Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich außergewöhnlich, wenn ausgerechnet ich, noch dazu gleich zu Beginn meiner Rede, ausdrücklich die Koalitionsfraktionen in diesem Haus lobe. Ich will den großen Mut von CDU und FDP würdigen. Es muss nämlich als ausgesprochen mutig bezeichnet werden, wenn beide Fraktionen in ihren Abschlussstellungnahmen zum Untersuchungsausschuss „Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen“ zu der durchaus kühnen Einschätzung gelangen, dass sächsischen Behörden im Zusammenhang mit dem NSU keine Vorwürfe gemacht werden könnten.
Es wird gefolgert, dass – Zitat – „an der Sicherheitsstruktur im Freistaat Sachsen keine Änderungen erforderlich sind“. Schuld am NSU-Desaster habe schließlich Thüringen. Zudem habe das sächsische Innenministerium längst alles getan, um – Zitat – „die Gefahren rechtextremistischer Taten künftig zu minimieren“.
Ich warne allerdings vor zu viel Mut. Eine solche Feststellung ist derart mutig, dass sie sehr eng an Leichtsinn grenzt.
Der Untersuchungsausschuss hat uns genügend Beispiele für solch gefährlichen Leichtsinn geliefert. Denken wir nur an das Landesamt für Verfassungsschutz. Dieses hat über Jahre felsenfest behauptet, dass Rechtsterrorismus überhaupt nicht existiere. Es hat zudem behauptet, dass „Blood & Honour“ lediglich ein „Musiknetzwerk“ sei. Auch diese Behauptungen waren ausgesprochen mutig, vor allen Dingen waren sie aber vollkommen falsch.
Mir ist vollkommen schleierhaft, wie jemand darauf kommen kann, dass keine Fehler begangen worden seien. Meine eigene Fantasie stößt an eine Grenze, wenn ausgerechnet auf der Grundlage uneingestandener Fehler eine Verbesserung des Handelns versprochen wird. Die Botschaft, die ich hier höre, ist ein einziger paradoxer Widerspruch: Alles wird besser, weil alles so bleibt, wie es ist.
Meine Damen und Herren! Das funktioniert nicht. Ich fürchte, Sie lehnen sich wirklich zu weit aus dem Fester. Solange es dabei nur um die Gefahr geht, dass Sie selbst aus dem Fenster fallen, ist das allein Ihr Risiko. Ihre Wette aber, die Gefahren rechtsextremistischer Taten seien durch ein Fingerschnippen zu minimieren, kann im Ernstfall wieder zulasten der Opfer rechter Gewalt gehen.
Ich bedauere es, dass das Fazit von CDU und FDP der zweijährigen Arbeit des Untersuchungsausschusses in jeder Hinsicht auf wackligen Beinen steht, und das nur, so mein Eindruck, um eilig und möglichst unbeschadet einen Schlussstrich unter die Aufklärung zum NSU-Komplex ziehen zu können.
Dieses Vorgehen verwundert mich aber wiederum auch nicht. Ich erinnere mich noch gut, wie wir hier vor etwas mehr als zwei Jahren beisammensaßen und über die Einsetzung des Untersuchungsausschusses debattiert haben. Es war von Anfang an klar, dass Sie von CDU und FDP diesen Ausschuss nicht wollten. Sie haben sich ausgerechnet hinter der NPD versteckt und von einem „NPD-Informationsausschuss“ gesprochen. Dass der Einwand unsinnig war, liegt inzwischen nachweisbar auf der Hand.
Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, sind Ihrem Kurs trotzdem mutig treu geblieben. Sie haben Ihren mangelnden Willen zur parlamentarischen Aufklärung bis zum Ende durchgehalten. Erlauben Sie mir die Bemerkung, dass man das Ihrem Ausschussbericht auch deutlich ansieht.
Es ist nicht einmal besonders verwunderlich, dass nunmehr am Ende der Arbeit zwei sehr unterschiedliche Berichte vorliegen. Es sind tatsächlich derart viele Fragen offen, dass ein einhelliges Fazit schwer zu ziehen ist und eine abschließende Beurteilung schon gar nicht getroffen werden kann.
Bedauerlich und regelrecht beschämend ist in meinen Augen, dass bezüglich der angebrachten und notwendigen Konsequenzen aus dem NSU-Komplex keine Einigkeit der demokratischen Fraktionen in diesem Haus besteht. Im Bundestag und in Thüringen haben sich die Regierungsfraktionen zu den dortigen Ausschüssen bekannt und sie von Anbeginn aktiv mitgetragen. In Sachsen war aber das Gegenteil der Fall. Das ist weder vor dem Hintergrund der außerordentlichen Tragweite des Themas noch vor dem Hintergrund der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses zu rechtfertigen.
