Protocol of the Session on October 16, 2013

Wir müssen aber auch über die Alternativen diskutieren. Die Alternative wäre zum Beispiel, darüber nachzudenken – Stichwort Umsiedlung –, was wir den Menschen vor Ort anbieten könnten, wenn es so sein sollte, dass die Pläne tatsächlich realisiert werden. Dann muss man aber nach dem Maßstab der Umsiedlung fragen, und da gibt es unterschiedliche Erfahrungswerte. Wenn man mit Betroffenen spricht – das haben ich und andere Kollegen aus meiner Fraktion oder anderen Fraktionen in diesem Hause auch getan –, dann ist das durchaus schwierig, weil es ganz unterschiedliche Anforderungen beim Thema Umsiedlung gibt.

Ich möchte an dieser Stelle auch einen Punkt nennen, der mir bei dem Antrag der GRÜNEN und bei dem Redebeitrag, seit ich dann zugehört habe, nicht ganz so gut gefallen hat. Wenn ich es richtig verstanden habe, wird von Vertreibung gesprochen. Ich muss sagen, dass dies für mich keine geeignete Wortwahl ist, wenn man das im geschichtlichen Kontext bewertet und sieht, wie viel Leid Vertreibung gebracht hat und wie Vertreibung historisch besetzt ist. Das halte ich für absolut überzogen und polemisch.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der SPD)

Wir müssen auch darüber nachdenken, was mit den Menschen geschieht. Was machen wir mit der Siedlungskultur? Wie erhalten wir die Siedlungskultur der Menschen, die dort leben? Wir müssen mit sehr viel Fingerspitzengefühl herangehen und die Bedürfnisse der Menschen respektieren und vor allem auch darauf Rücksicht nehmen. Insofern heißt das für mich konkret: Wir müssen auch Paragrafen, die das Baugesetzbuch beinhalten und die das Bauen im Außenbereich regeln, entsprechend abändern, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich wieder zu verwirklichen.

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass wir uns bei den Anträgen der LINKEN und der GRÜNEN der Stimme enthalten. Ich hoffe, dass die Debatte heute auch eine Antwort geben kann auf die Fragen der Menschen in dieser Region, aber auch der Bergbauregion und dass wir es schaffen, den Respekt der Lebensleistung der ganzen Bergbaugeneration mit dem Ansinnen der Menschen, die dort leben, und den Bürgerinnen und Bürgern zusammenzubringen, die von uns erwarten, dass wir für sie eine Zukunftsvision entwickeln. Hierbei geht es darum, dass

wir das Thema Mensch, Natur, Wirtschaft und Arbeit als Ganzes sehen müssen. Dabei gibt es noch viel zu tun.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Nächster Redner für die FPD-Fraktion ist Herr Hauschild.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Ja, das Thema ist recht komplex und schwierig. Es spielt vieles mit hinein: die Umweltfolgen, die Energierelevanz, die Fragen der Grundlast, wir haben Wind und Sonne als angebliche Alternativen dazu, wir haben die Kosten, die mit hineinspielen. Wir wollen aber auch Planungssicherheit. Herr Brangs, wenn Sie sagen, die Anzahl der Gutachter wäre entscheidend, weil die Mehrzahl der Gutachter die eine Meinung vertritt, dann meine ich, die Anzahl der Gutachter sollte nie entscheidend sein.

Wenn man sich von seiner Heimat trennen soll, ob das nun ein Stückchen weiter weg ist oder sogar den Landkreis verlassen möchte, dann wird es immer schwierig sein, einen Neuanfang zu wagen, es wird nie einfach sein. Daran gibt es gar keinen Zweifel. Daher gibt es vor dem Aufschluss neuer Tagebaue auch intensive Verfahren, die die Beteiligung der Bevölkerung vor Ort sicherstellen. Die Entscheidung wird nirgends leichtfertig getroffen. Die Zustimmung der Bevölkerung in der Oberlausitz ist hoch, höher jedenfalls als die Ablehnung, deren Vertreter ihre Minderheitenrolle wieder einmal durch Lautstärke wettzumachen versuchen. Eine Umfrage hatte gezeigt, dass 67 % der örtlichen Bevölkerung die Erweiterung des Lausitzer Braunkohlentagebaus für notwendig erachten, um eine zuverlässige und kostengünstige Energieversorgung sicherzustellen.

