat beklagt, dass es so ist. Er hat beklagt, dass wir nur eine verlängerte Werkbank des Westens sind. Deswegen müssen wir schauen: Wie schaffen wir es, dass die Unternehmen, die wir hier haben, wachsen?

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Er hat dafür zu sorgen, dass es so ist!)

Entschuldigung, nein. Sie haben dafür gesorgt, dass diese Wirtschaft, die es im Osten mal gab, zusammengebrochen ist, durch Ihre sozialistische Wirtschaft.

(Zurufe der Abg. Klaus Bartl und Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Das ist doch der Grund, dass alles niedergewirtschaftet war und hier keine Wirtschaftsstandorte da waren. Das ist der Grund.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von den LINKEN)

Jetzt geht es darum, dass wir es schaffen, dass bei den Unternehmen des Mittelstandes, die sich seit 25 Jahren gut entwickelt haben, ein Größenwachstum stattfindet.

(Zurufe von den LINKEN – Christian Piwarz, CDU: Getroffene Hunde bellen!)

Dem Unternehmer, der hier 200 Arbeitsplätze hat, kann es gelingen, dass er auch 300, 400 oder 500 Arbeitsplätze

aufbaut. Wenn wir das schaffen, dann haben wir eine gute, gesunde Wirtschaftsstruktur, wodurch die Unternehmen eher in der Lage sind, ein höheres Gehalt zu zahlen.

Noch einmal zum Thema Rente. Auch das bewegt uns in Ost und West. Ich bin unserem Ministerpräsidenten, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und auch der thüringischen Landesregierung dankbar, dass sie das Thema der Aufwertung für die Arbeitnehmer angesprochen haben und sagen: Es kann ja nicht nur sein, dass man in Ost und West die Rente gleichmacht und dies dazu führt, dass die Arbeitnehmer, die derzeit eine Aufwertung ihrer Rentenanwartschaft erfahren, die Gebissenen sind und leer ausgehen.

Derzeit ist ja so: Wenn ein Arbeitnehmer im Westen für 3 000 Euro in die Rentenversicherung einzahlt und wenn ein Arbeitnehmer im Osten für 3 000 Euro in die Rentenversicherung einzahlt, dann ist die Rente, die man später bekommt – also die Rentenanwartschaft in diesem Fall – um 12 % höher als im Westen. Das hängt damit zusammen, dass die Löhne bei uns niedriger sind, und deswegen hat man gesagt, man muss dort eine Aufwertung hineinbringen. Das ist derzeit der Fall. Machen wir es an einem Beispiel: Wenn jemand im Osten 3 000 Euro brutto verdient, dann bekommt er die gleiche Rentenanwartschaft wie jemand, der im Westen für 3 500 Euro arbeitet. Das ist richtig so, da die Löhne im Regelfall im Osten niedriger sind.

Ich finde es gut, dass die Staatsregierung gesagt hat: Wir wollen dafür kämpfen, dass dieser Aufwertungsfaktor bleibt und dass er bis 2024 nicht einfach wegfällt. Wir wollen verhindern, dass es verstärkt zu Altersarmut kommt. Die Aussage, dass sie in Ostdeutschland größer ist, ist übrigens falsch.

Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Rente sagen. Die starke Säule bei der Rentenversicherung ist die gesetzliche Rente, und sie sollte es auch bleiben. Daneben gibt es zwei weitere Säulen. Das sind zum einen die Betriebsrenten. Es ist auch nicht so, dass man sagen kann, die gebe es im Osten nicht. In Deutschland gibt es insgesamt 20,4 Millionen Anwartschaften auf Betriebsrente. Das ist je nach Branche und Größe der Unternehmen unterschiedlich; das ist klar. Wir haben es eher bei den großen Unternehmen. Wir haben es im öffentlichen Dienst durchgängig. Wir haben es in manchen Branchen durchgängig, wenn wir uns zum Beispiel die Banken und Sparkassen ansehen, wo dies selbstverständlich ist. Wir haben die chemische Industrie, wo es weit verbreitet ist. Es ist gut, wenn Betriebsrenten abgeschlossen werden. Unsere Strategie als CDU ist es, Unternehmen anzuregen, diese Betriebsrenten auszubauen, und wir werden auf Bundesebene weiter forcieren, dass die Betriebe steuerlich begünstigt werden, wenn sie es machen.

Die dritte Säule ist die private Vorsorge, was jeder selbst tun kann. Wenn Sie sich anschauen, dass wir mittlerweile 16,5 Millionen Riesterverträge haben, dann ist das eine ganze Menge.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Es ist auch richtig, dass man das macht.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das ist doch lächerlich!)

Keine Frage, die Verzinsung ist niedrig, aber man kann nirgendwo sein Geld durch den Zuschuss des Staates so günstig anlegen wie bei der Riesterrente. Man kann jedem nur empfehlen: Schließen Sie diesen Riestervertrag ab!

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ja, ja!)

Allein durch den staatlichen Zuschuss bekommen Sie nirgendwo solch eine hohe Verzinsung wie in diesem Bereich.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das ist doch Unsinn! – Weitere Zurufe von den LINKEN)

Nirgendwo gibt es eine so hohe Verzinsung durch den staatlichen Zuschuss wie bei dieser Riester-Rente. Es ist dreimal besser, als wenn Sie das Geld aufs Konto legen oder in Aktien anlegen. Legen Sie es lieber in diesem Bereich an!