Dass sich der NSU ausgerechnet in Sachsen versteckt hielt und ein Dutzend Jahre unentdeckt blieb, ist allgemein bekannt.
Blicken wir zurück in den November 2011, kurz nach der Enttarnung des NSU. Es gab einen gemeinsamen Entschließungsantrag – Frau Präsidentin, Sie hatten bereits darauf hingewiesen – aller demokratischen Fraktionen im Sächsischen Landtag. Er beinhaltete das ausdrückliche Versprechen, für Aufklärung zu sorgen. Doch als es darum ging, tatsächlich aufzuklären, waren CDU und FDP plötzlich nicht mehr an Bord. Das war und ist ein fatales Zeichen.
Dieser Mangel an Aufklärungswillen war ebenso eine Konstante wie Ihr Mut zum Irrtum. Sie sehen in den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses lediglich eine
Bestätigung des „Vorläufigen Abschlussberichtes“, den Innenminister Ulbig im Jahr 2012 vorgelegt hat. Das nenne ich gewagt, sehr gewagt.
Wir dagegen sind überzeugt, dass uns der Ausschuss wesentlich weitergeführt hat. Hätten wir den Bericht aus dem Jahr 2012 für der Weisheit letzten Schluss gehalten, wüssten wir bis heute nicht, dass in die Fahndung nach dem Trio auch die sächsische Zielfahndung eingegriffen hat, wenn auch erfolglos. Wir wüssten weiterhin nicht, dass auch sächsische Beamte nichts unternahmen, nachdem eine Person mit großer Ähnlichkeit zu Uwe Böhnhardt in Chemnitz gesichtet wurde. Wir wüssten ebenfalls nicht, dass sächsische Observanten tatenlos zuschauten, als ihre Zielperson Unterlagen auf einen Grill packte und verbrannte.
Wir wüssten auch nicht, dass der sogenannte Verfassungsschutz in Sachsen trotz aller Defizite, Schwächen und Erkenntnislücken immerhin gut genug im Bild war, um die Entwicklung des Trios hin zu Rechtsterroristen zumindest zu erahnen, und das bereits im Jahr 1998, also noch vor Beginn der Mordserie.
Wir wüssten immer noch nicht, dass die gleiche Behörde trotzdem keinen Drang hatte, dagegen einzuschreiten. Stattdessen behielt man wesentliche Informationen für sich und gab sie nicht an die Strafverfolgungsbehörden weiter. Das ist äußerst erklärungsbedürftig. Eine plausible Begründung dafür steht noch immer aus.
Es zeichnet sich aber Folgendes ab: Bei der Suche nach dem untergetauchten Trio in Sachsen wurde dieses nicht an einer kurzen, sondern an einer sehr, sehr langen Leine gehalten. Das waren ganz klare Fehler, und diese Fehler waren nicht die Schuld von Thüringen, sondern hausgemacht. Hätte es diese Fehler nicht gegeben, so wäre es durchaus möglich gewesen, die untergetauchten Bombenbauer aus Jena in Chemnitz festzusetzen. Dafür hätten sächsische Behörden, so wie es ihre Aufgabe ist, den nötigen Fahndungsdruck aufbauen müssen. Das ist jedoch nicht passiert. Wer das bedauert, sollte die Ursache auch beim Namen nennen: Behördenversagen. Nein, der NSU war den Behörden als solcher mit dem Namen noch nicht bekannt, aber es hätte trotzdem nachgefasst werden müssen. Es hatte fatale Folgen, dass man darauf verzichtet hat, obwohl die Gefährlichkeit der geflüchteten Neonazis bekannt war und obwohl ab dem Jahr 1998 die Annahme bestand, dass sich das Trio in Chemnitz versteckt hält.
Wir wissen heute nicht, warum die Suche nach dem Trio derart schiefgelaufen ist. Dem Untersuchungsausschuss ist es immerhin gelungen, viele Details zu klären, aber damit kann und darf die Aufklärung, die wir im November 2011 gemeinsam versprochen haben, nicht beendet sein. Wir haben 34 Zeugen gehört, aber mehr als 80 Zeugen nicht mehr befragen können. Einige Themenkomplexe, auf deren Behandlung sich der Ausschuss verständigt hatte, konnten wir gar nicht erst anfangen. Trotzdem war das, was wir bisher geschafft haben, jede Mühe wert.
