Mit Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes werden wir mehr Finanzmittel als bisher benötigen. Das möchte ich deutlich sagen. Die Ansprüche dieses Gesetzentwurfes setzen Maßstäbe für diese Frage. Wir wollen mit diesem Jugendstrafvollzugsgesetz ein Signal setzen, damit auch die Zahl der Wiederholungstäter reduziert wird. Deshalb darf es nicht zu einem Verwahrvollzug kommen. Wir wollen mit Werteorientierung, mit Schulausbildung, mit Berufsausbildung und selbstverständlich auch mit Arbeit zur Resozialisierung der Gefangenen kommen und damit Kosten künftiger Kriminalität verhindern. Nicht nur die Kosten, sondern auch das Leid möglicher Opfer müssen reduziert werden. Diese Form der Resozialisierung ist eine Chance der jungen Gefangenen, nach Verbüßung der Haftstrafe ein Leben ohne Kriminalität zu führen.
Wir wollen mit dem heutigen Tag ein modernes und konsequent am Erziehungsgedanken ausgerichtetes Jugendstrafvollzugsgesetz auf den Weg bringen.
Danke. – Meine Damen und Herren! Wir befinden uns in der zweiten Runde der allgemeinen Aussprache. Ich hatte gesagt, das erfolgt nach Größe der Fraktionen. Ich sehe bis auf meinen Nachbarn, Herrn Dr. Martens von der FDPFraktion, keinen weiteren Redebedarf. Dann bitte Herr Dr. Martens.
Herr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem, was eben von der Staatsregierung und von der Koalition gesagt wurde, sind doch einige Klarstellungen und Anmerkungen mehr als angezeigt.
Wenn hier davon gesprochen wird, das Verfahren sei ausreichend gewesen und man habe sich mit den anstehenden Problemen intensiv beschäftigen können, dann ist dem mit aller Deutlichkeit zu widersprechen.
Wir haben es heute und morgen mit Gesetzentwürfen der Staatsregierung zu tun, die eines auszeichnet: Sie sind erst auf den letzten Drücker entscheidungsreif gemacht und vorgelegt worden. Morgen ist es das Gesetz über den Glücksspielstaatsvertrag, heute ist es das Gesetz über den sächsischen Jugendstrafvollzug. In beiden Fällen gab es Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, das dem Gesetzgeber ausreichend Zeit eingeräumt hat, die fehlende gesetzliche Grundlage zu schaffen. Allerdings ist das in Sachsen missverstanden worden. Wir haben nämlich erst spät Gesetzentwürfe bekommen, die dann auch noch kurz vor Torschluss in vielen Punkten nachgebessert wurden, wie dieses Jugendstrafvollzugsgesetz.
Ursprünglich hatte die Staatsregierung die Idee und wollte mit anderen Bundesländern etwas Gemeinsames machen. Davon hat man sich verabschiedet. Man hat das Jahr 2006 praktisch verstreichen lassen, ohne Ergebnisse vorzulegen. Erst am 20. Juli ist der jetzt vorliegende Gesetzentwurf eingebracht worden. Kurz vor Torschluss ist dann von der Koalition am 23. November ein Änderungsantrag in den federführenden Rechtsausschuss eingebracht worden, in dem der Gesetzentwurf in vielen Punkten geändert wurde. 21 Punkte umfasste der Änderungsantrag, und das sind nicht nur redaktionelle Änderungen, sondern es geht um grundlegende Dinge, zum Beispiel diesen Erziehungsauftrag in § 3 der jetzt vorliegenden Fassung des Gesetzentwurfes. Dies allein hätte bereits eine erneute Anhörung zum Gesetzentwurf vor dem Parlament erforderlich gemacht.
Allerdings hat die Koalition aus Zeitnot davon abgesehen und versucht jetzt den Bürgerinnen und Bürger klarzumachen, dieses Gesetz habe ausreichend Beratungszeit gehabt. Dem ist nicht so.
Etwas Ähnliches gilt für die Formulierung, dieses Gesetz sei sprachlich besonders klar. Der Staatsminister der Justiz hat sich ausdrücklich bei der Koalition für den diesbezüglichen Änderungsantrag bedankt. Ich weiß nicht: Ist das nicht richtig verstanden worden, was dort stand? Was uns in der Neufassung des § 3 begegnet, ist alles andere als sprachlich klar. Dieser Erziehungsauftrag und die Vollzugsgestaltung sind das Gegenteil von sprachlicher Klarheit.
