Protocol of the Session on November 16, 2006

Herr Tischendorf, wir lassen uns nicht auf diese Art und Weise von den Großverstehern volkswirtschaftlicher Zusammenhänge unseren Antrag kaputtmachen.

Lassen Sie mich auf den sich auf die Sonntagsruhe beziehenden Einwand der Union eingehen. Artikel 109 Abs. 4 der Sächsischen Verfassung bestimmt in Verbindung mit Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung, dass der Sonntag und die gesetzlichen Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung geschützt sind. Das bleibt so, das wird nicht geändert.

In § 3 unseres Entwurfes heißt es, dass grundsätzlich an allen Tagen geöffnet ist. § 4 Abs. 1 bestimmt aber, Herr Prof. Schneider, dass Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen ganztägig sowie an Heiligabend ab 14 Uhr geschlossen bleiben müssen. Wir streben nur eine neue Ausnahmeregelung an, wonach die Gemeinden mit Satzung die Öffnung an Sonn- und Feiertagen bestimmen können. Bei der Ausgestaltung der Satzung müssen sich die Gemeinden natürlich an den allgemeinen gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Rahmen halten.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

Ein Verstoß gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz ist darin nicht zu erkennen; wir können das gern noch einmal im Einzelnen ausdiskutieren. Der Wesentlichkeitsgrundsatz verlangt, dass alle generellen, für die Verwirklichung der Grundrechte wesentlichen Entscheidungen durch Rechtssatz in Form eines Parlamentsgesetzes getroffen werden. Das ist in Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung der Fall, der die Glaubensfreiheit effektuieren soll und von dem wir im Rahmen der allgemeinen sonstigen gesetzlichen Regelungen eine Ausnahme machen. Das ist verfassungsgemäß.

Der Arbeitsschutz ist angesprochen worden. Wir sehen insoweit eine Besserstellung der Arbeitnehmer bei den Sonntagsöffnungszeiten vor. Gegenüber 22 Tagen nach dem Bundesladenschlussgesetz sollen Beschäftigte an maximal 20 Tagen in Verkaufsstellen beschäftigt werden können.

(Beifall bei der FDP)

Im Übrigen gibt es im Bundesarbeitszeitgesetz ausführliche Regelungen zum Arbeitszeitschutz. Dort wird bestimmt, dass an Sonn- und Feiertagen von 0 bis 24 Uhr Beschäftigte nicht arbeiten dürfen, es sei denn, es gibt gesetzliche Ausnahmen, und diese werden hier geregelt. Deswegen sollte man nicht versuchen, das Ladenschlussgesetz zum sozialen Kampfplatz für Arbeitnehmerschutzregelungen zu machen. Dazu eignet sich das Arbeitszeitgesetz, aber nicht das Ladenschlussgesetz. Sie kämpfen hier auf dem falschen Terrain.

(Beifall bei der FDP)

Noch eine Anmerkung zur Sonntagsruhe. Unser Gesetzentwurf ist einfach und überschaubar. Damit steht er im Gegensatz zur jetzigen Rechtssituation mit ihren vielen Ausnahmen, Rückausnahmen und Sonderausnahmen, mit Regelungen für Wallfahrtsorte, Erholungsorte, Kurorte, aber auch für Warengruppen, zum Beispiel Milchprodukte nach dem Milchgesetz in der jeweils geltenden Fassung, usw. Es wird Ihnen nicht gelingen, uns das als handhabbar zu verkaufen.

Auch der Gesetzentwurf der Staatsregierung wird, soweit ich es sehe, die Situation nicht verbessern.

Wieso wird eigentlich Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung nicht angegriffen, wenn an Sonntagen in Wallfahrtsorten Devotionalien verkauft werden?

Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang, Herr Prof. Schneider: Glauben Sie, dass Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung im Erzgebirge während des Advents nicht gilt?

(Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Völlig daneben!)

Dort haben Sie kein Problem mit der Sonntagsöffnung. Aber wann, wenn nicht an jenen Sonntagen im Advent, findet die seelische Erhebung statt, Herr Prof. Dr. Schneider? Aber das soll natürlich zurücktreten. Eine solche Argumentation ist also scheinheilig.

(Beifall bei der FDP – Volker Bandmann, CDU: Welche Wallfahrtsorte haben wir denn in Sachsen?)

Herr Bandmann, ich bin evangelisch und kenne mich mit solchen Wallfahrtsorten nicht besonders gut aus. Da müssen Sie andere fragen.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie mich noch etwas zu dem „bedeutenden“ Vorschaltgesetz sagen. Ich habe soeben zu dem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion gesprochen. Über diesen kann man diskutieren und heftig streiten; das wird auch getan. Der uns vorliegende Entwurf eines Vorschaltgesetzes ist eigentlich kein richtiger Gesetzentwurf, sondern eher eine Kapitulationsurkunde.

(Beifall bei der FDP)

Mit diesem Vorschaltgesetzentwurf zeigt die Koalition, dass sie sich auf wichtigen Feldern,

(Heinz Lehmann, CDU: … flexibel ist!)

auf denen politische Gestaltung notwendig und auch möglich ist, nicht einigen kann. Die Koalition bringt bis zum letzten Moment keinen tragfähigen Gesetzentwurf zustande. Das wissen Sie selbst sehr genau. Wir haben bereits am 22.09.2005 einstimmig beschlossen: „Die Staatsregierung wird ersucht, alles zu unternehmen, damit im Erzgebirge an Adventssonntagen die Läden geöffnet werden können.“ Passiert ist vonseiten der Staatsregierung überhaupt nichts.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben gestern in 1. Lesung über einen Gesetzentwurf beraten, der im Grunde keine wesentlichen Änderungen gegenüber der jetzigen Rechtslage vorsieht. Das haben Sie auch so gewürdigt. Ich weiß, dass viele Mitglieder der CDU-Fraktion diesem Gesetzentwurf äußerst kritisch gegenüberstehen. Das wird aus Koalitionsdisziplin nur nicht gesagt. Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit man sich auf einem Feld, das die Bürger wirklich interessiert und auf dem man eigene politische Vorstellungen hat, die man sich aber nicht einmal offen zu benennen traut, am Nasenring durch die Gegend führen lassen kann.

(Beifall bei der FDP)

Dieser Entwurf eines Vorschaltgesetzes ist die Minimallösung, um ein brutales Vor-den-Baum-Fahren der Staatsregierung und der Koalition im letzten Moment abzuwenden. Das angewendete Verfahren spricht Bände. Die Möglichkeit, ein Vorschaltgesetz zu verabschieden, ist als Ausnahmeregelung zu betrachten. Nach dem, was wir in den Unterlagen des Landtages gefunden haben, ist diese Regelung erst zweimal angewendet worden: am 18.10.1990 und am 05.12.1990. Zum einen ging es um die Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Sächsischen Landtages und der sächsischen Landesregierung.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Weil wir noch keine Verfassung hatten!)

Weil wir noch nicht einmal eine Verfassung hatten, wurde ein Vorschaltgesetz benötigt. – Zum anderen ging es um die Aufstellung eines vorläufigen Haushaltes.

Meine Damen und Herren! Vorschaltgesetze waren in der Geschichte Sachsens Notstandsmaßnahmen. Was Sie hier machen, ist so etwas. Sie greifen zur Notbremse, die Sie sich zuletzt 1990 in die Hand zu nehmen getraut haben.

(Beifall bei der FDP)

Wenn Sie uns dann verkaufen wollen, Herr Kollege Brangs,

(Stefan Brangs, SPD: Was denn?)

hierbei handele es sich um einen Ausweis besonderer politischer Handlungsfähigkeit, dann sind Sie der Einzige, der daran glaubt.

(Beifall bei der FDP – Stefan Brangs, SPD: Nein!)

Herr Brangs, das ist nicht der Ausweis besonderer politischer Gestaltungsfähigkeit.

(Stefan Brangs, SPD: Das ist Ausweis der Mehrheitsverhältnisse!)

Mir erscheint das Ganze eher als präkomatöses Zucken.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD – Stefan Brangs, SPD: Dass Ihnen das nicht gefällt, ist mir klar!)

Meine Damen und Herren! Ich bitte wieder zur Sachlichkeit zurückzukommen.

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort. Herr Fröhlich, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon eine ganze Menge gesagt worden. Eigentlich könnte ich mich den Ausführungen meines Kollegen Tischendorf – zum Teil auch denen des Herrn Brangs – vollumfänglich anschließen. Was Sie, Herr Morlok, allerdings gesagt haben, kann ich nicht im Raum stehen lassen.

Sonntags entscheiden die Kommunen, wochentags die Bürger. Was ist das für ein Unfug? Zum Ersten: Die Bürger haben in der Woche schon entschieden. Schauen

Sie sich einmal die Öffnungszeiten von großen Ketten und von kleinen und mittelständischen Unternehmen an, die oft in Konkurrenz zu großen Discountern stehen. Sie werden merken, dass die Bürger nur zu bestimmten Zeiten einkaufen gehen.

Es gab, als die Ladenöffnungszeiten von 18 auf 20 Uhr ausgeweitet wurden, natürlich eine Verschiebung in die Abendstunden. Natürlich sind die Bürger erst 19:30 Uhr einkaufen gegangen.

Schauen Sie sich heute einmal die Zeiten und die Auslastung der Läden an. Das Ergebnis spricht eine klare Sprache. Wenn Sie das als Maßstab setzen, dass sich die Bürger entscheiden sollen, dann haben sie sich schon entschieden, nämlich für den Schutz der Familie.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Zum Zweiten: Es mag ja sein, dass Sie es spannend finden, und es hat ja auch einen gewissen Charme zu sagen: Wir als Partei der kommunalen Selbstverwaltung wollen, dass in der Woche die Bürger entscheiden sollen und an Wochenenden die Kommunen. Aber das ist schlichtweg nicht verfassungsgemäß. Es kommt eher einer kommunalen Selbstentmannung gleich. Was werden denn die Kommunen machen? Natürlich werden sie öffnen lassen, wenn Sie die Möglichkeit einräumen, an 20 Sonntagen im Jahr – natürlich Ausnahmeregelung – zu öffnen. Bleibt übrigens die Frage, was 20 Sonntage im Jahr wären. Lassen Sie mich das einmal herunterrechnen. Es gibt ja nur 52. An 20 Sonntagen im Jahr eine Ausnahme zu genehmigen ist quasi die Regel. Natürlich werden das die Kommunen tun, die mit anderen Kommunen im Wettbewerb stehen. Das ist nur logisch.

Nachdem mein Kollege Klaus Tischendorf bereits erklärt hat, warum wir dem eingebrachten Vorschaltgesetz zustimmen, und zum Teil auch schon ausgeführt hat, warum wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen, möchte ich nur noch ein paar Bemerkungen zu Ihrem Druckstück machen, die nach meinem Dafürhalten noch nicht gefallen sind.

Sie setzen sich das Ziel der „Regelung der Ladenöffnung im Freistaat Sachsen“.

Der Sächsische Landkreistag hat in seiner Stellungnahme vom 27. Oktober 2006 treffend bemerkt, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Er führt nämlich aus, der Gesetzentwurf der FDP entspricht „weitgehend dem Anliegen des Standardabbaus, der Deregulierung und Vereinfachung gesetzlicher Regelungen“.