Protocol of the Session on October 15, 2008

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion)

Wir brauchen eine moderne Bildungspolitik, die sich weltweit an den erfolgreichsten Beispielen unvoreingenommen orientiert.

(Rolf Seidel, CDU: Also an Sachsen!)

Gelegentlich hilft gerade in Sachsen auch ein Blick zurück. Die Welt ist größer als Sachsen, Herr Seidel – das als kleinen Hinweis. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die übergroße Zahl der sächsischen Eltern gerade bei der Schulstruktur einen pragmatischen Ansatz befürwortet, wie wir ihn beispielsweise mit einem längeren gemeinsamen Lernen bis Klasse 6 bei gleichzeitig besserer, individuellerer Förderung vorschlagen.

Nach wie vor sind wir der Überzeugung, dass eine gute Bildungspolitik Leistungsorientierung mit sozialer Kompetenz verbindet. Das schafft faire Chancen für alle jungen Sachsen und unterstützt die Entwicklung selbstbewusster Persönlichkeiten. Schüler sind unterschiedlich. Deshalb müssen wir Schüler besser individuell fördern und fordern, und dafür muss der Freistaat den Rahmen schaffen.

Wir wollen sowohl, dass die Schwachen stärker werden und nicht auf der Strecke bleiben, als auch, dass die Starken ihre Stärken im sächsischen Schulsystem besser entfalten können. In diesem Zusammenhang – das wurde auch von Martin Dulig angesprochen – ist es meiner Ansicht nach bedenklich, wenn es eine einzige Schulart gibt, bei der der Einbruch der Schülerzahlen bis heute nicht angekommen ist. Das sind die Förderschulen in Sachsen. Wer es mit individueller Förderung und Integration ernst meint, der muss auch das Ziel haben, den Anteil der Schüler an diesen Schulen deutlich zu senken.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Ein Wort zum Thema Ganztagsangebote. Ich denke, dafür ist in den vergangenen Jahren mit viel Einsatz und Engagement an den Schulen Hervorragendes geschaffen worden. Wenn wir jetzt erleben, dass Anträge von Schulen nach wie vor nicht beantwortet werden, sie in der Luft hängen und man nicht weiß, wie es damit weitergeht, dann droht diese gute Entwicklung zu scheitern. Dann wird Engagement ausgebremst. Das, finden wir, ist nicht richtig und der falsche Weg. Wir brauchen mehr Mittel für qualitativ gute Ganztagsangebote an sächsischen Schulen.

(Beifall bei der FDP)

Wir brauchen auch mehr Mut, Schulen eigene Verantwortung zu übertragen. Bis heute ist das Wort Schulautonomie in Sachsen eine Worthülse geblieben. Den Schulen werden die Lehrer zugeteilt. Auf ihre Finanzen haben sie praktisch keinen Einfluss. Bei den Inhalten werden sie in das enge Korsett der Stundentafeln gezwängt.

Wie sieht nun die Lösung des Kultusministers aus? Ich zitiere aus der Regierungserklärung: „Zeitliche Freiräume und erweiterte Entscheidungsspielräume werden gegenwärtig geprüft und können eine Neuausrichtung im Rahmen der Personalentwicklung sowie Sachmittelverwaltung nach sich ziehen.“ – Eine wunderbare Formulierung! Vager, unbestimmter geht es nicht. Das Beamtendeutsch könnte man vielleicht auch so übersetzen: Wir prüfen mal so lange, bis wir auch das letzte Argument gefunden haben, warum mehr Freiheit für sächsische Schulen nicht infrage kommt. Das erinnert mich ein wenig an den Paragrafenpranger und dessen unrühmliches Ende.

(Beifall bei der FDP)

Eine Schule in Sachsen kann heute allein gar nicht entscheiden, ob sie zum Beispiel neue Computer kauft oder ihr Chemiefachkabinett modernisiert. Dabei wissen doch

die Schulen am besten, was sie brauchen. Andere Länder machen es vor. Mehr Freiheit schafft mehr Motivation. Mehr Motivation führt zu besserem Unterricht. Sowohl der Staatsminister als auch Herr Hahn haben immer zu wenig Mut. Sie trauen unseren Schulen, Direktoren und Lehrern zu wenig zu.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Stimmt doch gar nicht!)

Damit schaffen wir aber keine neuen Chancen, sondern wir verlängern bestehenden Frust. Wir wollen eigenverantwortliche Schulen,

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Wir auch!)

die ihre Lehrer selbst auswählen und mit eigenen Ressourcen individuelle Schwerpunkte setzen können. Natürlich gibt es dagegen auch Widerstand. Ihn zu überwinden, erfordert Mut – Mut, den die Staatsregierung nicht hat.