Meine Damen und Herren, zu der Zeit, als der Ausschuss eingesetzt wurde, standen gegen Behörden des Freistaates Sachsen äußerst schwerwiegende Vorwürfe im Raum. Es war richtig und notwendig, solchen Behauptungen konzentriert nachzugehen. So ist es jetzt möglich, über einmal begangene Fehler auf der Grundlage der Fakten zu reden, auch wenn es davon nur einige in den Bericht von CDU und FDP geschafft haben.
Ich möchte die Koalition noch einmal daran erinnern, woran es lag, dass der Ausschuss unerlässlich war. Wir als Abgeordnete haben nach dem 4. November 2011 unsere Informationen zumeist aus der Presse beziehen müssen und sie nicht etwa vom Innenminister, von Ihnen, Herr Ulbig, bekommen. Ich sage das, weil CDU und FDP in ihrem Ausschussbericht selbst zwar nicht von Fehlern, aber immerhin von gewissen Defiziten bei der Kommunikation und Koordination der Behörden sprechen.
Die Staatsregierung selbst sollte sich das dringend zu Herzen nehmen. Denn, was immer sie ab November 2011 auch tat, eine proaktive Informationspolitik gab es durch sie nicht. Der medialen und gesellschaftlichen Reichweite des Themas war die Staatsregierung nicht gewachsen. Wir bekamen die Fakten scheibchenweise oder gar nicht auf den Tisch.
Dass die Einrichtung parlamentarischer Gremien zur weiteren Aufarbeitung so vehement abgelehnt wurde, hat selbstverständlich den Eindruck genährt, dass hier in bekannter Manier versucht wurde, ein unangenehmes Thema abzumoderieren. Das ist zum Glück nicht gelungen.
Meine Damen und Herren, der Untersuchungsausschuss ist darauf gestoßen, dass bei Polizei und Verfassungsschutz in Thüringen und in Sachsen sehr frühzeitig Hinweise vorlagen, wo sich das Anfang 1998 untergetauchte Trio verborgen halten könnte. Man kannte die Namen von Helfern, die nach heutigem Wissen als mutmaßliche Unterstützer gelten. Diese Personen entstammten insbesondere dem „Blood & Honour“-Netzwerk. Dass man dieses Netzwerk offenbar unterschätzt hat, ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass man trotzdem wusste, um welche konkrete Personengruppe es ging: um militante Neonazis. Wir haben im Ausschuss hoch versierte Ermittler kennengelernt, die diese Szene im Detail kannten. An Informationen hat es diesbezüglich nicht gemangelt.
Rückblickend stellen sich zwei Fragen: Wie kam man denn seinerzeit auf diese unterstützenden Personen? Keiner der Zeugen bisher konnte uns das schlüssig erklären. Und – zweite Frage – warum ist man dann nicht konsequent gegen diese Personen vorgegangen?
Im größten Teil des damaligen Fahndungszeitraumes von 1998 bis 2003 geschah in Sachsen nämlich überhaupt nichts, was als Fahndung bezeichnet werden könnte. Die Leine zum Trio war nicht nur sehr lang, sondern man hat es auch versäumt, daran zu ziehen.
Wir sehen dringenden Bedarf, diesen Fragen weiter nachzugehen. Die Aufklärung muss fortgesetzt werden, gerade hier in Sachsen. Nach dem jetzigen Stand der Dinge sollte daher erneut ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden. Das ist die erste und zentrale Empfehlung des abweichenden Berichtes der demokratischen Opposition. Wir drängen darauf, dass insbesondere das Landesamt für Verfassungsschutz die Möglichkeiten der weiteren Aufklärung nicht dadurch unterminieren kann, indem erneut Akten vernichtet werden. Das ist keine böswillige Unterstellung. Das LfV hat auch noch Akten vernichtet, als der Ausschuss bereits eingesetzt war. Niemand kann nachträglich feststellen, ob diese Akten einen NSU-Bezug hatten oder nicht. Sie sind unwiederbringlich zerstört.
Meine Damen und Herren, wir sind fest davon überzeugt: Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen kann nach alledem nicht mehr weiter bestehen. Es hat seine Daseinsberechtigung schlicht verspielt.