Durch die Braunkohle werden gut bezahlte Arbeitsplätze gesichert. Eine Prognos-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass rund 10 500 sächsische Arbeitsplätze von der Braunkohleindustrie abhängen. Das sind deutlich mehr als die im Antrag erwähnten unter 3 000 im Revier arbeitenden Menschen. Diese wollen Sie, werte GRÜNE, werter Herr Lichdi, auch wenn Sie mir den Rücken zudrehen – diese Verhöhnung der Mitbürger muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen –, „eine berufliche Perspektive jenseits der Kohle suchen lassen“, während Sie selbst zugeben müssen, dass die Region bisher zu den strukturschwächsten Gebieten gehört – auch Ihr Text. Sie wollen also exzellent ausgebildete Bergwerker, Energietechniker und andere Fachleute nicht nur ins kalte Wasser schubsen, nein, Sie wollen sie gleich ins leere Schwimmbecken springen lassen. Das nenne ich zynisch, das ist weltfremd.

(Beifall bei der CDU)

Was die Bewohner im Gebiet angeht, so habe ich anfangs bereits angesprochen, dass die Entscheidung vor Ort gründlich abgewogen wurde. Dabei hat sich der regionale Planungsverband, also die betroffenen Bürger und ihre gewählten Vertreter, dazu entschlossen, dass Nochten II

aufgeschlossen werden kann. Diese Entscheidung wurde – so, wie wir das immer wollen – nicht im weit entfernten Dresden, sondern vor Ort getroffen. Die GRÜNEN fordern nun zu prüfen, wie der Abbau verhindert werden könne. Warum sollen die vor Ort getroffenen Entscheidungen jetzt per Order von der Landesebene aus wieder durchkreuzt werden? Warum respektieren LINKE und GRÜNE nicht die selbst gewählte Entscheidung der Region über ihre eigene Zukunft?

Die Debatte um Nochten II hat neben dem wichtigen regionalen Aspekt auch noch eine ganz andere Dimension. Der Aufschluss von Nochten II ist nicht losgelöst von der Debatte um sichere und bezahlbare Energieversorgung zu betrachten. Seit Beginn des Abenteuers Energiewende ist die Bedeutung der Braunkohle einer sicheren und bezahlbaren Stromversorgung Deutschlands gewachsen. Mittlerweile wird fast ein Viertel des Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen. Der Anteil grundlastfähiger Energieträger geht zurück. Die Folgen für die sichere Stromversorgung sind nicht zu übersehen. Die Zahl der Netzeingriffe zur Stabilisierung der Netze hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Kosten für Redispatch-Maßnahmen – das sind solche Eingriffe – haben sich allein im Zeitraum von 2009 bis 2012 von unter 20 Millionen Euro pro Jahr auf über 120 Millionen Euro versechsfacht. Das zahlen wir alles mit unserer Stromrechnung mit. Zudem warnt eine aktuelle Studie des Beratungsunternehmens Capgemini, dass die Versorgungssicherheit an den kalten Wintertagen ernsthaft in Gefahr ist.

(Dr. Monika Runge, LINKE: Und was schlagen Sie vor?)

Die Braunkohle übernimmt mehr und mehr die Grundlastsicherung der deutschen Stromversorgung, erst recht als Kompensation für die abgeschalteten Kernkraftwerke. Die Ökostromanlagen können dies nicht leisten, da die Sonne eben nicht dann scheint und der Wind nicht dann weht, wenn Strom gebraucht wird. Speicher für Strommengen in dieser Größenordnung ist allenfalls Zukunftsmusik – leider.

Die Kohle der Lausitz trägt dazu bei, dass nicht die Lichter ausgehen. Deshalb, werte LINKE, ist die Braunkohleverstromung nicht trotz, sondern gerade wegen der Energiewende gestiegen. Durch vergleichsweise geringe Gestehungskosten dämpft die Braunkohle zudem die Strompreisentwicklung. Die immer weiter steigenden Stromkosten sind die Folge von massiv gestiegenen Steuern und staatlich verordneten Umlagen. Die Kosten für den Strom für Haushalte haben sich seit 2000 mehr als verdoppelt. Der Strompreis darf nicht zur sozialen Frage werden. Auch der Strompreis für die Industrie hat sich ähnlich rasant entwickelt. Seit 2010 ist eine schleichende Deindustrialisierung bei energieintensiven Unternehmen zu beobachten. Das wurde auch heute schon in der Aktuellen Debatte besprochen. Wir brauchen eine Neuausrichtung in der Energiepolitik. Die Förderung erneuerbarer