In den vergangenen Jahren haben wir den Lehrern viel abgefordert, Stichwort: Zwangsteilzeit. Viele der Lehrer haben Opfer gebracht. Auf Dauer ist jedoch klar: Leistung muss sich lohnen. Lehrer brauchen nicht nur ein gutes Schulklima und gute Lehrbedingungen, sie wollen auch eine Anerkennung dafür erfahren. Es gibt viele, die zum Feierabend nicht auf die Uhr schauen. Es gibt viele, die sich in Schulprojekten jenseits vom Unterricht regelrecht aufopfern. Viele leisten mehr, als normalerweise von ihnen erwartet wird. Anerkennung ist nicht nur eine Frage des Geldes. Aber nach so vielen Jahren muss sich besonderer Einsatz – wenigstens zum Teil – auch in der Lohntüte widerspiegeln.

(Beifall bei der FDP)

Mut heißt in diesem Zusammenhang auch, Unterschiede zu machen und beispielsweise die Möglichkeiten der Leistungsprämien für Lehrer besser zu nutzen. Hier fehlt offenbar die Kraft, um sich gegen die Vertreter der Gleichmacherei durchzusetzen.

Zum Thema Berufsnachwuchs eine Bemerkung. Im aktuellen Newsletter der CDU-Fraktion wird über die Ansicht von Kultusminister Wöller berichtet, er müsse über das Gespenst des sogenannten Lehrermangels fast schmunzeln. Das verwundert mich etwas. In der Pressekonferenz zum Schuljahresanfang hat er dieses Gespenst ja eigentlich zum Leben erweckt. Ganz ehrlich, wenn wir uns die Situation gerade an den beruflichen Schulen und an den Förderschulen ansehen, stellen wir fest: Die Situation dort ist nicht zum Schmunzeln.

Zwar spricht Herr Wöller in seiner Erklärung lieber von Lehrerbedarf und Bedarfsfächern als von Lehrermangel und Mangelfächern, aber wir sind ja beide von Haus aus Wirtschaftswissenschaftler und wissen: Wenn der Bedarf das Angebot übersteigt, dann entsteht ein Mangel, meine Damen und Herren. Das kann man auch mal beim Namen nennen.

(Beifall bei der FDP)

Wer die Besten für den Lehrerberuf in Sachsen begeistern will, muss ihnen attraktive Bedingungen bieten. Dazu gehört eine Vollzeitperspektive an allen sächsischen Schulen. In Sachsen werden durch Land und Bund jedes Jahr bis zu 100 Millionen Euro für Jugendliche ausgegeben, die nach dem Verlassen der Schule nicht hinreichend ausbildungsfähig sind. Ich glaube, dieses Geld zu nutzen, es früher zu investieren, wäre der deutlich klügere Weg, als später teuer und mit wenig Wirkung zu reparieren.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Cornelia Falken, Linksfraktion)

Zum Beispiel können wir in ein kostenloses Schulvorbereitungsjahr investieren. Wenn wir es als Teil der Bildung in Sachsen begreifen, dann sollte das Schulvorbereitungsjahr kostenfrei sein.

In der Erklärung des Kultusministers fand ich interessant, dass ein Hauch DDR hier im Plenum wehte. Er meinte, Hort und Grundschule gehören zusammen unter ein Dach. Da stellt sich mir die Frage: Wer war denn eigentlich für die Trennung verantwortlich? Hat nicht die CDU den Kultus- und Sozialminister in den letzten Jahren gestellt? Diese Frage kann sich auftun. Seit Langem sind wir für eine sinnvolle Integration. Hier könnte der Minister doch den Mut zeigen und ein Konzept für die Zusammenführung vorlegen, und zwar über das Schlagwort Bildungshäuser hinaus.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben etliche Zweifel an der Entschlossenheit dieser Staatsregierung. Es fehlt ihr der Antrieb, wirklich Neues zu wagen – ob längeres gemeinsames Lernen, ob flächendeckendes Angebot für die Fremdsprache in Klasse 1, ob Finanzierung der Kitas und mehr Investitionen für frühkindliche Bildung. Zu oft steht sich die Koalitionsregierung selbst im Weg. Zu oft fehlt der Mut, viel zu oft die Kraft. Da hat die heutige Regierungserklärung auch keine Ausnahme gemacht, meine Damen und Herren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Für die Fraktion GRÜNE Frau Günther-Schmidt, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weil es keiner meiner Vorredner erwähnt hat, möchte ich doch wenigstens darauf hinweisen, dass der vorliegende Bericht „Schule in Sachsen 2008“ letztlich auf Antrag der GRÜNENFraktion überhaupt entstanden ist. Meine Fraktion hat bereits 2005 gefordert, dass zur Mitte der Legislaturperiode ein Bildungsbericht von einer unabhängigen Kommission vorgelegt werden soll.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf des Abg. Heinz Eggert, CDU)

