Protocol of the Session on January 21, 2009

Das von Ihnen genannte Modul 1 der Förderrichtlinie zur leistungsdifferenzierten individuellen Förderung kann nur von Gymnasien in Anspruch genommen werden. Ich sage: Es ist keine gerechte Bildungspolitik, die eine Schulart bzw. eine Gruppe so bevorzugt. Deswegen sind Schulen, die Ganztagsangebote bereithalten, leider nicht die Ganztagsschulen, die wir brauchen.

Umso unverständlicher ist es, dass den wenigen tatsächlichen Ganztagsschulen die Weiterführung verwehrt wird. Dass Sie diese Modellschulen nicht weiter unterstützen, muss als Aussage aufgefasst werden, dass Sie keinen Einstieg in eine andere Schul- und Lernkultur in Sachsen wollen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Sehr richtig!)

Die Kollegin Günther-Schmidt hatte es bereits herausgearbeitet. Dennoch: Laut der Evaluation haben 30 % der Schulen schon jetzt Unterrichtszeiten am Vormittag und Pausen- und Projektzeiten am Nachmittag. Sie praktizieren gebundene rhythmisierte Formen. Das zeigt, dass das Bedürfnis an den Schulen besteht. Wir müssen es stärken, damit es sich weiter durchsetzt.

Weitere Kritikpunkte an der offenen Form der Ganztagsangebote sind: Zum einen ist die Gemeinschaft der Schüler untereinander nicht mehr gewährleistet. Zum anderen wird die Ganztagsschule in offener Form oftmals nur als „Aufbewahrungsstätte“ für Schüler – quasi als Hort in der Schule – und nicht als Feld pädagogischer Erfahrungsmöglichkeiten für Schüler gesehen.

Der Kollege Weiss ist in der Vergangenheit schon auf die Unmöglichkeit, Grundschulen mit Hort als Ganztagsschulen auszuweisen, eingegangen. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich ein großer Denkfehler: Nach der Statistik sollen 75 % der Schüler an den Grundschulen die ganztägigen Angebote im Hort wahrnehmen. Der große Fehler in der

Logik ist, dass es sich dabei um ein kostenpflichtiges Angebot handelt. Das kann nicht das Ganztagsangebot für alle Schülerinnen und Schüler der Grundschule sein.

(Beifall bei der Linksfraktion und der Abg. Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)

Entsprechend der Neufassung der Förderrichtlinie wird auch in Sachsen stärker die Modularisierung und Rhythmisierung angestrebt. So hatten Sie es formuliert. Aber das ist in der ungebundenen Form kaum möglich. Insofern zitiere ich weiter: „… wäre es aus Sicht des Sachverständigen besser gewesen, die Förderung von Ganztagsangeboten heute mit der langfristigen Perspektive der geförderten Schule – auch der eigenständigen Schule –, zu der wir stehen, zu verknüpfen und sich zu einer gebundenen Ganztagsschule mit veränderter Lernkultur zu entwickeln.“ Wenn dem so wäre, dann wäre es im Zusammenhang mit der Rhythmisierung in der bildungspolitischen Diskussion möglich, den Nachholbedarf von mindestens zwei bis drei Jahren aufzuholen.

Es gibt im Zusammenhang mit dem Begriff der Rhythmisierung zwei Teilbereiche: Der erste Begriff ist der Begriff der Taktung. Dieser meint die stundenplantechnische Gestaltung des Schultages. Sie sollte mit einem Wechsel von Spannung und Entspannung stattfinden. Die Umsetzung sollte den Schulen überlassen werden. Der zweite Begriff ist die Rhythmisierung. Diese folgt dem Biorhythmus der Kinder. Dieser Biorhythmus ist aber genauso individuell wie jedes Kind selbst. Folglich bräuchte jedes Kind einen eigenen Rhythmus. Diese Rhythmisierung zu gewährleisten, spricht die Förderrichtlinie Ganztagsangebote an.

Die Einstellung eines Betrages für die Personal- und Sachkosten im Jahr 2005 hatte überhaupt erst die Möglichkeit einer Umsetzung für die Schulen in Sachsen geschaffen. Die dazugehörige Förderrichtlinie, die die Modularisierung und Rhythmisierung auch als Ziel benennt, schreibt die offene Form der Ganztagsschule weiter fest. Die Kritik an ihr ist anhaltend. Statt bürokratischer Beantragungen von Einzelmodulen ist weiterhin die Einführung einer pauschalierten Förderung für die Schulen notwendig. Die Höchstförderbeiträge müssen erhöht werden. Es ist nicht zumutbar, externe und hochqualifizierte Träger der Jugendhilfe – zum Beispiel Künstlerinnen und Lehrerinnen – für die in der Richtlinie vorgesehenen 7,50 Euro arbeiten zu lassen. So entlohnt man keine pädagogische Arbeit, so kann man auch keine Partner finden. Dieser Zustand muss transparent gemacht und kritisiert werden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Prof. Dr. Hirschfeld, der die Evaluation für die Einführung des Ganztagsangebotsprogramms erhebt, wies in diesem Zusammenhang auf ein weiteres Problem hin. Es wäre festzustellen, dass Lehrerinnen und außerschulische Ganztagsmitarbeiterinnen bei allem Engagement in der Regel nicht über die nötige sozialpädagogische Qualifikation verfügten, um mit den Sorgen, Schwierigkeiten und