Energien muss dringend grundlegend neu durchdacht werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir brauchen wieder mehr Wettbewerb statt Planwirtschaft. Dazu muss ich ganz klar sagen, Planwirtschaft ist nicht Planungssicherheit. Wir brauchen Planungssicherheit, gerade mit dieser Entscheidung zum Aufschluss. Damit haben wir Planungssicherheit für Jahrzehnte. Das ist nicht Planwirtschaft. Nur mit Wettbewerb entstehen auch Innovationen.

Die Stromsteuer muss gesenkt werden und die Betreiber von Ökostromanlagen, die den Strom nicht nachfragegerecht in die Netze einspeisen, müssen an den durch sie verursachten Kosten beteiligt werden.

(Beifall bei der FDP)

Wir brauchen einen Wandel, und zwar jetzt, sonst ist die Versorgungssicherheit und auch unser Wohlstand in ernsthafter Gefahr. Wir werden beide Anträge ablehnen müssen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Die NPD-Fraktion verzichtet auf den Redebeitrag. Damit haben wir die erste Runde geschlossen. Mir liegen noch Wortmeldungen für eine zweite Runde vor. Für die Fraktion DIE LINKE Frau Dr. Runge.

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens. Zur Richtigstellung der Bemerkung von Herrn Brangs zu Herrn Lichdi, dass es sich in dem Falle wirklich nicht um Vertreibung handelt, weil dieser Begriff natürlich historisch in der Bedeutung besetzt ist: Es handelt sich um eine mehr oder weniger zwanghaft angewandte Umsiedlung. Ich habe das im Näheren am Fall Heuersdorf über die Jahre ihres Widerstandes gegen die Umsiedlung verfolgt. Zunächst haben sie sich erfolgreich mit Klagen gewehrt, bis letztendlich die zweite Klage beim Verfassungsgericht gescheitert war. Einzelne Familien wurden dann gegen Geld herausgekauft. Selbstverständlich ist das heutzutage möglich. Der Rest, der bleiben wollte, konnte unter den nunmehr gegebenen Lebensbedingungen nicht mehr in diesem Ort weiterleben. Das ist auch eine zwanghaft verursachte Umsiedlung.

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Ja, natürlich, den Begriff Vertreibung lehne ich auch ab.

Zweitens. Zu der ganzen Debatte, Herr von Breitenbuch und Herr Hauschild, fällt mir auf, dass Sie immer noch eine Diskussion führen, die vor fünf oder zehn Jahren so vielleicht sogar richtig war; aber mittlerweile, wenn Sie die vielen Gutachten und Vorschläge zur Kenntnis nehmen, wie die Reform der gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen für die Energiewende aussehen soll, müssten Sie doch endlich zur Kenntnis nehmen, dass sich ein Konfliktpotenzial im bisherigen Energiesystem ergibt,

welches aufgelöst werden muss, wenn die Energiewende erfolgreich sein soll. Wir müssten alle ein Interesse daran haben, dass die Energiewende erfolgreich ist. Das aber höre ich weder bei Herrn Hauschild noch bei Herrn von Breitenbuch heraus.

Das Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen empfiehlt Folgendes: Im bisherigen Energiesystem war es so, dass die konventionellen Erzeugeranlagen im Mittelpunkt des Systems standen und die erneuerbaren Energien in Funktion auf diese konventionellen Kraftwerke definiert wurden – trotz Vorrangeinspeisung. Mittlerweile haben wir das Problem, Herr Hauschild, dass die Energieerzeuger 28 Anträge bei der Bundesnetzagentur zur Stilllegung ihrer Kraftwerke gestellt haben. Selbstverständlich müssen diese auch genehmigt werden, aber Fakt ist, dass die gegenwärtige Situation genau darin besteht, dass diese Braunkohlenkraftwerke und selbst modernste Gaskraftwerke nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sind, weil sie einfach nicht mehr auf ihre Betriebszeiten kommen.