Seit wann spricht denn Herr Eggert zum Thema Bildung? Ich bin überrascht.

Unser Antrag – Sie werden sich erinnern – wurde auch mit Ihrer Stimme abgelehnt. Aber dass die Staatsregierung das zumindest teilweise noch umsetzen musste, zeigt doch sehr wohl und sehr deutlich, dass wir richtig gelegen haben. Damals hat Kultusminister Flath in seiner Stellungnahme zu unserem Antrag kühn behauptet, dass ein solcher Bericht eigentlich nicht notwendig sei. Das zeigt uns wieder einmal, wie notwendig eine konstruktive Opposition hier im Hause ist. Allerdings hat Herr Flath in seiner Stellungnahme durchaus auch recht. Ein solcher Bericht kann nicht auf eine Zusammenfassung von an anderer Stelle bereits publizierten Sachverhalten reduziert werden. Leider macht der Bildungsbericht, der uns vorgelegt wurde, genau diesen Fehler. Bereits vorhandene und veröffentlichte Daten werden aufbereitet sowie durch andere Datenbestände ergänzt. Leider kommen auch Sie, Herr Prof. Wöller, in Ihrer Regierungserklärung nicht über diesen Stand hinaus.

Ich möchte zu Beginn meiner Rede auf den Begriff der Nachhaltigkeit eingehen, der ja im Titel dieser Fachregierungserklärung bemüht wird. Ich glaube, im Bereich Bildung geht es dabei vor allem um den Begriff der sozialen Nachhaltigkeit. Soziale Nachhaltigkeit versteht die Entwicklung der Gesellschaft als einen Weg der Partizipation für alle Mitglieder einer Gemeinschaft. Dies umfasst den Ausgleich sozialer Kräfte mit dem Ziel, eine auf Dauer zukunftsfähige, lebenswerte Gesellschaft zu erreichen. Ich glaube, gerade der Partizipationsgedanke aller Mitglieder einer Gesellschaft ist der Aspekt, der in der sächsischen Bildung jenseits von Bekundungen, wie „Jeder zählt“, am wenigsten ausgeprägt ist.

Sie behaupten, Sachsen ist spitze. Aber ich fürchte, zumindest im internationalen Maßstab stimmt dies nicht. Ein Bildungssystem, das sich 8,7 % Schulabbrecher leistet, ist ein Skandal oder, um es in der Sprache der Ökonomen zu formulieren, ineffizient. Es ist die Verantwortung der gegenwärtigen Koalitionsregierung, die immerhin schon vier Jahre im Amt ist, dass sie bislang eben nicht die geeigneten Maßnahmen ergriffen hat, um diese Zahl nachhaltig zu reduzieren. Das liegt meiner Meinung nach im System selbst begründet, das darauf fußt, dass das gegenwärtige, mehrfach gegliederte Schulsystem von der meiner Meinung nach irrigen Annahme ausgeht, dass leistungshomogene Lerngruppen Voraussetzung sind für eine gute Förderung des Einzelnen. Diese Grundannahme birgt den Kern der sozialen Ungerechtigkeit deshalb in sich, weil in ihrer Folge die Kinder natürlich konsequenterweise relativ früh aussortiert werden müssen. Der Wert eines Bildungssystems bemisst sich damit weniger am Durchschnitt diverser Leistungsvergleiche, die ja durchaus sinnvoll sein können, sondern daran, ob es ihm gelingt, sozial Schwache und Hilfsbedürftige zu einer guten Bildung hinzuführen.

Sachsen beharrt jedoch nach wie vor auf der alten Ständeschule des Kaiserreiches. Da hat sich in den letzten 120 Jahren nicht viel geändert. Sie setzen auf ökonomische Verwertbarkeit und haben – –

(Heinz Eggert, CDU: Sie kommen gar nicht aus Sachsen!)

Herr Eggert, was wollen Sie mir denn erzählen? Wollen Sie Zuwanderung zum Problem machen, dass Sie hier allen, die nicht aus Sachsen kommen, den Mund verbieten, oder was soll Ihre Äußerung bedeuten: Sie kommen gar nicht aus Sachsen? Sie haben hier in der Bildungspolitik fast 20 Jahre lang flächendeckend versagt, und das müssen Sie sich auch einmal von Zugereisten sagen lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Jetzt fange ich einmal wieder an, denn deutsch reden kann ich noch, und Sie verstehen es ja vielleicht. Sie setzen auf ökonomische Verwertbarkeit, solange Sie sich der Mühe aussetzen, über Bildung nachzudenken, und haben keine Vorstellung, dass Bildung ein Wert an sich ist.

(Unruhe im Saal – Glocke der Präsidentin)

Da können Sie den Menschen noch so viel vom angeblich zweigliedrigen Schulsystem erzählen und das Herzstück Mittelschule preisen – im Grunde ist es immer noch die alte Schule aus Kaisers Zeiten. Wir haben mittlerweile auch eine andere Berufs- und Arbeitswelt, und wir GRÜNEN haben einen grundsätzlich anderen Anspruch an Bildung.

Der öffentliche Bildungsauftrag braucht nicht nur berufsbezogene Zielsetzungen. Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und soziale Teilhabe sind ebenso bedeutende Ziele in der Bildung wie die Unterstützung des Einzelnen bei der Verwirklichung und Vervollkommnung unterschiedlichster Freizeitaktivitäten und Interessen oder etwa bei der Übernahme ehrenamtlicher Aufgaben. Maßnahmen der allgemeinen politischen und kulturellen Weiterbildung sind gleichermaßen für die Gesellschaft wie für den Einzelnen eine gewinnbringende Investition.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um noch einmal die einzelnen Bereiche der Bildung genauer zu beleuchten. Wir sind uns einig, dass der Grundstock für eine gelingende Bildung in der frühen Bildung gelegt wird. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass dieser Bereich nun in das Kultusministerium überführt wurde. Das heißt, ich würde es aus grundsätzlichen Erwägungen heraus begrüßen, wenn ich das Zutrauen hätte, dass das Kultusministerium auch in der Lage sein wird, die erforderlichen Veränderungen im vorschulischen Bereich auch zeitnah umzusetzen. Wenn ich mir allerdings den zu beratenden Haushalt anschaue, fürchte ich, dass die Umstrukturierung ein reiner Verschiebebahnhof wird, der mitnichten die offenen Fragen beantwortet, wie man die Übergänge zwischen Kindergarten und Schule besser bewältigt, wie man wirklich zu offenen Häusern des Lernens für alle Kinder kommt und wie die jeweiligen Bildungsstufen und die vorhandenen Kompetenzen gewinnbringend für alle genutzt werden können.

Der aktuelle Streit um die Finanzierung der halbherzigen Verbesserung des Betreuungsschlüssels lässt mich eher vermuten, dass sich die Staatsregierung aus der Verantwortung stehlen und die finanziellen Lasten den Kommunen und damit den Familien aufbürden will.

Lassen Sie mich jedoch vor allem einige nähere Ausführungen zum Stand der Integration von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf machen. Der Kultusminister hat diesen Bereich ja eher lieblos nur gestreift. Es gibt in Deutschland circa 484 000 Schüler mit besonderem pädagogischem Förderbedarf. Davon sind etwa zwei Drittel Jungen. Die Zahl ist nicht im Sinken begriffen, wie man angesichts insgesamt sinkender Schülerzahlen vermuten könnte, nein, die Zahlen steigen verhältnismäßig auch in Sachsen an.

Im Bildungsbericht ist nachzulesen, dass im Schuljahr 2007/2008 insgesamt 29 948 Schüler, das sind 6,4 %, einen festgestellten Förderbedarf haben. Während zunächst an den Grundschulen, dann an den Mittelschulen und Gymnasien ein erheblicher Rückgang der Schülerzahlen zu verzeichnen war, sinken die Schülerzahlen an den Förderschulen jedoch kaum. Was mir noch mehr zu denken gibt ist die Tatsache, dass in Sachsen – wie in den neuen Bundesländern insgesamt – der Anteil dieser Schüler höher ist als in den alten Bundesländern. Ich glaube, dass dieser Förderbedarf in einer gewissen Weise hausgemacht ist und es eben durch die Struktur dieses Schulsystems ermöglicht wird, dass das Abschieben nach unten zum Prinzip erhoben wird.