Dort heißt es – ich zitiere –: „Die Gefangenen sind zur Ehrfurcht vor allem Lebendigen, zur Nächstenliebe, zum Frieden und zur Erhaltung der Umwelt, zur Heimatliebe,
zu sittlichem und politischem Verantwortungsbewusstsein, zu Gerechtigkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen,
Sie sehen schon, das ist eine ganze Menge. Man müsste nachfragen, welche Vollzugsmitarbeiter hinterher diese Ziele alle auswendig aufsagen können. Diese Aufzählung taugt nicht als Auftrag für einen Vollzug. Das wird auch beschwichtigend von der Koalition so gesagt, das sei ja gar nicht ernst gemeint, wie Herr Kollege Bräunig hier ausführte.
Der Gesetzgeber sollte sich allerdings schon ernst nehmen. Herr Schiemann widerspricht auch lauthals. Herr Schiemann, anders als Herr Bräunig, nimmt es ernst.
Die Koalition sollte sich jetzt darauf verständigen, wer was ernst nimmt und wer wirklich was meint.
Es ist in der Tat relativ kabarettverdächtig, wenn in der Wiederholung des Artikels 101 nunmehr ein Erziehungsauftrag für den Strafvollzug eingeführt werden soll. Wie soll man sich denn die Unterrichtung in der Heimatliebe vorstellen? Nehmen da die Gefangenen in der Weihnachtszeit Aufstellung im Speiseraum, den Kaffeetopf in der einen, den Stollen in der anderen Hand, und dann wird gesagt: „Jetzt üben wir ditschen.“?
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Das ist eine Disziplinarmaßnahme, aber kein Erziehungsziel!)
Man kann sich jede Menge vorstellen. Das betrifft zum Beispiel die Frage der sittlichen Verantwortung. Was passiert zum Beispiel, wenn einer fünfmal hintereinander schmutzige Witze erzählt?
Diese Wiederholung von Programmsätzen des Schulwesens hat im Strafvollzug nichts verloren. Es ist eben gerade keine Wertenormierung, die hier vorgenommen wird, sondern hier wird einfach nur ein Wertegewusel präsentiert. Das trifft auch auf die Formulierung von Herrn Schiemann zu, es sei eine Wertentscheidung, Straftaten zu begehen. Als ob es wirklich eine Wertentscheidung für jemanden ist, eine Straftat zu begehen. Situatives Handeln ist etwas völlig anderes als eine Wertentscheidung.
Diese Formulierungen, Herr Schiemann, zeugen nicht von Wertentscheidungen, sondern eher von einer mangelnden sprachlichen und wohl auch gedanklichen Durchdringung der hier zu behandelnden Sachverhalte.
Der Sachverständige Frieder Dünkel, der in der Anhörung am 31. August 2007 hier gesprochen hat, hat in einem Aufsatz mit dem Titel „Die Farce der Föderalismusreform – ein Vergleich der Gesetze und Gesetzentwürfe zum Jugendstrafvollzug“ zu einer ähnlichen Formulierung aus Baden-Württemberg, die noch lange nicht so weit geht, Folgendes formuliert: „Derartig ernst gemeinte, fast schon als Provinzposse durchgehende Formulierungen verdeutlichen den Niedergang einer Gesetzgebungskultur in Deutschland, die sich zunehmend zu symbolischer Gesetzgebung deformiert.“
Während man sich in diesem Gesetzentwurf an der einen Stelle mit schwülstigen Begriffen auch noch stümperhaft beschäftigt, kneift die Staatsregierung an anderen Stellen bewusst vor eindeutigen Regelungen, die gewährleisten
könnten, dass man tatsächlich die angestrebten Vollzugsziele – und seien es nur die aus § 2 – erreichen kann. Nehmen Sie nur den § 102 zu den Bediensteten. Da steht, dass die Anstalten mit dem für das Erreichen der Vollzugsziele erforderlichen Personal ausgestattet werden. Auch der Änderungsantrag der Koalition hat nicht richtig Licht hineingebracht. Es bleibt offen, welches Personal im Einzelnen, wie viel Personal nach welchem Personalschlüssel zu beschäftigen ist. Auch in der Begründung steht nichts dazu. Hier wird leider formuliert: „Allgemein gültige Aussagen dazu sind nicht möglich.“ Es wird auf die Formulierung von § 155 Abs. 2 Strafvollzugsgesetz verwiesen. Allerdings ist dabei möglicherweise das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2006 wieder nicht beachtet worden. Dort steht nämlich wörtlich: „Der Mangel an gesetzlichen Grundlagen für den Strafvollzug lässt sich nicht durch den Rückgriff auf Rechtsgedanken des Strafvollzugsgesetzes als solches beheben.“
Das heißt im Klartext: Sie können nicht einfach sagen, dass wir es hier genauso wie im Strafvollzugsgesetz machen, sondern Sie müssen eine eigene Begründung präsentieren. Aber das ist auch wieder unterblieben. Das ist eine der vielen Schlampigkeiten und Nachlässigkeiten, die man hier beanstanden könnte.
Ja, dieses Gesetz ist eine Neuregelung. Es ist allerdings keine moderne Neuregelung. Dafür haben die Traditionstruppen um Herrn Schiemann und Freunde schon gesorgt mit ihrem neuen § 3.
Machen Sie sich da keine Sorgen. Eine wirklich moderne Gesetzesgestaltung ist hier verhindert worden, und zwar aus ideologischer Absicht. Das können Sie tun, aber damit verzichten Sie auf die Chance, tatsächlich ein modernes Gesetz zu schaffen.
Damit bekommen wir rechtzeitig zum 31.12.2007 ein Gesetz. Das Verfahren ist alles andere als elegant und das Gesetz ist auch nicht besonders elegant. Aber wir haben wenigstens ein Gesetz. Wenn sich die Koalition mit einem solchen Minimalismus zufriedengibt – wir von der FDP tun dies jedenfalls nicht.
Meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass dies das Ende der allgemeinen Aussprache war. Erhebt sich Widerspruch dagegen, dass wir jetzt zur Abstimmung über die vier Gesetze kommen?
Meine Damen und Herren! Aufgerufen ist das Gesetz über den Vollzug der Jugendstrafe und zur Förderung verurteilter Jugendlicher und Heranwachsender bei der Wiedereingliederung und einer sozial verantwortlichen Lebensgestaltung, Drucksache 4/8622, Gesetzentwurf der Linksfraktion. Ich schlage Ihnen vor, dass wir abschnittsweise abstimmen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Nein.
Ich rufe die Überschrift auf. Wer ist für die Überschrift? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Bei einer größeren Anzahl von Stimmen dafür und Enthaltungen ist das dennoch mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe die Inhaltsübersicht auf. Wer stimmt der Inhaltsübersicht zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Im Prinzip gleiches Abstimmungsverhalten und somit abgelehnt.
Ich rufe auf Abschnitt 1 – Grundsätze des Jugendstraf- und -fördervollzuges. Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Auch hier im Prinzip gleiches Abstimmungsverhalten und nicht zugestimmt.
Ich rufe auf Abschnitt 2 – Planung und Gestaltung des Jugendstraf- und -fördervollzuges. Wer stimmt dem Abschnitt 2 zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Wiederum ähnliches oder fast identisches Abstimmungsverhalten und abgelehnt.
Abschnitt 3 ist aufgerufen – Verkehr mit der Außenwelt, Besuche und Schriftwechsel. Wer ist für diesen Abschnitt 3? – Wer ist nicht für diesen Abschnitt 3? – Wer enthält sich? – Wiederum gleiches Abstimmungsverhalten und abgelehnt.
Abschnitt 4 lautet Aus- und Weiterbildung, Arbeit, Anerkennung und Gelder. Wer stimmt Abschnitt 4 zu? – Wer stimmt nicht zu? – Wer enthält sich? – Gleiches Abstimmungsverhalten und abgelehnt.
Ich rufe auf Abschnitt 5 – Organisation des Anstaltslebens, Mitwirkung der Jugendstrafgefangenen. Wer stimmt Abschnitt 5 zu? – Wer stimmt nicht zu? – Wer enthält sich? – Wiederum gleiches Abstimmungsverhalten und abgelehnt.