Protocol of the Session on August 31, 2016

Punkt 2: Das Bundesverkehrsministerium hat gerade eine Änderung der StVO vorgelegt. Darin geht es aber gerade um streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkungen, eben nicht um Zonen und nicht um die ganze Stadt. „Streckenbezogen“ meint eben eine bestimmte begrenzte Strecke, und darauf kann man sich dann am Ende sicherlich einigen, wenn es hinsichtlich der Strecken vor den entsprechenden Institutionen und Einrichtungen, die gerade erwähnt wurden, zur Sache geht.

Das sieht sicherlich der Bundesrat ebenso. Das habe ich mir übrigens einmal angeschaut: Rot-Grün, Rot-Rot und Rot-Rot-Grün haben 34 Stimmen. Schwarz-Grün, GrünSchwarz und die Jamaika-Koalition haben 15 Stimmen. Schwarz-Rot und Rot-Schwarz haben 14 Stimmen. Es kommen noch die sechs glücksseligen CSU-Alleinregierungsstimmen. Das macht also 20 bei Schwarz-Rot bzw. schwarzen Stimmen. Was machen Ihre grünen Kollegen aus den anderen Bundesländern, die in den Landesregierungen sitzen? Warum hört man von ihnen im Bundesrat zu diesen Themen nichts? Die Not kann in meinen Augen nicht so groß sein.

Ich komme zu Punkt 3: Das EP möchte bis zum Jahr 2020 Tempo 30 als europaweite innerstädtische Höchstgeschwindigkeit einführen. Was sich das Europäische Parlament dabei gedacht hat, bleibt in meinen Augen ein Geheimnis.

(Zuruf der Abg. Katja Meier, GRÜNE)

Was Tempo 30 bedeutet, werden wir gleich besprechen. Vor dem Hintergrund dieser Daten verstehe ich das aber nicht.

Die EU beschäftigt sich mit allerlei Absurditäten. Man denke an den Krümmungsgrad von Gurken oder den Durchmesser von Äpfeln, das Fassungsvermögen von Kondomen oder auch die Seilbahnrichtlinie, die ebenso für Meck-Pomm und Berlin gilt, obwohl es dort keine Seilbahnen gibt. Meine Lieblingsabsurdität betrifft die Verordnung über Umsturzvorrichtungen an land- und forstwirtschaftlichen Schmalspurzugmaschinen auf

Rädern. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist bisweilen montags auf dem Theaterplatz und hier im Hohen Hause auf dieser Seite zu sehen. Möchtet Ihr das ernsthaft unterstützen und dem Vorschub leisten? Das ist nicht sinnvoll.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Flächendeckende Tempo-30-Kommunen möchte ich

übrigens gern selbst einmal sehen. Selbst Bremen, seit

gefühlten 300 Jahren Rot-Grün regiert, hat festgestellt, dass es keinen Sinn macht, flächendeckend Tempo 30 einzuführen, weil die Nachteile überwiegen.

(Zurufe des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Nun kommen wir zu Punkt II, nämlich zu den Inhalten. Was würde eigentlich passieren, wenn wir flächendeckend Tempo 30 einführen? Zunächst einmal müssten wir bei den Autofahrern Akzeptanz erreichen. In den Wohngebieten ist das heute schon der Fall. Das hatte ich erwähnt. In diesem Punkt gibt es keinen Dissens.

Es gibt jedoch bestimmte Bedingungen: In Tempo 30Zonen gilt in der Regel rechts vor links. Die Straßen sind gleichrangig. Nicht selten wurden sie baulich so verändert, dass man gar nicht schneller fahren kann, ohne das Auto zu schrotten. Das alles müssten Sie auch mit den Hauptstraßen machen. Unsummen an Kosten kämen auf die Kommunen zu und damit am Ende auf den Landeshaushalt, weil Sie möchten, dass wir das alles aus dem Budget des Freistaates Sachsen bezahlen. Sie fordern das. Sie möchten die Förderrichtlinien entsprechend ändern. Wer das bezahlen soll oder woher das Geld am Ende herkommt, sagen Sie nicht. Die Folgen solchen Tuns erwähnen Sie ebenfalls nicht.

Wir haben nicht aus Versehen ein gut austariertes Netz an Haupt- und Nebenstraßen. Die Hauptstraßen sorgen für einen flüssigen Verkehr. In den Wohngebieten läuft es verständlicherweise langsamer. Wenn Sie nun flächendeckend Tempo 30 einführen, dann entfällt der Hauptstraßenvorteil. Sie produzieren mit dem Antrag mehr Verkehr in den Wohngebieten. Das kann niemand ernsthaft wollen. Das kann schon deswegen niemand wollen, weil Fußgänger und Radfahrer mehr gefährdet wären, die in den Wohngebieten öfters unterwegs sind.

Es kann auch niemand wollen, weil dieser Mehrverkehr höhere Abgaswerte produziert. Es gibt entsprechende Studien, die Ihnen zugänglich sind. Tempo 30 produziert gegenüber Tempo 50 mehr Abgas und einen höheren Spritverbrauch. Es wird in einem niedrigeren Gang gefahren. Deshalb gibt es höhere Drehzahlen. Entsprechende Tests haben das gezeigt, nicht nur auf der Rolle, sondern auch auf der Straße. Es wird übrigens auch mehr Feinstaub produziert, weil bei rechts vor links ständig gebremst und beschleunigt wird. Das wird nun einmal bei rechts vor links öfters gemacht. Ohne rechts vor links ist Tempo 30 kaum durchsetzbar, es sei denn, es werden umfangreiche bauliche Maßnahmen vorgenommen.

Dass die Umweltbelastung bei Tempo 30 auf den Hauptstraßen ansteigt, hat übrigens die Landesanstalt für Umweltmessung und Naturschutz Baden-Württemberg

ermittelt. Sie erinnern sich, wer dort den Ministerpräsidenten und Verkehrsminister stellt? Von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit hört man von den beiden nicht besonders viel. Das liegt vielleicht daran, dass sie Regierungsverantwortung haben und deswegen anders auf die Dinge blicken.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Ah!)

Ebenso führen Sie den Lärm an, der durch Tempo 30 geringer werden würde. Zwischen 50 und 30 sinkt der Lärm um zwei bis drei Dezibel. Das hatten Sie erwähnt. Das steht in der Studie, die im Antrag zitiert wird. Diesen Unterschied nimmt man aber nur bei konzentriertem Hören wahr. Das sagt selbst diese Studie. Einen Effekt gibt es am Ende nicht. Es wäre also völlig unangemessen, die bestehenden Lärmschutzrichtlinien an dieser Stelle in Größenordnungen anzupassen.

Für die Verkehrssicherheit erreicht man nur marginale Veränderungen. Die meisten Unfälle passieren an den Knotenpunkten und nicht auf der Strecke. An den Knotenpunkten wird jetzt schon langsamer gefahren. Die Gefahren mit dem steigenden Schleichverkehr in den Wohngebieten hatte ich erwähnt.

Die Radfahrer werden stärker gefährdet, weil der Überholvorgang länger dauert. Bei schnellen Radfahrern gerät der Automobilist auch noch in einen rechtlichen Graubereich. In § 5 StVO steht, dass man nur überholen darf, wenn man mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende fährt. Sie bremsen den Autoverkehr mit solchen Maßnahmen weiter aus und Sie erreichen wenig bis nichts in Sachen Verbrauch, Feinstaub, Lärm und Sicherheit.

Ebenso benachteiligen Sie den ÖPNV. Alle Busse und Bahnen müssten ebenfalls 30 fahren. Dafür brauchen sie mehr Fahrzeuge und Fahrer. Wer langsamer fährt, braucht für einen Umlauf länger. Entweder muss der Takt ausgedünnt werden oder man muss für den alten Takt neue Fahrzeuge und Fahrer auf die Strecke schicken. Das kostet mehr Geld. Damit produzieren Sie neue Kosten, ohne dass die Qualität steigt. Ich halte das für keine besonders kluge Idee.

Damit sind wir bei der Betrachtung der Kosten an sich. Neben den ÖPNV-Ersatzinvestitionen müssten Sie die Straßen umbauen. Sie müssen Fahrbahnverengungen und Kreuzungsumbauten vornehmen. Ihr Antrag spricht gar vom Rückbau überbreiter Durchgangsstraßen. Natürlich soll das alles der Freistaat Sachsen bezahlen. Das Geld fehlt somit beim Erhalt und Ausbau unserer bestehenden Straßen. Hierbei haben wir auch etwas zu tun. Sie schreiben etwas von einem Modellversuch. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass einmal gemachte Einschränkungen und bauliche Veränderungen wieder zurückgebaut werden. Es wäre völlig unvernünftig, erst Geld auszugeben und es dann wieder umzubauen. Das ist kein Modellversuch, sondern es ist der Einstieg in flächendeckendes Tempo 30 innerhalb von Ortschaften. Einmal eingeführt wird dieser Unsinn zementiert. Das machen wir nicht mit.

Weil in dem Antrag steht, dass es in Ausnahmefällen doch Tempo 50 geben soll, sage ich dazu Folgendes: Entweder werden diese Ausnahmen äußerst selten sein oder Sie müssen einen gigantischen Schilderwald aufstellen. An jeder Kreuzung und Einmündung muss ein Schild stehen. Das macht den Straßenverkehr unübersichtlich. Wir möchten aber weniger Schilder und nicht mehr. Dieser Schilderwald kostet noch einmal Unmengen an Geld.

Dieser Antrag dient nicht der Umwelt und nicht dem Menschen. Er folgt ideologischen Träumereien. Er gängelt die Autofahrer. Er macht den ÖPNV teurer und weniger attraktiv. Er kostet Unsummen für fragliche Straßenumbaumaßnahmen und einen völlig überflüssigen Schilderwald.

Ganz nebenbei sei Folgendes angemerkt, weil Verkehrspolitik auch immer Wirtschaftspolitik ist: Er setzt ein Signal an die Wirtschaft, vor allem an die Logistik. Dies halte ich für fatal. Ordentliche Infrastruktur ist uns weniger Wert als ideologische Klapperkisten, das steht darüber oder darunter. Das ist das völlig falsche Signal. Immer nur Tempo 30 in geschlossenen Ortschaften ist ein undifferenzierter Irrweg. Wir lehnen diesen Unfug ab und stimmen dem Antrag deswegen nicht zu.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der AfD)

Für die Fraktion DIE LINKE spricht nun Herr Böhme. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 10,50 Meter, so tief fällt man, wenn man aus dem dritten Stock eines Hauses stürzt. Wir können am Neubau dieses Hauses sehen, was 10,50 Meter und ein dritter Stock bedeuten. 10,50 Meter entsprechen in etwa dem Aufprall eines Menschen, wenn er von einem Auto mit 50 Kilometern pro Stunde angefahren wird. Die Todeswahrscheinlichkeit liegt bei 80 %.

Einige oder sogar viele Menschen fahren aber nicht nur 50 Kilometer pro Stunde in einer 50er-Zone, sondern 60 oder mehr. Bei einem Zusammenstoß mit einem Menschen entspricht das einem Sturz aus dem sechsten Stock eines Hauses. Diese Etage gibt es hier in diesem Neubau nicht einmal. Es wären um die 17 Meter. Die Todeswahrscheinlichkeit liegt bei 100 %.

Unter Umständen auch tödlich, aber nur, wenn es blöd läuft, ist ein Sturz aus einer Höhe von 3,50 Meter. Das entspricht in etwa dem ersten Stock eines Hauses und dem Zusammenstoß mit einem Fahrzeug mit 30 Kilometern pro Stunde. Die Todeswahrscheinlichkeit ist aber deutlich geringer als bei den ersten beiden Beispielen.

Diese Beispiele zeigen aus meiner Sicht, dass es sich lohnt, die Debatte über Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit oder Reduzierungen in den Innenstädten und Städten zu führen. Bei diesem Antrag geht es darum, Kommunen einen Modellversuch zu erlauben. Das geht uns nicht weit genug. Die Fakten liegen lange auf dem Tisch, Herr Nowak, auch wenn Sie diese nicht wahrhaben möchten und relativieren.

(Andreas Nowak, CDU: Wir haben Fakten vorgetragen!)

Bei Ihrer Rede fühlt man sich in die Siebzigerjahre zurückversetzt, in denen es um autogerechte Städte ging oder ein Stadtplaner eine Autobahn durch eine Stadt ziehen möchte. So kam es herüber.

(Andreas Nowak, CDU: Es geht darum, Autofahrer nicht zu gängeln!)

Sie denken sicherlich, dass das Beispiel an den Haaren herbeigezogen ist, weil ein Auto bremsen kann. Natürlich kann ein Auto bremsen. Es stellt sich aber folgende Frage: Wann? 40 Meter weit liegt der Blick, wenn man mit 50 Kilometern pro Stunde fährt. Damit wir uns richtig verstehen: 40 Meter heißt nicht, dass der Autofahrer von 40 Meter weit blicken kann. Erst in 40 Metern beginnt sein fokussierter Blick oder Sichtfeld und er nimmt aktiv etwas wahr.

Wenn ich Tempo 50 fahre, kann ich mich – das ist sehr eindimensional – darauf fokussieren. Ich sehe bei 50 Kilometern pro Stunde noch nicht einmal die Kollegen auf den hintersten Bänken der CDU, um bei dem Beispiel im Plenarraum zu bleiben. Ich fokussiere noch weiter hinten. Ich fokussiere also ungefähr die automatische Glastür dort hinten im Eingangsbereich des Raumes.

Bei 30 Kilometern pro Stunde liegt mein aktives Blickfeld nicht erst bei 40 Metern, sondern schon bei 15 Metern. Es ist nicht so stark fokussiert. Es ist nicht eng, sondern sehr breit aufgefächert. Ich erkenne viel eher und schneller bei 30 Kilometern pro Stunde, wenn ein Kind einem Ball hinterherrennt oder andere Dinge passieren. Das sind Erkenntnisse, die schon lange bekannt sind, zum Beispiel seit dem Jahr 2000 durch die Technische Hochschule in Zürich.

Wenn ich jetzt bei dem Beispiel mit dem Plenarsaal und dem Autofahren bleibe, ich hier am Steuer sitze und mit 50 Kilometern pro Stunde entlang fahre, mein aktiver Blick also ganz hinten an der Glasschiebetür ist und auf einmal jemand von rechts angerannt oder angetorkelt kommt, dann erfolgt der Aufprall bei voller Geschwindigkeit. Ich kann gar nicht rechtzeitig bremsen. Die Reaktionszeit allein beträgt schon 15 Meter. Bei 30 Kilometern pro Stunde und durch den dadurch breiteren Blick und die schnellere Reaktionszeit kommt das Auto schon nach 13 Metern zum Stehen. Da habe ich bei 50 Kilometern pro Stunde noch nicht einmal das Bremspedal gefunden. Das Bundesverkehrsministerium bestätigte das in einem Bericht im Jahr 2010.

Hinzu kommen noch weitere Punkte. Da ist das erste Thema Lärm. Das wurde schon angesprochen. 30 statt 50 Kilometer pro Stunde machen ungefähr zwei bis fünf Dezibel weniger Lärm aus. Das ist bewiesen, Herr Nowak.

(Andreas Nowak, CDU: Klar ist es bewiesen, aber der Mensch hört es nicht!)

Allein schon drei Dezibel werden als eine Halbierung der Verkehrsmenge wahrgenommen. Das ist wichtig, denn der Autoverkehr ist der größte Anteil an Verkehrslärm, der imitiert wird. 10 Millionen Menschen sind in Deutschland davon betroffen, 6 Millionen von der Eisenbahn und 800 000 von Flugzeugen. Das ist belegt durch das Umweltbundesamt im Jahr 2008.

(Andreas Nowak, CDU: Am besten jeden Verkehr einstellen, dann haben wir es ganz ruhig!)

Zweitens Schadstoffbelastung. Wenn Sie verhindern wollen, dass es bald blaue Plaketten in Umweltzonen gibt, weil die Stickoxide seit Jahren nicht sinken, sondern teilweise steigen, müssen Sie handeln. Wenn Sie nicht wollen, dass ein Drittel aller Autofahrer mit so einer blauen Plakette ein Fahrverbot auferlegt bekommt, müssen Sie andere Wege nutzen, um die Emission zu senken.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Ein Weg kann sein, die Geschwindigkeit in den Innenstädten und Städten zu reduzieren, denn langsamer und gleichmäßiger Verkehr ist auch schadstoffärmer.

(Andreas Nowak, CDU: Kann es eben nicht, weil die Werte steigen!)

Auch das ist bewiesen aus dem Bericht des Bundesumweltamtes im Jahr 2009.

(Andreas Nowak, CDU: Lesen Sie die entsprechenden Studien!)

Drittens und letztens. Wenn wir jetzt noch einmal die Unfallbeispiele zusammenfassen: Jeden Tag verunglücken 566 Menschen bei Verkehrsunfällen in Deutschland, in Städten und Gemeinden – also nicht auf Autobahnen. In Tempo-30-Zonen passieren etwa 40 % weniger Unfälle als in vergleichbaren Tempo-50-Gebieten. Das haben die Universitäten Duisburg und Essen 2012 erhoben.