Das heißt, wir haben in verschiedensten Regionen Deutschlands riesige Überkapazitäten. Dazu zählen Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, eigentlich der gesamte Osten Deutschlands. Überkapazitäten! Weil wir so große Überkapazitäten haben, müssen wir Braunkohlestrom in Polens und Tschechiens Netze einspeisen, die sich sehr dafür bedanken. Oder aber wir zwingen die Anlagen mit erneuerbaren Energien zur Abschaltung. Deshalb hat das Forschungsinstitut Bonn errechnet, dass in Brandenburg und in Sachsen aufgrund des hohen Braunkohlestromanteils bundesweit als Teil des Preises die höchsten Netzentgelte auftreten. Von wegen billiger Braunkohlestrom. Nichts von billigem Braunkohlestrom ist zu sehen und zu hören.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Drittens. Alle Gutachten weisen darauf hin – das vom Verband für Energie- und Wasserwirtschaft, vom Verband der kommunalen Unternehmen und vom Sachverständigenrat für Umweltfragen –, dass im künftigen Energiesystem im Zentrum die erneuerbaren Energie stehen müssen und ringsum entweder, wie der Verband es fordert, ein Kapazitätsmarkt entsteht oder eben Reservekraftwerke bereitgehalten werden müssen oder aber, wie es der Sachverständigenrat für Umweltfragen fordert, ein mengengesteuertes Modell zur verpflichtenden Direktvermarktung eingeführt werden muss, um so eine bessere Marktintegration zu erreichen.

(Mike Hauschild, FDP, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Fest steht eines, Herr Hauschild, da können Sie sich drehen und wenden, wie Sie wollen – –

Frau Dr. Runge, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, danke.

Die Energiewende wird weitergeführt werden. Deutschland kann es sich überhaupt nicht leisten, jetzt den Rückwärtsgang einzulegen und zu sagen, das war alles nur Spaß. Wenn Sie aufmerksam die Verlautbarungen des Vorstandes von RWE vernommen haben – was gleich wieder dementiert wurde, weil sie erst abwarten wollen, welche Koalitionsregierung sich in Berlin bildet und wie die politischen Rahmenbedingungen letztlich aussehen werden –, dann wollen sie Garzweiler II per 2017/2018 dichtmachen und keine neuen Braunkohlenkraftwerke mehr bauen.

Oder haben Sie nicht vernommen, dass Vattenfall Lippendorf verkaufen will, aber es findet sich kein Käufer? Sie werden sehr schnell überrascht werden, dass Vattenfall Sie in Sachsen oder in Brandenburg vor vollendete Tatsachen stellen und sich aus der Braunkohleverstromung in Deutschland zurückziehen wird. Davon bin ich fest überzeugt.

Und Sie? Sie stehen tatenlos da und schauen zu. Das wäre eine Tragödie für die Region, weil es keine Alternativen – weder industrielle noch Arbeitsplatzalternativen – in diesen Regionen geben wird. Sie verpassen eine einmalige Chance, sich auf die neueste Entwicklung einzulassen und mit den Unternehmen, Beschäftigten und Gewerkschaftsvertretern einen Ausstiegsplan auf den Tisch zu legen,

(Alexander Krauß, CDU: Sprechen Sie doch mal mit den Betroffenen, die wollen Ihren Quatsch nicht!)

um tatsächliche Planungssicherheit für alle Beteiligten zu erreichen.

Insgesamt sehen wir den Antrag der GRÜNEN mit Wohlwollen, weil wir seit Langem ein solches Ausstiegsszenario von der Staatsregierung fordern. Allerdings unterscheiden wir uns etwas im Zeithorizont. Ich bin mir nicht sicher, es kann tatsächlich viel rascher kommen, als wir mit 2040 annehmen. Da gebe ich Herrn Lichdi jetzt nach und nach recht. Das kann sogar sehr rasch passieren, nämlich in den nächsten zehn Jahren, dass wir vor vollendeten Tatsachen stehen. Die staatstragenden Fraktionen waren völlig unfähig, diese Entwicklungsdynamik zu erkennen und gestalterisch in diesen Prozess im Sinne der Regionenb, der Beschäftigten und der Unternehmen, einzugreifen.

Insofern enthalten wir uns an zwei Positionen beim Antrag der GRÜNEN, weil nämlich die Landesentwicklungsplanung jetzt erst einmal wiederum, wenn sich die politischen Mehrheitsverhältnisse in Sachsen nicht ändern, auf absehbare Zeit bleiben wird.

Frau Dr. Runge, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Ansonsten stimmen wir dem Anliegen Ihres Antrages zu.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Herr Hauschild, Sie möchten vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen.