Ich habe gesagt, ich gestatte keine Zwischenfragen, da diese Diskussion bereits mehrfach geführt wurde und ich es überdrüssig bin, immer wieder die gleiche Diskussion zu führen.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie es mich an einem Bild deutlich machen. Es gibt doch überhaupt keine Garantie dafür, dass ein leistungsstarker Schüler bei Beschulung in einer Gemeinschaft mit leistungsstärkeren Schülern automatisch zu Höchstleistungen aufläuft. Der Vermerk auf seinem Abschlusszeugnis, dass er eine Gemeinschaftsschule besucht habe, bringt doch nicht automatisch den Erfolg in seiner beruflichen Laufbahn mit sich.
Im Umkehrschluss kann man aber wohl auch nicht leugnen, dass der Absolvent einer Hauptschule, von mir aus auch einer Mittelschule, nach Absolvierung einer handwerklichen Ausbildung einen Weg als Unternehmer beschreitet und sozial höher gestellt ist als sein Freund,
Die Alternative zum gegliederten Schulsystem kann also nicht die integrierte Gesamtschule und auch nicht die Gemeinschaftsschule sein, sondern nur ein weiter verbessertes gegliedertes Schulsystem. Natürlich sind hierbei Verbesserungen möglich, wenn man etwa bereit ist, die unterrichtliche Differenzierung weiter auszubauen, vor allem zugunsten schlechterer Schüler und von Schülern mit Migrationshintergrund. Dies ist im Sinne von Schülerinnen und Schülern; aber nicht das Vorgaukeln von ideologischen Modellen, deren praktische Umsetzung bei Weitem nicht das erfüllt, was Sie vorgeben. Da dem aber so ist, fällt die unsachliche und undifferenzierte Kritik, die Sie am bestehenden Schulsystem in unserem Land üben, auf Sie zurück.
Ich will es Ihnen nicht ersparen, sondern zur Grundlage dieser Rede noch einmal erwähnen: Es gab dieser Tage ein sehr interessantes Interview mit einem Praktiker – wohlgemerkt: mit einem Praktiker, nicht mit einem Schulideologen, auch nicht mit einem Parteisekretär –, der das gesamte System praktisch selbst erlebt hat.
Der Aufschrei von Ihrer Seite ist bezeichnend. Natürlich müssen Sie aufschreien, da dies überhaupt nicht in Ihre Ideologie passt. Lassen Sie mich diesen guten Mann doch einfach einmal zitieren:
(Karl Nolle, SPD: Er hat das falsche Manuskript! Das ist die falsche Veranstaltung! – Zurufe der Abg. Dr. André Hahn und Heike Werner, Linksfraktion)
„Die gut gemeinte Überzeugtheit vieler Einheitsschulbefürworter ist daher das Projekt einer unverschuldeten Ahnungslosigkeit.
Wer es jedoch darauf anlegt, die Wirtschaftskraft einer Region zu ruinieren, für den gibt es erwiesenermaßen keine effektivere Soziowaffe als einen über den vierten Jahrgang hinausgehenden Unterricht in undifferenzierten Lerngruppen.“ – Ich glaube, dem muss man nicht viel mehr hinzufügen, meine Damen und Herren.
Ihre Reaktion darauf ist eigentlich bezeichnend. Wir schließen uns im Übrigen der Stellungnahme der Staatsregierung zu dem vorliegenden Antrag an. Wir gehen davon aus, dass dem Modellcharakter zur Einrichtung von
Gemeinschaftsschulen mit den bislang bestehenden und genehmigten Einrichtungen voll und ganz entsprochen ist.
Sehr geehrter Herr Minister, es gibt also keinen Nachholbedarf bei der Genehmigung neuer Gemeinschaftsschulen. Das darf ich noch einmal deutlich sagen.
DIE LINKE, die PDS, startet mit einer Ausstellung eine Kampagne und lässt uns aus diesem Grund heute hier einen sehr alten Antrag diskutieren, der Kultusminister meint vorbeugen zu müssen und warnt in der Presse vor übertriebenen Erwartungen an Gemeinschaftsschule und die „LVZ“ setzt noch eins drauf, indem sie einen frustrierten Gesamtschullehrer
das von diesem lang ersehnte Podium gibt, um seinen Frust abzulassen, ohne etwas von der Sache verstanden zu haben.
Ich finde es schon kurios, lieber Thomas Colditz: Die Gesamtschule war durchaus immer auch eine Horrorvorstellung innerhalb der CDU. Wenn es jetzt aber hilft, gegen die Gemeinschaftsschule zu argumentieren, dann nimmt man auch einen Gesamtschullehrer. Na, gut.
Zu all diesen Punkten muss etwas gesagt werden, um die Idee und den Schulversuch der Gemeinschaftsschule wieder geradezurücken und vor allem weiter zu befördern.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU – Karl Nolle, SPD: Bravo! – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Dann wundert euch nicht, wenn ich dazwischenrufe!)
Ich glaube trotzdem – wieder zum Ernst zurück –, wir müssen hier einiges gerade rücken und wir wollen die
Gemeinschaftsschule weiter befördern, denn das ist dringend nötig und es ist auch an der Stelle nicht zu beschönigen. Fünf Gemeinschaftsschulen, davon zwei alternative Schulen – das ist keine Bedrohung der sächsischen Schule. Die Zahl der Anträge für den Schulversuch war und ist nur wenig größer – jedenfalls wenn man die Anträge abzieht, bei denen der Schule einfach die Schülerinnen und Schüler fehlten. Von einer Massenbewegung kann also keine Rede sein, und zwar vor allem deswegen, weil es die Schulen überhaupt nicht wollen. Aber darüber wird noch zu reden sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich aber zuerst zu dem Antrag sprechen. Eigentlich dachte ich, dass der Antrag der PDS vom Tisch sei, und zwar deshalb, weil auch bei der PDS die Erkenntnis gereift ist, dass Gemeinschaftsschulen keine benachteiligten Schulen sind,
auch wenn sie natürlich Benachteiligungen ausgleichen können. Aber – das ist der Pferdefuß – sie können das eben nur, wenn sie nicht stigmatisiert werden, wenn sie gerade keine bevorzugten Schulen für soziale Brennpunkte sind. Man kann dieses ganz praktisch im Ruhrgebiet studieren. Dort gibt es ein richtiges Nord-Süd-Gefälle auch im Bildungsniveau, und die vornehmlich in den benachteiligten südlichen Gebieten errichteten Gesamtschulen haben dieses Gefälle nur verstärkt, weil eine Abwanderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler in die vor allem im Norden verbliebenen Gymnasien erfolgte. Das ist sicherlich auch ein Grund für die Frustration vieler Gesamtschullehrer.
Der andere Grund ist der, dass viele Gesamtschulen auch dadurch, dass sie mehr Personal zur Verfügung hatten, ihre Lernkultur nicht veränderten. Die Folge ist, dass die Lehrerinnen und Lehrer in ihrer traditionellen Rolle einfach überfordert sein müssen. In einer Lernkultur, die vor allem auf Belehrung setzt, die dem Lehrer die Aufgabe der Organisation der Lernprozesse zuschreibt, kommt der Lehrer schnell an seine allein zeitlichen Grenzen, wenn er für jeden Schüler, für jede Schülerin einen eigenen Lernprozess organisieren will.
Hinzu kommt, dass der Lehrer mit dem Fachunterricht nicht allein ist, sondern diesen mit anderen an den Schülern abarbeitet. Von daher ist auch aus der Lehrerschaft der Drang nach Gemeinschaftsschulen nicht sehr groß, eben deshalb, weil man sich nicht vorstellen kann, wie man noch differenzierter fördern kann; denn nicht wenige Lehrer fühlen sich schon heute aus gutem Grund nicht in der Lage, wirklich jeden Schüler, jede Schülerin mitzunehmen. Wie auch, wenn man sich immer an eine Lerngruppe richtet, wenn man dadurch immer anderen Lernenden Wartezeiten verschafft oder eben Förderzeiten verknappt?
Kurz, unsere traditionelle lehrerzentrierte Lernkultur fährt tatsächlich mit einer äußeren Differenzierung, mit dem
Einsetzen des Fachunterrichts besser, auch wenn sie insgesamt natürlich schlecht damit fährt. Genau das bringt der frustrierte Lehrbeamte im „LVZ“-Interview zum Ausdruck. Genau das lässt ihn die internationale Entwicklung überhaupt nicht verstehen. Er ist durch eine Schule, die ihn überlastet, so betriebsblind geworden, dass er die Lösungen anderenorts, die ihm Entlastung bringen könnten, gar nicht zur Kenntnis nehmen kann.
Wir wissen, dass Lernen als Prozess ganz anders abläuft, als ihn sich die traditionelle Schule gedacht hat, aber die Konsequenzen ziehen wir nicht. Allein dass nach unseren traditionellen Vorstellungen von Lernen ein ungegliedertes System gar nicht besser sein kann als ein gegliedertes, dass es das aber ist, müsste uns doch zu denken geben. Nehmen wir doch nur den Vergleich in der Lesekompetenz Finnland – Sachsen.