Benachteiligungen aller Schülerinnen und Schüler angemessen umgehen zu können. Der Ausbau des Ganztagsangebotes müsste nach seiner Auffassung von zwei weiteren Maßnahmen begleitet werden, nämlich dem Ausbau der sozialpädagogischen Qualifizierung des Personals und der Schulsozialarbeit. An beidem mangelt es deutlich.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

Ein wichtiger Punkt ist außerdem die Länge des Förderzeitraumes. Die Schulen brauchen Verlässlichkeit bei der Förderung über einen längeren Zeitraum und nicht jedes Jahr eine stetige Neubeantragung für ihre kurz-, mittel- oder langfristigen Konzepte. Konzeptentwicklung muss sich lohnen! Das wird von den Schulen, von der Wissenschaft und von uns so gesehen und gefordert. Genau gegen diesen Grundsatz verstößt Ihre Schulpolitik fortgesetzt. Die jährliche Beantragung verursacht bürokratischen Aufwand.

Einer Erhebung zufolge bezieht sich die Hälfte der in Anspruch genommenen Beratungsangebote, die die Bildungsagenturen und die Servicestelle Ganztagsangebote anbieten, auf die genannten. Nur 38,8 % der Beratungsangebote beziehen sich auf die Inhalte. Für mich ist das ein Zeichen falscher Steuerung.

Ich bin dem Kollegen Weiss dankbar, dass er auf die Situation an den Grundschulen und im Hort eingegangen ist. Dazu habe ich bereits Ausführungen gemacht. Ein notwendiger Punkt ist außerdem die langfristige und kontinuierliche Einbeziehung der Schüler-, Eltern- und Lehrervertreter – gerade bei der Form der offenen Ganztagsangebote. In einer Projektzeitschrift zur Einführung des Bundesprogramms für Bildung und Betreuung hat Volker Schmidt, der unter anderem in der Servicestelle Ganztagsangebote arbeitet, darauf hingewiesen, dass die offene Form der Ganztagsangebote die Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern in die Erarbeitung der Angebote in besonderer Weise erfordert, weil sie sonst in einer „Abstimmung mit den Füßen(!) nicht entsprechend teilnehmen können.“ Ganztagsschule war – auch von Bundesebene her – und ist in Ihrem Konzept immer auf Partizipation angelegt. Indem Schüler, Eltern und Lehrer das Konzept gemeinsam entwickeln, sollte die Einführung ganztagsschulischer Konzepte ein Aufbruch für jede einzelne Schule sein. Zwar haben Sie mit der Einsetzung von Ganztagsschulkoordinatoren auf niedriger Honorarbasis an den Schulen – Kollege Colditz, hören Sie ruhig zu – eine verantwortliche Lehrerperson gefunden, die das macht. Die Anforderung von Partizipation ist damit aber nicht systematisch verbunden und wird nicht strukturell gefördert. Wir halten das nicht für einen Kritikpunkt, sondern wir halten es für den Hauptfehler bei der Einführung eines solchen Modells.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wir machen den Umgang mit den Modellschulen zum Prüfstein dafür, ob die Staatsregierung den Einstieg in Ganztagsschule wirklich ermöglichen will. Wir werden

Sie auch öffentlich daran messen, ob diesen Schulen die Weiterarbeit ermöglicht wird. Wir sind davon überzeugt: Junge Menschen verbringen einen wesentlichen Teil ihrer Zeit in der Schule, und sie gewinnt so über den Aspekt des Lernens im engeren Sinne große Bedeutung als Entwicklungs- und Lebensort mit Anforderungen an einen solchen.

Das in den Nachmittag hinein geöffnete Zeitfenster der Ganztagsschule ermöglicht eine flexiblere Gestaltung des Lernens für jeden einzelnen Schüler und jede Schülerin, also auch eine modernere, eine individuellere Form des Lernens. Ganztagsschulen können durch Kooperationen mit dem Umfeld noch viel mehr zum kulturellen Zentrum des Stadtteils werden. Darum haben wir in unserem Schulgesetzentwurf die Einrichtung von Ganztagsschulen gefördert.

Sie hat auch eine gesellschaftliche Komponente und Dimension. Sie begünstigt die Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern, weil nach der Halbtagsschule nicht mehr auf die Kinder aufgepasst werden muss und weil wir entgegen der vom Kollegen Patt heute morgen wieder ausführlich vertretenen Auffassung überzeugt sind, dass Bildung nicht mehr abhängig von den Möglichkeiten der Familie ermöglicht werden muss. Deshalb hat Ganztagsschule auch etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Sie ermöglicht die Förderung der Kinder aus allen sozialen Gruppen. Aus unserer Sicht sollte dies in einer Schule für alle passieren, auch am Nachmittag.

Die Mittel aus dem Bundesprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ können bis Ende des Jahres 2009 in Anspruch genommen werden. Bisher wurden sie vor allem zum Abbau eines Sanierungsstaus und die Wiedereinführung qualifizierterer, ja Arbeitsgemeinschaften genutzt, die vorher weggefallen waren. Aber durch das Engagement der Schulen ist eine Tür aufgestoßen worden. Mit der Einführung einer Ringvorlesung an der Technischen Universität Dresden ist ein Umfeld Interessierter für die Diskussion aktueller Fragen geschaffen worden. Die Servicestelle Ganztagsangebote begleitet die Schulen, die sich auf den Weg machen wollen, umfassend. Aber der Übergang von der offenen zur gebundenen Form der Ganztagsschule muss gestaltet werden – unter Einbeziehung aller Partner. Den schon bestehenden Schulen muss ermöglicht werden, weiterzuarbeiten. Nicht mehr und nicht weniger ist die Anforderung an die Politik, um einen Einstieg in eine andere Schul- und Lernkultur zu schaffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Danke schön. – Herr Colditz, ich hatte recht. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bonk, Sie haben sich jetzt sehr weitläufig und umfassend ausgelassen und auch umfangreich

diskutiert. Sie hätten Ihre Botschaft allerdings auch mit weniger Worten sagen können, die da lautet: Für Sie gibt es nur die gebundene Form der Ganztagsschule. Alles andere ist pädagogisch nicht wirksam. Das ist Ihre Botschaft.

(Zurufe der Abg. Prof. Dr. Peter Porsch und Julia Bonk, Linksfraktion)

Dieser Meinung sind wir nicht, liebe Frau Bonk. An dieser Stelle werden wir immer wieder im Clinch liegen. Ich bin Frau Günther-Schmidt sehr dankbar, dass Sie noch einmal deutlich gemacht hat, dass es durchaus unterschiedliche Formen der Ganztagsschule gibt, nämlich die gebundene Form und die offene Form.

Wenn wir uns die Entwicklung im Land anschauen, dann haben wir offene Formen von Ganztagsangeboten entwickelt, und diese wirksam ausgestaltet. Es ist von Ihnen – –

(Julia Bonk, Linksfraktion, und Astrid Günther- Schmidt, GRÜNE, stehen am Mikrofon.)

Herr Colditz, gestatten Sie – –

Nein, ich gestatte jetzt keine Fragen, die Diskussion dauert schon viel zu lange zu diesem banalen Thema.

(Zurufe von der Linksfraktion)

Frau Bonk, Sie leugnen ganz einfach, dass es möglich ist, in offenen Formen von Ganztagsangeboten eine Beziehung zwischen unterrichtsergänzendem und eigentlichem Unterricht herzustellen.

(Julia Bonk, Linksfraktion, steht am Mikrofon)

Gilt Ihre Ablehnung weiterhin?

Natürlich halte ich diese aufrecht. – Frau Bonk, damit sprachen Sie von Partizipation. Die Eltern und die Schüler sollen doch das Konzept mittragen. Genau das ist unser Ansatz.

(Staatsminister Prof. Dr. Roland Wöller: Richtig!)

Schauen Sie sich die Umfragen an, und schauen Sie in die wissenschaftlichen Analysen, was die Befragungen von Eltern ergeben haben. 12 % der Eltern sprechen sich für die gebundene Form aus, demgegenüber stehen 80 % für die offene Form. Das ist Partizipation, meine Damen und Herren. So wird das Ganze auch wirksam.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Es ist schon irgendwie verkehrte Welt, wie Sie argumentieren, und so nicht hinnehmbar.

Frau Günther-Schmidt, noch einmal an Ihre Adresse: Wir wollen den Menschen keine Ganztagsangebote verordnen – damit bin ich bei Herrn Herbst mit seiner Aussage –, sondern wir wollen, dass die Schulen, die Entscheidungsträger und die Akteure vor Ort entscheiden, welches

Angebot sie vorhalten. Wie sie das Umfeld von Schule in die Schule integrieren, das wollen wir in der Verantwortung vor Ort belassen, und das hat sich in letzter Zeit bewährt.

Herr Kollege Weiss, Sie sollten das, was Ihnen Herr Kost möglicherweise ins Manuskript schreibt, ein wenig kritischer lesen. Die Geburt der Ganztagsangebote ist nicht mit der Koalitionsbildung verbunden. Wir hatten schon, bevor die SPD mit ins Boot gestiegen ist, SchulJugendarbeit. Die Schul-Jugendarbeit war im Prinzip die Geburtsstunde für Ganztagsangebote in Sachsen. Dazu bedurfte es nicht der seligmachenden Wirkung der SPD.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU – Stefan Brangs, SPD: Jetzt haben Sie mich aber vom Sessel gehauen! – Weitere Zurufe von der SPD)