Unser Bericht zeigt nämlich auch, wie umfangreich es bei der Suche nach dem Trio versagt hat. Das LfV hat sich nicht als „Frühwarnsystem“ bewährt. Es bot der Demokratie auch keinen Schutz. Der entstandene Schaden ist kaum wiedergutzumachen. Ich sehe keinen Anlass mehr, an eine Besserung zu glauben. Solche Versprechen gab es in der Vergangenheit immer wieder. Man denke an den „Sachsen-Sumpf“ oder auch an das Beyer-IrrgangGutachten. Wir sind jetzt an dem Punkt, wo wir feststellen müssen: Nein, das LfV ist nicht mehr reformierbar. Es ist, was es ist: Ein Geheimdienst, und zwar ein inkompetenter. Er ist kein Teil der Lösung, er ist ein Teil des Problems.
Er steht einer demokratischen Gesellschaft nicht gut zu Gesicht. Die Auflösung des LfV ist dagegen das kleinere Übel, wenn es sich überhaupt um ein Übel handeln sollte. Der bessere Weg ist es, die Aufklärung und Verfolgung politischer Straftaten durch die Polizei zu stärken. Es ist daher auch der richtige Weg, die frühere Arbeit der SoKo „Rex“ durch das Operative Abwehrzentrum auf einer breiteren Personalbasis fortzusetzen. Das ist aber nicht nur eine Frage der Quantität. Man muss es auch bei einem polizeilichen Staatsschutz dieser Art ermöglichen, dass er sich auf den Bereich der politisch motivieren Kriminalität rechts spezialisieren kann. Dass das OAZ die politisch motivierte Kriminalität links bearbeitet, läuft dieser notwendigen Spezialisierung völlig zuwider.
Unser Bericht zum Untersuchungsausschuss zeigt gerade, dass die Vermischung von Aufgabenbereichen und der Wechsel des zuständigen Personals offenbar nicht zu einer besseren Ermittlungsarbeit und auch nicht zu einer besseren Analyse beigetragen haben. Gerade weil dem polizeilichen Staatsschutz eine entscheidende Rolle zukommt, muss immer daran gedacht werden, seine weitgehenden
Befugnisse und Instrumente sachgerecht, effizient und rechtsstaatsgemäß einzusetzen. Deswegen denken wir an die Einrichtung eines parlamentarischen Kontrollgremiums für den polizeilichen Staatsschutz. Ein solches Gremium dient nicht der Gängelung des Staatsschutzes, sondern seiner Konsolidierung und der Rechtssicherheit sowie der notwendigen Transparenz.
Ich möchte daran erinnern, dass nach dem Auffliegen des NSU zunächst kein polizeiliches Lagebild existierte, aus dem hervorgegangen wäre, inwieweit sogenannte legale Schusswaffen in der extremen Rechten verbreitet sind. Wir haben das mühselig über Anfragen thematisiert, deren Antworten uns nicht immer konsistent erschienen.
Die Entwaffnung der Nazi-Szene wurde durch Innenminister Ulbig vollmundig angekündigt. Sie ist aber noch immer nicht erfolgt. Wir erwarten nun, dass künftig im Einzelfall gezielt geprüft wird, ob eine Handhabe besteht, waffenrechtliche Erlaubnisse für Angehörige der extremen Rechten zu versagen oder sie ihnen zu entziehen. Wir erwarten außerdem, dass darüber künftig dem Innenausschuss des Sächsischen Landtages regelmäßig Bericht erstattet wird.
Die Bekämpfung der extremen Rechten – das steht außer Frage – ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir meinen, dass diese Aufgabe durch aktuelle wissenschaftliche Expertisen wesentlich unterstützt werden kann. Sie kann Auskunft geben über aktuelle Tendenzen der extremen Rechten sowie über die Verbreitung antidemokratischer und menschenfeindlicher Einstellungen im Freistaat Sachsen.
Der sogenannte Verfassungsschutzbericht erfüllt diese Aufgabe in keiner Weise. Was wir brauchen, ist ein Monitoringbericht mit empirisch abgesicherten Erkenntnissen. Die analytische Ausbeute eines solchen Projektes könnte umgekehrt die Arbeit der Sicherheitsbehörden im Freistaat Sachsen bereichern.
Selbst konservative Wissenschaftler wie die Professoren Backes und Jesse haben in einer Anhörung des Innenausschusses einen solchen regelmäßigen Bericht als sinnvoll erachtet. Die Sicherheitsbehörden sind aber nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Zivilgesellschaft in Sachsen, sind das bürgerschaftliche Engagement in den Kommunen und das solidarische Eintreten für die Opfer rechter Gewalt.
Noch immer begegnet die Staatsregierung der Zivilgesellschaft im Freistaat mit erheblichem Misstrauen. Noch immer sorgt die Staatsregierung nicht für eine ausreichende Förderung der Zivilgesellschaft. Es irritiert mich zutiefst, dass man Projekte, die sich für die Demokratieentwicklung im Land einsetzen, an einer kurzen Leine hält und sie unter einen regelrechten Generalverdacht stellt. Dass die Staatsregierung nicht den Bundestrend genutzt und die unsägliche Extremismusklausel abgeschafft hat, spricht leider für sich. Diesen Sonderweg kann sich Sachsen nicht leisten, denn er richtet erheblichen Schaden an. Auch dieser Fehler sollte sofort korrigiert werden.
Es sind doch gerade die selbstorganisierten Initiativen vor Ort, die Problemlagen in den jeweiligen Regionen frühzeitig erkennen und flexibel gegensteuern können. Es ist richtig, dass es gegen antidemokratische Tendenzen in Sachsen ein funktionierendes Frühwarnsystem gibt. Das ist nicht der sogenannte Verfassungsschutz, sondern es ist die Zivilgesellschaft. Sie schafft Angebote für demokratische Teilhabe und tritt damit antidemokratischen Tendenzen ganz konkret entgegen.
Dafür ist nicht nur die unsägliche Extremismusklausel hinderlich, sondern der Extremismusbegriff an sich schadet. Dort, wo von „Extremisten“ gesprochen wird, geht es um deren Verhältnis zum demokratischen Verfassungsstaat. Die tatsächliche Gefährdung durch die extreme Rechte lässt sich mit dem Extremismusbegriff, wie ihn insbesondere das Landesamt für Verfassungsschutz strapaziert, überhaupt nicht messen. Wie grundfalsch der Begriff wirklich ist, zeigen uns die Erkenntnisse zum NSU. Die Rechtsterroristen machten sich nicht den demokratischen Verfassungsstaat zum Opfer, sondern sie töteten zunächst neun Migranten und hatten es durch Bombenanschläge darauf angelegt, weitere Menschen zu töten. Diese Taten waren ganz klar rassistisch motiviert.
Ich bin der Meinung, dass es auch der Respekt vor den Opfern des NSU gebietet, das Problem beim Namen zu nennen. Dieses Problem heißt: Rassismus.
Das ist keine Floskel, denn dass der NSU den Behörden durchs Raster rutschte, hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass das Begehen einer rassistischen Mordserie offenbar nicht für möglich gehalten wurde. Man ging von einem Zerrbild namens „Extremismus“ aus und nicht von den tatsächlichen Feindbildern und Opfergruppen gewaltbereiter Neonazis und Rassisten. Dass dieses Zerrbild sehr langlebig ist, ist zum einen daran zu erkennen, dass sich Sachsen mit der Anerkennung der Opfer rechter und rassistischer Gewalt immer noch schwertut, zum anderen haben es die CDU und die FDP in ihrer Stellungnahme zum Untersuchungsausschuss geschafft,
den NSU mit der RAF zu vergleichen. Selbst Autoren, die den sogenannten Verfassungsschutzbehörden unheimlich nahestehen, raten dringend von diesem Vergleich ab. In Ihrem Text heißt es – ich zitiere –: „Auch die RAF-Morde führten in den Siebzigerjahren der damaligen Bundesrepublik Deutschland zu einem Umdenken der staatlichen Sicherheitsbehörden. Gleiches sollte auch für die Sicherheitsbehörden im Freistaat Sachsen gelten.“ – Das war aus dem Abschlussbericht von CDU und FDP.
Ich möchte einmal beiseite lassen, dass manche Resultate dieses Umdenkens in der alten Bundesrepublik auf heftige Bedenken einer damals noch liberalen Partei namens FDP gestoßen sind. Falls Sie Ihren Vergleich wirklich ernst meinen, dann müssen wir leider damit rechnen, dass noch viele Jahre des Rechtsterrorismus vor uns liegen.
Tatsächlich ist diese Gefahr nicht gebannt; denn ein Handlungskonzept bietet die Koalition nicht. Sie erkennt keine Fehler, sieht keinen Bedarf für Reformen, sie bevorzugt den Schlussstrich. Das ist es, was ich Leichtsinn nenne. Dadurch wird die Tragweite des Themas völlig verfehlt. Vor allem ist diese Einstellung ein Rückfall zu dem Konsens, den die demokratischen Fraktionen des Sächsischen Landtages im November 2011 erreicht hatten.